Protokoll der Sitzung vom 06.10.2004

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wie billig!)

Sie haben nach konkreten Zahlen gefragt.

(Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ja!)

Sie haben sehr deutlich gemerkt, dass Sie bei der Argumentation ins Schwimmen geraten sind.

(Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Überhaupt nicht! Sie haben nicht zugehört!)

Ich nehme ein Beispiel des Statistischen Bundesamtes und des Statistischen Landesamtes. Dort wird für einen normalen Haushalt, den so genannten Referenzhaushalt, eine Energierechnung von rund 50 c pro Monat aufgestellt. Die Höhe der Rechnung für diesen Haushalt ist seit 1998 erstaunlicherweise nicht gestiegen. Das deutet darauf hin, dass die Energiepreise, die durch die Energielieferanten in Rechnung gestellt worden sind, in der Zeit sogar gesunken sind, weil nämlich die Abgaben des Bundes in dieser Zeit – das ist alles statistisch belegt und nachzulesen – von sage und schreibe 12 c auf 21 c gestiegen sind. Sie sind also in dieser Zeit die wahren Preistreiber für die Haushalte gewesen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich verstehe Ihre Erregung und den Versuch,hier deutlich zu machen, dass diese Landesregierung und dieser Minister nicht der Anwalt der Verbraucher seien. Das Gegenteil ist der Fall.Denn Ihre Parteifreunde auf Bundesebene unterstützen den hessischen Vorstoß sehr wohl. Es ist auch kein Zufall, dass ausgerechnet der hessische Wirtschaftsminister auf dem Deutschen Verbraucherschutztag einschließlich der Veranstaltung des Deutschen Mieterbundes am letzten Montag als Kronanwalt für die Verbraucher sprechen durfte. Meine Damen und Herren, ich denke, das ist Beleg genug.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich möchte mich nun dem zuwenden,was Herr Grumbach und insbesondere Herr Posch gesagt haben. Herr Grumbach, Sie haben unsere Position unterstrichen, dass es nicht ausreicht, im Nachhinein eine Missbrauchskontrolle zu machen. Herr Posch, hier liegen Sie schlicht und einfach falsch. Denn wir hatten in der Vergangenheit auch in Hessen gegen einige Stromlieferanten Kartellverfahren durch das damalige Landwirtschafts- und Umweltministerium. Der entscheidende Punkt ist, dass es nicht gelungen ist, diese Verfahren zu Ende zu führen. Denn alle Verfahren dieser Art sind bundesweit vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gescheitert.Das Gericht hat sich in seinen Entscheidungsgrundsätzen und Überlegungen darauf berufen und konzentriert, dass es im formalen Ablauf keinen Missbrauch nachweisen konnte,

(Dieter Posch (FDP): Ex ante auch nicht!)

weil sich alle Unternehmen an die Verbändevereinbarung gehalten hatten. Die Entscheidungen wurden erst dann deutlich fundamentalisiert, als die Bundesregierung im Jahr 2003 erklärt hat, dass die Verbändevereinbarung eine hervorragende Grundlage zur Kontrolle missbräuchlichen Verhaltens sei.

(Dieter Posch (FDP): Das ist ein Argument gegen die Verbände!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus alledem wird deutlich: Wir brauchen die Antwort auf drei Fragen. Erstens. Wann wird kontrolliert? Wir sagen: Ex ante, im Vorhinein müssen eine scharfe Kontrolle und eine Genehmigung der Durchleitungspreise durchgeführt werden. Eines ist in diesem Zusammenhang noch einmal hervorzuheben:Wir wollen Wettbewerb.Wir sind Marktwirtschaftler durch und durch.Wir sind aber Marktwirtschaftler genug, um zu erkennen, dass es auf dem Energiemarkt Teilbereiche gibt, nämlich die Netze, die dem Wettbewerb nicht zugänglich sind, weil es sich um Monopole handelt.

(Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ja!)

Frau Hammann, genau das ist das Problem.

(Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Richtig!)

Das zu erkennen ist wichtig. Wenn wir dies als Ausgangslage erkannt haben, müssen wir die Frage stellen: Was müssen wir als Staat, als Ordnungsinstanz tun – das kostet im Gegensatz zu anderen Gesetzen keinen Cent –, damit ein Missbrauch dieser Monopole verhindert wird? Der Missbrauch muss in zweierlei Hinsicht verhindert werden. Zum einen darf es keinen Ausbeutungsmissbrauch geben.

