Ich habe eben schon gesagt:Wir wollen hier keine Grundsatzdebatte führen. Aber wir müssen eine Debatte über das führen, was im Kernkraftwerk Biblis vor wenigen Tagen für uns erkennbar wurde. Wir müssen die Debatte darüber führen, weil dort ein gravierendes Sicherheitsproblem offenkundig wurde. Wir müssen darüber reden, dass der Betreiber, RWE Power, offensichtlich massiv gegen die Sicherheitsauflagen und gegen die Genehmigung verstoßen hat. Das ist etwas, was man in keiner Weise tolerieren darf. Diese Diskussion gehört hier in den Landtag. Denn im Hessischen Ried wohnen über 200.000 Menschen. Die Millionen von Menschen, die im Rhein-MainGebiet und über Hessen hinaus wohnen, sind, wenn es zu einem Unglücksfall kommt, massiv betroffen. Die Politik hat also hierfür Verantwortung zu tragen. Deshalb sind hierzu zwei Punkte zu diskutieren.
Erster Punkt. Ist die Betreiberin des Atomkraftwerkes Biblis, also RWE Power, zuverlässig genug, um weiterhin ein Atomkraftwerk zu betreiben?
Zweiter Punkt.Ist die hessische Atomaufsicht in der Lage, die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren?
Ich denke, diese beiden Punkte sind von elementarer Bedeutung. Wir Politiker müssen uns mit diesen Fragen beschäftigen. Die Atomaufsicht ist gehalten, auf diese Fragen Antworten zu geben.
Lassen Sie mich noch einmal kurz auf die Sachlage eingehen. Am 17.04.2003, also kurz vor Ostern, stellte sich heraus, dass es im Atomkraftwerk Biblis offenkundig Probleme gibt. Der Reaktor war zu der Zeit vom Netz genommen. Man stellte fest, dass es Probleme beim Sumpfbecken, also bei der Notkühlung, gibt. Bei einer Störung mit Kühlmittelverlust ist eine ausreichende Kühlung nicht mehr gewährleistet. Die Entscheidung des Ministers war richtig. Er hat beschlossen, dass der Reaktor nicht angefahren wird.
Dieses Problem muss gelöst werden. Ich weiß, dass sich das Bundesumweltministerium sofort an die Öffentlichkeit gewandt und dies thematisiert hat. Es hat gesagt: Dieser Reaktorblock darf nicht ans Netz gehen. Da ist ein risikobehaftetes System betroffen. Deshalb darf der Betrieb nicht weitergehen.
Aufgrund des Störfalls im Atomkraftwerk Barsebäck wissen wir, dass es bei einem Kühlmittelverlust zur Freisetzung von Isoliermaterial kommen kann. Ich will das noch einmal kurz darstellen. Dieses Isoliermaterial kann, weil es die Siebe zusetzt, möglicherweise eine Notkühlung über den Sumpf verhindern.Demnach wäre eine Kühlung in diesem Bereich nicht mehr gewährleistet. Damit ist die Notkühlung in diesem Bereich infrage gestellt. Damit funktioniert ein wichtiges System in diesem Bereich nicht richtig. Meine Damen und Herren, ich denke, Ihnen allen ist klar, was das für Folgen in unserem dicht besiedelten Raum haben könnte. Dazu muss ich nichts mehr sagen. Das Sumpfsieb ist ein wesentlicher Bestandteil des Sicherheitssystems des Atomkraftwerks in Biblis.
Herr Kollege Dr. Arnold, ich habe auch die Frage gestellt, ob der Betreiber zuverlässig ist. Ich denke, damit ist die richtige Frage gestellt. Ich denke, RWE hat gezeigt, dass es alles andere als zuverlässig ist.
Sie wissen, dass wir in der Vergangenheit hieran schon massiv Kritik geübt haben. Ich möchte Sie jetzt einfach nur an die Informationspolitik erinnern. Ich möchte Sie daran erinnern, dass 1987 an einem Schalter manipuliert wurde. Das hätte zu einem GAU führen können. Das wurde über ein Jahr lang unter der Decke gehalten. Es kam dann nur zufällig heraus.
