Protokoll der Sitzung vom 15.07.2004

(Beifall bei der SDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Frau Zypries ist aus der SPD ausgetreten! – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wir Sozialdemokraten treten dafür ein, dass die Strafverfolgung des Staates so effektiv wie möglich ausgestaltet werden kann, d. h., dass die Strafverfolgung des Staates technischen Neuerungen in der Telekommunikationsentwicklung standhalten kann, ohne dass dabei die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ausgehöhlt werden. Deswegen sind wir für eine sensible rechtsstaatliche Überprüfung moderner Techniken, z. B. bei der Standortpeilung von Mobilfunktelefonen, der Erstellung von Bewegungsmeldern oder stillen SMS.

Für uns ist die Telekommunikationsüberwachung ein erfolgreiches Mittel, um kriminelle Organisationsstrukturen aufzudecken oder neue Ermittlungsansätze zu finden. Wir halten es aber für völlig deplatziert, wenn die hessische CDU – gerade im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum großen Lauschangriff und wenn man sich die Zahlen der Telekommunikationsüberwachung der letzten Jahre anguckt – die Telekommunikationsüberwachung ausweiten will. Das halten wir in der jetzigen Debatte für politisch völlig deplatziert.

(Beifall bei der SDP)

Herr Wagner, Sie werden wahrscheinlich gleich einwenden: Frau Hofmann, die Überwachungsdichte hat überhaupt nicht zugenommen, und außerdem liegen wir im internationalen Vergleich im Mittelfeld. – Faktum ist, dass die Zahl der Telefonüberwachungen viel zu hoch ist. Wir als Sozialdemokraten treten für ein effektives und auf das Notwendigste begrenzte Abhören von Telefonen ein, sind aber strikt gegen einen Überwachungsstaat à la CDU. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SDP)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Wintermeyer, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Boddenberg, auch von mir herzliche Glückwünsche zum Geburtstag.

Was hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung Ende März gemacht? – Es hat Unsicherheit geschaffen.

(Lachen des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Was hat Frau Zypries gemacht? – Sie hat die Unsicherheit noch verstärkt.

(Beifall bei der CDU)

Das Abhören von Schwerkriminellen oder gar terroristisch Verdächtigen ist erwiesenermaßen eine erfolgreiche Form der Verbrechensbekämpfung.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen werden wir auch in Zukunft zu Abwehrmaßnahmen greifen müssen. Dies steht für uns als CDU-Fraktion außer Frage.Wir lassen uns nicht unterstellen,wir wären für einen Überwachungsstaat. Der Staat hat sich mit

allen ihm zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln zu schützen. Er greift nicht an, sondern der Staat verteidigt sich.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist es schon falsch, vom „großen Lauschangriff“ zu sprechen.Selbstverständlich bleibt jeder Eingriff durch eine staatliche Überwachungsmaßnahme die Ausnahme und muss mit verfassungsgemäß garantierten Rechtsgütern ständig abgewogen werden. Meine Damen und Herren, darüber lohnt sich sicher der Streit.Aber das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung den Kernbereich privater Lebensführung für tabu erklärt. Ich halte das – ich stehe mit meiner Auffassung nicht allein – nicht für sehr richtig, weil:Was ist der Kernbereich privater Lebensführung? Wo beginnt er, und wo endet er? – Hierauf gibt das Bundesverfassungsgerichtsurteil keine Antwort.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Zum Beispiel das Verteidigergespräch!)

Soll eine Abhörmaßnahme zukünftig enden,wenn ein terrorverdächtiges Ehepaar seine folgenschwere Planung statt in der Küche nun im Schlafzimmer bespricht? – Wer glaubt, dass Kriminelle Privates und ihre Tatplanungen sauber trennen, der denkt doch lebensfremd.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Hierzu ist die Antwort der rot-grünen Bundesministerin chaotisch und dilettantisch. Zwar deutet der von Bundesjustizministerin Zypries vorgeschlagene Gesetzentwurf ausnahmsweise den richtigen Weg. Aber die Ausführung bzw. die Umsetzung ist wieder einmal politisch wie inhaltlich dilettantisch. Rot-Grün hat Frau Zypries im Regen stehen lassen.

