Die Gefahr für unsere rechtsstaatliche Ordnung kann darin bestehen – ich wiederhole die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, die anders lautet als das, was Sie vorgetragen haben, Herr Kollege Jung –, dass das Kopftuch als ein religiös-politisches Symbol gewertet wird. Es muss aber nicht so gewertet werden.Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat hier einen Automatismus ausgeschlossen. Es hat gesagt, ein Kopftuch kann, aber es muss nicht so interpretiert werden.
Die Vorstellung der Frauen-Union, dass Schülerinnen nicht mit einem Kopftuch in die Schule kommen dürfen, war für uns nie nachvollziehbar und auch nicht akzeptabel, weil die jungen Frauen die Bedeutung des Tragens eines Kopftuchs noch nicht abwägen können.
Unser eigener Gesetzentwurf hat den Schutz von Schülerinnen und Schülern vor Indoktrination, die Erhaltung des Neutralitätsgebots des Staates und die Erwartung an die Lehrerinnen zum Ziel, Neutralität und die Toleranz zu wahren.
Das Entscheidende – in diesen Zielen sind wir uns ja überhaupt nicht uneinig – ist die Methode, mit der Sie das erreichen wollen.Wenn aber Ihre Methode schon vor der Verabschiedung des Gesetzes von allen Verfassungsjuristen als rechtlich untauglich angesehen wird,dann wäre es an der Zeit, dass Sie sich ganz schnell besinnen, verehrter Herr Dr. Jung.
Ich weiß.Auf den Zwischenruf habe ich gewartet.Trotzdem sage ich Ihnen, er hat in seiner Stellungnahme, die wir zu unserem Gesetzentwurf eingeholt haben, geschrieben, unser Entwurf scheine sinnvoller und differenzierter zu sein als der Entwurf der CDU.
Das ist nicht wahr. Die FDP trägt ihre Konflikte öffentlich aus; das ist vielleicht ihre Schwäche, aber auch ihre Stärke.
Verehrte Union,Sie und wir müssen aufpassen,dass wir in den gesamten Auseinandersetzungen – die in den letzten Wochen zwischen Religionen und Kulturen weltweit eingetreten sind und die man in ihrer Schärfe nicht unterschätzen darf – die Freiheit aller nicht durch Verbote, die mehr Sicherheit bewirken sollen, Schaden nehmen lassen. Das ist meine große Besorgnis. Wir werden unsere Freiheit nicht durch immer mehr Einschränkungen der Freiheit aller schützen.Wir sind in einer sehr verletzlichen Situation – anders als Terroristen und Diktatoren. Das ist ganz klar. Aber eine rechtliche Methode, die am Ende nicht greift, die nicht bedachte und differenzierte Handlungsweisen zum Ziel hat, wird scheitern.
Deshalb möchte ich noch einmal an Sie appellieren, sich an der Union Niedersachsens, an der Union des Saarlandes und an der Union Baden-Württembergs zu orientieren. Sie sind nicht die Hessen-Partei – das wollen wir Ihnen sowieso nicht durchgehen lassen –, aber eine HessenUnion mit diesem Touch zu sein, ich weiß nicht, ob das für Sie erstrebenswert ist.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der Rede der Frau Kollegin Wagner könnte ich es eigentlich relativ kurz machen, denn ich kann für die SPDFraktion sagen, dass ich wirklich jedes Wort und jedes Komma in Ihrer Rede nur unterstreichen kann,Frau Wagner.
Herr Kollege Jung, Sie haben die Pressemeldung zu dem Thema schon verteilt, das offensichtlich für die Union so wichtig ist, dass sogar ein Flyer erstellt wurde, der Ihre Position darstellt. Sie schreiben in Ihrer Pressemeldung: Hessen ist damit nach Niedersachsen, Baden-Württemberg und dem Saarland das vierte Bundesland, das die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geforderte gesetzliche Regelung schafft. – Was Sie in Ihrer Pressemeldung nicht schreiben: dass in den von Ihnen erwähnten Bundesländern SPD und CDU gemeinsam zu einer Lösung gekommen sind, die aber nicht die Lösung ist, die Sie heute hier in dritter Lesung als Gesetz verabschieden wollen. Herr Jung, was Sie heute hier nicht gesagt haben: Die Übertragung des Kopftuchverbot, des Verbots des Tragens eines aufdringlichen religiösen Symbols, auf alle Beamtinnen wurde in diesen drei Ländern explizit und mit guten Gründen nicht gewollt und nicht verabschiedet.
