Protokoll der Sitzung vom 14.09.2004

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Dreigliedriges Schulsystem!)

Meine Damen und Herren, Maßnahmen zur Erhöhung der Bildungsqualität müssen sich daran messen lassen, ob sie diesen verhängnisvollen Zusammenhang aufbrechen können und ob sie in der Lage sind, für eine Förderkultur in den Schulen zu sorgen, die keinen und keine zurücklässt und alle Talente unserer Kinder sich entwickeln lässt. Hier muss man den Mut haben, zugunsten besserer Lernerfolge für alle die überkommene Schulstruktur infrage zu stellen.

Frau Kollegin, gestatten Sie Zwischenfragen?

(Heike Habermann (SPD): Frau Wagner hat eine Zwischenfrage, bitte!)

Bitte schön, Frau Wagner.

Frau Kollegin, ist Ihnen eigentlich klar, dass die 15jährigen Schüler, die in Deutschland und in Hessen mit den PISA-Methoden getestet wurden,zehn Jahre lang in einer Schule waren, die von Ihrer Politik gemeinsam mit den GRÜNEN bestimmt war?

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD: Oh!)

Frau Wagner, klare Frage, klare Antwort: Das ist mir klar. Aber wir sind im Moment in der Lage, aus den Ergebnissen etwas zu lernen und Konsequenzen zu ziehen, während diese Landesregierung das nicht kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP):Sie haben nicht einmal die Änderungen bemerkt, die wir umgesetzt haben!)

Ich will noch einmal Herrn Dr. Schleicher zitieren, den Frau Wolff vorhin in einer meines Erachtens sehr unangemessenen Weise kritisiert hat. Herr Schleicher hat eine Debatte über grundlegende Umstrukturierungen des Bildungssystems angemahnt,

(Lebhafte Zurufe der Abg. Ruth Wagner (Darm- stadt) (FDP))

weil das deutsche Bildungssystem im internationalen Vergleich immer weiter zurückfällt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): Über Herrn Schleicher ist doch alles gesagt worden, Frau Kollegin!)

Frau Wagner, das ist unser gemeinsames Problem. Das ist ein Problem, an dem wir gemeinsam arbeiten sollten.Wir sollten uns nicht alte Ideologien an den Kopf werfen.

(Zurufe von der SPD: Jawohl! – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Die haben Sie doch!)

Frau Wolff, Sie dagegen halten an dem Irrglauben fest, Sie könnten durch Selektion Leistung und Leistungsbereitschaft erhöhen. Sie sorgen mit Ihrer Schulpolitik dafür, dass Motivation und Freude am Lernen frühzeitig zerstört werden. Durch die Ausweitung der Querversetzung erhöhen Sie Versagensängste bei Kindern und Eltern. Dabei werden die Zweifel an der pädagogischen Wirksamkeit von Zurückstellungen, Abstufungen und Nichtversetzungen bei den Fachleuten immer stärker. In Hessen muss heute schon ein Viertel der Schüler eine Klasse wiederholen. Die Ressourcen und Lehrerstunden, die dafür aufgewendet werden, könnten sinnvoller und für den Bildungsweg eines Kindes positiver für eine bessere individuelle Förderung innerhalb der Klasse aufgewendet werden.

(Beifall bei der SPD)

Frau Wolff,ich will ein paar Sätze über die Einführung des verkürzten gymnasialen Bildungsganges sagen. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir eine Verkürzung der Schulzeit dann ins Auge fassen können, wenn auch das Gesamtsystem der Bildung dabei reformiert wird.Was Sie allerdings tun, ist: Sie greifen eine Einzelmaßnahme heraus. Sie führen ein Modell durch, das die Durchlässigkeit an unseren Schulen komplett aufhebt. Da sind wir nicht dabei.

(Beifall bei der SPD)

