Sie vermitteln den Eindruck, als ob Sie gar nicht glauben könnten, was da passiert, nämlich dass sich so viele Lehrerinnen und Lehrer gegen Ihre Politik wenden und dass Eltern mit ihren Kindern Protestveranstaltungen vor den Schulen durchführen.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Cogito, ergo sum! – Frank Gotthardt (CDU): Sind wir in der Kirche hier, oder warum reden Sie so viel vom Glauben?)
Sie haben wohl gedacht, dass Sie sich mit den vier Jahren, in denen es einen Stellenzuwachs gab, das Wohlverhalten erkauft hätten, sodass es keine Demonstrationen mehr geben würde, wenn Sie 37 % der Stellenzuwächse mit einem Schlag wieder zunichte machen.
Es gibt aber kein Stillhalteabkommen in der Bildungspolitik.Wissen Sie, warum? Sie haben die Messlatte so hoch gehängt, dass Sie darüber springen müssen, statt unter der Latte hindurchkriechen zu können, und die Eltern wissen inzwischen, auch durch die internationalen Vergleichsstudien und die öffentlichen Diskussionen darüber sensibilisiert, dass eine gute Bildungspolitik und Lernerfolge die Voraussetzungen für die demokratische Teilhabe und für den Zugang zum Berufsleben sind.
Deswegen lassen sich die Eltern nicht mehr von Ihnen verschaukeln. Deswegen gehen die Eltern und auch die Lehrerinnen und Lehrer zu Recht auf die Straße.
Wer viel verspricht, muss eben auch viel halten. 500 zusätzliche Stellen sollten es sein. Sie sollten Entlastungen für die Lehrerinnen und Lehrer bringen, weil sie durch ihren Beruf so belastet sind. Eine Unterrichtsgarantie sollte es sein: eine fachliche Vertretung spätestens am dritten Tag nach dem Ausfall einer Lehrerin oder eines Lehrers.
Wir haben über 1.000 Lehrerinnen und Lehrer weniger an den Schulen. Die Arbeitszeit ist auf dem Stand von 1950 bei gleichzeitig steigenden Erwartungen an die Lehrerinnen und Lehrer.Mangels Vertretungen kommt es zu Stundenausfällen. Im nächsten Jahr wird das noch viel gravierender. Selbst innerhalb der CDU wird jetzt schon diskutiert, wann man die Auffanglinie einzieht, weil die Vertretungsregelungen nicht mehr greifen, die Sie mit der „Unterrichtsgarantie plus“ ins Fenster gehängt haben. Es gibt weniger Geld für Lernmittel denn je. Das sind Ihre Versäumnisse.
Der Ministerpräsident hat gestern gesagt, sie hätten vor der Entscheidung gestanden, ob die Kinder mehr Unterricht haben sollten oder ob die Lehrer länger dafür arbeiten müssten. Das ist eigentlich keine echte Entscheidung. Es ist auch keine Alternative; denn es wird weniger Unterricht in größeren Klassen bei einer höheren Unterrichtsbelastung der Lehrerinnen und Lehrer geben. Sie wissen genau, dass es Unterrichtsausfall geben wird, wenn Sie die Schulleitungen mit Deputatstunden belasten, einen Teil der Lehrerstellen für den beruflichen Bereich nehmen und dann auch noch die Vertretungsmittel kürzen. Der fachliche Unterricht wird nicht mehr das Niveau der letzten vier Jahre erreichen, obwohl es nicht die Unterrichtsgarantie gab, die Sie versprochen hatten.
Kommen wir zur Nachwuchsförderung mittels Kampagnen. Einen besseren Zeitpunkt für eine Kampagne zur Nachwuchsförderung kann man sich gar nicht vorstellen. Den Referendarinnen und Referendaren wird jetzt schon signalisiert, dass im nächsten Jahr höchstens 25 % von ihnen eine Einstellungschance hätten, weil ihre Fächerkombination oftmals nicht zu der der ausgeschriebenen Stellen passe.
