Protokoll der Sitzung vom 07.10.2004

Ich möchte jetzt noch einmal das aufgreifen, was am Anfang gesagt wurde, und damit den Bogen zu der Debatte schlagen, die hier heute Morgen stattgefunden hat. Anders als Herr Al-Wazir bin ich der Meinung, dass in dem rechtsstaatlich orientierten europäischen Raum keine Beitrittsverhandlungen geführt werden dürfen, in denen einem Land zugestanden wird, dass in ihm nur grundsätzlich nicht gefoltert wird.Ich will,dass wir in einem Europa leben, in dem überhaupt nicht gefoltert wird.

(Beifall bei der FDP – Zurufe)

Einen Moment bitte. – Deshalb sage ich Ihnen: Diese Diskussion – –

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist extrem unfair!)

Nein,das ist nicht unfair.Die Frage des Beitritts der Türkei war eigentlich eine, die wir heute Morgen erörtert haben.

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist extrem unfair!)

Sie haben das jetzt wieder aufgegriffen. Ich unterstelle niemandem von Ihnen allen, dass Sie für ein bisschen Folter wären.

(Zuruf der Abg. Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das können Sie so hinnehmen. Meine Damen und Herren, Sie wollen das jetzt durchziehen. Herr Bouffier, Sie haben das so gesagt – ich finde, das ist ein schöner Satz –: Jetzt müssen wir springen. – Haben Sie Ihr Urteil aber wirklich abgewogen und sich dabei auch die Frage gestellt,ob Sie damit nicht in der Tat Märtyrer schaffen? Angesichts der Situation, wie sie sich in den letzten Wochen leider dargestellt hat, müssen wir alles daransetzen, dass es zu keinen neuen Märtyrern kommt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Es wäre in dem Fall dieses Gesetzentwurfs wirklich des Nachdenkens wert gewesen, ob man in dieser Frage nicht differenziert vorgehen sollte. Ich bedauere sehr, was jetzt geschieht. Ich sage Ihnen voraus: Das Gesetz wird in Karlsruhe scheitern.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Nur der Form halber möchte ich Folgendes sagen: Frau Kollegin, ich habe aus der Kurzintervention eine Wortmeldung gemacht. Denn Ihrer Fraktion haben noch fünf Minuten Redezeit zugestanden. Sonst hätte ich Ihre Rede nach zwei Minuten abbrechen müssen. Ich nehme an, dass Sie nachträglich damit einverstanden sind.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Herr Präsident, danke!)

Bitte schön.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nein!)

Klar, dass du dagegen bist. Jetzt habt ihr nämlich keine Redezeit mehr. Das ist richtig. – Danke schön.

Ich erteile Herrn Abg. Klemm von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister Bouffier hat einen Satz gesagt, den jedenfalls ich unterschreiben würde. Er hat gesagt: Entweder werden wir gemeinsam bei dieser Auseinandersetzung erfolgreich sein, oder nicht.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ja!)

Bei einer so grundsätzlichen Frage halte ich das in der Tat für entscheidend.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Er hat sich für „oder nicht“ entschieden!)

Aus meiner Sicht ergibt sich daraus die nächste Frage.Wir diskutieren das hier ja als ein juristisches Thema. Was macht Sie denn so sicher, dass Sie allein gegen den Rest der Mitglieder dieses Hauses im Besitz der allein juristisch richtigen Position sind?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Frank Gotthardt (CDU):Was macht Sie denn so sicher, dass Sie Recht haben?)

Nun gebe ich allen Juristenkollegen hier im Hause, die Anwälte, Staatsanwälte oder Richter sind, zu bedenken,

(Frank Gotthardt (CDU): Den letzten Rechtsstreit haben wir gerade gewonnen, gegen Sie!)

dass in der juristischen Argumentation der Kollege Bouffier gerade sagte: Wollen wir zulassen, dass die Richterin das Kopftuch trägt? Das sagte er zum Begründungszusammenhang dieses Gesetzes.

Lieber Kollege Bouffier, die Amtstracht des Richters, des Staatsanwalts und des Rechtsanwalts ist abschließend geordnet. Dazu bedarf es dieser gesetzlichen Begründung nicht, die Sie hier gebracht haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zurufe von der CDU)

Zu dem Thema Robe und zum Thema weißer Schlips des Strafverteidigers haben wir eine ganze Reihe von Entscheidungen. Mich macht sehr nachdenklich, dass diese einfache Wahrheit hier zur Verwirrung bei der CDU führt.

