Sie brechen also die Verfassung und sagen, es sei ein Gebot aus der Verfassung, so zu handeln; das ist ja völlig absurd –, aber dann noch eine Linie ziehen und sagen, wer gegen das Kopftuchverbot sei, müsse auch für das Handabhacken sein – da ist die Verwirrung in Ihren Köpfen schon sehr weit fortgeschritten, meine Damen und Herren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Er hat die „Zeit“ zitiert! Im „Stern“ ist es richtig! Nehmen Sie die Behauptung zurück! – Zuruf des Abg. HansJürgen Irmer (CDU))
Wissen Sie, wie viele Zeitungen erscheinen? Wissen Sie, wie viel Unsinn gesagt wird? Die Frage ist doch, ob man sich das Zitierte zu Eigen macht und danach sagt, man habe dem nichts hinzuzufügen. Das ist doch genau der Punkt.
Ich glaube, es ist das alte Rezept der CDU: Provokation und Polarisierung, um von eigenen Fehlern abzulenken. – Das Schlimme ist, dass Sie das an einem Punkt tun, wo Sie der Integration und der Lösung der Probleme in diesem Land einen Bärendienst erweisen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Sie verwechseln schon wieder Ursache und Wirkung!)
Im Gegenteil, Sie stärken mit solchem Vorgehen die Fundamentalisten. Ich sage Ihnen, warum: weil die Fundamentalisten, die es gibt, auf genau die Ungleichheit verweisen werden, dass nämlich die Symbole der einen Religion erlaubt und die der anderen verboten sind,und sagen werden: Seht ihr, wir sind die Opfer.
(Frank Gotthardt (CDU): Ihr sagt, es ist in Ordnung, dass es das gibt! Ihr wollt die in Ruhe lassen!)
Meine Damen und Herren, deswegen glaube ich, es ist kein Zufall, dass wir den Tag heute mit einer Türkeidebatte beginnen, wo der Landtag wenig zu sagen hat, und mit einer solchen Scharfmacherei beenden, wie sie der Kollege Jung betrieben hat. Das ist Provokation und Polarisierung.
Letzter Satz, Herr Präsident. – Die CDU-Fraktion hat 26,8 % Juristen in ihren Reihen. Das sind 15 von 56 Abgeordneten. Da wir sehen wollen, ob alle 56 wirklich der Meinung sind – inklusive der 15 Juristen –, einen solch eklatant verfassungswidrigen Gesetzentwurf verabschieden zu wollen, beantragen wir hiermit die namentliche Abstimmung über diesen Gesetzentwurf. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hatte Gelegenheit, in der zweiten Lesung die Position der Landesregierung vorzutragen. Im Blick auf die Zeit will ich mich zunächst darauf beziehen und noch zwei, drei Bemerkungen aufnehmen. Zunächst gibt es ein paar Punkte, über die wir uns alle einig sind. Unabhängig von der Frage, wie dieses Gesetz im Einzelfall aussieht, ist die Frage, wie wir eine friedliche und erfolgreiche Entwicklung aller Menschen,die hier leben,organisieren,weit mehr als die Frage eines Gesetzes. Deshalb bleiben alle Anstrengungen und Notwendigkeiten, einen erfolgreichen Integrationsprozess zu führen, neben diesem Thema stehen.
Ich denke, darüber sind wir uns alle einig. Das ist das Erste. Das Zweite trifft zumindest auf drei Fraktionen im Hause zu. SPD, CDU und FDP sind der Auffassung, dass in einem besonderen Bereich – Sie sprechen von den Schulen – eine gewisse Schutzfunktion des Gesetzgebers für die Kinder eingefordert wird.
Negative Religionsfreiheit, ich will das nicht auf den Begriff verengen. – Bis dahin besteht bei den dreien noch Einigkeit. Worüber streiten wir? – Wir streiten im Ergebnis über die Frage: Ist es vertretbar, ist es richtig, jenseits einer politischen Überzeugung zu sagen, wir behandeln den öffentlichen Dienst und hier die besondere Gruppe der Beamten einheitlich oder differenziert? – Das ist der Kern, um den hier gestritten wird. Ich hatte das letzte Mal ausgeführt, nach meiner Position ist die Beamtenschaft einheitlich zu behandeln. Ich halte daran ausdrücklich fest.