(Lachen des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie reiht sich damit in die Reihe von Ministern wie Clement und Stolpe ein, die von ihren Fraktionen ebenfalls nicht mehr getragen werden. Nach dem Mautdebakel wird es jetzt das Lauschdebakel geben.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Zypries hat wieder einmal dem Rechtsstaat ein Bärendienst erwiesen, weil es ihr nicht gelungen ist, auf die Notwendigkeit einer zeitnahen und vom Bundesverfassungsgericht geforderten Regelung hinzuwirken. Sie hat sogar den Eindruck entstehen lassen, so genannte Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Anwälte, Pfarrer und Juristen sollten ungehindert belauscht werden können.

Herr Kollege Wintermeyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – Da wird den Kritikern notwendiger akustischer Überwachungsmaßnahmen Nahrung gegeben, auch wenn es nur nicht verdauliche elektronische Wanzen sind.

Herr Wintermeyer, darf ich Sie noch einmal unterbrechen, weil uns jetzt die Kinder der Kindertagesstätte auf

der Besuchertribüne verlassen? – Alles Gute. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Kommt bald wieder.

(Allgemeiner Beifall)

Bitte sehr.

Das Vertrauensverhältnis zu und die Schweigepflicht von Ärzten, Anwälten und Journalisten sind hohe Güter, die es weiterhin zu schützen gilt. Aber wer sich aus diesem Berufsgrund klar außerhalb unserer Rechtsordnung stellt und im Begriff ist, eine schwere Straftat zu planen, zu begehen oder sich daran zu beteiligen, muss wie jeder andere Bürger in unserem Lande mit entsprechend präventiver Strafverfolgung rechnen.

(Beifall des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Es bleibt festzustellen: Frau Zypries hat versucht, die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates gegenüber Schwerstkriminellen zu regeln und Rechtssicherheit zu schaffen.Sie ist kläglich damit gescheitert,weil keiner verstanden hat, was sie wirklich wollte. Sogar ihre eigene Fraktion hat ihr den Teppich unter den Füßen weggezogen. Das ist ein weiterer Beweis für die Unfähigkeit von Rot-Grün.

(Beifall bei der CDU)

Polizei und Staatsanwaltschaft wissen weiterhin nicht, welche Abwehrmaßnahmen zulässig sind. Von Rechtssicherheit in der Bundesrepublik gibt es keine Spur.

Lassen Sie mich abschließend zusammenfassen: Ein gesundes staatliches Verfolgungsmonopol braucht nicht nur eine neue Justizministerin, sondern auch angemessene Instrumente zu seiner Verteidigung. Der Staat ist und bleibt in wenigen Einzelfällen unter Abwägung fassungsrechtlicher Vorgaben auf verfassungsschützende Abhörmaßnahmen angewiesen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. An die Adresse der Bundesregierung sage ich: Ausnahmsweise gut gedacht, aber wie immer schlecht gemacht.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Wintermeyer. – Das Wort hat Kollege Al-Wazir, Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns ist klar, dass es in der Mediendemokratie immer weniger auf die Sache ankommt.

(Zurufe und Lachen bei der CDU)

Aber einige Zahlen helfen weiter. Von 1998 bis 2001 gab es bundesweit 87 Ermittlungsverfahren, in denen in 96 Wohnungen Lauschangriffe durchgeführt wurden. Das ist sehr, sehr wenig, verglichen mit der Größe der Diskussion, die vorher geführt wurde. In 57 % der Fälle brachten diese Ermittlungsverfahren überhaupt keine Ergebnisse. Deswegen stelle ich auch hier die Frage,ob es wirklich nötig war, einen Grundgesetzartikel für ein Instrument auszuhöhlen, das in der Praxis kaum eine Rolle spielt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Im März gab es ein Verfassungsgerichtsurteil, das in bestimmten Bereichen festgelegt hat, dass es Einschränkungen geben muss.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Was ist mit dem Anschlag auf die Synagoge in München? Wollten Sie das riskieren?)

Der Referentenentwurf der Justizministerin – –

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Herr Hahn, Sie plärren heute Morgen, weil Sie einer derjenigen sind, die am Bahnsteig stehen, obwohl der Zug schon abgefahren ist. Deswegen müssen Sie umso lauter plärren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Reden wir einmal zur Sache! Was ist mit dem Anschlag auf die Synagoge in München?)

Herr Kollege Hahn, es gibt einen Referentenentwurf der Bundesjustizministerin. Dieser Referentenentwurf findet keine Mehrheit bei Rot-Grün. Deshalb reden Sie hier über etwas,das inzwischen komplett um die Ecke ist,Herr Hahn.