Protokoll der Sitzung vom 06.10.2004

Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich könnten wir bei diesem Thema durchaus auch über Gemeinsamkeiten sprechen,

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das versteht aber Ihre Fraktion nicht!)

wenn es darum geht, die Geburtenraten zukünftig wieder zu erhöhen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf

tatsächlich möglich zu machen. Frau Kollegin SchulzAsche, das will ich auch an Ihre Adresse sagen. Denn Ihre Rede weist zu Ihrem Antrag ganz deutliche Unterschiede auf. Mit Ihrem Antrag kann ich in vielen Bereichen noch übereinstimmen. Aber Sie sind überhaupt nicht daran interessiert, das Thema so ernsthaft zu diskutieren, wie es ihm aus meiner Sicht gerecht würde.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Es geht darum, die Kinderbetreuung zu verbessern, das Klima für Kinder und Familien zu verbessern, aber auch darum, über das Tagesbetreuungsausbaugesetz meiner Kollegin im Bund, Frau Schmidt, im Detail zu diskutieren. Dieses Thema haben Sie in Ihrer Rede völlig ausgelassen. Es geht darum, warum wir momentan mit diesem Gesetz nicht übereinstimmen,welche Verbesserungen möglicherweise in die Beratungen noch einfließen können und wie es dort weitergeht.

Ich möchte mit dem Teil anfangen, den Herr Kahl angesprochen hat.

(Reinhard Kahl (SPD): Da bin ich gespannt!)

Hierzu zitiere ich einen Beschluss der Jugendministerkonferenz. Im Übrigen fallen dort die Beschlüsse zwischen den Ländern – ob A- oder B-Seite, d. h. ob unionsoder SPD-regiert – im Normalfall einstimmig. Dort heißt es:

Das für einen Ausbau der Kindertagesbetreuungsangebote zwingend notwendige finanzielle Engagement des Bundes muss durch ein solides Finanzierungsangebot sichergestellt werden, das unabhängig von dem Vorhaben der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur Verfügung steht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) – Reinhard Kahl (SPD):Wünsch dir was!)

Sehr geehrter Herr Kahl, das sagen ganz deutlich auch die Kollegen in den A-Ländern. Das ist der erste Punkt. Im Übrigen können wir uns gerne auch über die Kommunalen Spitzenverbände unterhalten, die wiederholen, dass eine Verknüpfung ausgeschlossen wird.

Ich komme zu dem letzten Punkt, den Sie genannt haben: die Entlastung durch Hartz IV, die auf der Ebene der Bundesregierung in Zusammenhang mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz, wie Sie es nennen, gebracht wird. Dort fangen die Probleme an. Es wird nämlich auf Hartz IV verwiesen. Im Gesetz gibt es aber keinen Rechtsanspruch auf Geld. Im Tagesbetreuungsausbaugesetz werden keine Mittel in die Hand genommen. Über Hartz IV steht immer: Das soll der Entlastung der Kommunen dienen, damit sie ihren Selbstverwaltungsaufgaben wieder nachkommen können. – Wir wissen alle, dass dank – ich sage: dank – der Hessischen Landesregierung

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Petra Fuhr- mann (SPD): Goldig!)

im Hartz-IV-Kompromiss inzwischen eine Refinanzierungsklausel steht, eine Revisionsklausel, um zu überprüfen, wann Geld fließen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Reinhard Kahl (SPD): Das stimmt doch nicht! Die war schon vorher drin! – Petra Fuhrmann (SPD): Das ist die glatte Unwahrheit!)

Wir haben sie im Vermittlungsverfahren mit den Kommunalen Spitzenverbänden eingebracht.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das ist das Allerneueste! – Zuruf des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Wir haben geschaut, wie sie ausgestaltet wird und wann refinanziert bzw. wann klar wird, was möglicherweise an Entlastung übrig bleibt. Ich sage ganz bewusst: Ich bin froh, dass wir das im Gesetz festgeschrieben haben. Die zweite Frage ist, wann die Entlastungen kommen.Von allen, die sich mit dem Gesetz beschäftigen, gibt es die klare Auskunft – vielleicht fragen Sie dort einmal nach –, dass die Entlastungen weder 2004 noch 2005 zu erwarten sind.

(Reinhard Kahl (SPD): 2004 kann sie ja wohl nicht kommen!)