Sicherlich erinnern Sie sich auch an die Castoren, die „weinenden“ Transportbehälter, wie man es so schön umschrieben hatte. Dabei waren es kontaminierte Behälter. Die Atomlobby hat dieses Problem über Jahre und Jahrzehnte verschwiegen.
Wir sehen demnach die Glaubwürdigkeit, die RWE an den Tag zu legen versucht, als nicht gegeben an. In diesem aktuellen Fall muss es doch wirklich allen aufgefallen sein, nachdem man die Presseerklärung von RWE Power gelesen hatte. Dem Text lässt sich keinerlei Unrechtsbewusst
sein entnehmen. Ich vermisse jegliches Verantwortungsgefühl. Dort wird einfach lapidar erklärt, es habe sich um ein formalrechtliches Problem gehandelt. Wo sind wir denn? Es gab eine derartige Abweichung. Offensichtlich wusste RWE seit Betriebsbeginn, dass der Zustand nicht genehmigt ist. Das ist aus der Presseerklärung zu erkennen. Ich könnte Ihnen die entsprechende Passage vorlesen. Daraus geht nämlich hervor, dass sich sämtliche Bauunterlagen sowie die bei Inbetriebnahme durchgeführte sicherheitstechnische Überprüfung immer auf die heute vor Ort installierte Fläche bezogen haben.Sie wissen ganz genau, dass die heute vor Ort installierte Fläche nicht derjenigen entspricht, die laut Genehmigungsunterlagen vorgesehen ist. Diese Presseerklärung zeigt also deutlich, dass es RWE offenbar stillschweigend hingenommen hat, dass dort seit Betriebsbeginn ein illegaler Zustand besteht.
Das Schlimmste kommt aber noch. Man versucht jetzt, sich sicher zu rechnen. Das ist für mich etwas, was ich schon während der Sitzung des Ausschusses überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Sie wissen, dass der Kraftwerksbetreiber seit dem Jahr 2001 Untersuchungen durchführt. Diese wurden im Übrigen nicht von Herrn Minister Dietzel veranlasst. Sie wurden vielmehr in eigener Verantwortung durchgeführt. Sie wissen auch, dass das Ergebnis dieser Untersuchungen noch nicht in endgültiger Fassung vorliegt. Das Ergebnis hat die Qualitätssicherung noch nicht durchlaufen. Das weiß RWE auch. Trotzdem hat RWE auf der Grundlage dieser ungesicherten Erkenntnisse, die vorliegen, gerechnet und innerhalb von wenigen Tagen diese bestehende illegale Unsicherheit in bestehende Sicherheit umgewandelt.
Ich denke, Sie können mir hierin wirklich alle zustimmen, unabhängig davon, welcher Fraktion Sie angehören. Dass so mit der Materie umgegangen wurde, ist ein Skandal.
Daran, wie RWE mit der gesamten Materie umgeht, wird mir immer wieder etwas deutlich: Wenn ich mir die gesamte Geschichte anschaue, kann ich feststellen, dass RWE schon immer der Verhinderer war, wenn es um Maßnahmen der Nachrüstung ging.
Herr Dr. Arnold, es war mir klar, dass von Ihnen der Einwurf kommen würde, wir wären die Verhinderer gewesen.
