Protokoll der Sitzung vom 13.06.2004

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in unserem Antragstext ganz bewusst mit aufgenommen gehabt, dass wir uns als Alternative oder Ergänzung auch den Besuch einer Gedenkstätte zur deutschen Einheit vorstellen können. Dazu bietet sich natürlich in erster Linie Point Alpha an. Gott sei Dank gibt es aber inzwischen auch andere kleinere Einrichtungen, die man nehmen könnte.

Ich glaube, es sollte für jeden hessischen Schüler Pflicht sein, sich zumindest einmal in seiner Karriere mit der Schrift auseinander zu setzen, die die Hessische Landeszentrale für politische Bildung aufgelegt hat. Sie trägt den Titel: „Erinnern und Gedenken in Hessen“. Dort befindet sich eine sehr präzise Zusammenfassung über das, was es bei diesen Gedenkstätten unseres Landes gibt.

Man sollte ein Thema nicht zerreden. Ich will das hier auch nicht tun. Wir Liberalen sind sehr zufrieden damit,

dass wir gemeinsam ein bisschen Praxis in die Schulen hereinbringen können. Die GRÜNEN sind ja auch nicht grundsätzlich dagegen. Sie haben sich bei der Abstimmung im Kulturpolitischen Ausschuss der Stimme enthalten. Ich weiß, dass das Kultusministerium das erfolgreich umsetzen wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Frank Gotthardt und Volker Hoff (CDU))

Herr Hahn, ich möchte eine kleine Verbesserung anbringen. Sie haben von Gedenkstätten zur deutschen Einheit gesprochen. Sie haben natürlich die zur deutschen Teilung gemeint. Das steht so auch in der Beschlussempfehlung und dem Bericht.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Es steht in dem Antrag so und in der Beschlussempfehlung und dem Bericht so!)

Der Begriff wurde geändert.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ich kann da immer noch keinen Unterschied erkennen, das ist mein Problem!)

Ich darf als Nächsten Herrn Beuth für die CDU-Fraktion bitten, zu sprechen.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hahn war so freundlich, in die Thematik schon einzuführen. Ich möchte das nur kurz ergänzen. Denn vom Prinzip her waren wir uns über alle vier Fraktionen hinweg in der Sache eigentlich einig. Es gab lediglich Nuancen, die uns während der Beratung im Kulturpolitischen Ausschuss getrennt haben. Darauf will ich dann noch einmal kurz eingehen.

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass in dem Namen des Tagesordnungspunktes etwas steht, was der gemeinsam beschlossene Antragstext dann nicht mehr enthält. In der Überschrift steht noch „Schülerpflichtbesuch“. Nachdem wir uns im Ausschuss damit auseinander gesetzt haben, geht es nunmehr nicht mehr um Pflichtbesuche. Zu Recht geht es jetzt darum, dass wir Lehrerinnen und Lehrer und Schulklassen anregen wollen, Gedenkstätten zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder auch Gedenkstätten zur deutschen Teilung zu besichtigen.Das soll also in den Unterricht aufgenommen werden. Ich denke, das ist eine gute Maßnahme, um den Unterricht über die jüngste deutsche Geschichte anschaulicher und interessanter zu machen. Das dient auch der historischen Bewusstseinsbildung der Schülerinnen und Schüler.

Deshalb ist das auch in allen Lehrplänen, die wir hier in Hessen haben, und für alle Bildungsgänge, also von der Hauptschule über die Realschule bis hin zum Gymnasium, bereits so vorgesehen. In den Lehrplänen wird es auch als eine Arbeitsmethode empfohlen. Ich finde es aber richtig, dass wir hier aufgrund einer Initiative der FDP-Fraktion noch einmal explizit darauf hinweisen,dass solche Besuche stattfinden sollen und dass wir es begrüßen, wenn sich die Schülerinnen und Schüler solche Gedenkstätten anschauen.

