(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Völliger Schwachsinn! – Gegenruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Irmer, Sie sind doch immer für Kopfnoten! Benoten Sie sich doch selber! – Weitere lebhafte Zurufe)
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Kollegin Hinz. Beruhigen wir uns wieder; die Aktuellen Stunden sind vorbei. – Jetzt geht es weiter.
Es ist schon spannend, dass es gleich am Anfang so losgeht. Herr Irmer, Sie können sich doch noch melden, wenn ich begründet habe, warum dies so eintreten wird.
Denn mit der einseitigen Verkürzung des gymnasialen Bildungsgangs, die im neuen Schulgesetz festgelegt werden soll, werden nur noch diejenigen Kinder den direkten Weg zum Abitur gehen können, deren Eltern ein entsprechendes Bildungsbewusstsein haben, also aus einer entsprechenden sozialen Schicht stammen, und/oder den Geldbeutel haben, um den Nachhilfeunterricht zu bezahlen.
Wir wissen jetzt schon, wie viele Kinder nur mit Nachhilfe diesen Schulabschluss erreichen. – Das Stundenvolumen für den gymnasialen Bildungsgang soll um etwa 570 Stunden gekürzt werden, d. h. um ein halbes Jahr. Sie waren
Jetzt wollen Sie für das Gymnasium ein halbes Jahr Unterricht wegkürzen. Das heißt, es entsteht natürlich mehr Druck auf die Kinder, in kürzerer Zeit mehr zu lernen.
Es wird so sein, dass die Kinder von Klasse 5 bis Klasse 9 zwischen 31 und 36 Wochenstunden haben werden. Das bedeutet Nachmittagsunterricht, ohne dafür die Grundvoraussetzungen zu erfüllen, nämlich aus den Schulen Ganztagsschulen mit einem guten pädagogischen Konzept machen.
Sie müssten doch wissen, dass wir in den meisten gymnasialen Bildungsgängen 80 bis 90 % so genannte Fahrschüler haben, also Kinder, die aus anderen Kommunen kommen. Die brauchen einen gescheiten Ganztagsunterricht, um den Druck dieser vielen Stunden auszuhalten. Die brauchen eine Mittagspause, ein Mittagessen, die brauchen zusätzliche Angebote und individuelle Förderung, damit sie diese verkürzte Schulzeit überstehen und nicht nur dem Leistungsdruck anheim gegeben werden.
Aber dafür haben Sie kein Geld. Sie müssten nämlich im nächsten Jahr 300 Schulen in Ganztagsschulen umwandeln. Dafür setzen Sie keine finanzielle Priorität. Das heißt, eine Menge Kinder wird auf der Strecke bleiben.
Meine Damen und Herren, mit dem neuen Schulgesetz werden die kooperativen Gesamtschulen auf kaltem Weg in Haupt- und Realschulen umgewandelt.An deren Stelle steht dann auch noch ein Mittelstufengymnasium mit dem verkürzten Bildungsgang, natürlich nur, sofern eine Zweizügigkeit gegeben ist, d. h. zwei Parallelklassen. Dadurch sind jetzt schon einige Standorte, gerade in den ländlichen Räumen, gefährdet. Am Rande: Die kommunale Selbstverwaltung wird durch diese Sparideologie ausgehöhlt. Das Ideologiediktat lautet, dass man
noch nicht einmal mehr verbundene Schulformen mit gymnasialen Bildungsgängen haben will. Schlimmer ist aber,dass die Inhalte auf der Strecke bleiben.Es gibt noch heute kooperative Gesamtschulen, die im Teammodell und jahrgangsübergreifend arbeiten. Das hat aber für Sie in der Bildungspolitik keinen Stellenwert. Sie wollen abgeschottete Bildungsgänge, vor allem für die Kinder, die gymnasial begabt sind. Deswegen werden die anderen in diesem wegweisenden Projekt der Schulzeitverkürzung, das international so wichtig ist, nämlich z. B. die Realschülerinnen und -schüler,keinen Platz haben.Sie müssen den schwierigen und längeren Weg gehen. Für sie bleibt kein Platz,weil nur wenige an dem Königsweg zum Abitur teilhaben können.
Die Kinder, die dahin gehören, sind die Kinder, deren Familien sie unterstützen können. – Herr Irmer, ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören.
Meine Damen und Herren, die Situation in den Förderstufen – schon immer ungeliebte Kinder, gerade der CDU – wird verschlechtert. Das integrierte Lernen soll nicht verbessert werden. Man kann der Meinung sein, dass die Förderstufen nicht so gut sind, wie sie sein sollten, dass sie nicht die guten Ergebnisse bringen,die sie bringen sollten. Man schafft sie aber nicht ab,man macht sie besser.Sie erreichen durch den verkürzten gymnasialen Bildungsgang und durch die Festlegung der Dreigliedrigkeit von Förderstufen, dass diese schlicht und ergreifend abgeschafft werden müssen.
