Protokoll der Sitzung vom 15.07.2004

Herr Kollege Hahn, es gibt einen Referentenentwurf der Bundesjustizministerin. Dieser Referentenentwurf findet keine Mehrheit bei Rot-Grün. Deshalb reden Sie hier über etwas,das inzwischen komplett um die Ecke ist,Herr Hahn.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sie akzeptieren also den Anschlag auf die Synagoge in München?)

Hinzu kommt, dass der Referentenentwurf der Bundesjustizministerin – das hat man eben beim Kollegen Wintermeyer gesehen – eher als Erschwerung des Lauschangriffes wahrgenommen wurde, weil er nämlich die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt hat.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Was wollen denn die GRÜNEN?)

Es geht um die Frage, ob man bei Berufsgeheimnisträgern eine Ausnahme machen sollte oder nicht.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Wollt ihr einen Lauschangriff? Ja oder nein?)

Wir sagen, dass Berufsgeheimnisträger auch in Zukunft tabu sein sollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dafür wird Rot-Grün mit seiner Mehrheit sorgen.

(Zuruf von der CDU: Nicht mehr lange!)

Ganz doll wird es aber, Herr Kollege Hahn, wenn ausgerechnet die hessische FDP eine solche Aktuelle Stunde beantragt und Sie sich hierhin stellen und Herrn Baum, Frau Leutheusser-Schnarrenberger und Herrn Hirsch loben. Das wird ganz doll. Ich sage Ihnen auch, warum. Sie haben am 3. März, am Tag der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, eine Presseerklärung abgegeben, über der steht: „FDP begrüßt Klarstellung durch Karlsruhe

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ja!)

und fordert rasche Anpassung der Strafprozessordnung“. Ich möchte Ihnen einmal sagen,was Sie am 1.Juli 2003,als das nämlich von Baum, Leutheusser-Schnarrenberger und Hirsch beantragt wurde, gesagt haben.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Die wollten ihn zunächst abschaffen!)

Das ist Ihre Erklärung, Herr Hahn. Überschrift: „Beschwerdeführer über großen Lauschangriff hinken ihrer Zeit hinterher“. Sie haben erklärt: „Der Gang nach Karlsruhe, ausgerechnet durch Leutheusser-Schnarrenberger, Hirsch und Baum, hat ein Geschmäckle.“ Warum gerade dieses Thema jetzt durch einige weinerliche FDP–Mitglieder weiter geritten werde, erschließe sich nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Al-Wazir, gestatten Sie Zwischenfragen?

Nein, nicht bei 5 Minuten Redezeit.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist ja billigste Polemik!)

Insofern hat es, so glaube ich, Herr Hahn, kaum einen Beweis dafür gegeben, der so deutlich war. Sie sind ja geübt darin, zuerst etwas zu sagen, das danach selbst für Blödsinn zu erklären und es selbst zu missbilligen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Aber dass das von Ihnen selbst noch als Aktuelle Stunde beantragt wird, zeigt, wie überflüssig die FDP ist. Der Rest Ihres Freiheitsbegriffes hat sich doch nur noch im Ladenschluss kulminiert. Wenn der Ladenschluss irgendwann einmal abgeschafft ist, können Sie sich auflösen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Justizminister, Herr Staatsminister Dr.Wagner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, dass es bei aller parlamentarisch durchaus legitimen Polemik wichtig ist, dass wir uns auch einmal vergegenwärtigen, worum es im Einzelnen in der Sache geht.

(Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Es ist bereits zu Recht darauf hingewiesen worden, dass das Bundesverfassungsgericht die bisherigen Regelungen zur Wohnraumüberwachung in der Strafprozessordnung für teilweise mit der Verfassung nicht vereinbar erklärt hat.Zugleich hat es eine Frist zur Neuregelung bis zum 30. Juli 2005 gesetzt.

Jetzt hat der von der FDP und von den GRÜNEN kritisierte Entwurf des Bundesjustizministeriums im Juli diesen Jahres das Licht der Welt erblickt und ist an die einzelnen Landesjustizministerien gesandt worden – mit der ausdrücklichen Aufforderung, hierzu Stellung zu nehmen. Ich glaube, das ist ein ganz normaler Vorgang, den man auch nicht zu kritisieren hat.

Am Rande möchte ich Folgendes vermerken: Allerdings ist es schon misslich und ungewöhnlich, wenn bei einer so hochsensiblen und hochgradig politisierbaren Materie die Bundesjustizministerin einen Entwurf herausgibt, der noch nicht einmal von der Mehrheit ihrer eigenen Regierungskoalition gedeckt ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das ist ein schwerer handwerklicher Fehler. Ich hätte der Frau Bundesjustizministerin geraten,sich zunächst einmal mit den rechtspolitischen Spitzen ihrer Fraktion hierüber zu verständigen, statt sich öffentlich durch ihren Fraktionsvorsitzenden Müntefering, ihren Parteikollegen Bachmann und durch den Vertreter der GRÜNEN,Herrn Montag, zurückpfeifen zu lassen.