Uns als CDU-Fraktion war auch wichtig – das kommt jetzt in dem Antragstext auch zum Ausdruck –, dass die Lehrerinnen und Lehrer die Freiheit haben müssen, zu

schauen, inwieweit ihre Lerngruppe tatsächlich geeignet ist, eine solche Gedenkstätte zu besuchen. Diese Entscheidung sollte den Lehrerinnen und Lehrern überlassen bleiben. Das sollte nicht par ordre du mufti von der Regierung oder dem Landtag vorgeschrieben werden. Wir sind der Auffassung: Der Lehrer muss entscheiden, ob er den Geschichtsunterricht – zur historischen Bewusstseinsbildung – als Frontalunterricht abhält oder ob er jungen Leuten die Geschichte mittels Besuchs von Ausstellungen oder Museen näher bringt. Er kann aber auch Zeitzeugen suchen, die sich bereit finden, im Unterricht zu diskutieren.

Das soll bitte der pädagogischen Freiheit von Lehrerinnen und Lehrern im Angesicht ihrer Lerngruppe überlassen bleiben. Deswegen ist es gut, dass wir die Pflicht herausgenommen haben. Genauso gut ist es aber, dass wir die Schulen insgesamt darauf hinweisen, dass es wünschenswert ist, dass Schülerinnen und Schüler jedenfalls einmal in ihrer Schulzeit eine Gedenkstätte entweder zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder zur deutschen Teilung oder am besten beides gesehen haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für die SPD-Fraktion bitte ich Herrn Dr. Reuter an das Pult.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der hier behandelte Tagesordnungspunkt zeigt, dass man, wenn man es will, einen gut gemeinten Antrag noch verbessern kann. Mit der jetzt im Ausschuss gefundenen gemeinsamen Formulierung sind wir einverstanden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir wollten keine Verpflichtung der Schulen, sondern nur eine Empfehlung, weil wir der Auffassung sind, dass es bereits zu viele Verpflichtungen für Schulen gibt. Auch waren und sind wir der Auffassung, dass sich auch Gedenkstätten außerhalb Hessens eignen, z. B. die Gedenkstätte in Berlin-Plötzensee für die Opfer des 20. Juli 1944 oder das KZ Buchenwald ebenso wie das Stasi-Museum in der Normannenstraße, das keine Gedenkstätte, sondern ein Museum ist. Aber es erfüllt das, was wir wollen, da darin Schülerinnen und Schülern aus Hessen die Möglichkeit gegeben wird, Geschichtsunterricht zum Anfassen zu betreiben und in die dunkelsten Zeiten unserer deutschen Geschichte eingeweiht zu werden.

Wie gesagt, es ist schön, zu sehen, dass etwas Gutes dabei herauskommt, wenn alle Seiten es wollen. Es wäre schön, wenn wir uns auch in anderen schulpolitischen Fragen mit dem gleichen Mut zur Einigung auf eine gemeinsame Reise begeben würden. Unsere Schulen und unsere nachwachsenden Rohstoffe, nämlich die Kenntnisse und Fertigkeiten der Kinder und Jugendlichen, hätten dies eigentlich verdient. Aber ich glaube, diese Hoffnung wird trügerisch sein – eigentlich schade.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Schauen wir einmal!)

Frau Hinz für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Jetzt kommt die Gegenposition!)

