ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen und sich am Geist der Verfassung zu orientieren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU):Da spricht der Politologe!)
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen, Sie bringen einen solchen Gesetzentwurf, von dem Sie selbst wissen, dass er vor Gericht keinen Bestand haben wird, aus einem einzigen Grund ein.
Meine Damen und Herren,Sie sind unter Druck,denn Sie haben Wahlbetrug begangen. 50.000 Menschen demonstrieren gegen Sie, und Sie streichen Lehrer- und Polizistenstellen. Die eigenen Leute zweifeln an Ihnen. Da brauchen Sie ein Thema,das in der eigenen Klientel schön polarisiert. Das ist der einzige Grund, aus dem Ihr Gesetzentwurf so maßlos ist, wie er ist.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Volker Hoff (CDU))
Mein nächster Punkt: Deswegen werden wir in aller Ruhe und aller gebotenen Sachlichkeit auf Ihren Gesetzentwurf reagieren.
Denn, meine Damen und Herren, wie stark die humanistische Tradition in Hessen wirklich ist, wird sich auch daran zeigen, ob sich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes – unabhängig von der Frage, ob sie für oder gegen eine Einschränkung religiöser Symbole sind – gegen diesen Gesetzentwurf der hessischen CDU stellen.
Ihr Gesetzentwurf ist unannehmbar, weil es die Verfassung gebietet, entweder alle religiösen Symbole zu verbannen oder keines. Er ist unannehmbar, weil er alle Beamtinnen und Beamten betrifft und weit über die Schule hinausgeht.
Er ist unannehmbar, weil er durch genau diese Ungleichbehandlung Fundamentalismus fördert, statt ihn zu bekämpfen.
(Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Quatsch! – Zurufe der Abg.Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP) und Hans-Jürgen Irmer (CDU))
Der Integration,der politischen Kultur und dem Geist der Verfassung des Landes Hessen wäre damit gedient, wenn dies auch die CDU-Fraktion einsehen würde.
Meine Damen und Herren, mein letzter Punkt ist der folgende: Man kann unterschiedliche Auffassungen zum Kopftuch haben. Man kann unterschiedliche Auffassungen zu der Frage haben, ob man religiöse Symbole verbieten soll oder nicht.Aber,Herr Kollege Dr.Jung,man kann sich da nicht hierhin stellen und bei diesem Thema etwas von „Steinigung“ und „Amputationen“ erzählen.
(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Ich habe nur Aziz zitiert, aus der „Zeit“! – Zuruf des Abg. Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))
Herr Kollege Dr. Jung, in Großbritannien gibt es Kopftuch tragende Polizistinnen und Sikhs mit Turban, die ebenfalls Polizisten sind. Großbritannien ist alles Mögliche – aber sicher kein Gottesstaat. Ein bisschen mehr Sachlichkeit in dieser Debatte würde uns allen sehr gut tun.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am 24. September des vergangenen Jahres hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Entscheidung getroffen, die allen Länderparlamenten, natürlich auch dem hessischen Landesparlament, eine große Aufgabe und eine große Entscheidung abverlangt. Schon bei der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts konnte man erkennen, dass man das Thema von zwei Seiten beleuchten kann. Der Zweite Senat hat darüber gestritten, wie er entscheidet, und er hat, wie wir wissen, mit einem Minderheitenvotum entschieden.
Da wir einige persönlich kennen – einer war Datenschutzbeauftragter, eine war Justizministerin, ein anderer war Kollege und dann Justizminister in Thüringen –, glaube ich, dass jeder von uns, der sich mit dem Thema beschäftigt hat, danach mit den Menschen gesprochen hat. Ich habe es jedenfalls getan.Kollegen meiner Fraktion haben es getan. Immer wieder kam deutlich heraus, dass man bereits in Karlsruhe zwei Diskussionsebenen gesehen hat.
