Protokoll der Sitzung vom 06.05.2003

Meine Damen und Herren, das war Tagesordnungspunkt 2, die Wahlen, die wir heute vorzunehmen hatten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Schulgesetzes – Drucks. 16/36 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. – Frau Kollegin Habermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Hessen startet kraftvoll in die zweite Ausbaustufe seines Ganztagsschulprogramms“

(Demonstrativer Beifall bei der CDU)

es ist immer schön, wenn man gleich bei dem ersten Satz die volle Aufmerksamkeit der Regierungspartei hat; ich danke Ihnen –,

(Beifall bei der SPD und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

konnte man einer Presseerklärung des Kultusministeriums im März entnehmen. Nachdem die Kultusministerin den Begriff Ganztagsschule noch vor zwei Jahren nicht in den Mund nehmen wollte

(Gerhard Bökel (SPD): Igitt!)

und uns immer vorgeworfen hat, wir würden unkritisch und undifferenziert mit diesem Begriff umgehen, nimmt sie ihn jetzt selbst ohne Scheu in der Öffentlichkeit in den Mund.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kultusministerin, wir begrüßen diesen Sinneswandel, denn er zeigt, dass Sie akzeptiert haben und dass im Ministerium angekommen ist, welchen Stellenwert dieses Thema in Hessen und in dieser Gesellschaft für die Bildungspolitik hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit dem Programm „Ganztagsschule nach Maß“ hat die Landesregierung das Signal gegeben, dass sie sich zumindest verbal mit der inzwischen breit getragenen gesellschaftlichen Forderung nach Ganztagsschulen auseinander setzen will. Frau Kultusministerin, Sie haben aber auch Erwartungen bei den Schulträgern und Schulen geweckt, die Ihr Programm nicht in der Lage sind zu erfüllen. Bisher verkaufen Sie nämlich in aufwendiger Verpackung einen relativ dürftigen Inhalt.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

In beiden Ausbaustufen des Programms entstanden überwiegend Schulen mit pädagogischer Mittagsbetreuung und einer Stellen- und Mittelzuweisung im Gegenwert von 0,5 bis 1,5 Stellen. Einige wenige Schulen hatten das Glück, auf bereits vorhandener Basis aufzubauen und ihre Arbeit geringfügig aufstocken zu können. Ein Ganztagsschulprogramm, so wie wir uns das vorgestellt haben, ist das allerdings nicht.

(Beifall bei der SPD)

Entsprechend wächst auch die Enttäuschung bei den Schulträgern vor Ort, die unter dem Titel „Ganztagsschule nach Maß“ mehr an Substanz erwartet hatten. Ein Beispiel von vielen ist der Kreis Bergstraße.Vier Schulen hatten über den Schulträger einen Antrag auf Aufnahme in das Ganztagsschulprogramm gestellt, eine wollte sogar eine echte Ganztagsschule mit fünften und sechsten Klassen der Hauptschule einrichten. Bewilligt wurde lediglich pädagogische Mittagsbetreuung für drei der Schulen.

(Norbert Schmitt (SPD): So sind sie!)

Im Kommentar der Lokalpresse heißt es dazu:

Mit dem Ganztagsschulprogramm in der vorliegenden Form wurde ein Wahlversprechen gebrochen. Ob das ausreicht, im Landtag einen Lügenausschuss einzusetzen?

Ich kann Sie beruhigen, Frau Kultusministerin. Wir werden diese Anregung nicht aufgreifen.

(Zuruf des Abg. Boris Rhein (CDU))

Uns war bereits vorher klar, dass in diesem Land noch viele Hürden genommen werden müssen, bevor wir von einem Ganztagsschulprogramm sprechen können.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kultusministerin, Ihr Programm ist eine Mogelpackung mit falschem Etikett.

(Beifall bei der SPD)

Die Einrichtung von neuen ganztägig arbeitenden Schulen in der Grund- und Mittelstufe ist erst nach der Änderung des Schulgesetzes möglich.

Zurzeit können lediglich Sonderschulen gebundene Ganztagsschulen werden. Grundschulen und Schulen der Sekundarstufe I steht dieser Weg nicht offen.

Der Weg zur Entwicklung einer Schule mit Ganztagsangeboten ist für die Schulen der Mittelstufe nach Gesetz möglich, nicht aber für die Grundschulen. Faktisch heißt das, dass Ihr so genanntes Ganztagsschulprogramm auf der derzeitigen gesetzlichen Grundlage nur wenig Entwicklungschancen für die hessischen Schulen bietet.