Herr Kollege Hahn, harte Fundamentalopposition.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Hau rein!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sind vom Grundsatz her ebenfalls der Meinung, dass es sinnvoll ist, wie bereits in den Lehrplänen festgelegt und damit für die Schulen eigentlich verbindlich, die Auseinandersetzung mit der Geschichte um die Naziherrschaft und die nachfolgende Geschichte der deutschen Teilung so zu führen, dass Schülerinnen und Schüler auch Stätten der Geschichte in unterschiedlichster Art und Weise besuchen. Wir sind schon froh, dass aus dem Antrag der FDP herausgenommen wurde, dass es sich um hessische Gedenkstätten handeln soll. Das war uns doch etwas zu provinziell und kleinkariert, dem Rest des Ausschusses Gott sei Dank auch. Die FDP hat dann auch gesehen, dass es durchaus sinnvoll ist, Buchenwald zu besuchen oder auch das Mauermuseum in Berlin. Das ist ein anschauliches Beispiel für die deutsche Teilung.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Wir konnten dem Antrag trotzdem nicht zustimmen, sondern enthalten uns auch heute, weil er uns nicht weit genug geht. Der Besuch von Gedenkstätten ist das eine, und wir haben vor zwei Jahren hier schon eine ausführliche Debatte geführt über eine Große Anfrage zur politischen Bildung und zur Gedenkstättenarbeit in Hessen. Damals wurden wir über die Landeszentrale für politische Bildung informiert, wie hervorragend die Gedenkstättenbesuche inzwischen angenommen werden und wie viele Jugendliche, wie viele außerschulische Jugendgruppen und auch Klassen das Angebot annehmen, nicht nur einen Tag eine Gedenkstätte gewissermaßen im Vorbeigehen zu besuchen,sondern sich über mehrere Tage in Workshops mit der Vergangenheit auseinander zu setzen.

Wir vermissen aber in dem Antrag, dass die Spurensuche vor Ort genauso wichtig ist und möglich sein kann.

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Nein, das geht nicht auseinander, Herr Hahn. Zum Beispiel habe ich erlebt,wie mit einer Schulklasse gemeinsam am 9. November

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ich habe nichts dagegen, aber es ist ein anderes Thema!)

es ist kein anderes Thema – die Spurensuche aufgenommen wurde über ehemalige jüdische Familien, über die Häuser, in denen die jüdischen Familien gewohnt haben, wobei besprochen wurde, was aus den Familien geworden ist, wer auswandern konnte, wohin er ausgewandert ist, wer verschleppt und ermordet wurde. Anschließend gab es in dieser Klasse den Besuch eines Zeitzeugen, der ebenfalls mit diesen Jugendlichen das Thema bearbeitet hat. Ich glaube, so etwas ist ebenso nachhaltig, wie wenn man ein Museum oder eine Gedenkstätte einen halben Tag lang besucht, weil es eine aktive Auseinandersetzung mit dieser Geschichte produziert und viel besser ist als je

der Frontalunterricht, den Herr Rhein den Lehrern offen lassen möchte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern fanden wir es schade, dass Sie diesen Hinweis und diese Erweiterung von uns nicht aufgenommen haben. Wir sind vom Grundsatz her der Meinung, dass Gedenkstättenbesuche sinnvoll sind, aber nicht das Einzige. Deswegen kommt heute unsere Enthaltung. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist provinziell! – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Entschuldigung, das war gar nicht Herr Rhein, das war Herr Beuth!)

Frau Kultusministerin für die Landesregierung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stellen fest, nicht Herr Rhein, sondern Herr Beuth war gemeint. Aber auch dort habe ich keine Aufforderung zum Frontalunterricht gehört.

Frau Kollegin Hinz, ich sehe dieses Problem nicht in dieser Form, wie Sie es jetzt als Begründung Ihrer Enthaltung geschildert haben.Denn ich glaube,es ist richtig,dass aus dem FDP-Antrag zunächst einmal die Verpflichtung herausgekommen ist und damit im Grunde das ermöglicht worden ist, was Sie beschreiben. Es muss insgesamt in unserem Interesse liegen, dass wir dazu beitragen, in einer Zeit, in der die Zeitzeugen naturgemäß weniger werden, unterschiedliche Formen des Erinnerns zu entwickeln. Denn unsere Schülerinnen und Schüler stammen nicht mehr aus der Generation derer, die aus der Elterngeneration etwas von beiden Unrechtsregimen erfahren können. Diesen Schülern muss es ermöglicht werden, Wege der Empathie, der Einfühlung, des emotionalen Begegnens zu gehen. Es geht um die Begegnung mit Menschen, die gelitten haben, die Opfer geworden sind, an die zu denken ist, damit sich neue Formen des Totalitären nicht mehr einschleichen können. Darum geht es.

