Nun reagieren Sie doch nicht so aufgeregt. Die Frage, die ich hier stelle, müssen Sie doch erst einmal beantworten.
Wieso wollen wir uns eigentlich auf Kontakte zu Geheimdiensten beschränken? Ich denke, es gibt noch weitaus erheblichere Delikte, die man sich vorstellen könnte. Denn wenn ein hessischer Landtagsabgeordneter keine Kontakte zur Stasi oder zu anderen dubiosen Geheimdiensten gehabt haben soll, dann können wir auch auf anderen Feldern eine gewisse Tadellosigkeit erwarten.
Wir müssen dann auch sichergehen, dass unter uns keine Bankräuber, keine Gewaltverbrecher oder Kinderschänder sind.
Diese Liste ließe sich ganz beliebig erweitern. Um sicherzugehen, wäre die Konsequenz doch wohl, dass jeder Abgeordnete hier einen genetischen Fingerabdruck hinterlässt und diese Datei regelmäßig mit vorhandenen Täterspuren aller in Deutschland ungelösten Kriminalfälle abgeglichen wird.
(Beifall bei der SPD – Nicola Beer (FDP): Da haben Sie das Thema verfehlt! – Lebhafte Zurufe von der CDU)
Meine sehr verehrten Kollegen von der CDU und der FDP,Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen.Das ist das Ergebnis Ihrer Gedanken konsequent zu Ende gedacht. Dahin kommt man, wenn man so anfängt.
(Marco Pighetti (SPD): Ja, es ist hier zwar schlechte Gewohnheit, dass es nicht gestattet wird, aber ich werde es anders handhaben! Bitte schön!)
Das ist nett,Herr Kollege.Ich gestatte es auch regelmäßig. – Wenn das alles so zutreffen würde, was Sie eben ausgeführt haben, warum haben dann so viele SPD-geführte Landesregierungen im Bundesrat diesen Beschluss unterstützt?
Ich werde mir die Freiheit nehmen, für uns unsere Meinung vorzutragen. Andere Regierungen, auch SPD-geführte, mögen zu einem anderen Ergebnis kommen. Andere FDP-Fraktionen sind auch zu anderen Ergebnissen gekommen, in dieser Frage und in anderen Fragen.
Dann komme ich zum Schluss. Ich halte es nicht für in Ordnung, dass man eine bestimmte Gruppe von Personen unter einen Eventualverdacht stellt.
Das ist hier nämlich im Endergebnis der Fall. Das ist nicht die Auffassung von Rechtsstaat, die ich habe. Damit sollte man gar nicht erst anfangen. Der vorliegende Antrag, der aus der Vereinigungszeit hervorgekramt worden ist, passt weder in die jetzige Zeit noch zu einem Rechtsstaat und schon gar nicht zu einer Partei, die sich den liberalen Rechtsstaat auf die Fahne geschrieben hat. Deswegen sollten wir ihn ad acta legen.
(Dr. Walter Lübcke (CDU), an die Opposition gewandt: Ihr habt euer Geld aus Ost-Berlin und Moskau gekriegt!)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleich vorab eine Reaktion auf einen Zwischenruf, der gerade kam. Wenn man diesem Antrag nicht zustimmt, Herr Kollege Dr. Lübcke, dann heißt das noch lange nicht, dass man irgendetwas zu verbergen hat.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Dr. Walter Lübcke (CDU): Na, na, na!)
Ich möchte nicht darauf eingehen, mit wem Sie sich vereinigt haben, werte Damen und Herren von der CDU.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was haben Sie zur deutschen Einheit beigetragen? – Lebhafte Zurufe von der CDU)
Ich darf die Kollegen der CDU-Fraktion um etwas mehr Ruhe bitten, damit der Redner fortsetzen kann. – Das geht jetzt nicht von Ihrer Redezeit ab, Herr Al-Wazir.
Herr Präsident, die FDP hat diesen Antrag 1991 schon einmal gestellt und hat dafür damals keine Mehrheit gefunden. Die FDP hat ein Jahr später, 1992, die Konsequenz aus einem großen Manko, das ihr Antrag noch heute hat, gezogen, Änderung des Hessischen Abgeordnetengesetzes beantragt und wiederum keine Mehrheit gefunden. Ich sage Ihnen: Es gibt in unserer Fraktion keinen einzigen Abgeordneten, der nicht für sich und freiwil
lig einer solchen Überprüfung zustimmen würde. Ich fände es aber verdammt schwierig, wenn die Mehrheit eines Parlamentes hier beschließen würde, dass das sozusagen als Regelanfrage für alle Abgeordneten, und zwar ohne gesetzliche Grundlage, passieren soll.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gerhard Bökel (SPD): Das mache ich auch nicht mit! – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))
Ich könnte es mir jetzt auch einfach machen und sagen: Ich bin 1971 geboren. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich informeller Mitarbeiter der Stasi gewesen sein könnte, ist vergleichsweise gering.
Aber so einfach machen wir es uns nicht.Denn es gibt beispielsweise in der Geschäftsordnung des Bundestages einen Passus, der genau die Frage einer freiwilligen Überprüfung regelt. Das ist auch dort die Haltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Es gibt einen Beschluss der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der anregt, dass sich, nachdem jetzt die RosenholzDateien übergeben worden sind, die Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erneut freiwillig überprüfen lassen, aber auf der Grundlage des Abgeordnetengesetzes,das im Bundestag eine solche Überprüfung vorsieht.
Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, dass Sie sich hier einen Gefallen tun, wenn Sie mit Mehrheit einen Beschluss fassen, dass es eine Regelüberprüfung von hessischen Abgeordneten geben soll. Ich zumindest habe gelernt, dass es eine Unschuldsvermutung gibt, und die gilt für alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, auch für Abgeordnete.
Meine Damen und Herren, ich möchte einen weiteren Punkt anfügen. Herr Kollege Rhein, das war das erste richtige Wort, das Sie zumindest in dieser Legislaturperiode gesagt haben. Es ist völlig richtig, dass man allen Forderungen nach einem Schlussstrich widersprechen soll. Das gilt aber nicht nur für die Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik. Schlussstriche insgesamt sind immer mit großer Vorsicht zu genießen,
zumindest Schlussstrichdebatten. In dem Zusammenhang müssen Sie sich allerdings überlegen, ob Ihre Haltung in allen Punkten stringent ist. Es gibt einen Ehrenvorsitzenden der CDU Deutschlands, und zwar den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl
stimmt, er hat den Ehrenvorsitz zurückgegeben –, der klagt gegen das Stasi-Unterlagengesetz,weil es bei ihm als Person der Zeitgeschichte genau um die Frage geht: Veröffentlichung dessen, was über ihn vorliegt, oder nicht?