Protokoll der Sitzung vom 18.02.2004

Dem kann man sich im Interesse der Menschen anschließen. Man soll die Hoffnung nie aufgeben,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Die Hoffnung stirbt zum Schluss!)

denn sonst gerät der Wirtschaftsstandort in weitere Gefahren. Dies wäre für die vielen jungen Menschen in Hessen besonders traurig, denn die sind es, die heutige Versäumnisse morgen und übermorgen ausbaden müssen.

(Beifall bei der SPD, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Denzin, FDPFraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Frankenberger,wir,die drei Oppositionsfraktionen,sind uns in der Feststellung des gesamten Defizits an Wirtschaftspolitik seit einem Jahr einig.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau!)

Wir sind uns schon in der Analyse der Situation nicht mehr einig.Wir sind uns schon gar nicht in den Antworten einig, die wir erwarten bzw. selbst zu geben haben.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat so gut angefangen! – Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist aber schade!)

Zunächst zur Einschätzung der wirtschaftlichen Situation und der Wirtschaftskraft dieses Landes. Sie haben natürlich in einem Jahr nicht radikal abgebaut. Ich bin nicht so vermessen, dass ich sagen würde, seit der Wirtschaftsminister kein Liberaler mehr ist,geht es hier steil bergab.Wir kommen noch auf die einzelnen Punkte. Es ist übrigens interessant – wir reden über ein Thema, bei dem es in erster Linie um Arbeitsplätze geht, bei dem es um Zukunftschancen für unsere Kinder, für die nächsten Generationen geht,für die wir jetzt die Weichen stellen,und ich sehe

auf der Regierungsbank zwei Minister und einen Minister aus der Staatskanzlei.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Bod- denberg (CDU): Das sind schon drei!)

Ich sehe in den Reihen der Mehrheitsfraktion mehr Lücken als besetzte Plätze. Ich meine, dieses Thema, zu dem man sich sogar auf 20 Minuten Redezeit verständigt hat, ist es eigentlich wert, dass man es hier auch so ernst nimmt, wie es zumindest drei Anträge, die dazu eingereicht worden sind, signalisieren.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zur wirtschaftlichen Situation. Die Position des Landes ist deutlich relativiert im Konzert der Flächenländer. Die wirtschaftliche Entwicklung im Jahre 2003 war in Hessen Stagnation. Aber ohne im Kaffeesatz zu lesen und anhand einzelner, isoliert herausgenommener Parameter eine Beweisführung anzutreten, wie sie etwa von der CDU vorgenommen wird, Hessen sei nach wie vor Spitze – wenn ich das Bruttoinlandsprodukt,das die Menschen hier erwirtschaften, pro Kopf der Bevölkerung nehme, ist das richtig. Dann liegen wir nach Hamburg an zweiter Stelle,aber von den Flächenländern immer noch an der Spitze.

Umgekehrt, wenn ich das, was Frau Schönhut-Keil von den GRÜNEN herausgearbeitet hat, als Einzelparameter nehme, dann haben wir in der Tat den höchsten Zuwachs an Arbeitslosen. Oder, was die SPD festgestellt hat, der Zuwachs des Bruttoinlandproduktes ist immer noch im mittleren Bereich. Herr Frankenberger, er war es allerdings auch in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre, und da noch ein bisschen unter dem Platz 7. Aber das ist jetzt nicht mein Thema.

Ich stelle fest, die eingetretene Ernüchterung in unserem Land ist auch und gerade Folge unserer vorherigen Stärke.Weil sich Hessen in Richtung Dienstleistungswirtschaft weiterentwickelt und schneller als die anderen Bundesländer entwickelt hat – das hat etwas mit unserer Lage in der Mitte Deutschlands und mit dem Bankenplatz Frankfurt, aber auch durchaus mit den politischen Impulsen zu tun –,

