Protokoll der Sitzung vom 16.12.2003

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das ist der Fakt, der sich hier ergibt. Da gehört wirklich ein bisschen mehr Offenheit und Ehrlichkeit in der Debatte bei Ihnen dazu.

Ich finde es sehr löblich, dass die SPD-Fraktion noch einmal den Versuch unternimmt, in der Personalpolitik mit Ihnen einen vernünftigen Pfad zu suchen.Allein, mir fehlt der Glaube, dass uns das heute mit Ihnen zusammen gelingen wird.Wir haben schon versucht,die Debatte mit Ihnen offen und ehrlich zu führen. Mit unseren Haushaltsanträgen lagen Alternativen vor. Fakt ist, dass wir Vorschläge zum Urlaubsgeld, zum Weihnachtsgeld und zur Arbeitszeit vorgelegt haben. Es gab also Alternativen, die Sie immer bestreiten. Sie haben diese Alternativen in den Beratungen bisher abgelehnt und waren nicht bereit, mit uns darüber inhaltlich qualitativ zu diskutieren.

(Beifall der Abg. Evelin Schönhut-Keil (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie sind mit Ihrer „Operation düstere Zukunft“ im Begriff,die größtmögliche Demotivierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Hessen zu beschließen.Wer in den letzten Tagen einmal das Gespräch mit Bediensteten des Landes gesucht hat, wird mir sicherlich zustimmen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben alle die Nase gestrichen voll. Nicht, dass das Personal die Sparzwänge des Landes nicht sieht. Das wird von vielen gesehen. Der Umgang, die Personalpolitik von oben herab, nach Gutsherrenart, über die Köpfe der Beschäftigten hinweg – das ist das, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das bringt die Motivation in den Dienststellen auf den Nullpunkt. Ohne dass Sie eine Aufgabenkritik gemacht haben, ohne dass Sie Personalentwicklungskonzepte vorgelegt haben, ohne Sinn und Verstand machen Sie Personalpolitik im Lande Hessen.

(Zuruf der Abg. Birgit Zeimetz-Lorz (CDU))

Wie andere das machen, kann man leicht nachvollziehen. Ein Blick in die Wirtschaft würde Ihnen vielleicht einmal gut tun.Sie sind sonst immer so wirtschaftsnah.Nur da,wo es wirklich innovative Entwicklungen in der Wirtschaft zu

verzeichnen gibt, schauen Sie weg und setzen auf Modelle von gestern.

Wir haben neulich alle z. B. eine Broschüre von BP verteilt bekommen. Da war im Titel zu lesen: „Unternehmerischer Erfolg wird künftig nicht allein an der Rendite gemessen – genauso wichtig ist der Stolz der Mitarbeiter auf ihr Unternehmen“.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich frage mich: Worauf soll eigentlich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter der Landesverwaltung stolz sein, auf das gekürzte Weihnachtsgeld, auf das gestrichene Urlaubsgeld, auf die Arbeitszeit, die nun brutalstmöglich mehr bedeutet, 42 Stunden, und das Ganze, ohne im Vorfeld auch nur das Gespräch mit den Personalräten zu suchen, geschweige denn, über intelligente Modelle mit den Arbeitnehmervertretern zu verhandeln? Sie muten den Mitarbeitern Lohneinbußen von insgesamt 12,5 % zu und streichen im Geleitzug der „Operation düstere Zukunft“ gleichzeitig wichtige Mitbestimmungsrechte für Personalrätinnen und Personalräte aus dem HPVG.

Auch hier wieder die Frage: Was macht eigentlich die Wirtschaft? Danach gucken Sie doch sonst immer. Auch dazu wieder ein Blick in die Broschüre:

Die Harmonisierung der Tarifverträge, der betrieblichen Regelungen und der außertariflichen Gehalts- und Versorgungssysteme wurde bei den 2002 zusammengeführten Gesellschaften

mit Sicherheit ein schwieriger Prozess –

in enger Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Betriebsräten erarbeitet.

Es geht also auch anders. Die Wirtschaftsunternehmen machen es Ihnen vor. Eine innovative Wirtschaft und eine kundenfreundliche Verwaltung brauchen eine intelligente Organisation der Arbeit und flexibel ausgestaltete Arbeitszeiten.

