Protokoll der Sitzung vom 19.03.2004

Ich eröffne die Sitzung, heiße Sie alle sehr herzlich willkommen und stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung: Noch offen sind die Tagesordnungspunkte 7, 8, 15 bis 18, 20 bis 22, 24, 26 bis 34, 39, 45 bis 48, 53, 55 bis 57 und 60.

Zum Ablauf der Sitzung: Wir tagen heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von einer Stunde.

Wir beginnen mit den vier Anträgen betreffend eine Aktuelle Stunde. Das sind die Tagesordnungspunkte 45, 46, 47 und 48. Es ist eine Redezeit von jeweils fünf Minuten pro Fraktion vereinbart worden.

Danach folgt Tagesordnungspunkt 8, Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend verbindlicher Rahmen für Bildungsziele in hessischen Kindergärten, Drucks. 16/ 1818. Er wird zusammen mit Tagesordnungspunkt 7 aufgerufen, Antrag der Fraktion der SPD zu dem gleichen Thema, Drucks. 16/1773.

Ich weise Sie darauf hin, dass auf allen Plätzen ein Kräppel liegt.Wer zusätzliche Kräppel braucht, möge sich bitte bei Präsident Kartmann melden. Dann können Kräppel nachgeliefert werden.

(Allgemeiner Beifall)

Man kann ruhig klatschen. – Sie wissen, dass heute ein besonderer Tag ist. Deshalb wird es genehmigt, dass die Vornehmen und die nicht so Vornehmen heute keine Krawatte tragen. Ich habe das gutgeheißen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ältestenrat!)

Wir beginnen mit den Aktuellen Stunden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 45 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Absturzrisiko für Minis- terpräsident und Fraport-Vorstand) – Drucks. 16/1918 –

Das Wort hat der Kollege Kaufmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist auf den Tag genau dreieinhalb Jahre her, dass der Ministerpräsident einen Fehler machte, der ihm seit gestern Nachmittag, als die Störfallkommission ihre Entscheidung bekannt gegeben hat, massive Probleme bereitet. Dreieinhalb Jahre lang konnte er sich als brutalstmöglicher Richtungsgeber profilieren. Jetzt muss er selbst erkennen, dass er einen Weg in die Irre gewiesen hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So ist das eben, wenn man alle Mahnungen und Argumente beiseite wischt, weil man sich stark genug glaubt, die Realität, dass das Rhein-Main-Gebiet kein weiteres Wachstum des Flugverkehrs verträgt, ignorieren zu können. Doch die absolute Mehrheit der Mandate und eine erdrückende Mehrheit der Befürworter im Landtag nützen nichts gegen die Fakten und gegen die Wahrheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir stellen fest: Die zweite der drei angedachten Ausbauvarianten ist gescheitert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Südvariante ist bereits im Raumordnungsverfahren eliminiert worden. Die Nordwestvariante ist jetzt daran gescheitert, dass man ihre spezifischen Risiken erst übersehen hat und dann verniedlichen wollte. Einige wollen das immer noch.

Es nützt den Ausbaufetischisten auch nichts, dass der Fraport-Vorstand noch in den letzten Tagen versucht hat, massiven politischen Druck auf die Mitglieder der Störfallkommission auszuüben. Nicht ein einziges Mitglied wurde von dem Vortrag überzeugt. Wie sollte es auch überzeugt werden? Die Argumente waren natürlich, wie wir es von Fraport kennen,hanebüchen falsch und maßlos überzogen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Besonders skandalös an diesem Vorgang ist,dass Herr Dr. Bender und Herr Prof. Schölch – glücklicherweise vergeblich – versucht haben, am äußersten Rand der Legalität zu operieren. Der Bruch der Vertraulichkeit geht dabei mit Unwahrheiten einher, z. B. mit der Behauptung, dass ein Vertreter des BUND, der in der Tat ein Gegner der Fraport AG in Gerichtsverfahren ist,in der Arbeitsgruppe der Störfallkommission gesessen habe. Das stimmt natürlich nicht. Durch eine solche Behauptung soll nur der Eindruck erweckt werden,dass die arme,unschuldige Fraport AG wieder einmal benachteiligt wurde.

Die so genannte Stellungnahme der Fraport AG zu der Vorlage und zu dem jetzt getroffenen Beschluss der Störfallkommission strotzt darüber hinaus vor Fehlern. Die Zeit reicht jetzt nicht, um sie alle zu benennen. Ein Beispiel mag deshalb genügen.

