Protokoll der Sitzung vom 28.01.2004

(Beifall bei der FDP und der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Im Februar 2002 wurde die Expertenkommission eingesetzt. Sie hat für ihre Arbeit insgesamt elf Monate gebraucht und hat im Januar 2003 ein Konzept vorgelegt.Ich nehme an, dass die interne Debatte dann spätestens im Februar 2003 begonnen hat. Sie hält bis heute an. Es ist immer noch kein Ende abzusehen, obwohl häufiger verkündet wurde, dass der Gesetzentwurf in der nächsten Woche oder vor den nächsten Ferien endlich vorgelegt würde. Nachdem die Expertenkommission also elf Monate gebraucht hat, dauert die interne Debatte mittlerweile schon zwölf Monate an.Ich denke,damit sollte wirklich endlich einmal Schluss sein.

Dabei geht es hauptsächlich um folgendes Problem, nämlich um die Fragestellung: Wie verschaffe ich den Lehramtsstudenten an den Universitäten die ihnen gebührende Rolle?

(Beifall bei der FDP)

Sehr wichtig ist dabei der Berichtsantrag der FDP, den wir eingereicht haben. Wir wollen damit einmal feststellen, wie hoch der Anteil der Lehramtsstudenten an den Uni

versitäten insgesamt ist.Insbesondere interessiert uns,wie hoch der Anteil der Lehramtsstudenten an den einzelnen Fakultäten der einzelnen Universitäten in Hessen ist.Wir hoffen sehr, dass die Antwort relativ schnell vorliegt. Denn das Wissen darum kann Einfluss darauf haben, wie wir wollen, dass mit den Lehramtsstudenten in den einzelnen Fachbereichen umgegangen wird.

Wenn man hört, dass das Fach Germanistik zu 80 % von Lehramtsstudenten belegt wird, dann muss man sich die Frage stellen, ob sie in dem Fachbereich Germanistik tatsächlich so gut aufgehoben sind, wie sie es eigentlich sein sollten, um hinterher wirklich Deutsch in den Schulen unterrichten zu können.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Eine gute Ausbildung in Deutsch hat bisher keinem geschadet!)

Wir sollten dabei wirklich keine Beschimpfung aller Universitäten vornehmen. Die Universitäten in Hessen sind sehr unterschiedlich. Die Universität in Kassel ist gerade bei der Lehrerausbildung seit langem ein Vorbild. Das Zentrum für Lehrerausbildung ist hier anerkannt. Es hat eine sehr hohe Bedeutung. Es koordiniert die Studiengänge für Lehramt.Selbst Darmstadt ist besser als andere. Wir wissen ganz genau, dass es andere Universitäten gibt, die erst noch auf den richtigen Weg gebracht werden müssen.

Ob wir das mit eigenen Fachbereichen machen oder ob wir eine Stärkung der Zentren für Lehrerausbildung vornehmen, ist eigentlich ein formaler Streit. Wenn dieser formale Streit ein Jahr lang eine Verzögerung der Vorlage dieses Gesetzentwurfs bewirkt, dann, muss ich sagen, ist zu hoffen, dass der Ministerpräsident sich jetzt hereinmischt und sagt: Es muss endlich einmal Schluss sein. – Vielleicht wird so der fachinterne Streit um die Zuständigkeiten gelöst.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dabei ist es schon interessant. Die CDU regiert mit absoluter Mehrheit. Eigentlich müssten Sie nur das umsetzen, was Sie in Ihrem Wahlprogramm geschrieben oder in Ihrer Regierungserklärung gesagt haben.

(Frank Gotthardt (CDU): Das machen wir tagtäglich!)

Es dürfte doch überhaupt nicht so ein Problem sein, dass Sie für bestimmte Themen ein Jahr lang brauchen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg.Michael Bod- denberg (CDU))

Welchen Weg auch immer Sie gehen, wichtig ist das Ergebnis. Entscheidend wichtig ist, dass den Lehramtsstudenten an den Universitäten eine höhere Bedeutung beigemessen wird, dass sie nicht die Allerersten sind, die aus den Seminaren herausgeschmissen werden, wenn es übervoll wird, dass ihnen nicht passiert, dass die Germanistikvorlesung gleichzeitig mit der Didaktikvorlesung stattfindet, und dass sie an der Universität hin- und herirren müssen, um sich irgendwie einen vernünftigen Semesterbelegungsplan zusammenzusuchen.

Auch das Amt für Lehrerausbildung muss deutlich mehr eingebunden werden. Es reicht nicht, dass es nur für die Abnahme der Prüfung zuständig ist. Es muss auch ein Stück weit vorher eingebunden werden in die gesamte Lehrerausbildung. Frau Hinz, ihm kommt meiner Meinung nach auch eine entscheidende Rolle bei der Fortbildung zu.Dafür brauchen wir nicht noch ein neues Institut.

Wir haben das Amt für Lehrerausbildung gegründet, und es soll seine Rolle übernehmen in der ersten Phase und auch in der Fortbildung, der dritten Phase.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir brauchen kein neues, wir haben eines!)

