Protokoll der Sitzung vom 14.07.2004

(Beifall bei der SPD)

Der „Spiegel“ hat diese durchsichtigen Manöver in den letzten Tagen als „Zermürbungsstrategie“ oder auch – ich habe es schon einmal gesagt – als „Operation Giftpille“ bezeichnet. Es geht und ging Ihnen nie um die Sache, sondern um Destruktion. Es ging nur darum, die Bundesregierung vorzuführen.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Die Union hat damit ganz gewiss eines erreicht: dass sich die Menschen teilweise von der Politik abwenden, weil sie es nicht verstehen können, dass wenn sich alle Parteien im Grundsatz einig sind, dass die Arbeitslosigkeit abgebaut werden muss und man Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einer einheitlichen Leistung zusammenfassen soll, man sich dann im Detail streitet und feilscht wie auf einem arabischen Teppichmarkt. Ich entschuldige mich bei den Arabern und Araberinnen für diesen Vergleich. Aber damit wird der politischen Kultur ganz massiv geschadet.

(Beifall des Abg.Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Wir sind nicht auf einem Basar, auf dem es um Teppiche, Lampen oder Gewürze geht, sondern es geht hier um Menschen, um das Schicksal von Menschen.

(Beifall bei der SPD)

Es geht um Menschen, die einen Anspruch auf Förderung haben, auf bessere Vermittlung und Unterstützung. Wie das administriert und umgesetzt wird, ist diesen Menschen relativ egal.Wichtig ist, dass es funktioniert.

Die Betroffenen haben sich seit Monaten um eine zügige Umsetzung bemüht. Kollegin Schulz-Asche hat zu Recht gesagt,in Hessen ist das zum Teil verschlafen worden oder nicht passiert – wegen Ihrer Blockadestrategie. Es gibt eine Grundsatzvereinbarung zwischen dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund und der Bundesagentur für Arbeit zum Aufbau von Job

centern, die eine gute Grundlage bilden, um Hartz IV durchzuführen. Haben Sie nicht vor zwei Jahren lauthals nach Jobcentern gerufen, in denen Arbeits- und Sozialämter zusammen arbeiten sollen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Haben Sie nicht sogar zwei oder drei oder vier dieser Jobcenter in Hessen als Modelle verkauft? War das nicht Ihre Patentlösung zum Abbau der Arbeitslosigkeit – nach diesem großen Bluff mit dem Kombilohnmodell?

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Da ist eine unglaubliche Verlogenheit in dieser Debatte.

(Beifall bei der SPD)

Sie kritisieren, der Bund habe seine Zusagen vom Dezember 2003 nicht eingehalten. Herr Kollege Boddenberg, schon in der Debatte im Mai habe ich Ihnen gesagt, die Bundesregierung hat ihre Zusagen eingehalten.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Aber ganz eindeutig. Der Bund hat seine Hausaufgaben mehr als erledigt, während Sie in Hessen sofort überlegt haben, wie Sie die Zusagen aus dem Vermittlungsausschuss umgehen können – z. B. Schlechtrechnen beim Wohngeld, das haben wir im Haushaltsausschuss gehört. Dann wurde lauthals die Streichung aller arbeitsmarktpolitischen Programme des Landes überlegt, und es wurde über die Diskriminierung von nicht optierenden Kommunen gesprochen. Da habe ich bestimmt keinen Albtraum gehabt, das waren ganz genau Ihre Überlegungen, und die waren sehr deutlich.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es)

Meine Damen und Herren, in dem CDU-Antrag loben Sie die in Hessen vorhandenen guten Strukturen. Gott sei Dank haben Sie das auch begriffen. Im Zuge der Wisconsin-Debatte hatte man nämlich den Eindruck, dass Sie auf dem Mond gelebt haben.

(Zuruf des Abg. Günther Rudolph (SPD))

Aber man muss natürlich mit aller Deutlichkeit auch sagen: Diese guten Strukturen in Hessen sind nicht Ihr Verdienst.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt sehr engagierte Kommunen. Es gibt außerordentlich gute Strukturen. Wir als rot-grüne Landesregierung haben diese Kommunen damals sehr unterstützt,

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

durch Programme wie „Arbeit statt Sozialhilfe“, „Ausbildung statt Sozialhilfe“, durch Orientierungskurse für erwerbslose Frauen usw. Was haben Sie gemacht? Die Orientierungskurse sind landesweit gestrichen worden,

(Norbert Schmitt (SPD): Skandalös!)

und ob die Landesprogramme zur Arbeitsmarktpolitik weiterlaufen, dazu haben wir bisher noch kein Wort gehört. Ich habe da einen dunklen Verdacht.