Die eine war die formale Ebene – ich sage etwas flapsig: auf die hat sich die Mehrheit des Senats letztlich zurückgezogen –, und es gab eine inhaltliche Ebene. Beide hat der Senat diskutiert. Er hat letztlich festgestellt – nachzulesen in der Hauptentscheidung, nachzulesen in dem Minderheitenvotum des Kollegen Jentsch und von Di Fabio –, dass wir als Land entscheiden müssen, ob es einer Gesetzesvorbehalt für die Frage „ja oder nein“ gibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb ist es ein bisschen einfach, wenn man so tut, als ob wir hier eine Diskussion führen, die hessenspezifisch ist, die irgendetwas damit zu tun, dass irgendwelche Haushaltsbeschlüsse gefasst worden sind. Ich habe für eine derartige Argumentation viel Verständ
nis. Das passt aber nach meiner Auffassung jetzt nicht. Es geht um Grundsatzfragen dieser Gesellschaft.
Ich sage Ihnen: Eigentlich ist es gut, dass das Bundesverfassungsgericht formal entschieden und nicht eine Entscheidung in der Sache getroffen hat, weil wir damit alle gezwungen sind – in der Gesellschaft, in den politischen Parteien,in den Parlamenten –,uns dieser Frage zu stellen und eine Antwort zu geben. Das ist wichtig für diese Gesellschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wir können nicht so tun und sagen, Karlsruhe hat entschieden, und das ist so, sondern wir müssen – jeder für sich selber, jeder in den Fraktionen, in den Parteien, hier im Parlament – eine Entscheidung treffen. Ich finde es wichtig, dass man in dieser Diskussion nicht von Anfang an sagt, man weiß, was richtig und was falsch ist. Ich weiß es nicht bei der Grundsatzfrage. Ich weiß es noch weniger bei der juristischen Frage.
Deshalb sage ich für meine Kolleginnen und Kollegen und für mich: Wie kann man sich hierhin stellen und allen Ernstes behaupten,auf alle Fälle sei dieser Gesetzentwurf verfassungswidrig?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen es alle nicht, sondern wir haben Gefühle. Wir haben einmal juristische Auslegungsregeln beherrscht, als wir ausgebildet worden sind.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ei, ei, ei! – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gerhard Bökel (SPD))
Herr Wagner, ich kann nicht verstehen, warum Sie jetzt meinen, dazwischenrufen zu müssen. Wir haben Regeln gelernt, wie man als Jurist mit Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts umgeht.Aber es kann mir keiner im Raum ernsthaft sagen,dass er auf alle Fälle zu hundert Prozent mit seiner Auffassung Recht hat. Nein, wir werden noch austaxieren müssen, wo genau die Grenzen des Rechts – des Grundgesetzes und der Hessischen Verfassung – sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb rufen wir neun Liberale unsere 101 Kollegen hier im Hause auf, bitte diese Diskussion so zu führen, dass nachher die Menschen in unserem Lande sagen: Oh, die haben eine Diskussionskultur, die haben eine Streitkultur, die sind nicht von Anfang an belehrend, die sehen die Probleme dieser Gesellschaft
und kommen nachher zu einem vernünftigen Ergebnis. – Wer am Anfang weiß, was am Ende herauskommt, der irrt.
Das sage ich ganz besonders – Herr Kollege Al-Wazir,diesen Nebensatz lassen Sie sich einfach gefallen –:
Wer so auftritt wie Sie, auf der anderen Seite aber eine Mitgliederversammlung hinter sich gebracht hat, in der genau das abgelaufen ist, was die Liberalen richtig finden, nämlich eine Streitkultur zu entwickeln, der kann nicht Monate später sagen, er wisse genau, wie die Sache ist.
(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben nichts, aber auch gar nichts verstanden! – Norbert Schmitt (SPD): Jetzt zur Sache!)
Warum regen Sie sich so auf? Warum sind Sie denn so nervös? – Meine Damen und Herren, sogar die GRÜNEN in Hessen haben eine streitige Diskussion auf der Mitgliederversammlung gehabt, und das war gut so. Sie tun jetzt so, als ob die 55-%-Mehrheit die Weisheit mit Löffeln gegessen hat. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, so ist die Welt nicht. So kann sie auch hier im Landtag nicht sein.