Protokoll der Sitzung vom 23.04.2003

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident,wir werden auch unpopuläre Entscheidungen treffen müssen. Mit den 500 zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrern könnten Sie anfangen. Wir haben schon mehrfach gefordert, Lehrerinnen und Lehrer nicht als Beamte,sondern als Angestellte einzustellen.Wir wissen, dass es zunächst teurer ist, Angestellte statt Beamten einzustellen, weil dann die Sozialabgaben vom Arbeitgeber, vom Land, zu finanzieren sind. Für die Zukunft wäre das aber die bessere Lösung, weil in den Sozialversicherungssystemen Rücklagen gebildet werden. Wir fordern Sie gleichzeitig auf, die gesamten Kosten für die 500 zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrer, die wir als Angestellte beschäftigt sehen wollen, bei den übrigen Personalausgaben einzusparen. Dies wäre ein erster Schritt zu einer verantwortungsvollen Politik für zukünftige Generationen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist nicht einfach. Aber Sie selbst sagen ja, das Regieren in dieser Zeit sei nicht einfach. Wenn man nur in einfachen Zeiten regieren kann, dann ist man in der Landesregierung fehl am Platz.

Die Einstellung der zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrer als Angestellte, die ich angesprochen habe, ist natürlich nur ein kleiner Anfang. Das reicht bei weitem nicht aus, um die drohende Katastrophe zu entschärfen.Es sind weitere Einschnitte bitter notwendig. Ich nenne an dieser Stelle die Beamtenversorgung und z. B. auch die dreizehnte Pensionszahlung pro Jahr, die es für hohe Beamte im Ruhestand gibt – ein dreizehntes Gehalt kennt die gesetzliche Rentenversicherung nicht –: Beide dürfen auf Dauer in der Diskussion nicht mehr sakrosankt sein.

Wir müssen auch bei uns selbst anfangen. Wer nämlich Wasser predigt und Wein säuft, der ist für die Menschen in unserem Land nicht wirklich glaubwürdig.Wir müssen die Regelung der Altersversorgung der Abgeordneten, der Regierungsmitglieder und der kommunalen Wahlbeamten auf den Prüfstand stellen. Ich tue das, denn ich meine, man muss an der Stelle auch einmal über sich selbst reden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ein Arbeitnehmer mit akademischem Abschluss 40 Jahre lang arbeitet und in die BfA einzahlt,dann erhält er eine Rente von ca.1.800 €. Ein hessischer Landtagsabgeordneter erreicht dieses bereits nach sechs Jahren im Parlament und im Alter von 55 Jahren. Ich denke, dass das in der heutigen Zeit nicht mehr vermittelbar ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das sind Bereiche,an die wir,obwohl es sich nicht um die ganz großen Beträge handelt, im Interesse der Glaubwürdigkeit der Politik herangehen müssen.Wir müssen zu einem angemessenen Maß der Altersversorgung der Abgeordneten zurückkehren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe es vorhin schon angesprochen: steigende Personalausgaben, dramatisch steigende Versorgungslasten, ein riesiger Schuldenberg und, damit zusammenhängend, explodierende Zinslasten.Diese Situation wird – das ist kein rhetorischer Kniff – kurz- oder mittelfristig zu einer Handlungsunfähigkeit der Landespolitik beitragen. Ich spreche die Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion jetzt direkt an: Sie alle, die Sie momentan im Raum sind, wollen doch nach der nächsten Bundestagswahl – es besteht begründete Hoffnung, dass die erst im Jahre 2006 stattfindet – diesem Haus noch angehören.

(Zurufe von der CDU)

Ihr Ministerpräsident will das nicht.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

Herr Ministerpräsident, ich habe gesagt: nach der nächsten Bundestagswahl im Jahre 2006. – Ihr Ministerpräsident will diesem Hause nach der nächsten Bundestagswahl nicht mehr angehören. Deswegen kann sein finanzpolitisches Motto „nach mir die Sintflut“ sein.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,Sie müssen ein Interesse daran haben, dass die Handlungsfähigkeit der Landespolitik bestehen bleibt. Ich habe vorhin gesagt, die SPD nimmt ihre Oppositionsrolle an. Wir wollen keine Oppositionsfraktion der Neinsager sein.