Mit diesem Modell der verkürzten Gymnasialzeit tragen Sie ein Weiteres dazu bei, mehr Schulversager zu produzieren. Ihre Ideologie lässt es nicht zu, einen Gedanken daran zu verschwenden, wie wir mehr Schülerinnen und Schüler zu höheren Bildungsabschlüssen führen können. Ansonsten würden Sie nicht dafür sorgen, dass die Hürden für Bildungserfolg immer höher gelegt werden und gleichzeitig die verschiedenen Schulformen gegeneinander abgeschottet werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die von PISA geforderte Durchlässigkeit bleibt spätestens mit In-Kraft-Treten des neuen Hessischen Schulgesetzes komplett auf der Strecke, geopfert einer Bildungspolitik, die vor den Anforderungen an ein modernes, zukunftsfähiges Bildungssystem die Augen verschließt. Ihr Ziel ist nicht die optimale Förderung aller, sondern die Perfektionierung der Auslese.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, vertan wird auch die Chance, verändertes Lernen und eine intensivere Förderkultur in neuen Ganztagsschulen umzusetzen. Schulen auf dem Weg zur Ganztagsschule werden hingehalten und abgeblockt. Unsicherheiten über die bestehende Gesetzeslage und die Gültigkeit der Richtlinien, formale Hürden bei der Antragsstellung und die Forderung, Schulen müssten sich erst in einer Art Bewährungsaufstieg verdienen, um Ganztagsschulen mit neuer Konzeption zu werden, haben bisher erfolgreich verhindert, dass die Zahl der Anträge auf Einrichtung einer Ganztagsschule in gebundener Form ansteigt. Frau Kultusministerin, die Schulen haben bemerkt, dass Sie keine Ganztagsschulkonzeption haben und auch keine wollen.

(Beifall bei der SPD)

Daraus aber zu schließen, es sei kein Bedarf vorhanden, halte ich für eine Unverfrorenheit. Frau Kultusministerin, dass Sie nicht auf die Opposition hören wollen, mag man Ihnen noch als mildernde Umstände anrechnen. Dass Sie die gemeinsame Kritik von Eltern, Lehrern und Schülerschaft nicht ernst nehmen, zeigt, wie weit Sie sich schon von der Realität in den Schulen entfernt haben.

(Beifall bei der SPD)

Übrigens hat es noch nicht einmal Hartmut Holzapfel geschafft, durch seine Schulpolitik eine kritische Allianz zwischen Landeselternbeirat, Philologenverband und Landesschülerrat zu schmieden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe des Ministerpräsidenten Roland Koch und der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Frau Wolff, dieser Ruhm bleibt Ihnen, auch wenn ich der Zeitung entnehmen konnte, dass der Landeselternbeirat innerhalb von drei Tagen seine Position aus mir unerklärlichen Gründen gewechselt hat.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Auch das war schon immer so!)

Frau Wolff, dass Sie aber die immer lauter werdenden Warnungen von wissenschaftlichen Bildungsexperten in den Wind schlagen, zeugt schlicht von Ignoranz.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Hören Sie endlich auf, Schulen in Hessen zum Experimentierfeld Ihrer ideologischen Irrtümer zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Demonstrati- ver Beifall der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP) – Widerspruch bei der CDU – Zurufe von der CDU: Unglaublich!)

Es ist bedauerlich, dass man die Paragraphen Ihres eigenen Gesetzeswerkes nicht auf die Hessische Landesregierung anwenden kann.

(Horst Klee (CDU): Das ist der Hammer des Tages!)

Denn bei Ihrer Querversetzung in die Opposition hätte die Bildung in Hessen wieder bessere Chancen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Habermann. – Wir dürfen zum ersten Mal eine Kurzintervention erleben. Herr Irmer, Sie haben das Wort. Sie haben zwei Minuten Redezeit.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte das Instrument der Kurzintervention nutzen, um auf den gröbsten Unfug in der gebotenen Kürze einzugehen. Das kann so nicht stehen bleiben.

(Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Frau Kollegin, Sie haben gesagt, es seien 1.000 Stellen gestrichen worden. Ich stelle fest, es sind derzeit 300 Stellen zusätzlich im System. Im Übrigen ist nicht die Zahl der Stellen entscheidend, sondern die Zahl der gehaltenen Unterrichtsstunden. Die ist größer als unter Ihrer Regierungszeit.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Im Übrigen würde mich die Antwort auf die Frage interessieren, was Sie dazu beigetragen haben, zu verhindern, dass zwischen 1995 und 1999 500 Lehrerstellen gestrichen worden sind.

(Michael Siebel (SPD): Herr Kollege, Sie entehren das Instrument der Intervention!)

Warum haben Sie 500 Stellen gestrichen, obwohl die Schülerzahlen gestiegen sind? Diese Frage müssen Sie beantworten, nicht wir. Wir haben die Konsequenzen gezogen und entsprechend mehr Lehrer eingestellt.

(Zurufe von der SPD)

Wir haben eine Unterrichtsgarantie gegeben. Sie waren noch nicht einmal in der Lage, das Wort auch nur in den Mund zu nehmen, geschweige denn, es zu schreiben. Wir können uns das leisten, weil wir die Unterrichtsgarantie umgesetzt haben. Das werde ich nachher entsprechend darstellen.

(Zurufe von der SPD)

Sie haben gesagt, die Klassen würden immer voller. Das ärgert mich. Sie sagen nämlich bewusst die Unwahrheit.