Damit ist die Regierungserklärung abgegeben. Ich eröffne die Aussprache und erteile dazu Frau Abg. Habermann für die Fraktion der SPD das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kultusministerin, ich gönne Ihnen, dass Sie heute entspannt ans Rednerpult treten konnten. Nichtsdestotrotz wirkte diese Regierungserklärung eher wie Pflicht, denn wie Kür.
Ich fange einmal mit der positiven Botschaft an, die Sie uns zu Anfang verkündet haben, denn ich denke, dass dazu auch etwas gesagt werden muss. Sie werden im nächsten Jahr 290 Stellen schaffen. Sie geben damit heute bekannt: Die „Operation sichere Zukunft“ ist damit gescheitert. – Im vergangenen Jahr haben Sie 1.000 Stellen gestrichen und uns erklärt, alles, was an den Schulen an Unterricht zu leisten sei, sei durch den Produktivitätsgewinn abgedeckt. Jetzt mussten Sie feststellen, dass dem nicht so ist, und greifen zu hektischen Maßnahmen – die wir allerdings auch begrüßen, das sage ich dazu.
Unter dem Strich bleiben 710 Stellen, die die Schulen weniger haben. Unter dem Strich bleibt, trotz all dem, was Sie uns heute erzählt haben,eine Verschlechterung an den hessischen Schulen.
(Beifall bei der SPD – Frank Gotthardt (CDU):Wie viele Stunden fehlen denn? Sie haben es bestimmt ausgerechnet!)
Frau Ministerin, ansonsten war die Botschaft Ihrer Regierungserklärung nicht neu. Sie haben von Jahr zu Jahr weniger Aussicht, im Lande ernst genommen zu werden. In monotoner Regelmäßigkeit setzen Sie Meldungen über die Umsetzung der Unterrichtsgarantie und die Verbesserung der Bildungsqualität ab, obwohl die Realität an den hessischen Schulen Ihren Ankündigungen diametral widerspricht.
So stoßen die alljährlich verlautenden Erfolgsmeldungen zum Schuljahresbeginn auch bei wohl gesonnenen Journalisten auf immer größere Skepsis.
Man bemerkt die Schönfärberei und die Klimmzüge am Rechenschieber und ist verstimmt.Frau Wolff,Sie sind die erste Ministerin, die die Unterrichtsgarantie versprochen hat und deren Umsetzung zu Schuljahresbeginn mit stolzgeschwellter Brust als Sondermaßnahme bezeichnet.
Im letzten Jahr wurde der Anstieg der Schülerzahlen um 8.000 Kinder und Jugendliche ohne Sondermaßnahmen bewältigt. In diesem Jahr werden über 7.000 zusätzliche Schüler an den allgemein bildenden Schulen und 2.000 an den beruflichen Schulen als unvorhersehbare, überplanmäßige Ausgabe behandelt, obwohl der Mangel an Lehrstellen ebenso ein sicheres Kriterium für zusätzliche Schüler war wie die demographische Entwicklung in den Ballungsräumen.
Statt für dieses Jahr und die kommenden Jahre mit entsprechenden Mitteln und Neueinstellungen rechtzeitig Vorsorge zu treffen, mussten Sie jetzt hektisch gegensteuern. Dabei haben Sie zwar im letzten Moment die Kurve gekriegt und den Totalschaden vermieden,
aber angesichts der absehbaren Folgen löst die angekündigte Erfüllung der Unterrichtsgarantie nur noch verständnisloses Kopfschütteln aus.
Frau Ministerin, ich verantworte den Umgang mit den offiziellen Zahlen des Kultusministeriums gerne. Der Zuweisungserlass, der den Staatlichen Schulämtern im Mai ins Haus flatterte, sprach eine deutlich andere Sprache. Die ständige Betonung seiner Vorläufigkeit ändert nichts daran, dass dieses Zahlenwerk den Leitern der Staatlichen Schulämter bereits im Vorfeld des zu erwartenden Desasters die Schweißperlen auf die Stirn trieb.
2.200 fehlende Lehrerstellen sind hier schwarz auf weiß nachzulesen. Ihre Sondermaßnahme und Ihre Einstellungen im kommenden Jahr vermögen folgerichtig nichts an der strukturellen Unterversorgung der hessischen Schulen zu ändern, sie vermögen nichts an der Tatsache zu ändern, dass hessische Lehrerzimmer immer leerer und dafür die Klassenzimmer immer voller werden.
Herr Ministerpräsident, ich freue mich sehr, dass Sie Interesse an meiner Rede haben, aber die ständigen Zwischenrufe sind störend.
Frau Ministerin, Ihr Sonderprogramm ist lediglich eine Notmaßnahme zum Stopfen der größten Löcher gewesen. Mit dem Streichen von 1.000 Stellen in diesem Jahr haben Sie die Chance verpasst, junge Lehrkräfte an die hessischen Schulen zu binden.
Ob die BAT-Stellen besonders in Mangelfächern überhaupt besetzt werden können, ob die Lehrkräfte nicht, wie schon in einigen Fällen geschehen, kurzfristig in ein benachbartes Bundesland ausweichen, weil ihnen dort eine feste Anstellung geboten wird,ob die 500 Lehrkräfte, die größtenteils einen Arbeitsvertrag bis Februar haben, bis zum Ende dieses Schuljahres weiterbeschäftigt werden können – all diese Fragezeichen verringern die Halbwertszeit Ihrer Versprechungen zur Unterrichtsversorgung.
