Stattdessen werden wenige Monate später fast 1.000 Stellen abgebaut, und die Visionen des Ministerpräsidenten für ein Bildungsland Hessen sind für Eltern, Lehrkräfte und Schüler binnen kurzer Zeit zu Albträumen geworden.
Auch wenn der Ministerpräsident seinem Kabinett das Denken weitgehend abgenommen hat, so sind doch Sie dafür verantwortlich, Frau Kultusministerin, dass die Bildungschancen der hessischen Kinder durch kurzsichtige Stellenstreichungen beeinträchtigt werden.
Jeder Lehrer und jede Lehrerin weniger an den Schulen bedeutet weniger Förderung, weniger persönliche Ansprache für die Schülerinnen und die Schüler.
Jeder Lehrer und jede Lehrerin weniger an den Schulen heißt weniger Engagement in Arbeitsgemeinschaften und weniger Engagement bei der Umsetzung von Schulprogrammen, wo sich die Kollegien bereits heute weit über ihre Pflichtstundenzahl hinaus einsetzen.
Frau Kultusministerin, Sie haben es zu verantworten, dass die Zukunftsperspektiven junger Menschen gefährdet sind, die, teilweise verlockt durch Ihre exzessive Lehrerwerbekampagne, ein Lehramtsstudium begonnen haben. 2.000 Referendare werden im kommenden Jahr ihre Ausbildung beenden. Etwa 140 Quereinsteiger erwarten nach Beendigung ihrer Qualifizierung eine Übernahme in den Schuldienst. Der so genannte Einstellungskorridor von 450 Stellen, der nach den Kürzungen noch übrig bleibt, wird somit zum Lotteriespiel für die Betroffenen. Dabei würden wir die jungen Lehrer dringend brauchen.
Frau Kultusministerin, Sie haben es auch zu verantworten, dass Lehrerinnen und Lehrer sich betrogen fühlen. Mit verbalen Streicheleinheiten wurde deren Arbeitsbe
lastung problematisiert. Dann wurde eine Arbeitszeitkommission mit dem berechtigten Ziel ins Leben gerufen, eine Neubemessung der Lehrerarbeitszeit vorzunehmen. Jetzt soll pauschal eine Stunde Mehrarbeit verordnet werden – eine Rolle rückwärts par excellence.
Frau Ministerin, Sie werden es auch verantworten müssen,wenn durch diesen Schritt zu Beginn des kommenden Schulhalbjahres ein organisatorisches Chaos in den Staatlichen Schulämtern und in den Schulen entsteht. Da erst kurzfristig entschieden wird, welche Stellen nicht mehr besetzt werden, muss eine Fülle von Abordnungen angeordnet werden, die darüber hinaus dazu beitragen, dass die für die Entwicklung der Schule wichtige Identifikation von Lehrkräften mit ihrer Schule nicht mehr stattfinden kann.
Ich sage Ihnen auch – das haben wir schon wiederholt betont –, fünf rechnerisch zusätzliche Stunden Deutsch werden nicht dazu führen, dass eine fehlende Physikstunde unterrichtet werden kann.
Frau Ministerin, in Ihrer Verantwortung liegt es, dass Bildungspolitik und Bildungsqualität in diesem Land zur Floskel verkommen. Die einzige Begründung, die Sie dagegenzuhalten haben, ist die angebliche Alternativlosigkeit Ihrer Vorschläge. Frau Ministerin, es gibt keine politische Entscheidung ohne Alternative. Wer sich hinter Alternativlosigkeit versteckt, erweist sich als unfähig, die Folgen seiner Entscheidungen angemessen mit zu bedenken.
Diese Folgen werden durch die Streichungen im Etat Ihrer Kollegin Sozialministerin noch gravierender sein als bei alleiniger Betrachtung der Maßnahmen im Kultusbereich. Wer weiß, dass Bildungschancen von Kindern in Deutschland weiterhin vom sozialen Status ihrer Eltern abhängig sind, dem muss es grauen vor den Folgen, die eine komplette Streichung der Landesmittel für Hausaufgabenbetreuung, für Erziehungsberatung und Familien unterstützende Maßnahmen in sozialen Brennpunkten auch für die Bildungschancen der betroffenen Kinder haben wird.