Lassen Sie mich zwei grundlegende Fragen, die für die FDP von großer Bedeutung sind, darstellen und Forderungen an die erste Phase stellen. Stellen wir bei den Bewerbern für das Lehramt eigentlich frühzeitig fest, ob sie überhaupt für den Beruf geeignet sind? – Da muss man eindeutig ein großes Fragezeichen setzen. In keinem anderen Beruf wird über einen so großen Praxisschock geredet wie bei den angehenden Lehrern. Meistens erfolgt er erst im Referendariat, also nach Beendigung des Studiums und zu einem Zeitpunkt, zu dem ein anderer Berufsweg eigentlich nicht mehr möglich ist. Im Lehrerberuf sind die vorzeitigen Pensionierungen aus gesundheitlichen Gründen und die Aufenthalte in psychosomatischen Rehabilitationszentren überdurchschnittlich vertreten – im Gegensatz zu allen anderen Berufen, die es gibt.

Deshalb müssen wir bereits vor Beginn des Lehrerstudiums den angehenden Lehrern die Chance geben, zu überlegen, ob sie persönlich und psychisch für diesen Beruf überhaupt gewappnet sind. Deshalb halten wir es für ganz wichtig, dass vor Aufnahme des Studiums ein Orientierungspraktikum durchgeführt wird, und zwar entweder in einer Kinderbetreuungseinrichtung, an einer Schule oder aber in einer Jugendhilfeeinrichtung, damit angehende Lehrer sehen, dass sie es nicht nur damit zu tun haben,Wissen zu vermitteln,sondern dass sie es damit zu tun haben, mit Kindern und Jugendlichen umzugehen, dass sie die eigene Autorität testen können, dass sie Einfühlungsvermögen und Geduld lernen können.

(Beifall bei der FDP)

Die zweite große Frage ist:Hat während des Studiums der Erwerb von Fachwissen den gleichen Stellenwert wie die Weitergabe des Erlernten? – Da ist meiner Meinung nach zurzeit ein großes Manko, insbesondere bei den Lehrern der Sekundarstufe I. Das zeigen uns auch die Unterschiede von IGLU und PISA. Hier muss sehr viel mehr gemacht werden. Es reicht nicht, wenn ein Liebhaber von mittelhochdeutschen Minneliedern das mit Begeisterung im Rahmen seines Germanistikstudiums studiert, wenn er nicht gleichzeitig lernt, wie man das 15jährigen pubertierenden Jugendlichen nahe bringt. Denn wenn er es so macht, wie er es im Fach Germanistik gelernt hat, dann wird er als Erstes ausgelacht und hat keine Chance, dieses Thema, das ein durchaus interessantes Thema ist,

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann man so oder so sehen!)

den Jugendlichen von heute in irgendeiner Form nahe zu bringen.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb ist die Verzahnung des Wissenserwerbs und der Wissensvermittlung unheimlich wichtig. Sie ist die grundlegende Voraussetzung für die Verbesserung der Lehrerausbildung. Das muss modular verzahnt werden. Ich muss auf der einen Seite das Wissen erwerben. Gleichzeitig muss ich lernen, wie ich dieses Wissen weitergebe. Das kann nicht nebeneinander, das kann auch nicht gegeneinander, nicht nacheinander passieren. Das muss im Prinzip gleichzeitig als ein gemeinsames Modul passieren.

Den Vorschlag der SPD, ein gemeinsames Grundstudium für alle Lehrer einzuführen, weisen wir entschieden zurück. Wir halten es für sehr viel wichtiger, dass ein Gymnasiallehrer eine andere Ausbildung mitmacht als ein Grundschullehrer. Er hat letztendlich andere Aufgaben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben bereits vor zwei Jahren eine Änderung der Grundschullehrerausbildung vorgeschlagen,und zwar mit ganz detaillierten Semesterwochenzahlen. Wir wollen die Grundschullehrerausbildung zurückführen auf die Ausbildung für die ersten sechs Klassen,dafür aber deutlich in die Breite gehen. Deutsch und Mathematik müssen als Grundlage dabei sein und nach Möglichkeit Fachdidaktik für fast alle Fächer, die in der Grundschule unterrichtet werden können. Gerade die jetzigen Einsparwege haben gezeigt, dass Grundschullehrer auch in der Breite eingesetzt werden können müssen. Sie müssen fast jedes Fach an der Grundschule unterrichten können. Deshalb ist diese Ausbildung anders als die gymnasiale Ausbildung.

Etwas anderes kann man später bei den Studienseminaren machen. Da sollte vielleicht eine engere Verzahnung der Seminare für Grundschullehrer und auch derer für Gymnasiallehrer stattfinden. Sie sind jetzt häufig sogar im selben Haus untergebracht, also könnten sie durchaus Angebote von Didaktikseminaren und Praxisseminaren machen, die für alle Lehramtsbereiche gültig sein könnten. Dort könnten sie eine neue, größere Aufgabe übernehmen.

