Protokoll der Sitzung vom 14.12.2004

Meine Damen und Herren, mit einer Privatisierung der mittelhessischen Universitätsklinika entsteht dem Land ein Schaden, der über die finanziellen Aspekte weit hinausgeht. Wenn es doch nur dieser Aspekt der Finanzen wäre. Bereits im Gesetz über die Universitätsklinika, das die Anstalten öffentlichen Rechts geschaffen hat, ist ein grundsätzlicher Fehler bei der Strukturierung des Verhältnisses von Fachbereich und Klinikum gemacht worden. Weil Universitätsklinika nämlich vor allen Dingen Ausbildungseinrichtungen sind, ist die strukturelle Trennung der Fachbereiche und der Klinika schon im Ansatz völlig verfehlt.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Sie haben dadurch eine Separierung der Fachbereiche und der Klinika erreicht – und zwar sowohl in Bezug auf die Qualität der Ausbildung als auch in Bezug auf die Forschung, denn die entscheidende gesundheitspolitische Herausforderung für die medizinische Forschung ist die Versorgungsforschung. Auch an der Stelle ziehen Sie die Fachbereiche und die Klinika auseinander.Herr Ministerpräsident, ich habe sehr aufmerksam zugehört, als Sie von einem „Gesundheitszentrum Mittelhessen“ fabuliert haben. Die Wahrheit ist: Sie reißen die Fachbereiche und die Klinika weiter auseinander, statt sie zusammenzuführen, wie es nötig gewesen wäre.

(Beifall bei der SPD)

Da ist man in anderen Bundesländern ein ganzes Stück weiter, weil man verstanden hat, dass das Auseinanderdividieren von Fachbereichen und Klinika nicht hilfreich ist und dass man beide dichter zusammenführen muss.Nur in Hessen reißen wir das Ganze endgültig auseinander.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wenn Sie glauben, dass ein privater Investor Mittel in ein Vorhaben steckt, das ihm kein Geld bringt, dann ist das ein grober Irrtum.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung machen. Vor ungefähr sieben Jahren traf ich die Entscheidung, den Operationssaal mit diesem Saal einzutauschen.

(Volker Hoff (CDU):Was einzutauschen?)

Den Operationssaal mit diesem Saal einzutauschen.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das war für die Patienten vielleicht besser, für uns nicht! – Volker Hoff (CDU): Das war eine Entscheidung für die Patienten!)

Diese Entscheidung hatte wesentlich mit einer gesundheitspolitischen Grundfrage zu tun – nicht Bürgerversicherung, nicht Pflegefallpauschalengesetze, keine der aktuellen Strukturfragen, sondern mit der tiefen Überzeugung aus selbst erlebter Praxis, dass die wesentlichen Probleme des Gesundheitswesens mit den Denkstrukturen der Akteure im Gesundheitswesen zusammenhängen. Denkstrukturen oder Paradigmen werden aber in den frühen Phasen der Ausbildung erlernt.

(Lachen des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP) – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das war jetzt eben ein schlechtes Beispiel!)

Mein Anspruch an Politik ist, die Ausbildung und damit diese Entwicklung der Denkstrukturen von Medizinern, aber auch von allen anderen Heilberufen anders zu organisieren, um eine Vielzahl der Probleme lösen zu wollen, die wir mit den kleinen organisatorischen Maßnahmen, genannt Gesundheitsreformen, nicht in den Griff bekommen.

Damit, dass sich das Land seiner Universitätsklinika entledigt, wird es in der Zukunft sehr viel schwieriger und sehr viel teurer werden, die wirklich notwendigen, die langfristig notwendigen strukturellen Veränderungen in der Hochschulmedizin und in der Folge in der Medizin insgesamt – Frau Oppermann, Sie wissen genau, wovon ich spreche; wahrscheinlich sonst wenige in diesem Saal –

(Zurufe: Oh! – Michael Boddenberg (CDU): Gut, dass Sie der Einzige sind, der etwas weiß!)

erfolgreich herbeizuführen. Deshalb ist es – das gebe ich gern zu – auch ein Stück persönliche Enttäuschung, Herr Ministerpräsident, dass das Land sich der Möglichkeiten beraubt, durch eigene Schritte substanziell in die Entwicklung des Gesundheitswesens einzugreifen. Das ist ein Schaden für Mittelhessen, das ist ein Schaden für die Regionen Marburg-Biedenkopf und Gießen. Das ist ein Schaden für die Mitarbeiter an den Krankenhäusern. Aber es ist auch ein Schaden für das Gesundheitswesen in Hessen insgesamt. Denken Sie über Ihre Entscheidung noch einmal nach. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das kann man gar nicht glauben, was der gesagt hat! Glaubt der das? Das glaubt er nicht!)

