Meine Damen und Herren,wir haben eine Entwicklung in der globalen Wirtschaft und damit auch Veränderungen am deutschen Arbeitsmarkt. Diese Veränderungen führen nicht nur die Politik vor neue Herausforderungen, sondern auch die Menschen. Sie fühlen sich verunsichert. Deswegen finde ich, dass man noch einmal betonen muss, dass jeder und jede, jeder Politiker, jeder Wirtschaftslobbyist und jeder, der politische Verantwortung trägt, sich fragen lassen muss: Trage ich dazu bei, dass diese Gesellschaft und diese Bürger mit diesen Herausforderungen umgehen lernen und mit ihnen leben können, oder treibe ich damit mein machtpolitisches Spiel? – Denn in einer modernen Arbeits- und Sozialpolitik muss es doch darum gehen, unter schwierigen Bedingungen zukunftsträchtige Arbeitsplätze zu schaffen und den Sozialstaat zu reformieren, ohne ihn zu zerstören. Deswegen muss in der aktuellen Situation die Bürokratie abgebaut werden, die Effizienz der Leistungen erhöht werden, die Hilfsangebote müssen neu entwickelt werden, und die Verschiebebahnhöfe, die wir bisher zwischen den Ämtern haben, müssen endlich abgeschafft werden.
Meine Damen und Herren, mit der jetzt im Optionsmodell beschlossenen Revisionsklausel sind die Kommunen mit 2,5 Milliarden c Einsparungen auf der sicheren Seite. Uns fehlen hingegen – Herr Boddenberg, dazu haben Sie gar nichts gesagt – die konkreten Zusagen der Landesregierung gegenüber den Kommunen, z. B. was die Weiterleitung des Wohngeldes angeht. Zum dritten Mal fordere ich hier von Ihnen ein, dass die Landesregierung endlich die Sachen, die sie entscheiden kann, auch entscheidet. Dazu gehört die sichere Zusage der Weiterleitung des Wohngeldes.
Dazu gehört auch, dass Sie die Erpressung der Kommunen aufgeben und die Bindung der regionalen Beschäftigungsprogramme an die Tatsache der kommunalen Trägerschaft endlich aufgeben. Hören Sie auf, die hessischen Kommunen zu erpressen.
Herr Boddenberg, dazu haben Sie nichts gesagt. – In den Kommunen steht jetzt die Entscheidung an, die Zukunft der Arbeitsmarktpolitik zu gestalten. Wir haben jetzt die völlig absurde Situation, dass einige Kommunen aufgrund dieser taktischen Spielchen abgewartet haben,anstatt sich mit den Arbeitsagenturen vor Ort abzustimmen. Auf der Arbeitsebene ist das zum Teil passiert,aber die politischen Ebenen haben das versäumt. Jetzt ist man gezwungen, zu optieren, obwohl man zum Teil gar nicht kann, weil so viele Kommunen wahrscheinlich gar nicht an dem Modell teilnehmen können.
Meine Damen und Herren, in den Bundesländern, in denen die Landesregierung auf die Kommunen keinen Druck ausgeübt hat, ist die Diskussion über die Detailumsetzung – darüber, wie wir das tun können – bereits weit fortgeschritten. In Hessen sind wir weit davon entfernt. Sie haben keinen einzigen Satz dazu gesagt,
was die unvorbereiteten Kommunen, die sozusagen nur noch die Option zur Option haben,in Hessen jetzt tun sollen.
Die Kommunen, die sich derzeit auf die alleinige Trägerschaft bewerben wollen, kennen die Auswahlkriterien der Landesregierung nicht. Es ist überhaupt nicht transparent, nach welchen Kriterien die Landesregierung entscheidet, welche Kommunen in Hessen optieren können. In der gestrigen Fragestunde ist Staatsministerin Lautenschläger dieser Frage wieder ausgewichen und hat dazu nichts gesagt. Es ist nicht klar, welche Chancen die Kommunen haben, die bereits an den Modellversuchen teilgenommen haben. Das sind in Hessen vier Kommunen. Insgesamt werden überhaupt nur fünf oder sechs Kommunen optieren können, während sich inzwischen zehn oder 15 Kommunen – wenn nicht noch mehr – darauf vorbereiten. Es ist überhaupt nicht klar,ob sich diese Kommunen nicht völlig umsonst Arbeit machen.
