Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Schulgesetzes – Drucks. 16/36 –
Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Hessen startet kraftvoll in die zweite Ausbaustufe seines Ganztagsschulprogramms“
es ist immer schön, wenn man gleich bei dem ersten Satz die volle Aufmerksamkeit der Regierungspartei hat; ich danke Ihnen –,
konnte man einer Presseerklärung des Kultusministeriums im März entnehmen. Nachdem die Kultusministerin den Begriff Ganztagsschule noch vor zwei Jahren nicht in den Mund nehmen wollte
und uns immer vorgeworfen hat, wir würden unkritisch und undifferenziert mit diesem Begriff umgehen, nimmt sie ihn jetzt selbst ohne Scheu in der Öffentlichkeit in den Mund.
Frau Kultusministerin, wir begrüßen diesen Sinneswandel, denn er zeigt, dass Sie akzeptiert haben und dass im Ministerium angekommen ist, welchen Stellenwert dieses Thema in Hessen und in dieser Gesellschaft für die Bildungspolitik hat.
Mit dem Programm „Ganztagsschule nach Maß“ hat die Landesregierung das Signal gegeben, dass sie sich zumindest verbal mit der inzwischen breit getragenen gesellschaftlichen Forderung nach Ganztagsschulen auseinander setzen will. Frau Kultusministerin, Sie haben aber auch Erwartungen bei den Schulträgern und Schulen geweckt, die Ihr Programm nicht in der Lage sind zu erfüllen. Bisher verkaufen Sie nämlich in aufwendiger Verpackung einen relativ dürftigen Inhalt.
In beiden Ausbaustufen des Programms entstanden überwiegend Schulen mit pädagogischer Mittagsbetreuung und einer Stellen- und Mittelzuweisung im Gegenwert von 0,5 bis 1,5 Stellen. Einige wenige Schulen hatten das Glück, auf bereits vorhandener Basis aufzubauen und ihre Arbeit geringfügig aufstocken zu können. Ein Ganztagsschulprogramm, so wie wir uns das vorgestellt haben, ist das allerdings nicht.
Entsprechend wächst auch die Enttäuschung bei den Schulträgern vor Ort, die unter dem Titel „Ganztagsschule nach Maß“ mehr an Substanz erwartet hatten. Ein Beispiel von vielen ist der Kreis Bergstraße.Vier Schulen hatten über den Schulträger einen Antrag auf Aufnahme in das Ganztagsschulprogramm gestellt, eine wollte sogar eine echte Ganztagsschule mit fünften und sechsten Klassen der Hauptschule einrichten. Bewilligt wurde lediglich pädagogische Mittagsbetreuung für drei der Schulen.
Mit dem Ganztagsschulprogramm in der vorliegenden Form wurde ein Wahlversprechen gebrochen. Ob das ausreicht, im Landtag einen Lügenausschuss einzusetzen?
Uns war bereits vorher klar, dass in diesem Land noch viele Hürden genommen werden müssen, bevor wir von einem Ganztagsschulprogramm sprechen können.
Die Einrichtung von neuen ganztägig arbeitenden Schulen in der Grund- und Mittelstufe ist erst nach der Änderung des Schulgesetzes möglich.
Zurzeit können lediglich Sonderschulen gebundene Ganztagsschulen werden. Grundschulen und Schulen der Sekundarstufe I steht dieser Weg nicht offen.
Der Weg zur Entwicklung einer Schule mit Ganztagsangeboten ist für die Schulen der Mittelstufe nach Gesetz möglich, nicht aber für die Grundschulen. Faktisch heißt das, dass Ihr so genanntes Ganztagsschulprogramm auf der derzeitigen gesetzlichen Grundlage nur wenig Entwicklungschancen für die hessischen Schulen bietet.
Dies ist umso ärgerlicher, als viele Schulen aufgrund der vollmundigen Ankündigungen aus dem Kultusministerium bereits ihre Hausaufgaben gemacht und pädagogische Konzepte vorgelegt haben, die die Weiterentwicklung ihrer Schule ermöglichen würden.
