Protokoll der Sitzung vom 14.09.2004

Zur Nachsteuerung und Feinsteuerung stehen den Schulämtern in diesem Jahr Einstellungsmöglichkeiten im BAT-Bereich in einer Größenordnung von 500 Stellen zur Verfügung. Diese Einstellungen haben stattgefunden. Dies wird ermöglicht durch rund 10 Millionen €, die die Landesregierung über die zugewiesenen Stellen und zugewiesenen Mittel hinaus bewilligt hat, um auch bei der steigenden Schüler- und Klassenzahl die Unterrichtsversorgung sicherzustellen. Diese Lehrkräfte haben wir nicht für Vertretungsunterricht eingestellt, sondern für den überplanmäßigen Unterrichtsbedarf sind sie beschäftigt worden.

(Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, was die Vertretungsmittel angeht, so will ich auch darauf verweisen, dass der Hauptvertretungsgrund weniger die Erkrankung ist, sondern der Hauptvertretungsgrund sind die Elternzeiten, die mehr als die Hälfte der zu vertretenden Stellen betrifft. Das muss hier deutlich gesagt werden: Die Freude über jede zusätzlich eingestellte junge Lehrkraft führt in deutlichem Umfang zur Freude über jedes Zeichen gegen den demographischen Wandel. Wenn wir uns darüber freuen, dann müssen wir es den Eltern auch erklären, die sich darüber beklagen, dass wir mit den Konsequenzen vergnügt umgehen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Im Übrigen – ich habe gesagt, dass ich darauf zurückkomme – wird der Stellenabgang innerhalb der „Operation sichere Zukunft“ durch die höhere Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräfte ausgeglichen.Aber auch dies ist zum einen ein Aderlass, der wehgetan hat, sosehr er notwendig ist und bleibt, und er hat zu Verschiebungen im Lande und auch zu Versetzungen geführt. Dennoch bleibt es noch vor der Zuweisung der zusätzlichen 500 Stellen dieselbe Stundenzahl wie im vorherigen Schuljahr.Außerdem konnten in diesem Schuljahr 400 junge Lehrkräfte als Beamte eingestellt werden. Dazu haben wir im BATBereich über 2.000 Einstellungen vorgenommen. 2.000 junge Menschen haben einen Vertrag bekommen. Das ist so wenig nicht.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber nicht genug! Die Unterrichtsgarantie ist nicht eingelöst!)

Von der Schülerzahl her betrachtet sind im Schuljahr 2004/05 allein in den allgemein bildenden Schulen mehr als 7.000 Schülerinnen und Schüler mehr zu erwarten gewesen. Die Gesamtzahl klettert damit von 666.000 auf 673.000. Statistisch nur bedingt zu greifen ist dabei die Zahl derjenigen, die in den letzten drei Jahren den Weg in den Ausbildungsplatz nicht gefunden haben und in der Schule parken müssen. Dies wäre aber die tatsächliche Zahl, die anzulegen wäre, wenn man die Abfederungsleistung des Ministeriums, der Schulämter und der Schulen benennen und richtig würdigen wollte.

Deswegen ist auch die andere Zahl nur in Verbindung mit der ersten zu sehen, weil sie scheinbar niedrig ist. Im beruflichen Bereich erwarten wir diesmal ein Plus von 1.500 bis 2.500 Schülerinnen und Schülern. Ich verweise dabei auch darauf, dass diese Schülerinnen und Schüler im Vollzeitbereich mindestens 32 Wochenstunden erhalten. Im Teilzeitbereich sind es nur 12 Stunden.Auch das bedeutet eine schwierige Aufgabe für unsere Vorbereitung des Schuljahres.

Das Gleiche bildet sich ab in den allgemein bildenden Schulen, wo die Zahl der Erstklässler, die vergleichsweise den wenigsten Unterricht haben, um 1.250 Schülerinnen und Schüler abnimmt und die der Fünftklässler um 900 auf 59.150 abnimmt. Dagegen wächst die Zahl der Schülerinnen und Schüler in der Jahrgangsstufe 11 um 850 auf 19.840. Damit setzt sich auch an dieser Stelle der Trend fort, dass gerade in den personalintensiven Schuljahrgängen die Schülerzahlen wachsen.