(Beifall bei der FDP)

war unsere Wirtschaftskraft mit den Daten der Jahresentwicklung deutlich besser als die Mehrzahl der Flächenländer.Genau das schlägt jetzt zurück.Wir haben bundesweit einen Dienstleistungsanteil von 70 %. Wir haben ihn in Hessen von 75 % und im Rhein-Main-Gebiet von 78, 79 %. Dann ist es ganz logisch, wenn man im Nachlauf einer seit vier, fünf Jahren durchhängenden Konjunktur, für die bei allem kritischen Abstand zu dieser Regierung aber weiß Gott nicht die Landesregierung zuständig ist, feststellen muss:Wenn der ganze Dienstleistungssektor insgesamt überproportional erfasst ist, dann ist natürlich ein Land mit dieser ausgeprägten Stärke im Dienstleistungsbereich überproportional erfasst. Herr Minister, insofern gehört das noch nicht zu den Versäumnissen, auf die ich im Einzelnen noch zu sprechen komme und die ich Ihnen vorhalte.

Meine Damen und Herren, ich will die ganze Bundeslarmoyanz hier nicht noch einmal ausbreiten. Aber SPD und GRÜNE müssen sich natürlich bei ihrer Antragsformulierung und -begründung und bei dem, was vorgetragen worden ist, vorhalten lassen: Dass die Hauptursache natürlich die schlechten Rahmenbedingungen der

Bundeswirtschaftspolitik und der Bundespolitik insgesamt sind,

(Beifall bei der FDP und der CDU)

dass durch die Verunsicherung Unternehmer in Deutschland weniger investitionsbereit und Konsumenten zurückhaltend in ihrem Konsumverhalten sind, hat verdammt viel mit den allgemeinen Rahmenbedingungen zu tun. Wir können das einzeln herunterbeten – diese totale Verunsicherung in den ersten vier Jahren der Regierung Schröder/Fischer, beginnend mit dem Scheinselbstständigkeitsgesetz über das 624-DM-Gesetz, raus aus den Pantoffeln und rein in die Pantoffeln.

All das kann die Wirtschaft am wenigsten gebrauchen: Verunsicherung, keine Perspektive, nicht wissen, wo die Politik hingeht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, das ist der Beitrag, den die Politik auf Landesebene zu leisten hat.Der Maßstab,den wir im Bund setzen, ist:Wir brauchen sichere Entscheidungsgrundlagen. – Investoren können eine Investitionsentscheidung nicht mit fünf, sechs Variablen kalkulieren. Sie müssen wissen, wo die Politik hingeht.

(Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Auf die Landesebene bezogen, gilt dies genauso für unsere Aufgaben in der Politik.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich stelle fest, dass wir 1999 eine Aufbruchstimmung erzeugt haben, die erstaunlich war. Nach acht Jahren kleinkarierter Krümelei

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na ja!)

und Perspektivlosigkeit gab es in diesem Land plötzlich eine enorme Aufbruchstimmung. Warum? – Zwei Regierungspartner haben den Leuten gesagt, welche Zielsetzungen sie haben: Konzentration auf die wesentlichen Staatsaufgaben, vor allem auf Bildungs-, Ausbildungsund Hochschulpolitik. Das waren die wesentlichen Dinge. Wir haben eine zuverlässige Vorgabe gemacht. Das, was wir umgesetzt haben, war messbar. Wir haben die von Frau Schönhut-Keil zeitverschoben richtig kritisierte Zerbröselei der Förderinstrumentarien zusammengeführt. Wir haben die IBH geschaffen. Wir haben die IBH aus dem engmaschigen bürokratischen Verbund zum Wirtschaftsministerium losgelöst, wie es bei der LTH der Fall war.Wir haben sie als 50-prozentigen Partner der Helaba verselbstständigt. Das war ein wichtiger Schritt.

(Zuruf der Abg. Hildegard Pfaff (SPD))

Herr Klemm, Sie lächeln. Ich weiß, welche Weichen Sie in der Endzeit Ihrer Kabinettsmitgliedschaft gestellt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Aber wir haben es umgesetzt. Nur wir konnten es umsetzen. Meine liebe Evi, du hast vorhin davon gesprochen, dass die GRÜNEN schon zufrieden sind, wenn der Beton flexibler eingesetzt würde. Damals war eure Wirtschaftspolitik doch noch völlig auf Sand gebaut.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Evelin Schön- hut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na, na, na!)