Sie reden aber im Moment über ein Tagesbetreuungsausbaugesetz, mit dem Sie sofort anfangen wollen. Davon werden die Kommunen aber noch keine Entlastung haben und 2005 auch noch nicht, sehr geehrter Herr Kahl.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Florian Rentsch (FDP) – Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann und Reinhard Kahl (SPD))

Die große Frage ist,ob es die ersten Entlastungen 2006 geben wird.

(Zurufe der Abg. Reinhard Kahl und Petra Fuhr- mann (SPD): 2005!)

Sie müssen bei der Wahrheit bleiben. Die Finanzierung ist einer der wichtigsten Gesichtspunkte in diesem Bereich. Darüber streiten wir mit der Bundesregierung, wenn es darum geht,dass mehr Plätze für Kinder unter drei Jahren zur Verfügung gestellt werden sollen. Darüber, dass wir mehr Plätze brauchen, gibt es gar keinen Streit, aber darüber, wie die Finanzierung abgesichert ist.

Sie brüsten sich damit, wie viele Plätze Sie geschaffen haben. Da will ich Ihnen sehr deutlich Folgendes sagen: Es wurde eben schon einmal über die Finanzierung gesprochen, über die Umsatzsteuer, über die unterschiedlichen Anteile, die weitergegeben wurden, als der Rechtsanspruch für einen Kindergartenplatz eingeführt wurde.Um bei der Wahrheit zu bleiben: Die große Last haben die Kommunen getragen, und sie tragen sie auch heute noch – ob Sie das als Landesregierung waren oder ob wir das sind.Wir machen Angebote, wir stocken Mittel auf.

(Petra Fuhrmann (SPD): Sie machen fast gar nichts! – Zuruf des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Dann müssen Sie aber auch bitte die Thematik der Selbstverwaltung der Kommunen, dass sie die Möglichkeiten haben, in diesem Bereich etwas zu schaffen, ernst nehmen und mit uns gemeinsam daran arbeiten.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich einen letzten Punkt anführen, was an Ihren Zahlen nicht stimmt. Das richte ich auch an Ihre Adresse,sehr geehrter Herr Kollege Kaufmann.Es ging in den vergangenen Jahren nicht nur darum, für die Kinder über drei Jahren weitere Plätze zu schaffen, sondern auch darum,flexiblere Öffnungszeiten zu ermöglichen,die Mittags- und die Ganztagsbetreuung der über Dreijährigen auszubauen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das war unser Sofortprogramm!)

Dort ist in großem Umfang vieles geschehen, sodass an vielen Stellen eine flächendeckende Versorgung vorhanden ist. Auch wenn an vielen Stellen die Öffnungszeiten für die Betreuung der über Dreijährigen nicht so sind, wie

wir sie uns alle wünschen, wie sie vor Ort gebraucht werden,hat es dort einen massiven Ausbau gegeben.Das können Sie im Übrigen auch an den Haushaltszahlen der vergangenen Jahre nachlesen. Das sollten Sie als haushaltspolitischer Sprecher der GRÜNEN-Fraktion eigentlich wissen.

(Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Leider sehen die Zahlen anders aus, als Sie sie darstellen!)

Versuchen wir uns gemeinsam dem eigentlichen Thema zu nähern.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das wird aber auch Zeit!)

Wir sind uns darüber einig, dass wir im gesamten westlichen Bundesgebiet mehr Betreuungsplätze für unter Dreijährige brauchen, weil dort der Schnitt, ob das SPDoder CDU-geführte Länder sind, noch deutlich zu niedrig ist.Wir haben ein Programm aufgelegt, um das zu verbessern. Trotz haushaltspolitischer Schwierigkeiten behalten wir den Betrag zumindest bei, oder wir haben ihn, wie in diesem Jahr, von 10,5 auf 14 Millionen c aufgestockt. Das zeigt, dass wir dort einen ganz wichtigen Schritt nach vorne gehen.

(Beifall der Abg. Brigitte Kölsch (CDU))

Wir sind dort aber auch auf die Zusammenarbeit mit der kommunalen Seite angewiesen. Wir wissen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz wesentlich davon abhängt, wie die Kinderbetreuung aussieht und wie familienfreundlich man ist. Das spielt auch für die Entscheidung für Kinder sicher eine Rolle. Ich will aber auch sehr deutlich sagen: Es ist eine Rolle unter vielen. Das heißt, der Ausbau der Betreuung für Kinder unter drei Jahren ist dringend notwendig. Dort setzen wir – ich bin froh, dass dies die GRÜNEN mittragen – auch auf die Tagespflege. Auch die Bundesregierung setzt auf die Tagespflege und will sie, ebenso wie wir, qualitativ ausbauen. Sie will Rentenversicherungszuschüsse zahlen. Die Bundesregierung macht das in extrem komplizierten Gesetzen. Wir haben diese Regelung schon eingeführt.Das ist der große Unterschied.

