Protokoll der Sitzung vom 14.07.2004

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir erwarten von Ihnen auch, dass Sie dem Bundeswirtschaftsminister eine Liste vorlegen, die keine Parteibuchliste der Kommunen ist, die eine Optionslösung wollen. Wir wollen ein echtes Ranking haben.Wir wollen,dass die Kommunen, die gute Voraussetzungen haben und sich die Aufgabe zutrauen, oben sind und nicht diejenigen, die ein richtiges Parteibuch haben.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Es muss auf die Vielfalt und die Qualität der bisherigen kommunalen Beschäftigungspolitik ankommen, denn darin liegt die wichtigste Voraussetzung überhaupt. Sonst ist alles zum Scheitern verurteilt.

Herr Kollege Boddenberg, ich möchte zum Schluss noch ein paar Worte zu dem sagen, was Sie vorhin an Ihren Schluss gesetzt haben. Sie sprechen immer von mehr Flexibilität. Was Sie damit meinen, ist eindeutig. Sie meinen damit: weg mit dem Kündigungsschutz, 42-, 45-, 50-Stunden-Woche ohne Zuschläge,

(Norbert Schmitt (SPD): Urlaub weg! Feiertage weg!)

Sie wollen Mehrarbeit, Sie wollen wahrscheinlich noch den Urlaub verkürzen. Wahrscheinlich nicken Sie jetzt auch. Eine Woche weniger Urlaub war in der Zeitung ein super Vorschlag. Im Prinzip steht dahinter eines, nämlich amerikanische Verhältnisse. Dazu muss man sagen: Die Leute müssen alles machen, und anschließend bekommen sie die Suppenküche.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg.Michael Bod- denberg (CDU))

Herr Boddenberg, Ihre Beschimpfung der Gewerkschaften finde ich relativ arrogant. Wer hat denn in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass Deutschland Exportweltmeister ist? – Die Gewerkschaften haben dazu beigetragen, aber ganz eindeutig.

(Beifall bei der SPD – Frank Gotthardt (CDU): In gewissem Sinn haben Sie mit der Aussage Recht!)

Ich wundere mich auch nicht über Ihre Ablenkungsdiskussion. Wer, wie diese Regierung, den höchsten Anstieg

bei der Arbeitslosigkeit in Deutschland zu verzeichnen hat und inzwischen bei 11 % angelangt ist, muss entweder unter Realitätsverlust leiden, wenn er sich hier brüstet und lobt, bzw. es ist wieder eine riesengroße Nebelwerferei. Allerdings sind darin Ihre Propagandamaschinen immer gut gerüstet. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP Herr Rentsch das Wort.

Frau Präsidentin – ich könnte auch, wie der Kollege Boddenberg, sagen: „meine Präsidentin“ –, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Zuruf und Heiterkeit)

Wer hätte gedacht, dass wir heute, im Juli 2004 schon über die konkreten Bedingungen einer Jahrhundertreform diskutieren können, die erst am 01.01.2005 starten wird? Wer hätte gedacht, dass wir diesen Erfolg einzig und allein dem Hessischen Ministerpräsidenten zu verdanken haben? Wer hätte gedacht, dass einzig und allein Rot-Grün für dieses Wunderwerk verantwortlich ist,für alle schlechten Sachen die Opposition im Deutschen Bundestag?

Um Licht ins Dunkel zu bringen, wem wir wirklich danken müssen, wer für diesen Erfolg wirklich verantwortlich ist, lassen Sie uns die wichtigsten Punkte dieser Jahrhundertreform einmal beleuchten. Am Ende des vergangenen Jahres,im Dezember,wurde im Deutschen Bundestag einstimmig unter anderem Folgendes beschlossen:

Darüber hinaus räumt das SGB II den kreisfreien Städten und Kreisen die Option ein, ab dem 1. Januar 2005 anstelle der Agenturen für Arbeit auch deren Aufgaben und damit alle Aufgaben im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende wahrzunehmen. Hierzu soll eine faire und gleichberechtigte Lösung entwickelt werden, die sicherstellt, dass die optierenden Kommunen nicht gegenüber den Agenturen für Arbeit benachteiligt werden.

Im Gegensatz zu diesem Beschluss des Bundestages ist die Bundesregierung mit ihrem vorgelegten Organleihegesetz wortbrüchig geworden.

(Beifall bei der FDP)

Frau Fuhrmann, das wird auch nicht dadurch konterkariert, dass Sie an dieser Stelle immer wieder das Gegenteil behaupten. Statt den Kommunen die Möglichkeit zu geben, in eigenständiger Trägerschaft gleichberechtigt und finanziell abgesichert das zu tun, was wir alle für richtig halten, nämlich sich vor Ort um die Menschen zu kümmern,die Arbeit suchen und wieder im Bereich Arbeit dabei sein wollen, konterkariert das vorgelegte Organleihegesetz diesen einheitlichen Beschluss des Bundestages völlig.