Frau Kultusministerin, die Schulen werden diese wichtigen flankierenden Angebote nicht auffangen können. Sie tragen mit Ihren Kürzungen kräftig dazu bei, dass ihnen diese Aufgabe noch erschwert wird. Der Ministerpräsident ist hinausgegangen. Aber ich stelle trotzdem die Frage, welche Kinder er eigentlich meint, wenn er davon spricht, dass seine Politik alternativlos für die Zukunft unserer Kinder sei.
Er meint ganz sicher nicht die Kinder, deren Bildungschancen jetzt beeinträchtigt werden. Er meint ganz sicher nicht die Kinder, denen die Lehrer weggenommen werden, denen die Hausaufgabenbetreuung gestrichen wird und deren Eltern auf erziehungsunterstützende Maßnahmen verzichten müssen. Diese Kinder kann er eigentlich nicht meinen. Er kann auch nicht die Kinder dieser Kinder meinen; denn die Kinder, die heute ihre Bildungschancen und ihre Berufsperspektiven verlieren, haben auch keine Chance, zu kompetenten und verantwortungsvollen Eltern heranzuwachsen.
Stattdessen sind wohl andere Kinder gemeint. Auch die Kultusministerin macht deutlich, wo ihre bildungspolitischen Prioritäten liegen. Die Eliteförderung auf Schloss Hansenberg schlägt im Haushaltsjahr 2004 mit 2,36 Millionen c zu Buche,Tendenz steigend.
Hier entstehen die kleinen Klassen, das entspannte Klima und die vielfältigen Förderstrukturen, die Ihnen an den allgemein bildenden Strukturen offensichtlich nicht am Herzen liegen.
Wer den Bildungsanspruch aller Kinder umsetzen will, muss bei defizitären Haushalten andere Schwerpunkte setzen. Wir brauchen keine Eliteförderung, die zulasten der Grundversorgung an den Schulen geht.
Herr Irmer, Sie können sich dann in bewährter Weise dazu äußern. – Die SPD-Fraktion lehnt die Arbeitszeitverlängerung für Lehrkräfte ab. Der breite Konsens, dass eine zusätzliche pauschale Pflichtstundenverlängerung kein Mittel ist, die Arbeitsbelastung der Lehrerinnen und Lehrer gerechter zu gestalten, wird damit gebrochen. Die SPD-Fraktion lehnt ebenso die für das kommende Jahr geplante Streichung von 945 Stellen ab.
Wir brauchen diese Stellen im System, um die Schulen in die Lage zu versetzen, erreichte Standards zu erhalten und darauf aufzubauen.
Ich werde mich beeilen, Herr Präsident. – Wir werden auch die Kürzungen bei den Vertretungsmitteln und bei den Lernmitteln nicht hinnehmen.
(Frank Gotthardt (CDU): Sagen Sie doch einmal etwas zur Finanzierung Ihres Wahlversprechens von den Ganztagsschulen!)
An dieser Stelle wollte ich eigentlich noch über die Qualitätssicherung reden. Das muss dann der Ausschusssitzung vorbehalten bleiben.
Ich will mit einem weiteren Zitat der Kultusministerin schließen. Im Moment lohnt es sich immer, sich die früheren Änderungen der Kabinettsmitglieder noch einmal genau anzuschauen. Am 18. September hat sie nämlich gesagt: Wir werden nicht den Fehler machen, am falschen Ende zu sparen.
Frau Wolff, ich kann Sie nur auffordern: Nehmen Sie Ihre eigene Aussage ernst. Noch ist Zeit, die unverantwortlichen Kürzungen bei der Bildung zu stoppen.Wir werden entsprechende Alternativvorschläge machen. – Danke.
Der Einzelplan 04 ist der Beweis dafür, dass das Bekenntnis der CDU-Regierung, die Bildungspolitik habe Priorität, nur mehr ein Lippenbekenntnis ist.
Die Demonstrationen der letzten Wochen sind ein Ausdruck dafür, dass Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer, kein Vertrauen mehr in die Politik dieser Landesregierung haben. Sie glauben nicht mehr an die viel beschworene Unterrichtsgarantie.
An die versprochene Unterrichtsqualität glaubt schon überhaupt niemand mehr. Das Wort „Unterrichtsqualität“ sollten Sie auch nicht mehr in den Mund nehmen.
Sie vermitteln den Eindruck, als ob Sie gar nicht glauben könnten, was da passiert, nämlich dass sich so viele Lehrerinnen und Lehrer gegen Ihre Politik wenden und dass Eltern mit ihren Kindern Protestveranstaltungen vor den Schulen durchführen.