Da wir in der dritten Lesung sind, macht es Sinn, sich die juristische Ausgangssituation zu betrachten – jenseits von dem, was politisch gewollt ist. Ihre Aussage, es handle sich um eine vom Verfassungsgericht geforderte gesetzliche
Regelung, ist schon falsch. Es ist nicht richtig, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass das Bundesverfassungsgericht von den Landesgesetzgebern eine entsprechende gesetzliche Regelung gefordert hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Wenn religiöse Symbole wie das Kopftuch im Schuldienst verboten werden sollen, dann bedarf es einer gesetzlichen Regelung. – Das Bundesverfassungsgericht hat aber nicht gesagt, das ist bitter notwendig. Es ist vielmehr eine freie Entscheidung der Landesgesetzgeber.
Bei der Entscheidung über das politische Wollen im Bereich der Schule sind wir einer Meinung, Herr Gotthardt. Da sagen – zumindest soweit ersichtlich – CDU, SPD und auch FDP, an den Schulen ist ein Kopftuchverbot wichtig.
Dann machen Sie in Ihrer Argumentation aber einen Grundfehler. Ich weiß nicht, ob es ein juristischer Fehler ist oder ob das, was politisch gewollt ist, der Vater des Gedankens war. Herr Jung, Sie sagen nämlich, Sie wollen deshalb ein Verbot, das für alle Beamtinnen gilt, weil das Kopftuch der Muslimin ein Zeichen der Unterdrückung ist, weil es für die Scharia steht, weil es für die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen steht. Darauf beschränken Sie die Wirkung des Kopftuchs.
Dies ist nicht so, Herr Kollege Jung. Vorwürfe gegen die Trägerin eines Kopftuchs zu erheben geht völlig an der Sache vorbei. Das ist nicht der Grund, warum wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für ein Kopftuchverbot eintreten.
Denn – das wird von Ihnen nicht bestritten werden – nur ganz wenige der muslimischen Frauen, die ein Kopftuch tragen, werden dieses Kopftuch explizit als ein Zeichen verfassungswidrigen Handelns oder als ein Zeichen der Ablehnung unserer Verfassungswerte sehen. Für einen Großteil der Kopftuchträgerinnen ist das Kopftuch schlicht nichts anderes als ein unverzichtbarer Bestandteil ihrer gesellschaftlichen Würde.
Aber auf diese Sichtweise alleine kann man das Kopftuch nicht beschränken, und das hat das Bundesverfassungsgericht richtigerweise auch nicht getan. Denn natürlich ist auch der objektive Erklärungsgehalt des Kopftuchs zu würdigen.
An dieser Stelle gebe ich Ihnen natürlich Recht: Das Kopftuch ist a u c h – sozusagen in einer Doppelfunktion – ein Zeichen für die Unterdrückung der Frau. Die Formulierung, die ich gelegentlich aus den Kreisen höre – es geht hier um Gleichwertigkeit, aber nicht um Gleichberechtigung –, ist eine, die niemand, der auf dem Boden des Grundgesetzes steht, auch nur in irgendeiner Weise akzeptieren kann. Deshalb kann ich die vielen Zitate, die von Ihnen gebracht wurden – von Bündnisgrünen, von Liberalen und von Sozialdemokraten, auch von vielen Sozialdemokratinnen,die gesagt haben,wir wollen das nicht –, nur für richtig halten.Aber, Herr Dr. Jung, dies betrifft allein die Schule.Warum?
Sie kennen die Antwort. In der Schule haben wir eine einzigartige Situation: Kleine Kinder, Schülerinnen und Schüler – vor allem die Schülerinnen – müssten von einer Lehrerin unterrichtet werden, die ein Kopftuch trägt, und zwar ohne Ausweg, denn das staatliche Schulsystem muss man besuchen. Diese Situation ist einzigartig, und deshalb wollen wir das nicht.
