Ihre Königliche Hoheit – das ist der offizielle protokollarische Titel – trug ein Kopftuch, und das trug sie ganz selbstverständlich und ganz charmant, weltgewandt. Mit großem Engagement ist sie für eine Gleichstellung behinderter Menschen eingetreten. Sie hat ganz und gar nicht das Bild abgegeben, das Sie hier von Kopftuch tragenden Frauen zu zeichnen belieben.
Ich musste in Berlin natürlich daran denken, dass Ihre Königliche Hoheit, wie sie da ständig genannt wurde, in Hessen noch nicht einmal Beamtin oder Lehrerin werden könnte. Nun würde sie das auch gar nicht wollen.Aber Sie werden verstehen, dass mir an diesem Beispiel einmal mehr deutlich geworden ist,mit welch provinzieller Rückschrittlichkeit Hessen zurzeit regiert wird.
Genau diese provinzielle Rückschrittlichkeit kommt auch in dem zum Ausdruck, was Sie demnächst zum Gleichstellungsgesetz erheben wollen. Man stelle sich einmal vor, in den Vereinten Nationen wird weltweit darüber diskutiert, wie behinderte Menschen in einer weltweit geltenden Konvention im Menschenrechtssystem der UNO volle Rechte bekommen können. Das Grundgesetz gibt dies seit 1994 vor. Der Bund hat mit dem Bundesgesetz seine Aufgabe inzwischen auf den Weg gebracht, und die Landesregierung will immerhin auf Landesebene – wenn auch zaghafte – Schritte in die richtige Richtung übernehmen. Aber die hessischen Kommunen sollen weiterhin von dieser weltweiten Entwicklung ausgenommen werden. Die hessischen Kommunen sollen sagen: Die sollen in der UNO und im Bundesrecht machen, was sie wollen. Mäh sin mäh, wie man in Nordhessen sagt. Die hessischen Kommunen sollen weiter das Tal der Ahnungslosen bleiben.
Das ist engstirnige Provinzialität zum gesetzlichen Prinzip erhoben, und das können wir nicht mitmachen.
Das zeigt vor allem eines.Sie haben das Grundprinzip von Gleichstellungsregelungen überhaupt nicht verstanden, egal auf welcher Ebene. Ich erwähne mit Absicht die Begründung der Landesregierung, die sie selbst zu diesem Landesgesetz gegeben hat, damit Sie verstehen, worum es geht. Dann glauben Sie es vielleicht. Sie hat geschrieben – ich zitiere –: Behinderte Menschen
werden mit Verfassungsrang aus der Rolle der Empfänger von Fürsorgemaßnahmen herausgehoben und als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft ausdrücklich anerkannt.
Genau dazu würde es aber auch gehören, dass ihnen notfalls einklagbare Rechte auf Gleichstellung eingeräumt werden. Sie wollen den behinderten Menschen in den Kommunen weiterhin sagen: Bleib in der Rolle des Bittstellers. Sie wollen keine Rechte einräumen, keine Ansprüche auf Gleichstellung. Sie wollen weiterhin nur die Rolle des passiven Fürsorgeempfängers. – Das kann mit uns nicht geschehen.
Sie haben einen Änderungsantrag vorgelegt,den wir noch im Ausschuss beraten werden. Danach sollen die Kommunen nur gebunden sein, wenn sie freiwillige Zielvereinbarungen – ich betone: freiwillige Zielvereinbarungen – mit den Behindertenorganisationen abschließen.
Mit Verlaub, meine Damen und Herren, die Zielvereinbarungen sind ein sinnvolles Mittel im privatwirtschaftlichen Bereich. Aber dass eine Kommune nach den Grundsätzen der Vertragsfreiheit sozusagen nach Gusto darüber entscheiden kann, ob sie die Gleichstellungsverpflichtung des Grundgesetzes einlöst oder nicht, das ist geradezu abenteuerlich. Grundrechtsgewährung nach Kassenlage ist ganz und gar nicht das, was behinderte Menschen und meine Fraktion unter Gleichstellung verstehen. Das ist das genaue Gegenteil.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Sie im Grunde Ihres Herzens gar keine Vorstellung davon haben, was wirkliche Gleichstellung bedeutet und wo das Problem liegt, dann hat ihn der Justizminister am Montag geliefert. Er hat in einem Pressebeitrag zum rot-grünen Vorhaben eines zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes, womit ja auch die zivilrechtliche Diskriminierung von behinderten Menschen bekämpft werden soll, dies als Bevormundung des Rechtsverkehrs gegeißelt und verstieg sich dann zu einem abstrusen Vergleich dieses vorgesehenen Antidiskriminierungsgesetzes mit dem – ich zitiere – „Kommunismus in der ehemaligen DDR und in Osteuropa“.
Meine Damen und Herren, die Gleichstellung behinderter Menschen mit einem Regime von Stacheldraht und Mauern gleichzusetzen, das kann wirklich nur denjenigen einfallen, die eine Diskriminierung von Minderheiten an
anderer Stelle noch nicht einmal zu rügen für notwendig gehalten haben, wie wir es heute Morgen erlebt haben.