Vielen Dank, Herr Dr. Spies. – Frau Beer, Sie haben das Wort für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Spies, nachdem wir eben Gelegenheit

hatten,ein wenig Einblick in Ihre Denkstrukturen zu nehmen, verstehe ich noch besser, warum unsere Krankenversorgung so im Argen liegt. Mit dem, was Sie eben für die SPD-Fraktion vorgestellt haben, sind Sie wahrlich nicht auf der Höhe der Zeit, und damit werden Sie vor allem die Probleme, die wir im mittelhessischen Raum an den Universitäten haben, nicht lösen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident, auch die FDP-Fraktion ist der Meinung, dass die Privatisierung der mittelhessischen Universitätskliniken große Chancen bietet. Sie bietet uns die Chance, die mittelhessischen Universitätskliniken zukunftsfähig neu zu positionieren und damit auch bundesweit eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Herr Kollege Spies, wir bekommen durch die Möglichkeit der Privatisierung, die Sie von vornherein ohne jegliche Prüfung und ohne weiteres Nachdenken über Lösungsansätze ausschließen wollen, die Chance, frisches Kapital zu generieren, mit dem wir die Kliniken, gerade das Klinikum in Gießen, modernisieren können.Wir bekommen die Chance, dort effizientere Managementstrukturen und effizientere Organisationsstrukturen zu installieren und damit die Sach- und Personalkosten zu senken.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, gerade dadurch, dass wir in Hessen als Erste bereit sind, diese Wege zu beschreiten, also ein Referenzmodell auf den Weg zu bringen versuchen,können wir erreichen,dass wir am Markt von privaten Interessenten bessere Konditionen erhalten.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Spies,auch der SPD-Fraktion müsste an und für sich klar sein – es liegt ja auf der Hand –, dass ein Privater, der auf das Betreiben von Kliniken spezialisiert ist, dies auch im Bereich eines Universitätsklinikums wesentlich besser tut als ein Minister im Nebenamt, egal, welcher Couleur.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Sicher betreten wir gerade mit der Privatisierung eines Universitätsklinikums Neuland. Es sind eine ganze Reihe von Fragen zu klären. Das sind schwierige Fragen, die mit dem entsprechenden Sachverstand – auch mit Sachverstand durch externe Beratungskompetenz – in rechtlicher Hinsicht und in unternehmensorganisatorischer Hinsicht ganz solide gelöst werden müssen. Es sind Fragen im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit der beiden Fachbereiche in Marburg und Gießen und dem zu privatisierenden Universitätsklinikum zu klären; das ist ganz klar, Herr Kollege Siebel, und das ist ja vom Ministerpräsidenten auch angesprochen worden.

Es geht darum, die Forschung und die Lehre sicherzustellen. Keiner hier im Raum wird davon ausgehen, dass in irgendeiner Weise Abstriche an der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit oder gar an der Qualität der Lehre im mittelhessischen Raum gemacht werden dürfen.

Es ist ganz klar, dass wir uns über die Frage der Ausbildungskapazitäten unterhalten müssen, all das – Sie haben davon gesprochen – bei gleichzeitiger Trennung der Finanzierungsströme für Forschung und Lehre in der Verantwortung des Landes auf der einen Seite und der Krankenversorgung auf der anderen Seite. Aber dafür, Herr Kollege Spies, hat gerade das Uniklinikgesetz 2000 – damals haben wir bei der Gesetzgebung eben diese Tren

nung vorgenommen – die Grundlage gelegt. Das macht es uns jetzt einfacher, im Hinblick auf die mittelhessische Situation neue Wege zu beschreiten.

All die Fragen, die ich eben angesprochen habe, sind vertraglich lösbar; da ist dann eben entsprechendes Verhandlungsgeschick erforderlich. Aber selbst die Betroffenen im mittelhessischen Raum, gerade auch in Gießen – ich denke, spätestens dies müsste die SPD-Fraktion nachdenklich stimmen –, halten diese Fragen für lösbar. Sie halten es vor allem für wünschenswert, dass dies gemacht wird.