Ich räume ausdrücklich ein, dass man dies auch anders sehen kann und das juristisch umstritten ist. Wer wollte das
bestreiten? – Nahezu alle Fragen,die wir miteinander verfassungsrechtlich diskutieren, finden unterschiedliche Antworten. Deshalb möchte ich Gelegenheit nehmen, darauf hinzuweisen, was das Entscheidende ist. Wir unterscheiden uns in einem Ansatz.Die Diskussion,die Sie führen, ist immer ausgelöst vom individuellen Blick der Trägerin.
Sie haben gesagt:Wenn jemand ein Kopftuch trägt, wissen wir nicht, ob sie verfassungsfeindlich eingestellt ist. Dahinter steht sozusagen der Gedanke, es müsse die allgemeine Vermutung geben: Jede, die das Kopftuch trägt, ist eine Verfassungsfeindin. – Das ist zu kurz gesprungen. Außerdem ist das meines Erachtens auch der falsche Ansatz. Der für mich richtige Ansatz ist folgender: Dieser Staat und insbesondere das Berufsbeamtentum bauen auf das Vertrauen der Bevölkerung in die neutrale Erfüllung der Amtspflicht aller Beamten auf.
Da unterscheiden wir uns. Ich will das deshalb noch einmal deutlich machen. Ich setze nicht bei der Fragestellung an, wie weit Art. 4 Grundgesetz reicht und wie weit den Individuen ihr Glauben oder was auch immer gewährt werden muss.Ich sage ausdrücklich:Das tritt für mich hinter die Verpflichtung des Staates zurück, die Neutralität aller seiner Amtsträger und deren korrekte Amtsführung zu gewährleisten. Das gilt nicht nur in der Schule, sondern für alle Beamten.
Das macht doch den Kern aus. Da kann man jetzt abwägen. – Frau Kollegin, ich möchte diesen Gedanken gerne noch zu Ende führen. – Da kann man abwägen. Natürlich kann man dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Ich sage Ihnen: Ich glaube, wenn man das nur für die Schule einführt, springt man zu kurz. – Was wollen Sie dann eigentlich bei den Beamtinnen der Kriminalpolizei machen, bei denen keine Pflicht zum Tragen einer Uniform besteht? Sie müssen in sehr schwierigen Situationen Menschen gegenübertreten.Auch sie haben die Verpflichtung, ihr Amt korrekt auszuführen. Sie müssen das immer aus der Sicht des Bürgers betrachten, der das Vertrauen in die Neutralität der Amtsführung haben muss.
Wie wollen Sie das in der Ausländerbehörde, ausgerechnet in der Ausländerbehörde, regeln? Was wollen Sie bei den Bediensteten des Sozialamts machen? Was wollen Sie eigentlich bei den im Standesamt Beschäftigten machen? Was wollen Sie bei Richterinnen unternehmen, die eigentlich nach unserem Verfassungsverständnis die Krönung der Neutralität dokumentieren müssen? Das gilt auch für Äußerlichkeiten.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist Großbritannien Ihrer Meinung nach ein Gottesstaat? Dort gibt es das nämlich!)
Gerade die Juristen tragen die Robe, um die Neutralität zu dokumentieren. Das zeigt, das dort ist nicht Frau Müller, sondern die Justiz, die Gerechtigkeit.
