Protokoll der Sitzung vom 25.03.2004

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Herr Staatsminister Rhiel, natürlich ist es schön, wenn man Angehörige bedienen kann. Hat Ihr Bruder eigentlich sonst noch etwas zu Weihnachten bekommen, oder war es das dann?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Dr. Jürgens, bitte kommen Sie zum Ende.

Herr Präsident,ich komme zum Schluss.– Wir fordern von Herrn Wagner – und haben das zur Grundlage unsers Antrags gemacht –: Stopp dem Chaos, Moratorium für die Zusammenlegung von Amtsgerichten und Wiedervorlage, wenn eine konkrete Kalkulationsgrundlage vorliegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank. – Herr Staatsminister Wagner hat sich zu Wort gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich ganz ehrlich bin, bin ich unter taktischen Gesichtspunkten fast dankbar für den Beitrag von Herrn Kollegen Dr. Jürgens, denn es war nur Polemik. Da wurde von „frei erfunden“, von „getäuscht“, von „Willkür“ und dergleichen mehr gesprochen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Genau!)

Herr Kollege Dr. Jürgens, ich will Ihnen zunächst einmal sagen, wie ein solcher Plan und ein solches Organisationskonzept entsteht.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das würde uns interessieren!)

Ausgangslage war der solide und durchaus sehr gut recherchierte Bericht des Landesrechnungshofs vom Juni 2003. Daran ist gearbeitet worden. Das haben nicht das Justizministerium und der böse Justizminister gemacht, sondern objektive und unabhängige Beamte des Landesrechnungshofs. Sie haben ein Konzept erstellt.An diesem Konzept haben wir uns orientiert.

Dass das Konzept des Landesrechnungshofs nicht für sich selbst in Anspruch nimmt, sozusagen Gesetzesbefehl zu sein, wird Ihnen der anwesende Präsident des Landesrechnunghofs sofort bestätigen.

In einer zweiten Phase haben sich ebenso gutwillige Mitarbeiter des Justizministeriums an das Gesamtprojekt gesetzt und haben unter besonderer Beachtung von räumlichen Gegebenheiten und Ausstattungen der einzelnen Amtsgerichte ein zusätzliches Konzept erstellt.

Lieber Herr Dr. Jürgens, zunächst einmal stand die Sacharbeit von vielen versierten und erfahrenen Beamten im Vordergrund. Nichts von „Willkür“, nichts von „frei erfunden“, nichts von „getäuscht“, nichts von „Bevorzugung von Kabinettskollegen“. Das sind jetzt wirklich billige Märchen, die Sie in die Welt setzen.

(Beifall des Abg. Volker Hoff (CDU) – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kommen Sie zur politischen Steuerung!)

Das Einzige, das mich an Ihrer Gesamtpolemik milder stimmt, ist die Formulierung, dass ich ein Schaf im Wolfspelz sei.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Mäh!)

Sie unterstellen mir zumindest friedliche Gesinnung. Das will ich gerne ausdrücklich aufgreifen und hier auch weiter praktizieren.

Die Entscheidung über die Schließung von Amtsgerichten oder die Bildung von Zweigstellen folgt dem Prinzip konsequenter Kostensenkung bei größtmöglicher Berücksichtigung der Belange der Recht Suchenden. Ich wiederhole es noch einmal: Grundlage meiner Entscheidung für die Strukturreform der Amtsgerichte in Hessen – die sehr wohl vorbereitet war – ist der von mir bereits zitierte Prüfbericht des Landesrechnungshofs vom 24. Juni 2003.

Der Rechnungshof hat die Schließung einer Reihe von Amtsgerichten vorgeschlagen. Zur Begründung hat er folgende Punkte hervorgehoben: höhere Mobilität der Bürger, Konzentration amtsgerichtlicher Geschäfte, Einsparpotenzial bei den Gebäudeunterhaltungskosten und der Verwaltung, Auswirkung der Modernisierungsmaßnahmen.Ich will Ihnen einmal wörtlich vortragen,was der Landesrechnungshof sagt:

Der Standort eines Amtsgerichts und seiner Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln spielt auch in ländlich strukturierten Gebieten heutzutage keine entscheidende Rolle mehr. Die Lebensgewohnheiten in ländlich strukturierten Gebieten haben sich durch die zunehmende Mobilität gewandelt. Der private PKW zählt zum täglichen Leben und ist unverzichtbar, sodass auch so genannte Kleinstamtsgerichte mittlerweile überwiegend mit privatem PKW angefahren werden.

Das ist übrigens ermittelt worden, das ist nicht einfach behauptet worden. Der Landesrechnungshof fährt fort:

Die Bevölkerung hat sich an weitere Wege zu Behörden gewöhnt, da durch Eingemeindungen, Gebietsreformen und Zentralisierung öffentliche Dienststellen

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

nicht mehr in jeder Gemeinde angesiedelt sind.

Meine Damen und Herren,ich halte fest:Für den mobilen Bürger im 21. Jahrhundert ist es wichtiger, ein zentrales Gericht mit juristischem Komplettangebot und ausreichenden Sprechzeiten zu haben als ein ortsnahes Rumpfgericht mit eingeschränkten Sprechzeiten.