Wir fordern Sie deshalb auf, die brutalstmögliche Arbeitszeitverlängerung für Beamte und die Kündigung des Tarifvertrags für Angestellte zurückzunehmen, die vorhandenen tariflichen Flexibilisierungsmöglichkeiten umfassend zu nutzen und Verhandlungen mit den Gewerkschaften und den Personalräten im Landesdienst aufzunehmen, um zu einer differenzierten innovativen Lösung im Personalbereich zu kommen.

Es gibt nämlich andere Modelle. Hören Sie bitte mit dem Geschwätz auf, dass es keine anderen Vorschläge und keine Alternativen gegeben habe. Sie sorgen mit Ihrer landesweiten Mobbingagentur, PVS genannt, dafür, dass die Motivation auf dem Nullpunkt ist. Wie machen das Unternehmen mit ihren Mitarbeitern? Zitat aus „Visionen der Volkswagenwelt“, ein großes Unternehmen:

Arbeit wird neu definiert. Gefragt ist der ganze Mensch mit seinen individuellen Möglichkeiten, seiner Offenheit, seinem Talent, seiner Leidenschaft, zu lernen und zu entdecken, etwas zu entwickeln und etwas weiterzugeben.

Jetzt passen Sie auf:

Die Zukunft gehört denjenigen Unternehmen, die auf die Mündigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Kompetenz, Beteiligung und Lernbereitschaft setzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie machen hier in Hessen genau das Gegenteil.Wenn Sie dieses Leitbild der Personalentwicklung mit Ihrer brachialen, brutalstmöglichen Methode vergleichen, müsste Ihnen ein Licht aufgehen.Wir plädieren für soziale Partnerschaft in Betrieben, in öffentlichen Verwaltungen und in der Gesellschaft. Wir wollen eine Teilhabe, in der alle ihren gerechten Anteil an dem gemeinsam erarbeiteten Wohlstand erhalten. Wir wollen die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an den Entscheidungen der Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung. Sie setzen auf obrigkeitsstaatliche Personalpolitik, auf Personalpolitik nach Gutsherrenart.

(Petra Fuhrmann (SPD): Richtig!)

Flexiblen, innovativen und beschäftigungsfördernden Arbeitszeiten auch im öffentlichen Dienst kommt für eine nachhaltige Gestaltung der künftigen Arbeitsgesellschaft eine hohe Bedeutung zu.Was Sie hier vorgelegt haben, ist Personalpolitik von vorgestern. Das ist gerade nicht flexibel, das ist gerade nicht innovativ, und es ist eben nicht beschäftigungsfördernd.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Es gibt in der Praxis erprobte Modelle, z. B. in der Schweiz. Bei diesen Modellen werden Überstunden nicht mehr in Geld ausbezahlt,sondern als Zeit gutgeschrieben. Da gibt es Modelle, bei denen die Überstunden auf die Lebensarbeitszeit angerechnet werden, z. B. in Bern. Es gibt Modelle des Volkswagenwerks, wo Massenentlassungen verhindert werden sollten und wo auch immense Kosten eingespart werden mussten.

(Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Das sind Modelle aus der freien Wirtschaft, an denen Sie sich ein Beispiel nehmen sollten.Da würden Sie auch endlich einmal sehen, dass es mit Gewerkschaften, mit Personalvertretungen und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammen möglich ist, einen solchen Weg zu gehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Die Leute haben gewaltige Gehaltseinbußen gehabt!)

Meine Damen und Herren, das sind innovative Modelle. – Vielleicht passt es Ihnen nicht, dass ich zu viel aus dem Norden genommen habe. Vielleicht passen Ihnen die Bayerischen Motorenwerke besser. Vielleicht ist das ein Modell, das Ihnen besser zusagt. Ich sage Ihnen einmal, wie die die Mitarbeiter sehen:

Die Mitarbeiter sind das herausragende Unterscheidungsmerkmal zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Unternehmen. Damit sehen wir die Mitarbeiter nicht als Kostenfaktor, sondern als Erfolgsfaktor; denn auf Dauer wird eine Personalpolitik, die nicht mitarbeiterorientiert ist, immer zu negativen Kostenauswirkungen führen und damit unwirtschaftlich sein.