(Beifall bei der SPD)

Dies ist umso ärgerlicher, als viele Schulen aufgrund der vollmundigen Ankündigungen aus dem Kultusministerium bereits ihre Hausaufgaben gemacht und pädagogische Konzepte vorgelegt haben, die die Weiterentwicklung ihrer Schule ermöglichen würden.

Meine Damen und Herren, deshalb hat sich die SPDFraktion entschlossen, diese notwendige Gesetzesänderung selbst auf den Weg zu bringen, damit rechtzeitig zum neuen Schuljahr die gesetzliche Basis für eine Entwicklung von Ganztagsschulen in Hessen gegeben ist.

(Beifall bei der SPD)

Neben der Gesetzesänderung sind weitere Schritte notwendig, um das vollmundige Versprechen aus dem Regierungsprogramm der hessischen CDU zu erfüllen, dass nämlich Ganztagsschulen zum Ablauf der Legislaturperiode für Schüler in jeder Region des Landes erreichbar sein sollen.

Frau Kultusministerin, in Ihrem Hause wird bereits seit Ende 2002 ein neuer Richtlinienentwurf erarbeitet, der die Konzeption und die Stellenzuweisung für ganztags ar

beitende Schulen regeln soll. Wir erwarten, dass diese Richtlinien, gekoppelt mit einem entsprechenden Programm zur Einrichtung von Ganztagsschulen der Landesregierung, möglichst schnell vorgelegt werden. Zu regeln sein wird auch die Verteilung der Mittel aus dem Bundesprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“, die allein in diesem Kalenderjahr 20,8 Millionen € betragen. Der ständige Verweis darauf, dass Sie die Einrichtung von Schulbibliotheken präferieren, ist sicherlich wenig hilfreich.

(Beifall bei der SPD)

Die Schulen brauchen vielfältige infrastrukturelle Investitionsmaßnahmen wie neue Räume, Arbeitsräume, aber auch Möglichkeiten, ein Mittagessen durchzuführen,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Haben Sie ausgerechnet, was das die Schulträger kostet?)

um sich zu solchen Ganztagsschulen weiterzuentwickeln. Das sind Hausaufgaben, die die Landesregierung zu erledigen hat. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir uns erlaubt, einen Teil dieser Hausaufgaben selbst zu machen. Wir bitten die Mehrheit im Hause um eine konstruktive Beratung über den vorliegenden Gesetzentwurf.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat in den vergangenen Jahren ein Konzept für Ganztagsschulen entwickelt, das in Hessen breit diskutiert wurde und auf viel Akzeptanz gestoßen ist.Wir wollen Ganztagsschulen, deren Ziel es ist, gezielte Förderung für stärkere und schwächere Schüler durch ein verändertes pädagogisches Konzept anzubieten.

Wir wollen,dass die Schulen entscheiden,in welcher Form sie für ihre Schüler die besten Ergebnisse erzielen, ob als gebundene Ganztagsschulen, Schulen mit Ganztagsangeboten oder mit pädagogischer Mittagsbetreuung.Wir wollen, dass möglichst viele Schulen in Hessen in den kommenden Jahren die Voraussetzungen erhalten, ein solches Konzept umzusetzen.

Der erste Schritt zur Entwicklung vielfältiger arbeitender Ganztagsschulen in Hessen ist das Herstellen einer gesicherten gesetzlichen Grundlage. Dazu soll dieser Gesetzentwurf beitragen, den ich hiermit für meine Fraktion in erster Lesung eingebracht habe. Ich beantrage die Überweisung an den Kulturpolitischen Ausschuss zur Vorbereitung der zweiten Lesung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Habermann. – Das Wort hat Frau Kollegin Kölsch für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Habermann, ich weiß nicht, wo Sie einen Sinneswandel in unserer Argumentation zu Ganztagsschulen feststellen können.

(Heike Habermann (SPD): „Zwangsganztagsschulen“! – Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Im Regierungsprogramm der Landesregierung ist das klare Ziel formuliert, dass der Ausbau von Betreuungsund freiwilligen Ganztagsangeboten in Kooperation mit den Kommunen als den Schul- und Jugendhilfeträgern und den freien Trägern schrittweise fortgesetzt wird. Ziel ist es – ich zitiere – „dass alle hessischen Schüler in dieser Legislaturperiode die Möglichkeit erhalten, in erreichbarer Nähe zum Wohnort ein Ganztagsangebot in Anspruch zu nehmen“.