(Beifall bei der FDP)

Ich halte die Studienseminare – Frau Hinz fragte vorhin danach, wie die Rolle der Studienseminare sein wird – für sehr wichtig bei der Veränderung der Lehrerausbildung; denn sie sind die Spange zwischen der ersten und der dritten Phase. Sie müssen rückkoppeln an die erste Phase: Was war sinnvoll von dem, was der Referendar an der Universität gelernt hat? – Sie müssen auch rückkoppeln aus der dritten Phase, aus der Praxis des Lehrers:Was war sinnvoll von dem, was ich im Studienseminar gelernt habe?

Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Ich sehe schon das Lämpchen. – Deshalb ist die Rolle der Studienseminare in Zukunft sehr wichtig und wird größere Bedeutung haben.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber sie müssen verändert werden!)

Meine Damen und Herren, das Thema ist so wichtig, dass wir die Geheimniskrämerei beenden sollten. Wir sollten in eine offene Debatte einsteigen, vor allem weil sich alle Fraktionen des Hauses darin einig sind, dass für die Lehrerausbildung mehr getan werden muss und dass der Stellenwert der Lehrer an der Universität gestärkt werden muss. Ich denke, wir sollten um die beste Lösung im Sinne unserer Lehrer ringen. Denn sie sind diejenigen, die unsere Kinder ausbilden. Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, diesem Hause endlich eine Vorlage zukom

men zu lassen, damit wir in der Sache weiterdiskutieren können.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als nächste Rednerin hat Frau Abg. Habermann für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Ich denke, es ist bezeichnend für die Verschleppung der Lehrerbildungsreform und für die Kooperationsfähigkeit innerhalb dieser Regierung, dass der Wissenschaftsminister offensichtlich null Interesse an dieser Debatte und an dem Fortkommen der Lehrerbildungsreform hat.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Meine Damen und Herren, am 9. Januar 2003 legte die Expertenkommission zur Lehrerbildung in Hessen ihre Reformvorschläge vor. Der Vorsitzende der Kommission, Prof. Bernd Wollring, erläuterte damals, er sehe einen historisch günstigen Zeitpunkt zur Umsetzung der Kernvorschläge. Diejenigen Studierenden, die ihre Ausbildung in den nächsten Jahren, etwa bis 2006, abschließen, hätten aufgrund der Altersstruktur der Kollegien besonders gute Chancen, eingestellt zu werden. – Er kannte damals natürlich noch nicht das Sparprogramm von Herrn Koch. Aber die Tatsache an sich hat er festgestellt. Er sagte weiter: Diese Kollegen tragen die Reform und bringen die Wirkung der Maßnahmen in die Schulen ein.

Ich denke, die Landesregierung ist gerade dabei, diesen historisch günstigen Zeitpunkt total zu verschlafen. Obwohl bereits ein halbes Jahr später per Pressekonferenz ein Gesetz angekündigt wurde, sind inzwischen weitere acht Monate verstrichen, ohne dass die Kultusministerin in der Lage gewesen wäre, diesen längst überfälligen Reformschritt einzuleiten. Der Quantensprung in der Lehrerausbildung, wie eine Tageszeitung damals titelte, hat nicht stattgefunden und scheint in einer Reihe von Fehlstarts stecken geblieben zu sein.

Jetzt warten wir erneut auf die immer wieder angekündigte zeitnahe Vorlage. Denn die Reform der Lehrerausbildung ist einer der zentralen Bausteine, die zu einer Qualitätsverbesserung in den Schulen beitragen können. Sie ist längst überfällig. Schule und Unterricht können nicht mehr alleine auf Wissensvermittlung reduziert werden. Schule ist Lebensraum für alle, die in und mit ihr zu tun haben.

Lehrerinnen und Lehrer sind Ansprechpartner, sie müssen Konflikte erkennen, Wege und Kooperationspartner zu deren Lösung gewinnen. Sie müssen motivieren und den Unterricht so gestalten können, dass die jungen Menschen selbst aktiv daran beteiligt sind und dies auch wollen.

Lehrkräfte müssen in der Lage sein, fachliche Anforderungen mit didaktischen Kompetenzen zu verbinden. Dazu ist das bisherige System der Ausbildung nur bedingt geeignet.Wenn immer mehr junge Lehrerinnen und Lehrer in der Schule einen Praxisschock erleiden, so liegt das nicht primär an mangelnder Eignung, sondern an einer

Ausbildung,die neben der hohen fachlichen Qualifikation zu wenig Methoden und Kompetenzen für die Arbeit mit den Schülern vermittelt.

Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Kultusministerin, wir erwarten, dass endlich eine Regierungsvorlage vorgelegt wird, denn wir wollen den Gesetzentwurf an unseren eigenen Konzepten und Vorstellungen zur Lehrerausbildung messen.

(Beifall bei der SPD)

Aus Sicht der SPD ist eine Ausbildungsreform notwendig, die von Beginn an mehr Praxisnähe bietet. Schulpraktische Studien müssen intensiviert werden. Es ist eine Ausbildung notwendig, die die Fachdidaktiken stärker berücksichtigt.Vermittlungstechniken spielen in der Lehrerausbildung zurzeit oft nur eine untergeordnete Rolle. Eine Verbesserung der pädagogischen und diagnostischen Kompetenzen ist für einen adäquaten Umgang mit den Schülerinnen und Schülern ebenso dringend erforderlich.