Protokoll der Sitzung vom 25.03.2004

Herr Irmer, die Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Herr Präsident, ich komme – notgedrungen – ungern zum Schluss. Ich war gerade so schön drin.

Meine Damen und Herren, mein letzter Punkt dazu.

(Zuruf der Abg. Christel Hoffmann (SPD))

Wir wollen nachvollziehbare,verlässliche Größenordnungen von Schulen durch das Definieren von Zügigkeiten schaffen. Dies ist ein Beitrag zur Gerechtigkeit einerseits und zu einer flexiblen Handhabe im ländlichen Raum andererseits.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Unser Ziel ist und bleibt es, wohnortnahe und gut versorgte Schulen zu erhalten, ebenso Schulwahlfreiheit und Schulvielfalt. Es ist doch ein Treppenwitz der Geschichte,

wenn sich die Mitglieder der größten Schulschließungspartei dieses Landes, die Sozialdemokraten, die in den Siebzigerjahren über 1000 Schulen geschlossen haben, heute über Standorte und Schulwahlfreiheit Gedanken machen.

Sie waren in der Vergangenheit gegen alles, was in irgendeiner Weise pädagogisch neu ist. Da gibt es die Grundauseinandersetzung – auf der einen Seite die Ewiggestrigen gegen die Modernisierer auf der anderen Seite. Restauration bei der SPD und Innovation bei der CDU – das ist der entscheidende Unterschied.

(Beifall bei der CDU)

Frau Henzler, Sie haben das Wort für die FDP-Fraktion.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nach Restauration und Innovation kommt nun die Vernunft!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Irmer, als Sie sich am Anfang relativ lang bei dem Lehrerbildungsgesetz aufgehalten haben, habe ich noch gedacht, dass Sie sich sehr viel Zeit für das nehmen, was in der Diskussion wahrscheinlich sehr viel positiver ankommt, damit Sie möglichst wenig Zeit mit dem eigentlichen Thema dieser Anträge verbringen müssen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Geben Sie mir noch fünf Minuten!)

Sämtliche Anträge, die hier vorliegen, beschäftigen sich nämlich mit der Schulzeitverkürzung, dem neuen Schulgesetz und der Auswirkung dieses Gesetzes auf die Schullandschaft in Hessen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): So ist es!)

Allein die Fülle der Anträge zu diesem Thema bestätigt, dass diese Landesregierung mit ihrem ersten Entwurf eines Hessischen Schulgesetzes Proteste bei Schulen, Schulträgern und dem Landtag auslöst und erneut eine Diskussion um Schulformen und die Schulstruktur in Hessen entfacht hat.

Das steht übrigens in einem direkten historischen Zusammenhang. Vor 35 Jahren, am 26. März 1996, verabschiedete die damalige Koalition aus SPD und FDP ein Schulgesetz, das die Einrichtung von Förderstufen vorantrieb.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): 1996? – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das kann nicht sein!)

Nein, das war nicht 1996, sondern 1969. Entschuldigung. – Damals haben wir, SPD und FDP, das Schulgesetz verabschiedet und die Einrichtung von Förderstufen vorangetrieben, um so die gemeinsame Erziehung um zwei Jahre zu verlängern.Wenn Sie heute die PISA-Ergebnisse lesen, werden Sie feststellen, dass wir damals eigentlich schon sehr früh auf einem sehr richtigen Weg waren.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Oh!)

Bereits damals begannen in Hessen heftigste schulpolitische Debatten, die – mal mehr, mal weniger – bis heute anhalten. Bereits 1987 machte sich die CDU auf den Weg

zurück zum dreigliedrigen Schulsystem. Diesen Weg hat sie bis heute aufgrund der jeweiligen Koalition mit der FDP noch nicht durchsetzen können, und das war auch gut so.

(Beifall bei der FDP)

Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf startet die Landesregierung nun einen erneuten Versuch. Mit der FDP wäre dieser Gesetzentwurf so nicht entstanden. Denn er schadet der Vielfalt des Bildungsangebotes.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Diese Vielfalt ist ein Markenzeichen des hessischen Schulsystems.

(Beifall bei der FDP)

Bereits bei der Auseinandersetzung mit den PISA-Ergebnissen wurde von uns eindringlich davor gewarnt, auf der Suche nach Verbesserungen in eine ideologisierte Schulformdebatte zurückzuverfallen.Nun ist es die CDULandesregierung, die mit der verpflichtenden Schulzeitverkürzung für kooperative Gesamtschulen sowie der Festlegung von Mindestgrößen für die einzelnen Bildungsgänge diese Diskussion wieder eröffnet hat.

Ich möchte einmal aus einem „dpa“-Artikel zitieren, der einen Rückblick auf die Schuldebatten in diesem Land gibt.

Doch die CDU konnte die völlige Rückkehr zum dreigliedrigen Schulsystem ebenso wenig durchsetzen wie zuvor die SPD dessen Abschaffung. Seitdem bestehen beide Systeme nebeneinander – eine für die hessische Schulpolitik bezeichnende Lösung. An diesen Kompromiss hält sich auch Frau Ministerin Wolff.