Auswirkungen auf die Klassengröße hat diese Entwicklung praktisch nicht. Die mittleren Klassengrößen bleiben im Wesentlichen stabil. Das heißt, es gibt zusätzliche Klassen. Nun sind die Brüder Grimm bekanntlich Hessensöhne.Deswegen hat man hier eine Vorliebe für Märchen. Aber, meine Damen und Herren, es ist ein Märchen, dass hessenweit die Klassen platzen würden. Dabei ignoriere ich in keiner Weise, dass es Härten gibt. Die sind nicht zu leugnen. Es gibt Klassen, die bis zur Schmerzgrenze voll sind. Daran besteht überhaupt kein Zweifel.

Aber wenn diese Landesregierung aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit verstärkt über § 144a zu Schülerlenkungsmaßnahmen, zu organisatorischen Maßnahmen greift und dadurch die Ressourcen passgenauer verteilen will, genau dann schreien die Damen und Herren von der Opposition auch wieder, und zwar genau diejenigen, die sich vorher über die großen Klassengrößen beschwert haben.

(Beifall bei der CDU – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wollen Sie die Klassen noch größer machen?)

Es kann nicht angehen – ich bleibe bei meiner eigenen Stadt, ich bleibe beim Ballungsraum –, dass an einer Klasse die Höchstgrenze von 33 erreicht oder sogar leicht überschritten wird,während in einer anderen Klasse einer anderen Schule nur 14 bis 17 Schülerinnen und Schüler sitzen.

(Beifall bei der CDU)

Es kann nicht sein, dass innerhalb des Ballungsraums in einer Klasse 30 bis 33 Schülerinnen und Schüler sind und in einer benachbarten Schule, die nur 300 m oder 3 km davon entfernt liegt, Klassengrößen von 14 bis 17 Schülerinnen und Schülern bestehen. Meine Damen und Herren, Gerechtigkeit können Sie nur konkret haben oder gar nicht. Das ist Devise unserer Landespolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Schuljahr 2004/05 bringt im Zuge der Anstrengungen für Qualitätsverbesserungen der Schulbildung in Hessen einige Neuerungen mit sich. So gibt es eine erste Gruppe von Schulen, die auf freiwilliger Basis bereits den gymnasialen Bildungsgang verkürzt.

Sind dies Gespenster der Kultusministerin, die von Wunschträumen gestört ist? – Nein, 15 % der Gymnasien machen sich bereits ein Jahr vor dem allgemeinen Start aus eigenem Antrieb auf den Weg, wie ebenso fast zwei Drittel der Hessen die Verkürzung der Gymnasialzeit ausweislich einer Umfrage ausdrücklich befürworten.

Warum beschweren die sich eigentlich nicht über die angebliche Hektik bei der Einführung? Ich vermute, weil sie verfolgt haben, wie seit 1999 Schritt für Schritt das Abitur in zwölf Jahren vorbereitet worden ist – durch eine anständige Unterrichtsversorgung, durch zusätzliche Unterrichtsstunden von der Grundschule bis zur Oberstufe, durch verbindliche Lehrpläne und Übergangsprofile, auch durch Einführung des Landesabiturs –, und wohl auch, weil sie bemerkt haben, dass wir in Hessen langsam ein gallisches Dorf zu werden drohen, das glaubt, anders als überall in Europa, anders als in mittlerweile 14 Ländern in Deutschland, ein Jahr länger dranhängen zu müssen. Meine Damen und Herren, dies geht auf Dauer nicht.

(Beifall bei der CDU)

Das wissen selbstverständlich auch Landeselternbeiratsvorsitzende und Landesschülervertreter – zumal sie erklären, dass sie grundsätzlich gegen die Verkürzung des gymnasialen Bildungsganges gar nichts einzuwenden haben.

Wiederum die Frage: Ist also Niveauverlust zu befürchten? – Von Ferne nicht. Oder sind etwa die jungen Sachsen oder Thüringer schlechter als wir, weil sie bereits zwölf Jahre bis zum Abitur hatten? – Nein, von einem Qualitätsverlust in diesen beiden Ländern ist nichts bekannt.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Sehr richtig!)