Wenn die 7. Klassen der Gymnasien die Kinder nicht behalten können, ist damit die Förderstufe obsolet und abgeschafft.
Die integrierten Gesamtschulen müssen künftig vierzügig sein. Auch hier wird durch eine organisatorische Vorgabe die Schulform torpediert. Warum vier Parallelklassen, wenn nur drei Kurseinstufungen notwendig sind? – Aber es ist ja so, dass die integrierte Gesamtschule schlicht und einfach gegen die Ideologie der CDU gerichtet ist.
Meine Partei ist wahrlich keine Befürworterin der jetzigen Form der integrierten Gesamtschulen, weil das nicht die Schulform ist, die wir uns als beste Schulform vorstellen.Aber wenn man sie besser machen will, muss man sie unterstützen, ihr die Freiheit geben, tatsächlich integriert zu unterrichten, und macht sie nicht kaputt, auch nicht auf kaltem Wege, weil sie nicht in die Ideologie passt.
Meine Damen und Herren, die im neuen Schulgesetz geplanten Praxisklassen in den Hauptschulen hängen Schülerinnen und Schüler zusätzlich frühzeitig ab. Wer soll denn feststellen, dass ab der 7. Klasse bestimmte Kinder nur noch „praktisch begabt“ sind und deswegen in die Praxisklassen kommen? Wer soll entscheiden,dass sie den regulären Hauptschulabschluss nicht mehr machen können,weil ihnen die Lernangebote fehlen,die sie brauchen, um diesen Abschluss zu machen? – Das ist doch ein Eingeständnis des Versagens der Bildungspolitik,
In den letzten vier Jahren waren Sie der Wolf im Schafspelz. Jetzt fangen Sie an zu beißen, und jetzt offenbaren Sie mit Ihrem neuen Schulgesetz, was Sie wirklich planen.
Wem das nicht reicht: Künftig haben wir in Hessen die Möglichkeit der Querversetzung bis zur 8. Klasse. – Na klasse, darauf haben wir schon lange gewartet. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen nicht mehr alle Anstrengungen unternehmen, dass sie Kinder zum nächsten Abschluss und zur nächsten Klassenstufe bringen.
Die Kultusministerin muss sich dann auch nicht mehr mit den hohen Wiederholerquoten herumschlagen, die statistisch ausgewiesen sind. Nein, Lehrerinnen und Lehrer können die Kinder direkt auf den niedrigeren Bildungsgang verweisen. Das stärkt doch die Tendenz, die wir haben, die uns der PISA-Koordinator Baumert im Ausschuss erläutert hat,
die Tendenz unserer Schulen, unserer Lehrerinnen und Lehrer, immer darüber nachzudenken, warum eigentlich ein Kind im falschen Schulzweig ist.
Es müsste darüber nachgedacht werden, warum unser System so falsch ist, warum so viele Kinder den Abschluss oder die Jahrgangsstufe, in der sie sich befinden, nicht schaffen.
Die IGLU-Studie hat doch ergeben, das haben wir jetzt erst wieder lesen können, dass die Grundschulempfehlungen nicht genügend Aussagekraft über die weitere Entwicklung der Schullaufbahn haben.Deswegen korrigieren die Schulen hinterher die vermeintlich falschen Empfehlungen
(Dr. Walter Lübcke (CDU): Wovon träumt Sie denn? – Gegenruf des Abg. Mathias Wagner (Tau- nus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
entweder durch Wiederholen oder durch Querversetzung. Jetzt schaffen wir das Instrument,dass bis zur 8.Klasse die Kinder aussortiert werden können, vor allem an den Gymnasien – da haben wir auch in der 7. und 8. Klasse pubertätsbedingt die meisten Wiederholer. Man kann sie jetzt nahtlos in die Realschule versetzen. Die Kinder, die es bis zur 9.Klasse des Gymnasiums schaffen,schaffen natürlich auch den nahtlosen Übergang in die Oberstufe. Wir können sagen:Endlich haben wir das erfolgreiche Begabungsmodell des Gymnasiums. – Aber wir lassen damit Bildungspotenziale auf der Strecke, die wir brauchten. Wir brauchen sie auch aus ökonomischen Gründen, weil unsere Kinder mit ihren Fähigkeiten und mit ihrem Bildungspotenzial unsere „Rohstoffe“ sind, die wir in Deutschland nicht ausschöpfen.
Zur Erinnerung: PISA hat uns gezeigt, dass Hessen ein Bildungssystem hat, das Kinder aus sozial benachteiligten Familien zu wenig fördert. Die Herkunft bestimmt die Art der Schulabschlüsse und damit der Bildungschancen.
Das System ist wenig durchlässig – deswegen wird die Durchlässigkeit im Gesetzentwurf auch gestrichen –, die Zahl der Sitzenbleiber ist zu hoch,