Das wissen Sie auch. Ich darf Sie noch an etwas erinnern. Wir befinden uns jetzt ja in einem Zwiegespräch. Sie haben 1998 eine Große Anfrage dazu gestellt. Aus der Antwort auf die Große Anfrage war deutlich erkennbar, wer der Schuldige dafür ist, dass die Sicherheitsmaßnahmen
im Atomkraftwerk Biblis nicht umgesetzt wurden. Das war RWE. Das war nicht die rot-grüne Landesregierung. Die rot-grüne Landesregierung hielt es aufgrund der zahlreichen Defizite, die in dem Reaktorblock zu erkennen waren, für notwendig, die Stilllegung auf den Weg zu bringen. Das hat Sie damals, die Vertreter der CDU, der CSU und der FDP in der Bundesregierung, überhaupt nicht gestört. Sie haben sogar angewiesen, dass nicht nach dem neusten Stand der Wissenschaft und Technik untersucht wurde. Damals wurde sogar die Parole ausgegeben: Ein bisschen weniger darf es auch sein.– Rot-Grün wurde also hinsichtlich der Nachrüstungsmaßnahmen eklatant behindert, also hinsichtlich dessen, was vor Ort notwendig gewesen wäre.
Herr Dr. Arnold, Sie wissen, dass ich sehr gerne Märchen höre. Aber ich kann sie schlecht erzählen. Deshalb können Sie mir ruhig abnehmen, dass ich hier die Wahrheit sage. Wir hatten schon unzählig viele Debatten darüber. Ich weiß, dass selbst Minister Dietzel bisher der rot-grünen Landesregierung und insbesondere dem von GRÜNEN geführten Umweltministerium nicht nachweisen konnte, dass in irgendeiner Weise das Begehen eines Versäumnisses zu erkennen ist. Das ist die Sachlage.
Lesen Sie das Protokoll der Sitzung von 1999 noch einmal nach. Dann wird, so denke ich, das auch Ihnen bewusst werden.
Ich rede nicht schön. Ich spreche hier die Wahrheit. Wenn Sie sich die Unterlagen anschauen, können Sie das auch ersehen. Da gibt es nichts drum herum zu reden.
Lassen Sie mich einen Punkt nennen, der mir in diesem Bereich sehr wichtig ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang insbesondere den Antrag vonseiten der FDP erwähnen. Er ist erfrischend gegenüber dem, was in den Jahren zuvor immer dazu gekommen ist, wenn es in der Diskussion um die Sicherheit von Biblis ging.
Meine Damen und Herren, er unterscheidet sich substanziell von dem Antrag, der von der CDU vorgelegt wurde. Da sehe ich immer wieder das kleinkarierte, parteiideologisch gerührte Vorwürfchen, der Fischer sei an allem schuld. Nicht Herr von Plottnitz, sondern Fischer sei in diesem Fall der Schuldige gewesen. – Aber das nimmt Ihnen doch überhaupt keiner mehr ab.Wer hat sich denn in dieser Zeit wirklich intensiv darum bemüht, die Gefahren der Atomkraft aufzuzeigen und in diesem Bereich Änderungen vorzunehmen? Ich sage Ihnen ganz deutlich, weil auch dieser Vorwurf hier wieder gekommen ist,1992 hätte Fischer das aufgrund von Barsebäck merken müssen:
Wenn Fischer auch nur den Hauch davon gewusst hätte, dann wäre er trotz der radioaktiven Belastung sogar zum Sumpfsieb gekrochen und hätte überprüft, ob es dort Probleme gibt.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Damals war er noch zu dick! Da hätte er nicht hineingepasst!)
Allein die Stilllegungsverfügung von damals hätte Ihnen zu denken geben müssen. Akribisch wurde das Atomkraftwerk auf den Prüfstand gestellt.Wir mussten feststellen,dass es allein im Schaltsystem 200 Abweichungen gab, dass es zahlreiche Probleme gab – Rangierverteiler, Explosionsgefahr, Wasserstoffexplosion, Brandgefahr generell, Risse.Auf die Risse, über die wir im Ausschuss schon diskutiert haben, brauche ich gar nicht einzugehen.
Aber das macht deutlich, dass die Gefahr des Reaktorblocks von Rot-Grün erkannt war und dass wir alles versucht haben, entweder Nachrüstungsmaßnahmen umzusetzen
(Frank Gotthardt (CDU): Ich wage zu bezweifeln, dass Sie alles getan haben, um Nachrüstungsmaßnahmen umzusetzen!)