Es ist auch den Kommunen, die bereits Job-OFFENSIVCenter haben, überhaupt nicht klar, nach welchen Kriterien sie beurteilt werden. Wird beurteilt, wie lange sie in Jobs vermittelt haben? Ganz abgesehen davon: Die Landesregierung kann dazu überhaupt nichts sagen. In der Antwort auf meinem Dringlichen Berichtsantrag wurde erklärt, man könne überhaupt keine Aussagen dazu machen, weil die Zeit für längerfristige Vermittlung viel zu kurz gewesen sei. Es ist überhaupt nicht klar, welche kon
kreten Arbeitsplatzangebote von den Kommunen gemacht werden müssen, damit die Landesregierung sagt, das sei im Rahmen dessen,was sie sich als Umsetzung vorstellt, ein sinnvoller Ansatz.
Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Die finanziellen Leistungskürzungen, denen Sie fünf Minuten Redezeit gewidmet haben, sind für uns GRÜNE nur dann zu rechtfertigen, wenn es tatsächlich zu einem Fördern der arbeitlosen Menschen kommt. Dazu gehört auch, dass die Behörden und Kommunen ihren Pflichten diesen Menschen gegenüber nachkommen.
Auf die Tatsache, dass wir auch in Hessen immer weniger Vollzeit-Erwerbsbiografien haben, dass die Zahl der Arbeitsplätze – und zwar nicht nur konjunkturell, sondern auch strukturell bedingt – in der Produktion, der Landwirtschaft und der Industrie abnimmt, während die Zahl der Arbeitsplätze in den Bereichen Dienstleistungen, Information und Wissenstransfer steigt, muss reagiert werden – auch bei der Gestaltung dessen, was man den Menschen an Förderung anbietet. Es ist Aufgabe des Staates – des Landes, der Kommune, des Sozialamts oder der Arbeitsagentur –, den Menschen in Zeiten des Umbruchs Unterstützung zu geben, zu verhindern, dass sie in die Armut sinken, Angebote zur Qualifizierung zu machen und sie dann eben auch in Arbeit zu vermitteln.
In Hessen reden wir über 70.000 erwerbslose Menschen in der Sozialhilfe und über rund 90.000 Menschen in der Arbeitslosenhilfe. Sie können hier zwar gerne weiterhin taktieren, aber ich werde jetzt über diese Menschen sprechen, denn wir haben mehrere Gruppen, die aus unterschiedlichsten Gründen erwerbslos sind.
Wir haben eine sehr große Gruppe junger Menschen, die deswegen in der Sozialhilfe sind, weil sie noch keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt haben. Ein sehr großer Teil dieser Gruppe, nämlich über 20 %, hat keine Berufsausbildung und ist deshalb wahrscheinlich nur sehr schwer vermittelbar.
Ich denke, dass auch die Arbeitsplätze in den zukunftsträchtigen Branchen auf der Tagesordnung stehen. Sie sind auf die innovativen wirtschaftlichen Aspekte nicht eingegangen; Sie haben immer nur von Ihren Lobbytreffen berichtet. Welches sind die Wirtschaftsbereiche, die Zukunft haben? Das sind die Bereiche, die dem Ausbau der Wissensgesellschaft, der Dienstleistungsgesellschaft und der Informationsökonomie dienen, Dienstleistungen im Bereich von Gesundheit und Pflege – vor dem Hintergrund des demographischen Wandels – und die Umweltund Energietechnik. Das sind die Bereiche, wo klar ist, dass sich in Zukunft einiges tun wird. In diesen Bereichen brauchen wir zusätzliche Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Eine weitere Gruppe, die mir sehr am Herzen liegt, sind die älteren Arbeitnehmer mit klassischen Ausbildungen, die jetzt über 50 Jahre alt sind und tatsächlich sehr schwer in Arbeit vermittelbar sein werden. Ich denke, dass die Kommunen einen besonderen Auftrag haben, sich um diese Menschen zu kümmern. In Einzelfällen gibt es eine Reihe von Ansätzen, das zu tun.Wir sollten aber auch sehen, dass diese Menschen ihr ganzes Leben lang für die Erreichung eines anständigen Lebensstandards gearbeitet haben und dass es darum geht, zu verhindern, dass sie als Bezieher von Arbeitslosengeld ihren Lebensstandard verlieren. Deswegen müssen sich die Kommunen in entsprechenden Beschäftigungsprogrammen engagieren.