Aber lassen Sie mich zur Sache zurückkommen. Gegen diesen Referentenentwurf wird der Vorwurf erhoben, er wolle unter Missachtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die Überwachung von Wohnräumen ausweiten und künftig vor allem Ärzte,Anwälte und Journalisten abhören lassen.

Ich werde im Einzelnen darlegen, dass sich aus der Sicht des hessischen Justizministeriums dieser Entwurf – man kann für oder gegen ihn sein – im Rahmen unserer Verfassung und im Rahmen unserer Verfassungsrechtsprechung hält. Ein Blick in den Referentenentwurf ergibt, dass ein Ausgleich zwischen dem Wohnraumschutz einerseits und dem ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestatteten Strafverfolgungsinteresse andererseits – das kommt häufig zu kurz, und Ihnen, Frau Hofmann von der SPD, sage ich das ausdrücklich – gesucht wird. Das ist in Wirklichkeit der Kernpunkt unserer Diskussion.Auf der einen Seite steht der Schutz von Grundrechten von Bürgern und Geheimnisträgern. Auf der anderen Seite steht die Forderung mit Verfassungsrang, dass unsere Strafverfolgungsbehörden so effizient als möglich, und zwar nicht nur instrumentell, sondern auch mit entsprechenden Gesetzen ausgestattet, die Kriminalität, den Terrorismus und die internationale Kriminalität bekämpfen. Das darf in der Diskussion nicht zu kurz kommen.

Meines Erachtens handelt es sich bei dem Entwurf um eine verfassungskonforme Ausgestaltung eines sicherlich einschneidenden, aber bei schwerster Kriminalität unerlässlichen Ermittlungsinstruments. Hierbei denke ich auch an die aktuell bestehende Bedrohung durch terroristische Straftäter.

Der Katalog der Verdachtstaten wird, wie vom Bundesverfassungsgericht verlangt, auf solche Delikte beschränkt,die mit einer Höchststrafe von mehr als fünf Jahren Freiheitsentzug bedroht sind. Das ist eine Einschränkung gegenüber dem geltenden Recht. Der Referentenentwurf sieht hier also eine Einschränkung gegenüber dem geltenden Recht vor. Die Anlasstat muss künftig auch konkret im Einzelfall eine besondere Schwere aufweisen. Auch das ist gegenüber dem bisher geltenden Recht eine Einschränkung.

Als besonders schwierig erweist sich die Umsetzung des vom Bundesverfassungsgericht geforderten Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Die damit gemeinten Situationen lassen sich abstrakt sehr schwer fassen. Der Gesetzentwurf sieht den Abbruch der Überwachung und Verwertungsverbote vor, wenn der Gesprächsverlauf den Charakter einer besonderen Privatheit erhält. Ich sage Ihnen: Das ist aus Sicht der Strafverfolgungsbehörde nur sehr schwer handhabbar.

Stellen Sie sich vor, es besteht der dringende Tatverdacht, dass sich ein Terrorist in einem Wohnraum aufhält und entsprechende vorbereitende Gespräche führt. Er spricht arabisch. Jetzt soll in dem Augenblick, in dem sich dieser Terrorist über Eheprobleme unterhält, die Abhörmaßnahme sofort abgebrochen werden. Dann muss ein Dolmetscher dabei sein. Man muss in aller Nüchternheit sagen: Bei allem Respekt, den ich vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts habe, muss man doch sagen, dass das in der Praxis nicht leicht handhabbar sein wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Herr Staatsminister, ich darf Ihnen den freundschaftlichen Hinweis geben: Die zwischen den Fraktionen vereinbarte Redezeit ist abgelaufen.

Herr Präsident, vielen Dank. – Klarzustellen ist, dass bei In-Kraft-Treten dieser Regelungen die Wohnraumüberwachung erheblich eingeschränkt würde. Auch das Verfahren zur richterlichen Anordnung einer Wohnraumüberwachung würde in jedem einzelnen Fall eher schwieriger und aufwendiger werden.