(Frank Gotthardt (CDU): Da ist keine Verwirrung!)

Schauen Sie sich die Rechtslage an, ehe Sie in eine solche Spaltung hineinkommen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich verstehe eines nicht. Man weiß, dass es sich hier um ein schwieriges Thema handelt, bei dem es letzten Endes darum geht: Kriege ich eine Gesellschaft in einen Dialog auf dem Weg in eine friedlichere, gewaltfreiere, tolerantere Zukunft,oder stärke ich letzten Endes diejenigen,die darauf warten, dass Sie mit dem Kopf durch die Wand wollen, beim Verfassungsgericht scheitern und zum Schluss als die dastehen, die groß die Backen aufgeblasen, aber nichts hinbekommen haben?

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Michael Bod- denberg (CDU): Das ist doch nicht Ihre Sorge! – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das haben Sie schon einmal gesagt, aber verloren!)

Das wird das Ergebnis einer Politik sein, die sich mit den juristischen Fragen in Wirklichkeit nicht auseinander setzt, die darauf abzielt, Flugblätter zu verteilen und den Versuch zu machen, aus der Polarisierung parteipolitisch Kapital zu schlagen. Das ist scheinheilig und gehört sich nicht.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Das Wort hat der Abg.Al-Wazir.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich zu drei Punkten noch einmal gemeldet. Frau Wagner, bevor ich Sie im dritten Punkt ein wenig korrigieren möchte, möchte ich Ihnen in einem Punkt ausdrücklich zustimmen: Wir dürfen keine neuen Märtyrer schaffen. Ich glaube, wenn man sich die Geschichte der Berufsverbotsdebatte, auf die Sie angespielt haben, anschaut, dann kann man behaupten, dass die DKP wahrscheinlich politisch schon viel früher am Ende gewesen wäre, wenn man ihr nicht diese Märtyrerrolle gegeben hätte. Ich glaube, dass die SPD, die das Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre teilweise mit betrieben hat, das heute anders machen würde.

Der zweite Punkt. Ich fand es sehr spannend, dass der Innenminister gesagt hat, dass natürlich auch das Risiko des Scheiterns besteht.

(Gerhard Bökel (SPD): Der letzte Satz war hochinteressant!)

Ich habe das Gefühl, dass wir nach acht Monaten Diskussion im letzten Beitrag in der dritten Lesung das Vorbauen für das absehbare juristische Scheitern erlebt haben.

(Frank Gotthardt (CDU): Oh! – Gerhard Bökel (SPD): Was hat wohl die rechtsförmliche Prüfung im Ministerium ergeben? – Lebhafte Zurufe von der CDU)

Das Wort hat eindeutig Herr Abg.Al-Wazir.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe in der ersten Lesung schon gesagt, dass es kein Zufall ist, dass es kein Gesetzentwurf der Landesregierung, sondern ein Gesetzentwurf der CDU-Fraktion ist. Denn jeder Beamte im Justizministerium, über dessen Tisch dieser Gesetzentwurf zur rechtsförmlichen Prüfung gegangen wäre, hätte eine Notiz gemacht, dass das vor Gericht keinen Bestand haben wird.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Ich fände es der Sache angemessen, wenn man nicht als Allerletzten vor der Abstimmung den Innenminister hineinschickte, der vorbaut und sagt, das Risiko des Scheiterns sei da, sondern wenn man von Anfang an Gesetze machte, bei denen man zumindest davon ausgehen kann, dass sie nicht vor Gericht scheitern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Nichts anderes machen wir, Herr Kollege Al-Wazir! Aber wollen Sie Richterinnen mit Kopftuch? Finden Sie das in Ordnung oder nicht?)

Herr Kollege Gotthardt, ich bin gerne bereit, auch auf die abwegigsten Argumente einzugehen. Aber unterhalb eines bestimmten Niveaus begebe ich mich heute nicht mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Ist es in Ordnung, wenn eine Richterin ein Kopftuch trägt, oder nicht?)

Herr Kollege Gotthardt, ich wollte gerade der Kollegin Wagner einen dritten Punkt sagen.