Wenn Sie dann darüber hinausgehen wollen, kommen Sie in eine ganz schwierige Abwägung, wo man es denn verbieten soll und wo nicht. Im Ergebnis bin ich der Auffassung, dass man dann springen muss. Man muss dann sagen, wem und welcher Überlegung man die Priorität ein
räumt. Will man der individuellen Verwirklichung auch der Amtsträger den Vorrang einräumen oder dem staatlichen Neutralitätsgebot,dem alle Amtsträger verpflichtet sind? Im Ergebnis bedeutet das: Bist du in deinem Amt, dann gelten die Regeln der staatlichen Neutralität mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums und allem, was wir dazu haben. Privat kannst du dich verhalten, wie du willst.Wenn du diese Grenze für dich nicht als erträglich ansiehst, dann musst du dich im Ergebnis dafür entscheiden, dass ein öffentliches Amt für dich nicht das Richtige ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,es handelt sich dabei um eine Frage außerordentlichen Gewichts. Wer wollte das bestreiten? Aus Sicht der Landesregierung ist das, was Herr Kollege Dr. Jung allein unter dem juristischen Gesichtspunkt jenseits der Frage der Integration vorgetragen hat, vor sehr großer Bedeutung. Deswegen kann ich hier für die Landesregierung erklären, dass wir uns diesen Überlegungen anschließen.
Ich wäre dankbar, wenn man diesen schwierigen Sachverhalt nicht immer mit Überlegungen würzen würde, wer dabei warum auch immer wieder welche Strategien verfolgt.Am Schluss einer längeren Entwicklung werden wir entweder gemeinsam – –
Langsam, ich habe mich bewusst auf die Juristerei bezogen. – Mein Ceterum censeo ist:Wir werden entweder gemeinsam erfolgreich sein,wenn wir klare Grenzen ziehen, die besagen, wie in diesem Land die Dinge sein sollen, oder wir werden in eine diffuse Zwischenlandschaft geraten, bei der am Schluss niemand gewinnen wird. – Man muss da von vornherein zugeben: Man kann sich da irren. – Man muss da auch das Risiko eingehen, dass das juristisch vielleicht anders beurteilt wird. Das entbindet einen aber nicht von der Pflicht, klar zu sagen, welche Position man einnimmt. Das habe ich für die Landesregierung getan.
Lieber Herr Kollege Bouffier! Sie haben am Ende Ihrer Ausführungen gesagt: Da muss man springen. – Darf ich Sie fragen,ob Sie die Fragen,die Sie an uns,die Mitglieder der Opposition, gestellt haben, auch den Ministerpräsidenten Teufel,Wulff und Müller gestellt haben?
Falls Sie das getan haben, frage ich Sie: Können Sie verstehen, dass diese drei Landesregierungen mit den Stimmen der Abgeordneten der SPD und der FDP der jeweiligen Parlamente anders gesprungen sind?
Lieber Herr Bouffier, lieber Herr Jung, da das so ist, müssen Sie uns zugestehen, dass auch wir uns die Abwägung nicht leicht gemacht haben.
Eines möchte ich noch aus meiner Erfahrung heraus sagen. Das hat mich damals wirklich umgetrieben. In der 9. Legislaturperiode hat Heinz Herbert Karry, nicht an diesem Pult hier, sondern an einem anderen Pult, eine bemerkenswerte Rede gehalten, in der es um die Aufnahme der Frau Gingold in den hessischen Schuldienst ging. Er hat damals dargelegt, dass man da sehr wohl differenziert unterscheiden kann, dass die allgemeinen Grundsätze des Dienstrechts gelten und dass der Eid geleistet wird. Außerdem wies er darauf hin,dass im Konfliktfall das Disziplinarecht angewandt werden kann und dass es noch andere Möglichkeiten gibt, um striktes rechtstaatliches Verhalten der Beamtinnen und Beamten und Lehrerinnen und Lehrer zu erreichen.
Ich möchte jetzt noch einmal das aufgreifen, was am Anfang gesagt wurde, und damit den Bogen zu der Debatte schlagen, die hier heute Morgen stattgefunden hat. Anders als Herr Al-Wazir bin ich der Meinung, dass in dem rechtsstaatlich orientierten europäischen Raum keine Beitrittsverhandlungen geführt werden dürfen, in denen einem Land zugestanden wird, dass in ihm nur grundsätzlich nicht gefoltert wird.Ich will,dass wir in einem Europa leben, in dem überhaupt nicht gefoltert wird.