Damit kommen wir zu dem Punkt, warum es auch juristisch falsch ist, dass Sie dies auf alle Beamtinnen und Beamten ausweiten. Denn dann reden Sie über die Staatsräson und unterstellen sämtlichen Beamtinnen und Beamten: Eine Frau, die ein Kopftuch trägt, sei per se eine Verfassungsfeindin, gegen die Grundwerte unserer Gesellschaft und unserer Verfassung. – Herr Dr. Jung, das ist kompletter Unsinn.
Grundrechtsschutz ist das Geschäft, das wir als Juristen permanent zu tätigen haben – Abwägung des Grundrechts der Muslimin auf Religionsfreiheit. Es ist natürlich ein Eingriff in die Religionsfreiheit, einer Muslimin das Tragen des Kopftuchs zu verbieten. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, wir brauchen eine gesetzliche Regelung. Auf der anderen Seite stehen die Grundrechte der Kinder und auch die Grundrechte der Eltern der Kinder.
Bei dieser Abwägung kommen wir relativ klar zu dem Ergebnis: Ja, wir brauchen ein Kopftuchverbot. Beim letzten Mal habe ich hier aus meiner persönlichen Erfahrung berichtet. Es kann nicht angehen und darf nicht passieren, dass in einer Familie, in der sich eine junge Frau, eine junge Muslimin emanzipieren will und sagt: „Ich will das Kopftuch nicht tragen“, ihr von den Eltern, Großeltern oder Geschwistern gesagt wird: Aber siehst du, selbst deine Lehrerin trägt ein Kopftuch. – Das wollen wir nicht. Deshalb sind wir für das Kopftuchverbot.
Lieber Herr Kollege Jung, Sie sagen: Die Beamtin, die im Keller sitzt, wäre nicht Ihr Problem – denn in dem Moment, in dem sie im Keller das Kopftuch aufzieht, würde sie gegen die Verfassung verstoßen. – Nein, das ist nicht die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts. Denn hier besteht keine konkrete Situation, bei der in andere Grundrechte eingegriffen wird. Es sei denn, ich behaupte das, was Sie behaupten – dass das alleinige Tragen des Kopftuchs klares Symbol eines Verfassungsverstoßes sei.
Herr Dr. Jung, jetzt kommen wir zu dem, was die Vorrednerin, Frau Kollegin Wagner, hier gesagt hat: Das ist ein ganz gefährlicher Weg, den Sie hier einschlagen. Denn dann sind wir beim Clash of Civilizations.
Dann sprechen Sie nämlich auf einmal Wohlmeinenden aus der muslimischen Gemeinschaft die Redlichkeit ab und sagen, allein weil sie ein Kopftuch tragen – oder weil ihre Frau ein Kopftuch trägt –, seien sie per se ein Verfassungsfeind, und sie dürften nicht bei uns im Staatsdienst geduldet werden.
Herr Dr. Jung, so kommen wir nicht in den Dialog. Ich glaube, Frau Kollegin Wagner hat hier sehr deutlich ge
Herr Dr. Jung, wir sind einer Meinung darin, dass dies ein sensibles Thema ist. Sie begehen mit Ihrer absoluten Mehrheit hier einen großen Fehler, wenn Sie den Einwendungen von Verfassungsjuristen, von Ihrem ehemaligen liberalen Koalitionspartner, von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hier im Hause überhaupt keine Beachtung schenken.Ich glaube,es wäre richtig und im Sinne der Sache gewesen, hier zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen – die wahrscheinlich auch die richtigere Entscheidung gewesen wäre.
Da Sie zu diesem Schritt nicht bereit waren, müssen Sie es sich gefallen lassen, dass ich das wiederhole, was ich bereits in der letzten Debatte dieses Themas gesagt habe: Es geht Ihnen nicht um die Kopfbedeckung Kopftuch, sondern Sie brauchen diese Position – Muslime sind per se verfassungsfeindlich, wenn sie ein Kopftuch tragen –, um in Ihren eigenen Reihen zu wirken.