Ausbeutungsmissbrauch heißt, dass die Inhaber der Stromleitungen, die gleichzeitig auch die Stromhändler sind, die Leitungspreise so hoch ansetzen und dadurch den Strompreis insgesamt quersubventioniert so niedrig halten können, dass alternative Anbieter keine Chance haben, die Netzpreise zu zahlen und in den Markt einzudringen.

Zum anderen der Ausschlussmissbrauch. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da es gelungen ist, diesen Missbrauch umzusetzen, haben wir heute keinen Wettbewerb. Die Preise sind deshalb so hoch, erstens weil zu hohe Netzentgelte gezahlt werden,

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

zweitens weil 40 % der Preise Abgaben an den Staat sind und drittens weil kein Wettbewerb entstanden ist.Wir alle wissen:Wettbewerb ist der beste Verbraucherschutz.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deswegen wollen wir vorab genehmigen. Wir wollen deutlich machen,dass hier kein Missbrauch vonstatten gehen kann.

Die zweite Frage ist:Wie wird genehmigt? Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Frage deutet auf die Kalkulationsmethoden hin. Das ist ein sehr komplexes Thema, das heute noch nicht angesprochen worden ist. Von den Stromunternehmen wird immer wieder das so genannte Netzsubstanzerhaltungsprinzip gefordert.

Das Netzsubstanzerhaltungsprinzip besagt, dass in die Energiepreise schon heute die Kosten für Abschreibungen und Zinsen einkalkuliert werden können, die künftig entstehen werden.Das ist der wahre Grund dafür,dass die Energiepreise bei uns so extrem hoch sind, dass z. B. in England die Strompreise für die Verbraucher lediglich die Hälfte dessen betragen,was man in Deutschland bezahlen muss. Da müssen wir ansetzen.

Die dritte Frage ist, wer das kontrolliert. Unsere Auffassung ist klar. Wir wollen diese Aufgabe im Grundsatz der Reg TP übertragen. Aber wir wollen in diesem Zusammenhang als Länder auch unsere Kompetenz einbringen, die wir seit Jahrzehnten in bewährter Weise wahrnehmen.

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

An der Stelle will ich mit einer Behauptung aufräumen, Frau Hammann, die auf Ihre Unwissenheit hindeutet. Ich will erklären, dass die Länder bis zum heutigen Tage – hierzu haben wir aktuell neue Anträge auf dem Tisch liegen – sehr wohl verpflichtet sind, die Konsumentenpreise, sprich: die Preise in der Tarifrunde, zu genehmigen.

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Das tun wir in sehr, sehr sorgfältiger Art und Weise. Im letzten Dezember lagen 50 Anträge auf dem Tisch.Wir haben nach intensiver Kontrolle und Prüfung lediglich etwa 50 % der Preiserhöhungsanträge genehmigt. Das weist auf eine sehr, sehr wirksame und strenge Kontrolle zugunsten der Verbraucher hin. Das ist nachgewiesen.Wenn Sie aber fälschlicherweise sagen – weil Sie es nicht wissen oder bewusst verschleiern –, diese Genehmigungspraxis sei nicht wirksam, weil die Preise trotzdem steigen, dann braucht dies eine Erläuterung, weil nämlich die Genehmigungspraxis in der Tat sehr wirksam ist.

Man muss die Frage stellen: Was können wir überhaupt genehmigen? Wir können die Preiserhöhungsanträge der Endverbraucherversorger genehmigen oder ablehnen. Bei der Versorgung mit Strom haben wir aber auf der Netzleitungsseite mindestens drei Abschnitte: beim Stromerzeuger zunächst die Hochspannungsleitungen, dann die regionale Umsetzung auf die Mittelspannungsleitungen,und von dort geht das Leitungsnetz in die Kompetenz der örtlichen Versorger und Verteiler über.Nur bei den zuletzt Genannten haben wir die Pflicht,zu prüfen,ob ihre Preiserhöhungsanträge gerechtfertigt sind.Wir haben aber nicht die Chance, die Netzentgelte, die die vier großen Stromoligopolisten festlegen, zu prüfen und zu verhindern,dass sie die Preise zu sehr in die Höhe schrauben. Das liegt derzeit nicht in der Länderkompetenz, und da wird es auch in Zukunft nicht liegen.Aber genau da gilt es, einzugreifen. Deshalb muss die Bundesregierung ein scharfes Gesetz, ein scharfes Schwert haben, das ungerechtfertigte Preiserhöhungen im Bereich der Hoch- und Mittelspannungsleitungsnetze wirksam bekämpft.