Aber mittlerweile ist dieses Organleihegesetz vom Tisch, und die Optionsregelung wurde geboren. Die Bundesregierung hat sich im Rahmen des Vermittlungsverfahrens auf eine so genannte Experimentierlösung verständigt und sagte, als nur 29 Kommunen experimentieren wollten, dass diese Zahl von 29 hart an der Verfassungsgrenze des Art. 106 Abs. 8 Grundgesetz läge. 29 waren also ei

gentlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Jetzt sagt die Bundesregierung, 69 Kommunen seien aber kein Problem für Art. 106 Abs. 8 Grundgesetz. Ich sage ganz ehrlich – auch als Jurist –: Das verwundert mich, dass eine Verdreifachung der Zahl mittlerweile überhaupt kein Problem mehr darstellt.

(Beifall bei der FDP)

Wenn der Hessische Ministerpräsident auf der anderen Seite als großen Erfolg feiert, dass er anfangs einmal 450 Kommunen mit dem Optionsmodell versehen wollte und mittlerweile ganze 69 ausgehandelt hat,dann freut uns das auch ein Stück. Sehr verehrter Herr Koch, bei der nächsten Landtagswahl werden Sie sich vielleicht auch lediglich mit einem Siebtel Ihrer Prozentzahl zufrieden geben. Das wären dann so ca. 7,9 % von 48,8 %.

(Beifall bei der FDP)

Ich finde, diese neue Bescheidenheit der Union in diesem Hause kann man nur beglückwünschen. Es gibt überhaupt keine Rechtfertigung für eine Zahl von 69, die mittlerweile festgelegt worden ist. Es gibt keine sachliche Begründung, warum es nicht allen Kommunen in Deutschland offen gehalten wird, ob sie diese Option ziehen wollen. Es gibt keine sachliche Begründung dafür, warum die Union einen so faulen Kompromiss als großen Erfolg abfeiert.

Der Blick ins Ausland zeigt, dass der Erfolg einer Arbeitsmarktreform genau in einer dezentralen Steuerung des Arbeitsmarktes liegt. Schauen wir nach Holland, Dänemark, Frankreich, Portugal, Spanien, Schweiz und Kanada, die mit ihrer starken Dezentralisierung große Erfolge gefeiert haben, dann ist in diesen Ländern von einer magischen Zahl 69 nichts zu lesen. Diese Zahl 69 scheint ein deutsches Spezifikum zu sein. Vielleicht könnten Sie uns noch davon überzeugen, wo gerade das Erfolgsgeheimnis der Zahl 69 sein soll, verehrte Frau Fuhrmann.

(Beifall bei der FDP)

Statt einen Wettbewerb zwischen Kommunen und Arbeitsagentur zu schaffen, und zwar um die besten Integrationsmodelle am Arbeitsmarkt, haben Sie einen Wettbewerb unter den Kommunen geschaffen, nämlich um die Möglichkeit,überhaupt optieren zu dürfen.Das hilft nicht den Menschen. Das sorgt einzig und allein für ein heilloses Chaos. In Hessen dürfen ganze fünf Kommunen bis zum 15.August ihren Antrag bei Frau Ministerin Lautenschläger einreichen. Fünf aus 15 – wir haben gelesen, 15 Kommunen sollen es sein. „Fünf aus 15“, würde man eigentlich nur beim Lotto sagen. Deshalb können wir an dieser Stelle Frau Ministerin Lautenschläger nur ein gutes Gelingen bei der Auswahl der Kommunen wünschen. Falls Sie eine Glücksfee zum Losen brauchen, denke ich, wird der Ministerpräsident gern zur Verfügung stehen und diese Aufgabe übernehmen. Ich habe mir das vorhin so vorgestellt:Vor diesem Lottoziehgerät – vielleicht auch noch Karin Tietze-Ludwig, sie könnte man sicherlich für solche Sachen noch einbauen.

(Beifall bei der FDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist aber schon länger her, Herr Kollege!)

Meine Damen und Herren, verhandelte Einsparung, also die Erhöhung der Beteiligung des Bundes an den Unterkunftskosten auf immerhin 29,1 %, und die Entlastung von 3,2 Milliarden c sind ein erfreulicher Aspekt, auch wenn weniger herausgekommen ist, als man anfangs wollte. Gerade nach der massiven Steigerung der Arbeitslosenhilfeempfängerzahlen in den ersten beiden Quarta

len des Jahres 2004 lässt sich das ursprüngliche Zahlentableau weiß Gott nicht mehr aufrechterhalten. Unserer Ansicht nach wird auch die jetzige Berechnung nicht greifen.

