Meine Damen und Herren, wir haben am 12. Mai hier schon einmal eine ähnliche Debatte geführt. Die Argumente der CDU sind in dieser Zeit nicht besser geworden.
Wir haben gestern Abend eine sehr ernsthafte Debatte über den 8. Mai 1945 geführt und über die Frage, wie wir als Hessischer Landtag mit dem 60. Jahrestag des 8. Mai umgehen wollen. Ich will dieser Debatte im Nachhinein nicht ihre Ernsthaftigkeit bestreiten. Gestern Abend hat jedoch Staatsminister Riebel sinngemäß erklärt, es ärgere ihn immer wieder der Kleinmut vieler Menschen,mit dem sie Debatten über Europa führten.
der Gedanke Europa muss sich auch in politischen Auseinandersetzungen bewähren, auch auf der Grundlage von Menschenrechten, liebe Frau Kollegin Wagner. Lesen Sie die Dokumentation der Europäischen Kommission zur Empfehlung der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen.
Zum Abschluss ein Zitat von Richard von Weizsäcker. Ich nenne jetzt nur die Überschrift, weil die Zeit fehlt. Richard von Weizsäcker sagte vor dem Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen:„Weisen wir sie ab,jubeln die Fundamentalisten“.– Meine Damen und Herren, dem ist nichts hinzuzufügen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die EU-Kommission hat gestern eine richtige Entscheidung getroffen. Sie hat eine richtige Entscheidung getroffen, sie hat eine sorgfältig geprüfte Entscheidung getroffen, sie hat eine ernsthafte Entscheidung getroffen,
die den Umständen in der Türkei – Herr Kollege Dr.Jung, die auch nicht unseren Vorstellungen entsprechen – gerecht wird.Es ist wichtig,diese Zustände zu benennen und klare Forderungen zu stellen.
Wenn in der EU jede Entscheidung so sorgfältig vorbereitet worden wäre wie der Beitritt der Türkei, dann hätten wir in der EU einige Probleme weniger.
Es ist deutlich, dass ein Beitritt der Türkei keine Liebesheirat ist. Es handelt sich aber um eine Vernunftehe. Herr Gotthardt, wenn Sie sagen, die Türkei gehöre nicht nach Europa, kann ich nur erwidern, sind Sie einfach 55 Jahre zu spät.
1959 ist die Türkei dem Europarat beigetreten, 1952 der NATO, 1963 ist das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschlossen worden. 1987 stellte die Türkei einen Beitrittsantrag zu den Europäischen Gemeinschaften. Seit 1996 gilt die Zollunion EU-Türkei.
Herr Gotthardt, lehnen Sie sich zurück, hören Sie zu, an keinem Punkt hat auch nur irgendjemand gesagt, die Tür
Dann argumentieren Sie, man könne gleich die Ukraine oder Marokko aufnehmen. Das stimmt überhaupt nicht, die haben nämlich eine andere Geschichte. Der marokkanische Aufnahmeantrag ist 1987 abgelehnt worden.
Vor diesem Hintergrund ist die Türkei ein völlig anderer Fall. Dass sie zu Europa gehört, ist schon lange akzeptiert.
Als Nächstes erzählen Sie, die Türkei habe andere Werte. Wer der EU beitritt, unterschreibt die Charta der Menschenrechte und die Charta der Grundrechte, die mit zur EU-Verfassung gehören.
Damit bekennt man sich zu den Werten der Europäischen Union. Das sind die gemeinsamen Werte der Europäischen Union und nichts anders.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Warum gibt es so viele Asylanträge aus der Türkei? – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Irmer, Luft holen!)
Von daher wird über den Beitritt in der Türkei entschieden. Das sagt sowohl Kardinal Karl Lehmann mit seiner Äußerung, entscheidend sei, ob sich die Türkei so weit selbst als europäisch definiere, dass sie bereit und in der Lage sei, die Kopenhagener Kriterien für einen Beitritt zu erfüllen. Genau darum geht es.
Auch Joschka Fischer sagt, über den Beitritt werde in Ankara und Diyarbakir entschieden. Dort müssten die Entschlüsse gefasst werden, ob die Türkei nach Europa passe.
Herr Gotthardt, es ist ja schade, dass ich keine Kurzintervention machen konnte, denn eines müssen Sie den Bürgern doch auch einmal erklären: Was, bitte, ist eine privilegierte Partnerschaft nach all den Verträgen, die es mit der Türkei schon gibt? Gerade nach der Entscheidung gestern:Was möchten Sie der Türkei denn noch anbieten?
Dann sagen Sie, Sie wollten die Verhandlungen abbrechen, Sie wollten die Türkei überhaupt nicht haben. Sie eiern herum nach dem Motto:Wir wedeln ein bisschen mit einem Papierchen zur privilegierten Partnerschaft herum.– Mir war bisher nie klar und es hat mir bis heute – Sie können es mir nachher gerne beim Kaffee erklären – noch keiner erklären können, was die CDU mit einer privilegierten Partnerschaft wirklich meint.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Frank Gotthardt (CDU): Nach dem, was Sie sagen, sollte die Türkei sofort beitreten!)
Dann kommt die Geschichte mit dem angeblichen wirtschaftlichen Ruin der EU. Sie haben sich schon auf den BDI,auf Herrn Rogowski,bezogen.Herr Rogowski hat in der „Bild“-Zeitung gesagt, Deutschland werde von einem Beitritt der Türkei wirtschaftlich profitieren. Der Präsident des Bauernverbandes, Herr Sonnleitner – der inhaltlich auch nicht direkt neben uns steht –, sagt, nicht nur für unsere Bauern sei es entscheidend,dass die Türkei zu gleichen Bedingungen wirtschafte wie die übrigen Länder in der EU. Das von den europäischen Verbrauchern gewünschte Tierschutz-, Umwelt- und Naturschutzniveau müsse auch in der Türkei Standard sein, denn eine nachhaltige Landwirtschaft, die vielseitige Funktionen zu erfüllen habe, müsse in jedem EU-Land gelten.
Sie können natürlich sagen: Was interessiert es uns, wenn sich in der Türkei die Situation der Menschenrechte verbessert? – Diese Situation hat sich verbessert.
Sie können sich hierhin stellen und sagen, was interessiert es uns, wenn sich in der Türkei die Minderheitenrechte verbessern? – Sie können sich hinstellen und sagen, es sei Ihnen völlig wurscht, wenn sich in der Türkei die Stellung der Frau verbessert. Ich sage bewusst: Sie hat sich verbessert, und sie hat sich rapide verbessert. Ich sage genauso bewusst: Es reicht noch nicht.
Dann muss ich leider zum Schluss kommen. – Wenn Sie diese Art von Diskussionen weiterführen, dann ist das innen- und außenpolitische Brandstiftung. Die Wahlen in Brandenburg und Sachsen haben gezeigt, wohin es führt, wenn in den Wahlkämpfen auf dumpfe populistische Parolen gesetzt wird.