Sie haben eben nicht verstanden, worum es geht. Sie schieben auch Ihre Verantwortung weg. Wir haben jetzt einen Dringlichen Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend interdisziplinäre Studien- und Prüfungsinhalte im Hinblick auf behindertengerechtes, energie- und umweltgerechtes Bauen auf den Tisch bekommen. Mit Verlaub, das Anliegen ist durchaus unterstützenswert. Aber ich darf darauf hinweisen, dass es noch nicht so lange her ist, dass Sie solche Anträge zum energie- und umweltgerechten Bauen, die wir in den Haushaltsberatungen eingebracht haben, abgelehnt haben.
Sie haben das abgelehnt,und genau das ist Ihre Politik.Sie nehmen Ihre Verantwortung nicht wahr, sondern fordern andere auf, etwas zu tun, wozu Sie nicht den Mut oder die Kraft oder die Erkenntnis haben, es selbst zu tun. Sie fordern andere auf und handeln nicht selbst.
Wir beantragen für beide Gesetzentwürfe die dritte Lesung, damit Sie Gelegenheit haben, noch einmal über Ihre künftige Linie in der Minderheitenpolitik insgesamt und in der Behindertenpolitik im Besonderen nachzudenken.
Herr Dr. Jürgens, ich erinnere nur an den Abend mit dem VdK, als ich gesagt habe, wir beide seien auf gleicher Augenhöhe. Sie haben gesehen, in der Korrektur der Höhe des Podiums ist das wohl auch so.
Das war die Anmerkung einer weiblichen Kontrahentin, das sollte man als Frau überhören. – Herr Dr. Jürgens, Sie haben Recht. Wir sind uns tatsächlich einig, wenn es darum geht, die Feststellung zu treffen, dass Menschen mit Behinderungen vollwertige Mitglieder in unserer Gesellschaft sind. Die Aufnahme des Benachteiligungsverbots zugunsten behinderter Menschen in unserem Grundgesetz dient als Grundlage unserer Behindertenpolitik. Behindertenpolitik findet nicht erst seit dieser Legislaturperiode statt.
Wir brauchen im Einzelnen gar nicht mehr darzustellen, dass wir uns Schritt für Schritt, und das in einer ungebrochenen Kontinuität, für das Ziel einsetzen, dass jeder Mensch mit Behinderungen hier in Hessen genau so leben kann wie jeder Mensch ohne Behinderungen.
Auch wenn Herr Dr. Spies gemeint hat, es noch einmal im Besonderen betonen zu müssen: Wir wollen – damit
meine ich alle, die hier im Plenarsaal sind –, dass den Betroffenen die Gleichstellung zuteil wird und eine Teilnahme am Leben ermöglicht wird. Behinderte sollen ihr Leben selbst bestimmt führen können.
Wir sind aber nicht so blauäugig, zu glauben, dass die Lebenswirklichkeit vieler behinderter Menschen dem entspricht, was die Verfassung vorgibt und was eigentlich zum Selbstverständnis des menschlichen Miteinanders gehören sollte. Daher haben wir zu unserer seither guten Behindertenpolitik einen weiteren Schritt getan, nämlich einen Schritt in der Kontinuität mit der Einbringung des Gleichstellungsgesetzes der Landesregierung für das Land Hessen, das wir heute in zweiter Lesung beraten.
Herr Dr. Jürgens, Sie reklamierten bereits in der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses, dass Ihre Fraktion ebenfalls ein Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen eingebracht habe. Das haben wir nicht übersehen, wir haben es auch nicht achtlos zur Seite geschoben. Ich kann auch heute Abend zum wiederholten Male feststellen: Es handelt sich um einen Gesetzentwurf mit vielen unerfüllbaren Wünschen. Herr Dr. Jürgens, Sie wissen auch, dass wir mit dieser Feststellung nicht alleine stehen. Natürlich sind die Verbände und Organisationen von den von ihnen Vertretenen ständig aufgefordert, für ihre Belange allumfassend einzutreten. Es wäre auch nicht ganz zu verstehen, wenn das nicht so wäre.
Die Verbände haben auch einen ausgeprägten realen Bezug zum Machbaren. In vielen Gesprächen mit den Verbänden und Organisationen haben wir darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf der Hessischen Landesregierung einen weiteren Schritt, aber nicht den letzten Schritt in unserer Behindertenpolitik darstellt. In einer Behindertenpolitik – das sage ich nicht ohne einen gewissen Stolz –, die auf Vertrauen fußt und die sich über die letzten sechs Jahre mehr als verlässlich dargestellt hat.
Nun betrachten wir das Ergebnis der Anhörung zu beiden Gesetzentwürfen, die wir im Sozialpolitischen Ausschuss durchgeführt haben. Es wurde schon dargestellt, der Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist der weiter gehende, der Wunschkatalog. Der Gesetzentwurf der Landesregierung wurde von allen Beteiligten begrüßt, ebenso die Änderungen von konkreten Gesetzen wie der Landes- oder Kommunalwahlordnung.