Wir haben jetzt ein neues Schulgesetz ins Haus stehen,bei dem man zunächst feststellt, dass Sie mit der Abschaffung der Berufsschulpflicht einen Teil der Lasten abwälzen wollen.So entlarvt sich diese Änderung im Schulgesetz als reine Sparmaßnahme und Verantwortungslosigkeit ge
„Stärkung der Hauptschule und ihrer Schulabgänger“ lautet darauf die Antwort des Kultusministeriums. Im ersten so genannten Qualitätssicherungsgesetz wurde neben dem Hauptschulabschluss der qualifizierende Hauptschulabschluss eingeführt. Die Kultusministerin kündigte damals an, dies werde für viele Hauptschulabgänger zu besseren Berufs- und Ausbildungschancen führen – ein Meilenstein der Qualitätsentwicklung.
Jetzt wird dieser Meilenstein stillschweigend wieder aus diesem Gesetz entfernt. Er habe nicht zu besseren Vermittlungschancen für die Jugendlichen geführt. – Dies hat nicht nur die SPD-Fraktion bereits im Jahr 2000 gesagt.
Jetzt sollen es zentrale Abschlussprüfungen richten. Warum der Erwerb eines zentralen Abschlusses in Hauptund Realschulen dessen Wertigkeit bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz verbessern soll, bleibt allerdings Ihr Geheimnis. Frau Kultusministerin, es verdeutlicht aber, dass Ihr Verständnis von Qualitätsentwicklung bei der Einführung von Vergleichstests und Prüfungen stecken bleibt. Ebenso im Dunklen bleibt der Zusammenhang zwischen Vergleichstests in der Grundschule und einer besseren Förderung der Grundschulkinder.Sie sorgen lediglich dafür, dass der Prozess des Selektierens nach der Klasse 4 scheinbar objektivierbar gestaltet werden kann.
Instrumente zur Leistungsmessung können Hinweise für notwendige Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung geben. Sie verbessern aber nicht per se die Qualität unserer Schulen und unserer Schulabschlüsse.
Ein unvergessener Kultusminister dieses Landes hat es einmal auf die Formel gebracht:Eine Kuh wird durch häufiges Wiegen nicht fetter.
Nur wenn die Einführung von Bildungsstandards, Evaluation und Selbstverantwortung der Schulen gleichzeitig auf den Weg gebracht werden, kann ein System der Qualitätsentwicklung erfolgreich arbeiten. Nur dann haben alle Schulen die gleiche Chance, sich zu guten Schulen zu entwickeln. Sie können am besten beurteilen, welche Konsequenzen aus Testergebnissen und Evaluationsprozessen zu ziehen sind, um jeden Ihrer Schüler voranzubringen.
Da die Schulen es am besten beurteilen können, müssen sie auch entscheiden können – entscheiden über den Mitteleinsatz, über den Einsatz personeller Ressourcen, über Arbeitstechniken, Fördermaßnahmen und über den Weg zum Erreichen von Bildungsstandards.
Frau Kultusministerin, schicken Sie die Schulen doch auf diesen Weg. Entwickeln Sie gemeinsam mit den Schulträgern einen Zeit- und Umsetzungsplan zur Zusammenführung der Budgets. Geben Sie den Rahmen zur Kooperation mit freien Trägern,Vereinen und Verbänden als wertvollen Partnern einer eigenverantwortlichen Schule.
Meine Damen und Herren, dieses Beispiel verdeutlicht das Flickwerk, das Sie uns mit dem neuen Schulgesetzentwurf und mit den bereits beschlossenen Maßnahmen vorlegen.Sie haben nicht den Mut oder nicht die Einsicht,die
notwendigen Konsequenzen aus PISA zu ziehen. Wo Strukturveränderungen unseres Bildungssystems von Anfang an notwendig wären, setzen Sie auf Kosmetik und treffen Entscheidungen, die unser Schulsystem noch starrer und noch unbeweglicher machen.
„Auf den Anfang kommt es an“, hat PISA uns ins Stammbuch geschrieben. Hier ist die Tatenlosigkeit der Landesregierung ernüchternd. Der Bildungs- und Erziehungsplan für Null- bis Zehnjährige existiert seit Jahren nur als wiederholte Ankündigung in den Medien. Auch wenn er in diesem Jahr vorgelegt werden soll, ist zu befürchten, dass dieses Kultusministerium nicht die Kraft hat, ein klares Bekenntnis zum Kindergarten als Bildungseinrichtung abzulegen. Die Kooperation mit den Grundschulen bleibt beliebig, der dringend notwendige Diskurs über eine Aufwertung der Erzieherausbildung wird vermieden.
Kindertagesstätten bleiben im Spannungsfeld zwischen Sozialpolitik und Bildungspolitik stecken. Der Bildungsund Erziehungsplan verkommt zu einer Demonstration, mit der sich Sozial- und Kultusministerium gleichermaßen schmücken wollen.
Meine Damen und Herren, PISA hat eindrucksvoll aufgedeckt,wo unser Schulsystem versagt.Der Versuch,nicht durch Forderung, sondern durch Selektion möglichst homogene Gruppen zu erreichen,
(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ihr Wahrnehmungsvermögen ist selektiv! Sie haben PISA nicht verstanden! So ein Unsinn!)
Vielmehr werden dadurch ungleiche Startchancen zementiert, mit dem Ergebnis, dass in keinem vergleichbaren Land der OECD die Abhängigkeit des Bildungserfolges eines Kindes vom sozialen Status der Eltern höher ist als bei uns.