(Beifall bei der CDU – Petra Fuhrmann (SPD): Sie zahlt Zuschüsse!)

Nicht ohne Grund geht Hessen beispielhaft voran. Darüber sind wir uns sicher einig. Die SPD will Kinder in irgendwelche Einrichtungen geben. Sie meinen, Eltern könnten sich nicht für Tagesbetreuung entscheiden, weil bei der Tagesbetreuung die Bildungsqualität angeblich nicht gesichert ist. Sie setzen wieder auf das große flächendeckende Management. Sie wollen Kinder in Einrichtungen geben, aber Sie wollen den Eltern keine Wahlfreiheit geben. Ich sage dazu sehr deutlich: Dort ist die SPD auf dem Holzweg. Diesen Weg werden wir nicht mitgehen.

(Beifall bei der CDU)

Es geht darum, gemeinsam die Bedingungen für Familien, für die Entscheidung für Kinder, zu verbessern. Frau Kollegin Schulz-Asche, es ist eben nicht so, dass die Geburtenrate in Hessen anders ist als im restlichen Teil Deutschlands. Das haben Sie vorhin in Ihrer Rede ausgeführt. Das muss man klarstellen. Wir haben das Problem in ganz Deutschland, dass wir im europäischen Vergleich mit 1,34 Geburten pro Frau eine extrem niedrige Geburtenrate

haben. Dann sollten wir uns gemeinsam ganz ernsthaft über die Ursachen unterhalten.

Frau Ministerin, Frau Schulz-Asche möchte eine Zwischenfrage stellen.

Ich möchte gerne im Zusammenhang ausführen. – Wir müssen gemeinsam nach den Ursachen fragen. Dann sind wir vielleicht auch einer Meinung, dass es ganz wichtig ist, auch Eltern mit Kindern unter drei Jahren eine Wahlfreiheit und die Chance zu geben, wieder in den Beruf einzusteigen, dass wir hier dringend Verbesserungen schaffen müssen, indem wir z. B. die Zahl der Betreuungsangebote erhöhen. Hessen ist hier übrigens unter den Flächenländern im Westen Deutschlands am besten aufgestellt, was aber nicht heißt, dass wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen werden. Das heißt aber, dass die Betreuungsangebote bei uns eine ganz wichtige Rolle spielen.

Es geht sowohl um einen Bewusstseinswandel in den Köpfen als auch darum, dass wir die Menschen mitnehmen und ihnen zeigen, dass die Rahmenbedingungen vorhanden sind, dass eine partnerschaftliche Aufteilung von Familienarbeit möglich ist,damit nicht mit dem Finger auf jemanden gezeigt wird, der sagt, er will schnell in den Beruf zurückkehren. Das sind aber alles Dinge, die der Staat nicht verordnen kann.

(Petra Fuhrmann (SPD): Haben Sie dafür eine Mehrheit in Ihrer Fraktion?)

Das sind ganz wichtige Punkte, die insbesondere die Frauen interessieren,wenn sie eine Entscheidung für oder gegen Kinder treffen. Wir müssen uns auch darüber klar werden, dass es in Deutschland – das haben Sie nicht ausgeführt – gerade die Akademikerinnen sind,bei denen wir im internationalen Vergleich hinsichtlich der Geburtenrate miserabel abschneiden. Das ist deshalb so, weil in Deutschland viele der notwendigen Rahmenbedingungen nicht vorhanden sind.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Wer ist dafür verantwortlich?)

Weil Sie vorhin auf Hartz IV verwiesen haben, will ich Ihnen ganz deutlich sagen: Die Hessische Landesregierung hat das Thema Alleinerziehende in den Verhandlungen und im Existenzgrundlagengesetz in den Mittelpunkt gestellt und gesagt,das darf kein Vermittlungshindernis sein, sondern hier muss angesetzt werden. Betreuungsangebote müssen zur Verfügung gestellt werden, sodass auch Alleinerziehende in Sozialhilfe die Möglichkeit haben, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.