Im Wesentlichen wurde angemahnt – das haben Sie hier auch deutlich gesagt –, dass das Gesetz insoweit zu ergänzen ist, dass die Kommunen mit in die Verantwortung genommen werden müssen. Es wurde auch die Entscheidung akzeptiert, Änderungen in weiteren Gesetzen direkt in die betroffenen Gesetze umzusetzen und dies nicht in einem Artikelgesetz nachzuvollziehen.
Weiter sollte auch das Ergebnis der interministeriellen Arbeitsgruppe, nämlich welche konkreten Gesetzesänderungen bereits vollzogen und welche geplant sind, bekannt gegeben werden. Ich weiß, dass sich hier schon einiges getan hat und in den nächsten Monaten noch tun wird. Das werden wir dann hier im Plenum zu beraten haben.
Die CDU- und die FDP-Fraktion haben in einem gemeinsamen Änderungsantrag den berechtigten Anliegen aus der Anhörung Rechnung getragen.
Die Redezeit ist doch relativ kurz, das Gebiet ist so umfassend. Herr Kollege Dr. Spies, ich bitte Sie, dafür Verständnis zu haben, wenn ich in meinen Ausführungen erst einmal fortfahre.
Sie haben moniert, dass wir Ihnen diesen Änderungsantrag in der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses vorgelegt haben und sozusagen nicht bereit gewesen wären, darüber zu sprechen. Wir wollten einem vorbeugen. Herr Dr. Spies, es war schon beredt, als Sie gesagt haben, Sie redeten heute zum Schulgesetz. Das war der Eingang Ihrer Rede: zum Schulgesetz. Ich dachte erst, Sie hätten Ihre Reden vertauscht. Ich weiß aber, was Sie damit zum Ausdruck bringen wollten. Sie wollten darauf verweisen, dass der Kulturpolitische Ausschuss nicht bereit gewesen wäre, die Änderungen Ihrer Fraktion oder auch der Oppositionsfraktionen zum Schulgesetz zu beraten. Das war gedanklich auch bei Ihnen haften geblieben. Daher kam wohl der Versprecher.
In dem Änderungsantrag, den wir vorgelegt haben, haben wir sowohl im Titel als auch durchgängig im gesamten Gesetzestext die Worte „behinderte Menschen“ durch die Worte „Menschen mit Behinderungen“ ausgetauscht. Herr Dr. Jürgens, dies entspricht zwar nicht dem Bundesgleichstellungsgesetz. Aber Sie wissen, die Verbände legen alle sehr großen Wert darauf, dass dieser Sprachgebrauch angewandt wird.Warum sollten wir uns dem nicht anpassen?
In Art. 1 § 3, Barrierefreiheit, wollen wir dem Anliegen, die kommunale Seite einzubinden, in etwa Rechnung tragen, ohne mit der Hessischen Verfassung in Konflikt zu geraten und hier die Frage nach dem Konnexitätsprinzip aufzuwerfen.
Die im Bundesgesetz geschaffene Grundlage ermöglicht es, Zielvereinbarungen zwischen Landesverbänden von Menschen mit Behinderungen einerseits und kommunalen Körperschaften und deren Verbänden und Unternehmen andererseits zu treffen. Inhalt, Bedingungen und die Überwachung sind in § 3 Abs. 2 bis 5 dieses Gesetzes dargestellt.
Ich glaube schon, dass dies ein erster weiterer Schritt in der Zusammenarbeit mit der kommunalen Seite in der Anwendung von Gesetzen und Verordnungen ist, auch ohne eine direkte Anweisung erteilen zu müssen.
Wir haben mit der Ergänzung des Gesetzestextes in § 5 den Gedanken des Gender Mainstreaming in dieser Grundform gefestigt.Wir wirken also nicht nur bestehenden Ungleichbehandlungen entgegen, sondern führen aktiv eine gesamtgesellschaftliche Integration herbei.
In § 7,wo wir ursprünglich das Wohnen im Alter absichern wollten, haben wir wiederum dem Anliegen der Verbände Rechnung getragen, diese Vorschrift für alle Menschen mit Behinderungen zu öffnen,da allen die Möglichkeit gegeben werden soll, so lange wie möglich im gewohnten Wohnumfeld zu verbleiben.
§ 9, Benachteiligungsverbot, erhält eine Ergänzung im Abs. 1, wo es heißen soll: „In Bereichen bestehender Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen gegenüber Menschen ohne Behinderungen sind besondere Maßnahmen zum Abbau und zur Beseitigung dieser Benachteiligungen zulässig.“ Die Vorschrift wird dem Wortlaut des Bundesgleichstellungsgesetzes angeglichen und erhält damit eine Handlungsermächtigung, z. B. in der behindertengerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen.
Nicht zuletzt soll § 18, der die Funktion des Behindertenbeauftragten darstellt, ergänzt werden, um der Forderung nachzukommen, dass der Bericht Aussagen über die Wirksamkeit und Umsetzung dieses Gesetzes enthalten muss.