Fraport behauptet, durch die Entscheidung der Störfallkommission werde der Luftverkehrsstandort Deutschland gefährdet. Die Fraport AG sieht dabei überhaupt nicht, dass sie europaweit als Einzige die Idee hatte und offensichtlich immer noch hat, nur 700 m von einem Industriebetrieb entfernt eine Landebahn zu bauen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Ministerpräsident und der Fraport-Vorstand sind genau diejenigen, die sich jetzt einem Absturzrisiko ausgesetzt haben bzw. sich – wie wir heutigen Zeitungskommentaren entnehmen können – bereits im Absturz befinden. Lesen Sie das einmal nach. Sie dürfen nicht nur die „Frankfurter Rundschau“ nehmen.Auch der Kommentar in der „Neuen Presse“ – gewiss kein Kampfblatt der GRÜNEN – wird Ihnen das zeigen.

Meine Damen und Herren, Sie haben – damit meine ich sowohl den Fraport-Vorstand als auch den Ministerpräsidenten – bislang kein Zeichen von Einsicht gezeigt. Stattdessen werden massive Drohungen an Ticona gerichtet, und es beginnt ein perfides Spiel mit dem Hinweis, dass das Chemiewerk eigentlich nie hätte genehmigt werden dürfen.

Herr Ministerpräsident und Ex-Aufsichtsratschef von Fraport, kurz und knapp gesagt: Machen Sie heute – wieder ein 19. – nicht den nächsten Fehler, indem Sie versuchen, das Werk Ticona zu schließen. Das wäre rechtlich höchst unverhältnismäßig und politisch völlig inakzeptabel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die real existierenden ca. 1.000 direkten Arbeitsplätze und Tausende von „indirekten“, „induzierten“ und „katalytischen“ Arbeitsplätzen – wir alle kennen diese Begriffe aus dem Gutachten der Fraport AG –, die daran hängen, kann man nicht einfach vernichten.

Herr Ministerpräsident, auch die neueste Variante Ihrer Rechtfertigungsversuche, es gehe Ihnen um eine möglichst geringe Lärmbelastung der Menschen und um den Schutz der Wälder, ist überhaupt nicht glaubwürdig. Ausweislich der Ergebnisse des Raumordnungsverfahrens – das ist das Raumordnungsverfahren unter Ihrer Regierung – vernichtet der Bau der Nordwestvariante knapp 100 ha mehr Wald als z. B. die in der landesplanerischen Beurteilung auch für möglich gehaltene Nordostvariante. – Herr Irmer, hören Sie zu.

Die Vorgabe der Landesplanung, nämlich die Zahl der durch Fluglärm belasteten Menschen zu vermindern, erreicht keine Variante.

Herr Kollege Kaufmann,Sie müssen langsam zum Schluss kommen.

So steht es wörtlich auf Seite 121 der landesplanerischen Beurteilung.

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, verabschieden Sie sich von der Nordwestvariante und räumen Sie Ihre Fehlentscheidung ein – je früher, desto besser für Sie und uns alle. Beginnen Sie stattdessen das, was die GRÜNEN nach sorgfältiger Analyse schon seit Jahren fordern: Umdenken statt Ausbauen ist der einzig richtige Weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Der Flughafen Frankfurt findet eine gute Zukunft nicht im Auswuchern vor Ort, sondern in der Kooperation mit anderen bestehenden Flughäfen. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Helau!)

Vielen Dank. – Jetzt spricht der Kollege Reif für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde ist mehr als geschmacklos.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Hier wird das Wort „Absturzrisiko“ mit Menschen aus diesem Parlament, aus dieser Hessischen Landesregierung und aus dem Fraport-Vorstand verbunden. Herr Kaufmann, das ist unanständig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Widerspruch bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen sind bei diesem Thema jedes Mittel und jede Formulierung recht. Das zeichnet Sie nicht gerade aus.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Zur Sache selbst.Wir sind der Überzeugung, dass es auch nach dem Beschluss der Störfallkommission keiner Änderung unserer politischen Haltung und unserer Vorgehensweise bedarf.

(Zurufe von der SPD:Warum auch?)

Dieses Parlament hat die Variantendiskussion in sehr gründlicher Form vor drei Jahren geführt. Bei dieser gründlichen Diskussion haben wir uns von Sachlichkeit leiten lassen und von dem, was die Mediatoren in ihren fünf Punkten vorgegeben haben.

Auch heute bedarf es keiner Änderung dieser grundsätzlichen Position. Wir stehen nach wie vor zur Nordwestvariante.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren,so viel zum ersten Punkt.