Jetzt kommt ein wörtliches Zitat:„Es gibt Gesamtschulen, die gute Arbeit leisten.“ Allein dieser Satz sagt doch schon genau, wie über Gesamtschulen gedacht wird.

(Beifall bei der FDP)

Hätte es wenigstens geheißen, dass es Schulen jeder Schulform gibt, die gute Arbeit leisten, während es auch Schulen jeder Schulform gibt, die schlechte Arbeit leisten. Aber nein, da wurden konkret die Gesamtschulen benannt.

Mit der Umsetzung der Schulzeitverkürzung ist dieser Kompromiss aufgehoben.Die FDP hat sich schon vor Jahren für eine Verkürzung des gymnasialen Bildungsganges ausgesprochen. Deshalb begrüßen wir die gesetzliche Regelung als dringend notwendig.

(Beifall bei der FDP)

Allerdings muss man sehr kritisch die Auswirkungen auf die verschiedenen Gymnasien berücksichtigen. Denn auch da gibt es in Hessen eine ungeheuere Vielfalt an Angeboten. Gerade die Schulen, die sehr viele Zusatzangebote wie Musikgruppen, Chöre – das haben wir gerade erlebt –,verschiedene Sportarten in Arbeitsgemeinschaften, Teilnahme an übergeordneten Wettbewerben, Fremdsprachen oder bilingualen Unterricht schon in den unteren Klassen anbieten, haben Probleme, in einem normalen Schulalltag, der nur eine begrenzte Stundenanzahl hat – man kann nicht auch noch die Nacht dazunehmen –, auch noch die zusätzlichen Unterrichtsstunden infolge der Verkürzung der Schulzeit unterzubringen. Nicht von ungefähr wird der Samstagsunterricht wieder in das Gespräch gebracht. Auf jeden Fall werden alle G-8-Gymna

sien Unterricht in den Nachmittag hinein bekommen, und somit muss über eine Mittagsversorgung gesprochen werden.Auch da denke ich, dass man den Schulen größtmögliche Freiheit und Unterstützung gewähren sollte, damit sie das so regeln können, wie sie es für richtig halten.

Viele Fragen sind also noch nicht geklärt. Dazu gehört auch die des doppelten Bedarfs an Lernmitteln in den Doppelzügen. Diejenigen, die bereits im kommenden Schuljahr beginnen wollen, werden auf diesem Gebiet eine Pionierrolle spielen, bei der man ihnen möglichst viel Freiheit in der Gestaltung geben sollte.

(Beifall bei der FDP)

Man sollte ihnen auch die Möglichkeit geben, die Stundentafeln zu verändern und möglichst frei zu gestalten.

Das Herausnehmen der integrierten Gesamtschulen aus den Verkürzungsvorgaben ist pädagogisch nicht ganz korrekt begründet. Denn die integrierte Gesamtschule hat nicht nur das Ziel, die Schüler möglichst lange gemeinsam zu unterrichten, sondern sie hat vor allen Dingen das Ziel, jedes Kind individuell nach seinen Begabungen zu fördern.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb wäre mit einer richtigen Binnendifferenzierung durchaus auch bei den IGS eine Verkürzung möglich.

(Beifall der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dennoch bietet die Verkürzung der Schulzeit in den Gymnasien diesen Schulen eine gute Möglichkeit, in den Wettbewerb um die Schüler einzutreten,deren Eltern keine intensive Unterstützung leisten können und die aus verschiedenen Gründen eben etwas langsamer, aber nicht weniger erfolgreich lernen.

Das große Problem entsteht aber bei den kooperativen Gesamtschulen – eine in Hessen, besonders in ländlichen Regionen, sehr erfolgreich arbeitende Schulform, die für viele Kinder die einzige Möglichkeit und die einzige Chance ist, einen weiterführenden Bildungsgang zu besuchen.

(Beifall bei der FDP)

Sie ist übrigens die einzige Schulform, die Durchlässigkeit auf dem Weg und nicht erst am Ende ermöglicht und praktiziert hat.

Die Umbenennung der Durchlässigkeit in „Anschlussfähigkeit“ ist natürlich sehr verräterisch, da sie die Übergangsmöglichkeiten auf bestimmte Schnittstellen beschränkt – genau genommen auf das Ende der Klasse 10 der Realschule und das Ende der Klasse 9 der Hauptschule. Das sah in der Praxis bisher auch nicht viel anders aus.Darüber brauchen wir gar nicht reden.Die Ausnahme war die KGS. Aber dann sollte man doch ehrlich sagen, was man damit erreichen will und was damit politisch gemeint ist. Es kann durchaus sein, dass man bestimmte Schnittstellen festlegt. Dann gibt es den Übergang eben nur nach der 10. Klasse mit einer Realabschlussprüfung. Dann soll man aber nicht so tun, als wäre die Durchlässigkeit in den Klassen dazwischen gegeben.

Viele KGS haben aufgrund der Elternwünsche in den letzten Jahren offen oder verdeckt bereits gymnasiale Eingangsklassen neben der Förderstufe gebildet. Das wird zukünftig verboten sein. Also werden sie sich in ein dreigliedriges Schulsystem unter einem Schuldach entwickeln müssen.