Ich komme zum Schluss. Die Energieversorgung ist nicht nur für die Haushalte, sondern auch für die Wirtschaft eine der Lebensadern ökonomischen Handelns.

(Beifall bei der CDU)

Die Energiepreise beschneiden in Deutschland das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte mehr, als es im internationalen Vergleich sein müsste.Deshalb müssen wir in Anbetracht der Tatsache – das ist von Ihnen eben bestätigt worden –, dass eben nur ein Netz pro Straßenverlauf gelegt wird und dadurch ein so genanntes natürliches Monopol entsteht, dieses Monopol so kontrollieren, dass damit kein Missbrauch betrieben werden kann. Deswegen brauchen wir eine scharfe Vorabkontrolle und Vorabgenehmigung der Preise auf allen Leitungsebenen. Die Bundesregierung will dagegen eine laxe Kontrolle. Die Bundesregierung will eine Form der Kontrolle, die in der Vergangenheit bewiesen hat, dass sie nicht greift, dass sie viel bürokratischer ist als eine Vorabkontrolle. Das lässt vermuten, dass gerade diese Bundesregierung eine große Nähe zu den und Sympathie für die Energiemonopolisten hat.

(Widerspruch bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Hessische Landesregierung ist der oberste Anwalt der Verbraucher, weil wir für Wettbewerb sind. Wettbewerb ist und bleibt der beste Verbraucherschutz.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren,es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Es ist verabredet, die Tagesordnungspunkte 22 und 37 an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr zu überweisen. – Dem wird nicht widersprochen. Dann ist das so.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 43:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend kleine Kinder – große Zukunft – Umsetzung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes in Hessen – Drucks. 16/2727 –

Außerdem ist Tagesordnungspunkt 72 aufzurufen:

Dringlicher Antrag der Fraktion der CDU betreffend Tagesbetreuung in Hessen auf gutem Weg – Drucks. 16/2756 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt 15 Minuten pro Fraktion. Ich erteile Frau Kollegin Schulz-Asche für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Hessen braucht eine moderne, nachhaltige und soziale Familienpolitik, die den vielfältigen Bedarfslagen von Familien gerecht wird und die die Rahmenbedingungen für die Familien, insbesondere für die Kinder, verbessert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei spielen die Balance, die Vereinbarkeit von Familienleben und Berufstätigkeit eine wesentliche Rolle.Dies muss ein wesentliches Ziel der Familienpolitik sein. Uns bleibt – auch angesichts des demographischen Wandels – nicht mehr viel Zeit für wesentliche Weichenstellungen. Dabei geht es nicht um Zahlenspielchen, wie sie die Staatskanzlei im Moment spielt, wenn sie z. B. feststellt, dass es mehr Kinder gibt, wenn mehr Kinder geboren werden.

Das eigentliche Problem in Deutschland und in Hessen ist, dass die Ausbildung, der Einstieg in das Berufsleben und die Berufstätigkeit selbst für viele Menschen, und zwar für Männer und Frauen, mit einem Familienleben nicht vereinbar sind. Für diesen Zustand sind schwarze und schwarz-gelbe Bundes- und Landesregierungen der letzten Jahrzehnte verantwortlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich gestehe Ihnen zu, dass es auch in der CDU einige Personen gibt, die das verstaubte Familien- und Frauenbild für überholt halten und infrage stellen. An der Lyrik des CDU-Antrages, der uns heute vorliegt, kann man zumindest die Wünsche der Sozialministerin ablesen. Ich bezweifle allerdings stark, dass alle in der CDU – angefangen bei Ministerpräsident Teufel in Baden-Württemberg bis hin zu Hinterbänklern in diesem Hause – wirklich verstehen, worum es bei dem angestrebten Paradigmenwechsel überhaupt geht.