Dann machen Sie eine Kampagne, in der es heißt, dass wir mehr Lehramtsstudierende brauchen. Sie erhöhen die Unterrichtsverpflichtung und sagen gleichzeitig: Wir wollen euch Studierenden ein gutes Klima an den Schulen bieten.Wir wollen euch motivierte junge Leute für unsere Schulen gewinnen. – Das glaubt Ihnen doch kein Mensch. Man sieht, dass das relativ zynisch ist. Diese Pressemappe wurde verteilt.
Was finden wir darin? Neben Interviews mit der Kultusministerin über Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Ähnliches finden wir zwei alte Presseerklärungen aus dem Jahr 2001.
„Kultusministerin empfängt neue Lehrerinnen und Lehrer im Bildungsland Hessen“. Diese Lehrerinnen und Lehrer konnten damals über die Hotline „Hessen sucht Lehrer für den Schuldienst“ gewonnen werden.
Am 23. Februar 2001 hieß es: Hessen wird selbstverständlich auch weiterhin Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Bundesländern abwerben, und zwar so viele wie möglich. – Ich kann den Referendarinnen und Referendaren aus Hessen nur empfehlen: Meldet euch bitte in anderen Bundesländern. Hier ist kein Platz für euch. Geht nach Nordrhein-Westfalen, dort werden im nächsten Jahr 1.000 zusätzliche Stellen geschaffen. Da habt ihr bessere Chancen als in Hessen.
Aber auch inhaltlich gibt es keinen Aufbruch für eine neue Unterrichts- und Bildungsqualität. Die Selbstständigkeit von Schule,die Sie immer beschwören,bleibt in einem Budgetierungsversuch zweier Landkreise und eines staatlichen Schulamtsbezirks stecken. Sie trauen sich aber nicht,die Faktoren einzuführen,die eine Selbstständigkeit ausmachen würden: eine eigene Einstellungspolitik und die Möglichkeit, von Lehr- und Stundenplänen abzuweichen mit dem Ziel, einen bestimmten Bildungsstandard zu erreichen.Wir haben einen Antrag gestellt,mit dem wir dieses Projekt unterstützen wollen. Der ist leider abgelehnt worden.Auch die SPD konnte ihm nicht zustimmen, was mich verblüfft, weil in ihrem Antrag ein Konzept gefordert wird. Konzepte gibt es in dieser Richtung übrigens genug.Wir hätten Anlaufmittel gebraucht, um das Projekt tatsächlich zu starten.
Wir brauchen Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung an den Schulen, und zwar auch durch den Umbau der staatlichen Schulaufsicht. Hierzu gibt es Anträge, die wir im Ausschuss beraten werden. Es reicht nicht, dass drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kultusministerium neu eingestellt werden, um die Bildungsqualität im Lande Hessen voranzubringen. Nein, wir brauchen eine entsprechende Weiterentwicklung in der Schulaufsicht. Wir brauchen wieder eine fachliche Beratung der Schulen durch die Aufsichtsbehörde, die an bestimmten Maßstäben gemessen wird. Das erfordert einen Umbau der gesamten Schulaufsicht. Da ist bislang nichts passiert. Trotz vieler Reden werden jetzt schlicht und einfach drei zusätzliche Stellen an das Kultusministerium, in die Administration gegeben. Was das den Schulen und der Schulaufsicht bringen soll, bleibt Ihr Geheimnis.Wir haben hierzu einen Antrag gestellt. Auch der ist leider abgelehnt worden – merkwürdigerweise bei Enthaltung der SPD-Fraktion.
Statt dass die Lehrerinnen und Lehrer ihre Energie in einen besseren Unterricht, in ihre Fortbildung, für den Erwerb diagnostischer und methodischer Kompetenzen für den Umgang mit heterogenen Leistungsgruppen einsetzen können, müssen sie künftig ihre Energie dafür verwenden, sich an neue Lehrpläne zu gewöhnen und gegen das organisatorische Chaos zu kämpfen, das durch die mangelhafte Vorbereitung der Schulzeitverkürzung entstanden ist, die auch noch ideologisch propagiert wird.