Jetzt nimmst du schon Stücke von Beton dazu. Ich finde, dies ist eine schöne Erkenntnisentwicklung. Meine Damen und Herren, damit ist es aber nicht getan. Das ist auch heute nicht das Thema. Es ist nur insoweit interessant als Analyse. Die Frage ist: Was müssen wir wirtschaftspolitisch in den nächsten vier Jahren tun?

Herr Minister, Sie sollten noch einmal zurückblicken, was wir ab 1999 geschaffen haben. Das Entscheidende war, Vertrauen aufzubauen, und zwar Vertrauen in die gesamte Politik. Das ist viel wichtiger als z. B. Einzelschritte in der Wirtschaftspolitik – so wichtig Fördermaßnahmen auch sind.

Herr Minister, wir haben die IBH aufgebaut, wir haben uns der Strukturprobleme angenommen. In der Feststellung, dass die Erreichbarkeit von Standorten der Schlüssel für eine Standortentwicklung ist, sind wir uns sicher alle einig.

Das große Thema Flughafen will ich in der Sache nicht weiter diskutieren. Drei Fraktionen des Hessischen Landtags sehen einen wichtigen Schlüssel für die weitere Entwicklung nicht nur des Rhein-Main-Gebiets, sondern der hessischen Wirtschaft insgesamt, für Deutschland insgesamt, in dem Ausbau des Flughafens.

Nur nebenbei: Wer heute noch von der Sanierung des Flughafens Kassel-Calden spricht, der sollte dorthin fahren und sich das Ganze ansehen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Wenn man den Flughafen Kassel-Calden nur sanieren wollte, dann könnten wir uns jede Million Euro sparen. Entweder machen wir etwas Richtiges, oder es macht keinen Sinn. Ich bin dafür, dass wir etwas Richtiges machen.

Meine Damen und Herren, nach vier Jahren waren die Instrumente in der Wirtschaftspolitik geschärft, die Weiterentwicklung war definiert. Wir können unser Wahlprogramm heranziehen, wir können sogar – das ist schon von Herrn Frankenberger zitiert worden – die Regierungserklärung dieser Landesregierung heranziehen. Die Regierungserklärung dieser Landesregierung hat dort durchaus angeknüpft. Aber nichts von dem, was richtigerweise in dem Regierungsprogramm stand, ist fortgeführt worden. Meine Damen und Herren, das ist der entscheidende Punkt für die heutige Debatte.

(Beifall bei der FDP)

Im Technologiebereich haben wir in Darmstadt, in Frankfurt, in Teilbereichen in Kassel, in Marburg und Gießen, im ganzen mittelhessischen Bereich, einschließlich der Fachhochschulen, hervorragende Ansätze. Wir haben darüber diskutiert und die Frage auch konzeptionell vorangetrieben,wie wir den Technologietransfer von der Forschung zur Anwendung verbessern können. Die hessische Technologiestiftung gab es früher nur dem Namen nach. Wir haben sie schon ein bisschen besser instand gesetzt, damit sie ihre Aufgabe erfüllen kann. Dabei blieb es aber. Meine Damen und Herren, das Spannende ist doch jetzt, dass wir die Forschung an den Stellen, wo wir besser sind als andere, z. B. in der Nanotechnologie, weiter voranbringen müssen.

Ich war am Montag vor acht Tagen zur Eröffnung eines zweitägigen Nano-Kongresses in Marburg. Wenn Sie sich die Themen angeguckt hätten, dann hätten Sie gesehen, welche Vorreiterleistung in Hessen erbracht wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Auf der Rückfahrt habe ich dann im Radio gehört, dass der Herr Ministerpräsident immerhin auch festgestellt hat, wie wichtig das alles ist. Dann hat er gesagt, Kassel stehe für Nanotechnologie. – Ich will hier nicht in kleinkarierte Standortdiskussionen eintreten, aber wenn der Herr Ministerpräsident diesen Kongress eröffnet hätte, dann hätte er gesehen, wie breit die Palette ist. Das fuchst mich.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)