Meine Damen und Herren, deshalb hat sich die SPDFraktion entschlossen, diese notwendige Gesetzesänderung selbst auf den Weg zu bringen, damit rechtzeitig zum neuen Schuljahr die gesetzliche Basis für eine Entwicklung von Ganztagsschulen in Hessen gegeben ist.
Neben der Gesetzesänderung sind weitere Schritte notwendig, um das vollmundige Versprechen aus dem Regierungsprogramm der hessischen CDU zu erfüllen, dass nämlich Ganztagsschulen zum Ablauf der Legislaturperiode für Schüler in jeder Region des Landes erreichbar sein sollen.
Frau Kultusministerin, in Ihrem Hause wird bereits seit Ende 2002 ein neuer Richtlinienentwurf erarbeitet, der die Konzeption und die Stellenzuweisung für ganztags ar
beitende Schulen regeln soll. Wir erwarten, dass diese Richtlinien, gekoppelt mit einem entsprechenden Programm zur Einrichtung von Ganztagsschulen der Landesregierung, möglichst schnell vorgelegt werden. Zu regeln sein wird auch die Verteilung der Mittel aus dem Bundesprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“, die allein in diesem Kalenderjahr 20,8 Millionen € betragen. Der ständige Verweis darauf, dass Sie die Einrichtung von Schulbibliotheken präferieren, ist sicherlich wenig hilfreich.
Die Schulen brauchen vielfältige infrastrukturelle Investitionsmaßnahmen wie neue Räume, Arbeitsräume, aber auch Möglichkeiten, ein Mittagessen durchzuführen,
um sich zu solchen Ganztagsschulen weiterzuentwickeln. Das sind Hausaufgaben, die die Landesregierung zu erledigen hat. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir uns erlaubt, einen Teil dieser Hausaufgaben selbst zu machen. Wir bitten die Mehrheit im Hause um eine konstruktive Beratung über den vorliegenden Gesetzentwurf.
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat in den vergangenen Jahren ein Konzept für Ganztagsschulen entwickelt, das in Hessen breit diskutiert wurde und auf viel Akzeptanz gestoßen ist.Wir wollen Ganztagsschulen, deren Ziel es ist, gezielte Förderung für stärkere und schwächere Schüler durch ein verändertes pädagogisches Konzept anzubieten.
Wir wollen,dass die Schulen entscheiden,in welcher Form sie für ihre Schüler die besten Ergebnisse erzielen, ob als gebundene Ganztagsschulen, Schulen mit Ganztagsangeboten oder mit pädagogischer Mittagsbetreuung.Wir wollen, dass möglichst viele Schulen in Hessen in den kommenden Jahren die Voraussetzungen erhalten, ein solches Konzept umzusetzen.
Der erste Schritt zur Entwicklung vielfältiger arbeitender Ganztagsschulen in Hessen ist das Herstellen einer gesicherten gesetzlichen Grundlage. Dazu soll dieser Gesetzentwurf beitragen, den ich hiermit für meine Fraktion in erster Lesung eingebracht habe. Ich beantrage die Überweisung an den Kulturpolitischen Ausschuss zur Vorbereitung der zweiten Lesung.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Habermann, ich weiß nicht, wo Sie einen Sinneswandel in unserer Argumentation zu Ganztagsschulen feststellen können.
(Heike Habermann (SPD): „Zwangsganztagsschulen“! – Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Im Regierungsprogramm der Landesregierung ist das klare Ziel formuliert, dass der Ausbau von Betreuungsund freiwilligen Ganztagsangeboten in Kooperation mit den Kommunen als den Schul- und Jugendhilfeträgern und den freien Trägern schrittweise fortgesetzt wird. Ziel ist es – ich zitiere – „dass alle hessischen Schüler in dieser Legislaturperiode die Möglichkeit erhalten, in erreichbarer Nähe zum Wohnort ein Ganztagsangebot in Anspruch zu nehmen“.