(Beifall bei der SPD)

Insofern kann man sagen: Ihr Engagement, diese guten Strukturen zu erhalten und zu unterstützen, kann man – höflich betrachtet – nur als „sehr verhalten“ bezeichnen.

Es gibt aber auch Gebietskörperschaften, die ausgesprochen wenig vorzuweisen haben. Dazu habe ich vorgestern

im Kreistag des Hochtaunuskreises ein paar ziemlich deutliche Worte gesagt.Trotzdem möchten manche Kommunen optieren,die keine besonders guten Voraussetzungen dazu haben.

(Norbert Schmitt (SPD): Zum Beispiel auch der Kreis Bergstraße – was für eine Lachnummer!)

Ich sage Ihnen, es gibt welche, die haben gute Voraussetzungen, und denen traue ich es auch zu, dass sie dieses Problem schultern. Es gibt aber auch Kommunen, die haben in der Arbeitsmarktpolitik, in der kommunalen Beschäftigungspolitik seit Jahren überhaupt nichts getan.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

So hat der Kreis Gießen ausgesprochen gute Voraussetzungen, und er hat einen einstimmigen Beschluss gefasst, eine Arbeitsgemeinschaft zu bilden.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Das Verräterische an dem CDU-Antrag ist,dass es ihm eigentlich nur ums Geld geht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Schauen wir uns ihn an. Erster Punkt: Wie können die Kosten gesenkt werden? Wie kann man das Geld vom Bund bekommen? – Erst ganz zum Schluss geht es um die betroffenen Menschen.

Ich möchte daran erinnern: Bei Hartz IV, der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe geht es n i c h t in erster Linie um Kosten-Nutzen-Analysen. Vielmehr steht im Vordergrund – und da sind Ihre Blockaden wirklich kontraproduktiv gewesen –, dass Menschen schnellstmöglich eine bessere Vermittlung und auch Förderung erhalten, wo sie Förderung benötigen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Ursula Ham- mann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, was Sie wirklich wollen, das versuchen Sie zu verschleiern. Im Endeffekt geht es – Frau Ministerin, Herr Koch, wir haben Ihr Existenzgrundlagengesetz sehr genau gelesen – nicht um die Entlastung der Kommunen, sondern um die Belastung von Menschen. Das steht dahinter. Es geht Ihnen um die Bekämpfung der Arbeitslosen, nicht der Arbeitslosigkeit. Bei Ihnen hört man immer nur „fordern“, man hört nie „fördern“.

(Beifall bei der SPD)

Wir erinnern uns noch gut an Kochs Worte, als er aus Amerika zurückkam und Hessen noch nicht richtig kannte. Da hieß es: Wer nicht arbeitet, soll nicht essen. – Da wurde von Gemeinschaftsunterkünften gesprochen und von einem sehr bescheidenen Leben mit einem Taschengeld, auf das sich die Menschen einrichten müssten. Landrat Banzer hat ebenfalls in der Presse einen sehr interessanten Satz gesagt. Auf die Frage, wie er das denn umsetzen wolle, sagte er: zunächst Arbeitsverpflichtung und anschließende Beschäftigung im Niedriglohnsektor. – Das wollen Sie.

Meine Damen und Herren, das heißt im Klartext: erst 1 c pro Stunde, anschließend Beschäftigung im Niedriglohnsektor für 3 bis 4 c. Davon kann kein Mensch leben. Das ist ein Armutszeugnis einer Wissensgesellschaft, wenn das die Perspektive für Menschen ist.

(Beifall bei der SPD)

Hartz IV will viel mehr. Das Prinzip heißt „fördern und fordern“. Beides muss zusammenkommen. Für die SPDFraktion steht Fördern an erster Stelle, vor dem Fordern. Wir sind der klaren Auffassung, dass die Zusammenarbeit von Arbeitsagentur und kommunaler Beschäftigungspolitik als Regelfall sehr gute Voraussetzungen dafür bietet, um Menschen optimal zu betreuen, weil hier die gesammelte Fachkompetenz gebündelt wird. Ich wundere mich manchmal über diese kleinräumigen Diskussionen, die inzwischen entstehen.Arbeitsmarktpolitik, Beschäftigungspolitik finden doch nicht lokal statt, sie finden regional statt – insofern im Zuge der Globalisierung große Verwunderung über manche Debatte.

(Beifall bei der SPD)

Der Regelfall einer Arbeitsgemeinschaft zwischen Kommune und Bundesagentur darf nicht durch parteipolitische Spielchen der Landesregierung konterkariert werden.Wir erwarten, dass Sie sämtliche Überlegungen einer Benachteiligung nicht optierender Kommunen beenden und das Wohngeld ungekürzt und ohne weitere Bedingungen an alle Kommunen weitergeben – ohne weitere Spielchen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)