In dieser Palette der Möglichkeiten, dies Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, ist die Gedenkstättenarbeit enthalten, und zwar gegen beide ehemaligen Regime, die wir auf deutschem Boden hatten, wie auch die regionale Gedenkstättenarbeit oder auch die regionale Geschichtsschreibung. Dabei haben wir glücklicherweise den Horizont über Hessen hinaus erweitert, das ich zwar nicht als provinziell bezeichne, aber immerhin ist damit auch der Besuch von Buchenwald möglich als einer Gedenkstätte, die mit beiden Diktaturen zu tun hat. Damit ist Hadamar genauso möglich wie Point Alpha, aber auch die Berliner Gedenkstätten, die genannt worden sind.

Aber es ist sehr wohl auch möglich,dass Schülerinnen und Schüler, wie Frau Hinz es geschildert hat, in der nächsten regionalen Umgebung oder in der regionalen Umgebung einer Partnerschule in Deutschland oder einem benachbarten Land die örtliche Geschichte erkunden und damit Menschen begegnen, die in der Geschichte etwas erlitten haben. Damit können Sie in einer Identifikation, in einer Nähe zu den Schicksalen etwas erfahren über die Geschichte, und zwar in einer Authentizität, wie es Ge

schichtsbücher doch nur von Ferne leisten können und auch Filme nur zum Teil leisten können.

Insofern bin ich sehr zufrieden damit. Ich bin dem Ausschuss dankbar, dass es möglich geworden ist, diesen Kompromiss zu finden, diese gemeinsame Formulierung, die von der Freiwilligkeit ausgeht, die an beide Diktaturen erinnert, nicht an die deutsche Einheit, sondern an die schlimmen Geschehnisse und die schwierigen Schicksale im Zusammenhang mit der SED-Diktatur, die Schrecknisse der deutschen Teilung. Das ist das, woran wir gleichermaßen erinnern und die Schülerinnen und Schüler heranführen wollen.

Meine Damen und Herren, es geht jetzt um die Fragen, wie man das an die Schulen bekommt, wie man das den Schülerinnen und Schülern nahe bringt, wie man Anlässe schaffen kann, dies zum Gelingen zu bringen. Wir haben dafür ganz gute Voraussetzungen, einerseits durch die Lehrpläne, die schon seit einigen Jahren existieren, andererseits dadurch, dass wir in der Fortbildung auch Anrechnungsstunden geben und diese ungekürzt weiter geben werden. Dies gilt für Museumsarbeit und Gedenkstättenarbeit, die auch dazu beitragen sollen, diese Anlässe gut vor- und nachzubereiten.

Es besteht auch durch das Internetportal die Gelegenheit, gesondert darauf hinzuweisen und Materialien zur Verfügung zu stellen,die zur Vor- und Nachbereitung sehr wichtig sind. Somit muss nicht jede Schulklasse von Anfang an damit befasst sein, sondern kann auf Hilfen zurückgreifen.

Das, was heute beschlossen werden soll, ist gut dafür, dass nicht Desinteresse an der Nazidiktatur und an der SEDDiktatur das Vorherrschende ist, sondern Erleben, Einfühlen und Empathie für unsere jungen Menschen in Zukunft dazu beitragen, dass diese jungen Bürgerinnen und Bürger sich für Recht und Freiheit einsetzen wollen. Sie sollen nicht nur in einen Staat, der Recht und Freiheit verspricht, hineingeboren werden. Es kommt darauf an, dass junge Menschen Recht und Freiheit und Einheit erleben und für die Zukunft gestalten und verantworten. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, damit ist die Beschlussempfehlung des Kulturpolitischen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP betreffend Schülerpflichtbesuch in hessischen Gedenkstätten besprochen. Soll darüber noch einmal abgestimmt werden?