Eine weitere Gruppe, die mir besonders große Sorgen macht, ist die der höher qualifizierten Menschen, die sich aus konjunkturellen Gründen in der Arbeitslosigkeit befinden und aufgrund der langen Dauer der konjunkturellen Schwäche inzwischen länger als ein Jahr arbeitslos sind. Ich denke, gerade am Beispiel des Rhein-Main-Gebiets wird deutlich, dass ein qualifizierter Bankbeamter nicht im Kreis XY vermittelt werden kann, denn er wohnt wahrscheinlich deshalb im Rhein-Main-Gebiet, weil er in Frankfurt gearbeitet hat. Er müsste in Frankfurt, in eine andere Großstadt oder in das Ausland vermittelt werden. Ich denke, wenn wir ernsthaft über die Vermittlung dieser Menschen reden, dann müssen die Kommunen auch darstellen,wie sie diese Menschen vermitteln,wenn sie die alleinige Trägerschaft haben.
Eine weitere Gruppe sind die Alleinerziehenden und ihre Kinder. Im Wetteraukreis z. B. haben wir das Problem, dass über 8 % der unter dreijährigen Kinder in der Sozialhilfe sind. In der Altersgruppe von 3 bis 18 Jahren sind es immer noch 7 %, die Sozialhilfe bekommen. Das heißt, wir haben einen großen Anteil von Kindern, zum Teil mit allein erziehenden Eltern, auf die wir besonders achten müssen. Ich stimme zwar selten mit dem Hessischen Ministerpräsidenten überein, aber im Februar hat er in einem Interview gesagt:
Alleinerziehende gehören zu den Hauptbetroffenen dieser Misere. Bei ihnen gibt es Hunderttausende von Sozialhilfebiografien, weil ihnen zu wenig dabei geholfen wird, Beruf und Kindererziehung miteinander zu vereinbaren.
Das stimmt, meine Damen und Herren, denn es ist logisch, dass man Alleinerziehenden – vor allem denen mit Kindern unter drei Jahren – nicht nur ein Arbeitsangebot machen kann, sondern gleichzeitig ein Angebot für die Kinderbetreuung machen muss. Das liegt auf der Hand.
Hier sind die Kommunen in der Pflicht. Stattdessen erleben wir auch hier wieder das taktische Spielchen, wer was zu zahlen hat. Bevor die Kommunen genau wissen, wie stark sie durch Hartz IV entlastet werden oder ob unter Umständen einige Kommunen sogar belastet werden, weiß die CDU schon, dass die Kommunen kein zusätzliches Geld für die Betreuung der unter drei Jahre alten Kinder haben werden. Das ist das taktische Spielchen, das wir schon die ganze Zeit kritisiert haben.Hier wird es weiter betrieben.
Wenn wir unsere Gesellschaft tatsächlich weiterentwickeln wollen, dann brauchen wir mehr Investitionen in Bildung, mehr Investitionen in die Kinderbetreuung. Wir müssen verhindern, dass Frauen nur deswegen in der Sozialhilfe sind, weil sie Kinder haben.Wir brauchen anständige Betreuungsangebote. Das wird seit heute vom Kabinett in Berlin vorbereitet.