Der Bund geht immer noch von deutlich zu geringen Lohnkosten aus.Wir sind skeptisch, ob die Revisionsklausel, so wie sie konkret ausgestaltet ist und wie das durchgeführt werden soll, mit der geplanten zusätzlichen Entlastungssumme von 1,8 Milliarden c ausreichen wird. Ich bin mir sicher, dass hier Nachverhandlungen notwendig werden.

Der Gesetzgeber hat sich noch gedacht, er wolle es den Leuten nicht zu einfach machen,bis es zur Auszahlung des neuen Arbeitslosengelds II kommt. Mit der Reform wurde vor die Auszahlung ein richtiger Papierkrieg gesetzt. Die künftigen Empfänger werden zunächst einen 14-seitigen Vordruck ausfüllen müssen. Bei Haushalten mit mehr als fünf Personen kommen noch bis zu vier Seiten hinzu. Diese Vordrucke werden am 19. Juli 2004 an die entsprechenden Personen verschickt. Die Bundesagentur für Arbeit arbeitet heftig an dem Versenden dieser Briefe.

(Frank Gotthardt (CDU): Das klingt fast wie eine Drohung!)

Das setzt aber auch voraus, dass der Personenkreis, über den wir hier reden, diesen Brief überhaupt zur Kenntnis nimmt. Er darf also nicht zu Rechnungen gelegt oder einfach abgelegt werden. Der Brief muss beantwortet werden. Das setzt voraus, dass die Empfänger, die diesen Brief erhalten sollen, des Lesens, vorzugsweise in deutscher Sprache, kundig sind. Das setzt voraus, dass dieser Antrag letzten Endes auch zurückgeschickt wird.

Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, wird das zur Folge haben, dass vielfältige Einzelgespräche geführt werden müssen. Die Bundesagentur für Arbeit wird ein riesiges Problem damit haben, diese Daten überhaupt zu erfassen.

Die Daten müssen, nachdem sie erfasst worden sind, per Hand eingegeben werden. Denn die fast 440 verschiedenen Träger der Sozialhilfe in Deutschland sind mit unterschiedlichen EDV-Programmen ausgestattet. Das zeigt, dass das Ganze sicherlich kein einfacher Job werden wird.

(Beifall der Abg. Roland von Hunnius und Hein- rich Heidel (FDP))

Ich denke, wir sollten uns aber keine Sorgen machen. Herr Weise hat uns „Mut“ gemacht.In der „Süddeutschen Zeitung“ der letzten Woche konnte man lesen, dass er selbst keine große Hoffnung hat, dass das gelingt.

(Heiterkeit des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Ich finde, das ist eine „tolle“ Aussage des Chefs der Bundesagentur für Arbeit.

Auf der anderen Seite hat er trotzdem vorgesorgt. Er hat für 3,1 Millionen Betroffene 500 Mitarbeiter für ein Callcenter eingestellt. Wir haben das einmal durchgerechnet. Da können auf die Kolleginnen und Kollegen schon über 180 Anrufe in drei Stunden am Vormittag zukommen. Ich wünsche denen alles Gute und vor allen Dingen gute Telefonleitungen.

(Beifall bei der FDP)

All das zeigt, dass wir auch in diesem Fall, wie es schon am Ende des letzten Jahres der Fall war, konsequenterweise versuchen müssen, diese notwendige Reform unter enor

mem Zeitdruck umzusetzen. Das wollten wir eigentlich verhindern.

Jetzt hört man von Ihrer Seite, die Hessische Landesregierung sei daran schuld. Die Hessische Landesregierung sagt, die Bundesregierung sei daran schuld, weil sie zunächst nicht habe verhandeln wollen.Frau Fuhrmann,das, was Sie vorhin gesagt haben, trifft doch eigentlich den zentralen Punkt. Es geht uns eigentlich um die Menschen. Ich kann für die Redner aller drei Fraktionen, die vor mir gesprochen haben, sagen, dass das, was Sie heute hier gemacht haben,eine gegenseitige Schuldzuweisung in dieser Frage war.

(Beifall bei der FDP)

Ich bin mir sicher, dass wir das, was wir eigentlich wollten, damit nicht werden gewährleisten können. Eigentlich wollten wir eine bessere Betreuung garantieren können. Das wird uns damit nicht gelingen. Das wird selbst dann nicht gelingen, wenn bei Jugendlichen der Vermittlungsschlüssel von einem Betreuer für 75 Arbeitsuchende garantiert werden sollte. Aber da gibt es noch die Frage, ob das überhaupt gelingen wird.