Die Lehrpläne sind gerade erst eingeführt worden. Jetzt geht wieder alles retour. Die kooperativen Gesamtschulen wissen überhaupt nicht, was bei der Schulzeitverkürzung auf sie zukommt.Wir haben es vorgestern in der Fragestunde gehört. Das bringt keine Ruhe an den Schulen und für die Lehrerinnen und Lehrer keine Möglichkeit, sich mit aller Energie auf die Verbesserung der Unterrichtsqualität zu stürzen. Es bringt vielmehr Chaos und Unruhe – und all das nur deshalb, weil Sie einigen Kin
dern die Möglichkeit eröffnen wollen, in schnellstmöglicher Zeit zum Abitur zu kommen. Der Rest wird erst einmal hintangestellt.
Die kooperativen Gesamtschulen werden dabei kaum und die integrierten Gesamtschulen überhaupt nicht bedacht. Die Realschüler schauen erst einmal in die Röhre. Das geschieht alles nur deshalb, weil Sie immer noch den Fetisch leistungshomogener Lerngruppen hochhalten. Sie wollen damit auch die Durchlässigkeit von Schule weiter einschränken.
Stattdessen bräuchten wir eine frühe und individuelle Förderung mit Fortsetzung in der Schule,unterschiedliche Professionen an den Schulen, eine Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe,die Möglichkeit,kleinere Lerngruppen zu bilden oder Einzelförderung zu betreiben, und Ganztagsangebote, die dieses Etikett tatsächlich verdienen.Wir haben Alternativen aufgezeigt und Anträge vorlegt.Sie können nicht sagen, Ihre Politik sei alternativlos.
Es gibt Alternativen. Die haben Sie in der zweiten Lesung leider abgelehnt.Wir werden das öffentlich machen.
Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sine ira et studio, ohne Schaum vor dem Mund und in aller Ruhe einige wenige Reminiszenzen an das, was unter Ihrer Regierungsverantwortung in Hessen der Fall war. Ich will einige wenige Zitate bringen.
(Michael Siebel (SPD): Geben Sie Ihre Rede doch zu Protokoll! – Nicola Beer (FDP),an Abg.Michael Siebel gewandt: Die kennen wir schon!)
Im „Herborner Tagblatt“ vom 29. Oktober 1997 steht: Genossen besuchten die berufsbildenden Schulen in Dillenburg; Lehrerversorgung mangelhaft; 230 Stunden Unterrichtsausfall pro Woche. – In der „Frankfurter Rundschau“ vom 3. März 1998 heißt es: Eltern wollen Pädagogen aus eigener Tasche bezahlen.
In der „Offenbach-Post“ vom 16. April 1998 finden wir: Deutscher Lehrerverband schlägt Alarm – 100.000 Stun
den Unterricht fallen aus. – „Wetzlarer Neue Zeitung“ vom 28.April 1998: Landesweit fallen an der Berufsschule – –
(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hilft Ihnen jetzt nicht weiter! Jetzt geht es um etwas anderes!)
Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen, aber ich möchte gelegentlich in Erinnerung rufen, welche Welten zwischen Ihrer und unserer Schulpolitik liegen. Das muss man anhand solcher Beispiele immer wieder einmal deutlich machen.
(Beifall bei der CDU – Michael Siebel (SPD): Das interessiert nicht einmal mehr Ihre eigenen Leute!)
In der „Wetzlarer Neuen Zeitung“ heißt es: Landesweit fallen an den Berufsschulen 20 % des Unterrichts aus. – „FAZ“ vom 19. Mai 1998: Landessportbund gegen die bildungspolitische Katastrophe.
„Wetzlarer Neue Zeitung“ vom 30. Juni 1998: Am Johanneum-Gymnasium Herborn fallen 150 Unterrichtsstunden pro Woche aus – allein an dieser Schule.