Aber sowenig die Menschen sich eine Oppositionsfraktion der Nein-Sager wünschen, genauso wenig wünschen sie sich eine Regierungsfraktion der Jasager.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen mein Appell an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktion: Nehmen Sie Ihre Kontrollfunktion wahr, sorgen Sie dafür, auch wenn es hinter verschlossenen Türen ist, dass dieses Land finanzpolitisch wieder in solide Bahnen geführt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zur Wirtschaftspolitik.Da merkt man,dass die Union erstmals für diesen Bereich die Verantwortung übernimmt.Ich denke,es müsste so richtig sein,es gab bisher noch keinen Wirtschaftsminister in unserem Land,der der Union angehört hat.

Sie reden vom „Erfolgsland Nummer eins Hessen“ und ignorieren die Tatsache,dass unser Bundesland Hessen im letzten Jahr, was das wirtschaftliche Wachstum angeht, von Platz 2 auf den Platz 6 abgefallen ist. Das so genannte „Erfolgsland Hessen“ ist unter Ihrer Verantwortung mittlerweile nicht mehr ganz an der Spitze, sondern nur noch im Mittelfeld. Mein Eindruck ist, Sie suchen hierfür nicht einmal die Ursachen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Wirtschaftsminister hat in der letzten Woche seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen öffentlich gemacht. Nach allem, was man hört, war das eher ein Vortrag über Wirtschaftstheorie im Allgemeinen und weniger über Hessen im Besonderen. Herr Wirtschaftsminister, nichts gegen Theorie, wir alle müssen lebenslang lernen. Es kann nützlich sein, aber wir hätten uns schon gewünscht, zu hören,wie Ihre Vorstellungen sind,wenn Hessen denn schon auf den sechsten Platz abgerutscht ist, wie Sie uns von die

sem Platz 6 wieder an die Spitze bringen wollen. An dieser Stelle hätten wir uns gern etwas Konkretes gewünscht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man sich diesen Abfall auf Platz 6 in das Mittelfeld anschaut, dann stellt man fest, das hat sehr viel mit dem wirtschaftlichen Herz unseres Landes, nämlich der RheinMain-Region zu tun. Wir wollen auch, dass die Regionen Nord- und Mittelhessen und auch Starkenburg sich wirtschaftlich hervorragend weiter entwickeln.Voraussetzung dafür ist aber – das dürfte in diesem Hause unstrittig sein –, dass wir ein starkes Rhein-Main-Gebiet brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Die Tatsache, dass wir im Bundesvergleich ins Mittelfeld abgerutscht sind, hat sehr viel damit zu tun, dass auch der Wirtschaftsmotor im Rhein-Main-Gebiet ins Stottern geraten ist. Soweit Sie dies zur Kenntnis nehmen, ist der Reflex dieser Landesregierung, zu sagen, dass die Rahmenbedingungen schuld sind, also Rot-Grün in Berlin.

Man muss sich angucken, ob an diesem Argument etwas dran ist. Das Argument erschließt sich aber für mich nicht sofort. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das Land im innerdeutschen Vergleich von Platz 2 auf Platz 6 gefallen ist, dann muss es doch andere Bundesländer geben, die exakt die gleichen wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Rahmenbedingungen wie unser Land haben. Diese haben also innerhalb der gleichen Rahmenbedingungen besser abgeschnitten als Hessen.

Dann rentiert es sich doch, einmal nachzuschauen, warum diese anderen Länder innerhalb der gleichen bundespolitischen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren bessere Ergebnisse erzielt haben, als wir das offensichtlich getan haben, denn sonst wären wir nicht von der Spitzenposition ins Mittelfeld abgerutscht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei uns liegt doch offensichtlich einiges im Argen. Sie haben die Frage der regionalen Organisation angesprochen. Bislang haben wir die Frage der regionalen Organisation viel zu stark als einen Bereich des Innenministeriums, sozusagen als Verwaltungsorganisation, angesehen. Ich glaube, dass die Frage der Organisation der Region Rhein-Main eine ganz zentrale wirtschaftspolitische Frage für die weitere Entwicklung in unserem Lande ist.