Bedeutet also die neue Stundentafel eine Überforderung der jungen Leute? – Auch das scheint mit 30 bis 34 mal 45 Minuten nicht so zuzutreffen. Sonst hätte der Landeselternbeirat nicht nur einige Verschiebungen zwischen Fächern erbeten, sondern dann hätten sie einen Antrag auf Reduktion der Stunden gestellt. Das haben sie aber nicht, sondern sie haben der Stundentafel mit übergroßer

Mehrheit und ohne Gegenstimmen in ihrer Sitzung am vergangenen Samstag zugestimmt.

Verhindert also der gymnasiale Bildungsgang das Abitur für Realschüler oder für IGS-Abgänger? – Im Gegenteil. Meine Damen und Herren, es ist eine ausdrückliche Ermutung und Ermöglichung, nach einem erfolgreichen Abschluss weiterzumachen, einen weiteren Abschluss zu machen. Diesen Abschluss würden wir vermasseln – das meine ich mit allem Ernst –, gäbe es nur noch zwei Jahre Oberstufe. Dann müssten Abgänger von Realschulen und integrierten Gesamtschulen andere Wege als den der Oberstufe beschreiten. Ich will, dass sie die Möglichkeit haben, eine vollständige Oberstufe zu besuchen, und den Weg zum Abitur eröffnet bekommen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, deswegen rate ich dringend dazu, sich von der scheinbaren Wucht des kombinierten Angriffs von Verbandsvertretern überhaupt nicht verwirren zu lassen, die zudem noch nicht einmal im Grundsatz protestieren. Wir sind im Übrigen das einzige Land, das eine kluge Etappenlösung vorsieht und mit den Chancen der Abiturienten im Blick auf Ausbildung und Studium verantwortungsbewusst umgeht – und das im Konsens mit allen Beteiligten, die sich darauf geeinigt haben, welche Schulen 2004, welche 2005 und welche 2006 beginnen. Ich werde jedenfalls den Weg der verantwortungsbewussten Verkürzung bei bleibender Qualität und bei bleibender und zunehmender Anschlussfähigkeit mit der, wie ich hoffe,von mir bekannten unaufdringlichen Beharrlichkeit fortsetzen.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch einige Bemerkungen zu dem heute vorgestellten OECDBericht „Education at a Glance“ machen. Zur Kenntnis der Sache gehört, dass dies der seit Jahrzehnten gewohnte jährliche statistische Bericht der OECD über das jeweils vorletzte Kalenderjahr ist. Dort werden jeweils die Zahlen über Bildungsbeteiligung, Abschlüsse, den Anteil der Bildungsfinanzierung am Bruttoinlandsprodukt erhoben und zusammengestellt. Der Neuigkeitswert hält sich von Jahr zu Jahr in Grenzen.

Für 2002 lässt sich erkennen, dass Deutschland insgesamt, insbesondere als Summe der Länder, die den Hauptteil der Bildungsfinanzierung tragen,auf leicht aufsteigendem Ast ist, dass allerdings auch die seit längerem ambitionierten Länder in unserem Umfeld mit ihren Anstrengungen nicht nachlassen – das ist auch gut so – und, wie man ergänzen muss, dass wir eine andere Relation im Bruttoinlandsprodukt zwischen Sozialausgaben und Bildungsausgaben haben, als das in den allermeisten Ländern auf der Welt der Fall ist.

Was für mich wie für viele Kolleginnen und Kollegen im Amt aber völlig unerträglich ist, ist die Tatsache, wie der OECD-Vertreter unter Vorspiegelung wissenschaftlicher Ambitionen platteste Bildungspolitik macht, sich in die deutsche Politik einmischt, obwohl er von den realen Anstrengungen in unserem Land aber auch überhaupt keine Kenntnis zu nehmen bereit ist.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer in dieser Weise negiert, was in den letzten Jahren in ungekannter Massivität im Bildungswesen materiell und in der Sache investiert worden ist, tut dem tatsächlichen

Fortschritt und der Anerkennung von Bildung in unserer Gesellschaft einen Tort an.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde, es ist fahrlässig und schädlich, die Bildungsanstrengungen so vieler Beteiligter bis zu jedem einzelnen Lehrer und jeder Lehrerin in Deutschland schlechtzureden.

(Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich weise es auch für Hessen in aller Entschiedenheit zurück, die Anstrengungen der Landesregierung, die Anstrengungen des Ministeriums, die Anstrengungen der Schulämter, die Anstrengungen der Schulleitungen, die Anstrengungen der Lehrerinnen und Lehrer kleinzureden.

Wir haben allen Anlass, stolz zu sein auf die Wirksamkeit etwa der Deutsch-Vorlaufkurse, mit denen schon fast 11.000 Kindern eine Bildungsbiografie eröffnet worden ist. Wir haben allen Anlass, stolz zu sein auf die Orientierungsarbeiten an den Grundschulen, die ein diagnostisches Instrumentarium darstellen, um Kindern zu helfen, ihre Fähigkeiten zu erkennen und zu entwickeln und von ihren Lehrerinnen und Lehrern nach besten Kräften unterstützt zu werden.Wir haben Anlass, stolz zu sein auf eine neue Kultur der Transparenz bei Leistungstests, wie z. B. im Mathematikwettbewerb. Die Hamburger Erkenntnisse zeigen wie unsere eigenen, dass dies auch zu tatsächlichen Verbesserungen in den Lernleistungen führt.

Meine Damen und Herren, wir haben Anlass zu Stolz auf die Ergebnisse und die Akzeptanz der ersten Landesprüfungen an Haupt- und Realschulen in Hessen. Junge Menschen konnten zeigen, was sie in der Schule gelernt haben. Ihre Leistungen wie die der Schulen insgesamt werden vergleichbarer.Das Gleiche beginnen wir in diesem Schuljahr für die Schüler der Klasse 11 mit dem Landesabitur.

Wir haben Anlass, stolz zu sein, dass Hessen das erste Land ist, das die ganze Bildungsbiografie von Kindern, von der Geburt bis zum 10. Lebensjahr, in den Blick nimmt und schon im nächsten Jahr Modelle erproben kann, was das für die Erziehung durch Eltern, für die Bildungsarbeit von Kindertagesstätten und Grundschulen bedeutet.

Wir haben Anlass, stolz zu sein auf eine Lehrerfortbildung, die den dringenden Bedarf der Lehrerinnen und Lehrer in den Bereichen der Leseförderung, der Diagnosefähigkeit, der Methodenkompetenz für den Unterricht aufgenommen hat. Mit enormem Kraftaufwand wurden Lehrerinnen und Lehrer in Bereichen fortgebildet, die jeden neuen Tag in der Schule, in jeder Unterrichtsstunde, wirksam werden können.

Wir haben nicht zuletzt auch Anlass, stolz zu sein auf einen Gesetzentwurf,der ein Bild von Lehrerbildung aus einem Guss entwirft, um die uns mittlerweile etliche Bundesländer beneiden.

Meine Damen und Herren, ich finde, die Hessen haben von Kenntnis nicht getrübte, ideologische Hinweise aus Paris von dem Organisator einer Statistik, der kein Wissenschaftler, aber ein Ideologe ist, nicht nötig.

(Beifall bei der CDU)

Aber die Hessen sollten auch den Mumm aufbringen, selbstbewusst das zu zeigen, was sie auf die Beine gestellt

haben.Sie müssen dann allerdings nur noch eines tun,und dafür steht diese Landesregierung: konsequent weitergehen auf dem Weg der Leistungssteigerung durch Fördern und Fordern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, insofern haben wir einen guten Start in ein neues Schuljahr gelegt. Ich habe große Hoffnung, dass die Qualitätssteigerung an Hessens Schulen auch in diesem neuen Schuljahr wesentliche Fortschritte nimmt. – Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Damit ist die Regierungserklärung abgegeben. Ich eröffne die Aussprache und erteile dazu Frau Abg. Habermann für die Fraktion der SPD das Wort.