Lassen Sie sich das ins Stammbuch geschrieben sein, und lassen Sie sich einmal sagen,was Sie hier personalpolitisch anrichten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Was Sie hier machen, ist nicht innovativ. Wir fordern Sie auf, zusammen mit den Gewerkschaften, zusammen mit den Beschäftigten einen Diskussionsprozess zu führen. Ich glaube, dass man das auf der Grundlage des Antrags, den die SPD-Fraktion vorgelegt hat, machen kann. Ich hoffe, dass Sie im zuständigen Ausschuss bereit sind, mit uns eine offene Debatte zu führen.Vielleicht nehmen Sie einmal die Filzbrille ab und sind offen für den Blick in innovative und zukunftsweisende Arbeitszeitmodelle.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich würde gern Herrn Hahn für die FDP-Fraktion das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Als ich das erste Mal den Antrag der SPD-Fraktion vom 03.12. gelesen habe, habe ich mich gefragt: Was soll denn das, und auch noch zum jetzigen Zeitpunkt? Meine Fraktion sieht das ähnlich.

Wir befinden uns zwischen der zweiten und der dritten Lesung des Haushalts für das Jahr 2004. Diese Debatte will ich in keiner Weise aufmischen. Die führen wir übermorgen, und die Nachtragsdebatte führen wir morgen.

(Zuruf des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Wir haben Anhörungen im Innenausschuss des Landtags durchgeführt. Wir haben Debatten geführt, jeder für sich selber, mit den Gewerkschaftsvertretungen im Lande Hessen. Ich unterstelle, jeder von uns hat Gespräche mit seinen Parteifreunden außerhalb des Landes Hessen geführt. Dann kommt urplötzlich zwischen zweiter und dritter Lesung ein knapper Sechszeiler nach dem Motto: Marsch, marsch zurück, erst einmal soll ein Pakt, ein runder Tisch gefunden werden.

Nun wissen Sie, dass wir es als FDP-Fraktion klug finden, dass man dann, wenn Möglichkeiten der Einigung bestehen, diese auch sucht. Ich habe vorhin in der Debatte über die Standortentscheidungen der Landesregierung darauf hingewiesen, es wäre klüger gewesen, wenn der Hessische Ministerpräsident auf unser Angebot eingegangen wäre, das gemeinsam mit allen vier Fraktionen des Hauses zu machen.

(Beifall bei der FDP)

Da wäre auch die Möglichkeit gewesen, jedenfalls zu Beginn, eine gemeinsame Sprachregelung und Entscheidung zu finden. Aber dass jetzt die Sozialdemokraten diesen Antrag vorlegen, zeugt davon, dass sie sich nicht mit ihren Parteifreunden außerhalb Hessens unterhalten haben, dass sie sich nicht mit den Gewerkschaften in diesem Lande und außerhalb des Landes unterhalten haben und dass sie hoffen, mit einer Froschperspektive den Menschen in diesem Lande vorgaukeln zu können, dass man bei der Personalpolitik noch groß umdrehen könnte. – Das ist schlicht falsch.

Lieber Herr Kollege Kahl, lieber Herr Kollege Rudolph, Herr Steinbrück ist Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen.

(Günter Rudolph (SPD): Das stimmt!)

Er leitet dort gemeinsam mit Herrn Vesper die rot-grüne Landesregierung. Diese hat beschlossen, die Arbeitszeit für die Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen von 38,5 auf 41 Stunden zu erhöhen.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das Weihnachtsgeld nicht vergessen!)

Ich will jetzt nur die Arbeitszeit abarbeiten, Herr Kollege Dr. Jung. – Herr Ringstorff ist Ministerpräsident in Mecklenburg-Vorpommern. Er leitet dort eine rot-rote Koalition. Dort sind die bereits bestehenden 40 Stunden beibehalten worden.Dort gab es aber schon seit Jahren 40 Stunden Arbeitszeit. Gleiches Herr Kollege Beck aus Rheinland-Pfalz, der dort gemeinsam mit meinem Freund Hans-Artur Bauckhage eine sozialliberale Koalition leitet. Dort gelten seit Jahren 40 Stunden Arbeitszeit für Beamte.