Herr Kollege Hahn, die Unterstellung, mit dem Gesetzentwurf werde eine Ausweitung der Wohnraumüberwachung vorgesehen, weil er berufliche Geheimnisträger nicht verschone, wenn der Verdacht der Beteiligung an einer schweren kriminellen Tat vorliege – das ist der Punkt, den Herrn Kollege Hahn nannte –, ist so nicht richtig. Schon bisher war ausdrücklich vorgesehen, dass ein beruflicher Geheimnisträger, der zugleich Täter ist, nicht von Überwachungsmaßnahmen ausgenommen werden muss. Ich halte das, rechtsstaatlich gesehen, für völlig selbstverständlich.Wenn sich berufliche Geheimnisträger an Straftaten beteiligen, dann ist es selbstverständlich, dass der Rechtsstaat einzuschreiten hat.

Der Entwurf sieht ein absolutes Verbot der Überwachung von Gesprächen mit Strafverteidigern und Geistlichen vor, soweit sie selbst nicht an der Tat beteiligt sind. Auch das stellt eine rechtsstaatlich notwendige und korrekte Einschränkung dar. Nur wenn sich ein Rechtsanwalt oder Pfarrer außerhalb unserer Rechtsordnung stellt, also selbst einer Straftat verdächtigt wird, kommt bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Abhörmaßnahme in Betracht. Bei anderen beruflichen Geheimnisträgern ist dieser Schutz weniger kategorisch ausgelegt. Genau das ist der Punkt des Herrn Kollegen Hahn. Der Entwurf verlangt hier eine Abwägung des Interesses an der Strafverfolgung unter besonderer Beachtung der Verhältnismäßigkeit.

Ich will hier noch einmal sagen: Herr Kollege Hahn, auch für die aus dieser Gruppe infrage kommenden Täter sieht der Entwurf als absolute Voraussetzung vor, dass zumindest die abstrakte Androhung einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren besteht und die besondere Schwere der Tat gegeben ist. In jedem einzelnen Fall muss dann auch noch unter den konkreten Bedingungen abgewogen werden, ob dies verhältnismäßig ist. Dann erst entscheidet der unabhängig urteilende Richter – und kein anderer.

Zugegebenermaßen unterscheidet sich hier der Entwurf von der bisher bestehenden Regelung. Aber die Unter

scheidung zwischen Priestern und Strafverteidigern einerseits und den übrigen beruflichen Geheimnisträgern andererseits hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe unmittelbar vorgegeben. Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht in einer früheren Entscheidung bereits festgestellt hatte,dass ein genereller Vorrang des Schutzes der Informationsquellen von Journalisten gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse nicht besteht.

Meine Damen und Herren, dazu gibt es eine ganz berühmte Entscheidung, die nicht nur die Juristen zur Kenntnis genommen haben. Ich darf daran erinnern:Ausgangspunkt dieser Entscheidung waren Überwachungsmaßnahmen, die im Bereich der Telekommunikation durchgeführt wurden. Damit wollte die Staatsanwaltschaft den Aufenthaltsort eines im Immobiliengeschäft bekannt gewordenen Bankrotteurs ermitteln. Das Bundesverfassungsgericht hat die auf zwei Journalisten gerichteten Maßnahmen auch vor dem Hintergrund der Pressefreiheit ausdrücklich gebilligt.

Am Beispiel von Presse und Rundfunk wird damit klargestellt, dass es eines Überwachungsverbots ohne Schranken hinsichtlich der Kommunikation von Journalisten gerade nicht bedarf. Das sagte das Bundesverfassungsgericht. Vielmehr sei eine Abwägung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen. Ich referiere hier lediglich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Nichts anderes sieht der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vor. Priester und Verteidiger werden aufgrund der unmittelbaren Nähe zum geschützten Kernbereich generell, die übrigen beruflichen Geheimnisträger in den Grenzen einer auf den Ernstfall bezogenen Abwägung der Verhältnismäßigkeit von der Überwachung ausgenommen.

Lassen Sie mich bitte noch Folgendes hinzufügen, damit wir uns auch über die Quantität dieses sicherlich bestehenden staats- und verfassungsrechtlichen Problems im Klaren sind. In Hessen werden in diesem Rahmen pro Jahr etwa zwei bis drei Abhörmaßnahmen vorgenommen. Es gibt also zwei bis drei Wohnraumüberwachungen pro Jahr. Ich meine, das sollte man wissen.

Der Vorwurf der Missachtung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, wenn er denn erhoben würde – er ist hier nicht erhoben worden –, ist unberechtigt. Vielmehr stellen die Vorschläge einen ausgewogenen Kompromiss dar, der sowohl den Schutz der Privatsphäre als auch das Interesse an der Strafverfolgung in einen angemessenen Ausgleich bringt.

Ich bedauere aber nach wie vor das Durcheinander,das es bei Rot-Grün in Berlin dazu gibt. Ich habe das eingangs schon erwähnt. Ich sage das auch noch einmal zum Schluss meiner Rede.