Ich will Ihnen Folgendes sagen. Wir stehen hier in der Kontinuität, sozusagen in der Tradition der Restrukturierung von Amtsgerichten. Sie findet seit vielen Jahren, ja sogar Jahrzehnten statt. Bereits die große Standortstrukturreform unter der sozialdemokratischen Regierung im Jahr 1968 hat die Zahl der Amtsgerichte von 82 auf 58 reduziert. Ebenfalls im Jahr 1968 wurden die Schöffengerichte und die Jugendschöffengerichte an 27 Standorten konzentriert. Die Zuständigkeit für die Verhängung von Untersuchungshaft wurde an 16 Standorten konzentriert.

Im Jahr 1976 wurde die Zahl der Amtsgerichte, an denen es eine Zuständigkeit für Familiensachen gab, auf 36 reduziert. Im Jahr 1997, unter der Ägide Ihres Parteifreundes von Plottnitz, waren nur noch 17 Amtsgerichte für Insolvenzsachen zuständig. Zuletzt fand im Jahr 2000 eine Konzentration der Handelsregister an 17 Standorten statt.

Alle Gerichte, die von unserer Strukturreform erfasst werden, sind für Familien- und Insolvenzsachen sowie für Handelsregister nicht mehr zuständig. Das muss man deutlich sehen.Die jetzt beschlossene Standortkonzentration ist die logische Konsequenz der seit langen Jahren durchgeführten Aufgabenreduzierung bei den betroffenen Gerichten. Hierzu zitiere ich wiederum den Landesrechnungshof:

Durch die aufgezeigten Zuständigkeitsänderungen gehört das Amtsgericht, das dem Recht suchenden Bürger in unmittelbarer Nähe seines Wohnortes oder seines näheren Einzugsbereichs sämtliche Dienstleistungen bot, schon seit einigen Jahren der Vergangenheit an. Die Konzentration von Aufgaben auf bestimmte Amtsgerichte führt zum Bedeutungsverlust kleiner Amtsgerichte. Dies ist insbesondere in ländlichen Regionen zu beobachten.

Herr Kollege Dr. Jürgens, das sind die Fakten. Sie müssen sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen, und Sie dürfen nicht so argumentieren, als ob Sie noch im Jahr 1968 lebten. Die Zeit ist über Ihre rechtspolitische Bewusstseinslage offensichtlich hinweggegangen.

Herr Dr. Wagner, die Redezeit der Fraktionen ist abgelaufen.

Herr Präsident, ich bemühe mich, in wenigen Sätzen zum Ende zu kommen. – Ich will festhalten, dass diese ganze Aktion den Steuerzahler in Hessen Jahr für Jahr um 1 Million c entlastet. Wir leben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Auch das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Deswegen müssen wir die Konsequenzen ziehen, die ich hier im Einzelnen vorgetragen habe.

Herr Dr. Wagner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Al-Wazir?

In Anbetracht der Kürze der Redezeit nicht; sonst hätte ich das wirklich sehr gerne getan.

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Entgegen Ihrer Polemik sind die Solidität und die Seriosität der Planung ganz auf unserer Seite. Herr Dr. Jürgens – ich habe das eingangs schon gesagt –, Sie hatten hier außer Polemik wirklich nichts zu bieten. Sie versuchen nur, ein kleines Störfeuer anzufachen. Sie wissen genau, dass Ihr vordergründiger Schauantrag keine Änderung des Konzepts und auch kein Moratorium bringen wird. Sie wollen bloß aus den Ängsten, die Sie in der Bevölkerung geschürt haben, politisches Kapital schlagen.

Meine Damen und Herren, das trennt uns. Wir gehen Schritt für Schritt voran. Wir werden vor Ort so viele gerichtliche Angebote erhalten, wie es möglich ist.Wir werden aber, wie wir das in unserem soliden Konzept vorgeschlagen haben, Kleinstamtsgerichte dort, wo sie schlichtweg nicht mehr wirtschaftlich sind, schließen.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Herr Dr. Wagner. – Den Oppositionsfraktionen sind drei Minuten Redezeit zugewachsen. Das heißt, jede Fraktion erhält zusätzlich eine Minute Redezeit.

Ich darf Herrn Dr. Reuter, SPD-Fraktion, das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister Wagner, Sie sind zwar schon relativ früh in der Debatte ans Rednerpult getreten, aber zur Aufhellung des hier zur Diskussion stehenden Sachverhalts haben Sie mit Ihren Ausführungen nicht beigetragen.

(Beifall bei der SPD)

Die Situation ist nämlich merkwürdig. Ihr Ministerium verkündet am 16.02.:

Wagner wies darauf hin, dass man mit den Vorgaben einer aktuellen Empfehlung des Hessischen Rechnungshofs gefolgt sei.

(Reinhard Kahl (SPD): Falsch!)

Es bedurfte einer parlamentarischen Initiative meiner Fraktion, um an das besagte Gutachten des Rechnungshofs heranzukommen.

(Reinhard Kahl (SPD): Richtig!)

Nun haben wir es, und siehe da: Zwischen den Empfehlungen des Rechnungshofs und den Vorhaben der Landesregierung gibt es Unterschiede.

(Beifall des Abg. Reinhard Kahl (SPD))