(Beifall bei der SPD)

Das sehen nicht nur die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hier im Landtag so. Auch die Wirtschaftsinitiative Rhein-Main ist dieser Auffassung. Ich zitiere die Wirtschaftsinitiative mit einer Pressemeldung aus der „FAZ“ vom Februar dieses Jahres. Die Wirtschaftsinitiative sagt:

Danach sind rechtliche und politische Rahmenbedingungen dringend erforderlich, um in der Konkurrenz mit anderen Wirtschaftszentren wie Paris oder London zu bestehen.

Wie reagiert der Hessische Ministerpräsident darauf? Er sagt, das sei jetzt nicht das vorrangigste Ziel, es müsse abgewartet werden, wie das Ballungsraumgesetz aus dem Verfahren vor dem Staatsgerichtshof herauskomme.

Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Landesregierung hat sich mit diesem Ballungsraum

gesetz verrannt. Es ist doch offensichtlich, dass uns dieses Ballungsraumgesetz schadet und nichts nützt.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt drei zentrale Gründe, warum dieses Ballungsraumgesetz schlicht weg muss.Der eine zentrale Grund ist der, dass es räumlich zu eng gefasst worden ist, zweitens schwächt es die Kommunen und stärkt sie nicht, und drittens – Herr Ministerpräsident, das ist wirtschaftspolitisch das Zentrale – verstärkt es das Gegeneinander und nicht das Miteinander in der Region.

(Beifall bei der SPD)

Zum räumlichen Bereich: Zwei Landkreise – in denen ich glaube, mich ganz gut auszukennen –, Groß-Gerau und Wetterau, sind durch dieses Ballungsraumgesetz in der Mitte geteilt. Das versteht in diesen Landkreisen kein Mensch, warum der eine Teil des Landkreises sozusagen zu Rhein-Main gehören soll und der andere Teil des Landkreises nicht zur Rhein-Main-Region gehören soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen wir uns die Landeshauptstadt Wiesbaden an.Wenn Sie jemanden in Wiesbaden fragen: „Gehören Sie zur Rhein-Main-Region?“, dann sagt er: Ja, wohin denn sonst, nach Mainz?

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Er sagt „Rheingau“!)

Vielleicht sagt er „Rheingau“, aber natürlich gehört all dies zum Rhein-Main-Gebiet. Sie selbst beschreiben zu Recht, welch große Leistungen auch die gemeinsame Bewerbung um Olympia in dieser Region hervorgebracht hat. Nur ging dieser Bewerbungsbereich Olympia auch über das Land Hessen hinaus,dazu gehörten auch Aschaffenburg und Mainz.

Die Rhein-Main-Region ist größer als der Bereich, der durch dieses Ballungsraumgesetz willkürlich zusammengesetzt wird.

(Beifall bei der SPD)

Zum zweiten Punkt, den ich angesprochen habe: Dieses Gesetz beschränkt die Kommunen in ihrer kommunalen Selbstverwaltung. Das sieht man schon daran, dass sehr, sehr viele Kommunen gegen dieses Gesetz geklagt haben. Deshalb haben wir ja das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof anhängig.

Wir haben Ihnen bei dem Erlass dieses Gesetzes mehrfach gesagt, dass es nicht angehen kann, dass Sie sozusagen von Landesebene aus die Kommunen,ohne dass diese ein Mitspracherecht haben, zwingen, Einrichtungen überörtlichen Charakters der großen Stadt Frankfurt mitzufinanzieren. Sie sagten immer, das gehe alles auf Basis der Freiwilligkeit. Heute steht wieder in Ihrem Regierungsprogramm: Wir wollen regionale Zusammenschlüsse im Wege der Freiwilligkeit unterstützen. Herr Ministerpräsident, wie ist dies denn mit Ihrer Drohung in Einklang zu bringen, die Kommunen nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs „durch Kabinettsbeschluss zur Mitfinanzierung zu zwingen“?

Daran sieht man doch, dass es hier nicht um mehr kommunale Selbstverwaltung und mehr kommunale Selbstverantwortung geht, sondern um weniger kommunale Selbstverantwortung.