Danke, ich komme sofort zum Ende. – Meine Damen und Herren, es ist eine völlig absurde Situation, dass Alleiner
ziehende weiterhin das Arbeitslosengeld II empfangen werden, nur weil ihnen keine Betreuungsplätze zur Verfügung gestellt werden können.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir brauchen mehr Kinderbetreuung, und wir brauchen vor allem im RheinMain-Gebiet eine regionale Vermittlung in Arbeit. Zu diesem Zweck müssen sich die Kommunen zusammenschließen, auch wenn es unterschiedliche Trägerschaften gibt. Wir brauchen eine Beschäftigungsperspektive für alle Arbeitnehmer und alle Arbeitslosen, aber insbesondere für die Gruppe der älteren, schwer zu vermittelnden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir brauchen mehr Ausbildung, gerade in den zukunftsträchtigen Bereichen, für junge Menschen in Hessen. Stattdessen beginnen Sie die nächste Runde, auf dem Rücken der Betroffenen Politik zu machen. Eine Alternative zu RotGrün ist das wahrlich nicht.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde, dieser CDU-Antrag trieft vor Selbstbeweihräucherung.
Die Landesregierung versucht mit diesem Antrag,sich ein neues Image zu verpassen: das Image eines Freundes der Kommunen. Da wird eine Entlastung der Kommunen durch den Bund gefordert. Ich sage dazu: Diese Landesregierung ist gerade in der Frage vollkommen unglaubwürdig.
Ich habe nämlich ein Elefantengedächtnis, was Beträge angeht: 50 Millionen c sind dem KFA Jahr für Jahr entzogen worden, die als Verstärkungsmittel für die Kinderbetreuung von uns eingestellt waren. Vor dem Hintergrund beklagen Sie, dass der Bund nicht genug Geld gebe.
Gleichzeitig bringt es der Innenminister als Kommunalaufsicht fertig, Auflagen zu erteilen, die Kommunen sollen auf Kosten der Familien ihre Verschuldung abbauen, indem sie massiv die Elternbeiträge erhöhen. Das ist sowohl „familienfreundlich“ als auch „sehr kommunalfreundlich“ – vielen Dank.
Ebenfalls in meinem Elefantengedächtnis sind die Jahre 2001 bis 2003, als zusätzlich weitere 50 Millionen c pro Jahr, insgesamt also 150 Millionen c, dem KFA entzogen worden sind. Deswegen sage ich Ihnen: Sie haben als Anwalt der Kommunen versagt. Das ist einfach lächerlich.
Meine Damen und Herren, auch die „Aktion düstere Zukunft“, über die wir an dieser Stelle schon ein paarmal gesprochen haben – was war das denn? Eine massive Belastung der Kommunen, gerade bei der Umsetzung von Hartz IV: Denn die Kommunen müssen Schuldnerberatungsstellen und Drogenberatungsstellen vorhalten, sie
müssen Arbeit in sozialen Brennpunkten machen, und sie müssen Erziehungsberatung vorhalten – alles das ohne Hilfe des Landes. Die hessischen Kommunen werden sich dafür bedanken.
Meine Damen und Herren,eines ist aber wichtig:dass dieser nach einem unwürdigen Gezerre geschlossene Kompromiss jetzt ein Erfolg wird. Ob das Optionsmodell, das Sie so sehr feiern, ein Erfolg wird, das werden wir sehen. Inzwischen gibt es Umfragen, und es ist eine Tatsache, dass 276 Landkreise und kreisfreie Städte mit der Bundesagentur für Arbeit eine Arbeitsgemeinschaft bilden wollen.117 sind unentschieden.Aus diesen Zahlen ergibt sich, dass 73 % aller künftigen Arbeitslosengeld-IIBezieherinnen und -Bezieher von den Kommunen und dem Arbeitsamt gemeinsam betreut werden.
57 Landkreise in Deutschland haben angekündigt, dass sie die Option ziehen wollen. 69 können es nach dem Kompromiss im Bundesrat sein und die Aufgabe allein übernehmen. Hessen daher als treibende Kraft für einen Kompromiss zu feiern, den die Mehrheit der Kreise und Städte in Deutschland im Prinzip ablehnt – na gut, das ist ein bisschen Überheblichkeit.
Tatsache ist aber, dass die Landesregierung durch die Chaos- und Blockadestrategie im Bundesrat wertvolle Zeit vergeudet hat.