Zu diesen Fragen gehört natürlich – darauf muss man ein besonderes Augenmerk haben – der gesamte Komplex des Personals. Es geht um eine Reihe personalrechtlicher Fragen bezüglich der verschiedenen Einsatzorte, z. B. des Universitätspersonals wie der Professoren oder der Assistenten, und es geht um Fragen der Überleitung von Personal. Wie schwierig das gerade auch im Hinblick auf die VBL ist – dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen –, haben wir bereits beim Uniklinikgesetz 2000 gesehen.

Ich halte es in diesem Zusammenhang für ausgesprochen wichtig, dass wir für beide mittelhessischen Kliniken, also für Marburg und für Gießen, gleichzeitig eine zukunftsfähige Lösung finden. Das, was in den letzten Monaten, gerade in der Auseinandersetzung zwischen Marburg und Gießen, diskutiert worden ist – das eine privatisieren, das andere in öffentlicher Trägerschaft, je nachdem, in welcher Konstellation –, würde zu einem ruinösen Wettbewerb von zwei im Grunde genommen zu kleinen Kliniken auf engem Raum führen.Von daher war der Vorschlag einer gemeinsamen Privatisierung als gemeinsame private Stiftung aus dem Marburger Bereich schon richtig. Der Schritt zu einem gemeinsamen Betreibermodell, Herr Kollege Spies, ist also nicht mehr sehr groß; er muss unbedingt geprüft und bedacht werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP-Fraktion möchte in die Überlegungen, die wir in den nächsten Wochen anzustellen haben,auch solche einbeziehen,die noch einen Schritt weitergehen, nämlich die Überlegung, ob man nicht sogar so weit gehen sollte, eine private medizinische Hochschule zu installieren, also die Fachbereiche in die Überführung in die Privatisierung einzubeziehen. Solche Fragen werden mit Interessenten zu klären sein. Wir werden sicher auch überprüfen müssen, inwieweit sich die Interessenten – die ersten gibt es schon – auch vorstellen können, einen derart großen Brocken zu stemmen.

Denn eines ist auch sicher, Herr Ministerpräsident: Ein derartig großes Projekt gibt es bislang noch nicht. Das, was uns bislang von den Bewerbern vorgelegt worden ist, betrifft nur kleinere Teilaspekte. Ein Herzzentrum zu betreiben ist etwas anderes als ein komplettes Universitätsklinikum.

(Beifall bei der FDP)

Gerade im Zusammenhang mit Wissenschaft und Lehre sind hier ganz andere Vorraussetzungen zu erbringen und andere Fragen zu beantworten, andere Sicherheiten zu geben.

Zu diesen mitzubringenden Vorraussetzungen ist auch der Punkt zu zählen, dass die Kooperationen mit der Universitätsklinik in Frankfurt sichergestellt werden müssen und sich das Konzept für Mittelhessen in ein hessisches Hochschulmedizinkonzept einpasst. Es müssen die Kooperationen zu außeruniversitären Forschungsinstituten

aufrechterhalten und ausgebaut werden. Hier darf es keinerlei Abstriche geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, auch das muss in einem solchen Moment, in dem sich sehr viele Chancen bieten, angesprochen werden: Letztendlich müssen wir bei der Privatisierung aber auch Vorkehrungen für den Fall treffen, dass der private Betreiber in Schwierigkeiten gerät oder es möglicherweise – was denkbar ist – zu einem Scheitern des konkret ausgesuchten privaten Betreibers kommt. Da wird es um den möglichen Rückfall an das Land und sonstige Absicherungen gehen.All diese Fragen gehören zum Gesamtkonzept. Sie sind nicht einfach und können daher auch nicht ad hoc beantwortet werden. Herr Kollege Spies, diese Fragen sind es aber wert, durchdacht und beantwortet zu werden.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt in diesem Land, in der Bundesrepublik, die entsprechende Beratungskompetenz, es gibt bereits entsprechend spezialisierte Büros, Kanzleien, die die erforderliche rechtliche und unternehmensorganisatorische Kompetenz mitbringen. Es ist der Ansatz unseres Dringlichen Antrags, gerade diese Fragen aufzuzeigen, die ich eben angesprochen habe. Diese Fragen müssen gelöst und beantwortet werden. Damit haben wir gezeigt, dass wir auch weiterhin bei der Abwägung Alternativen im Blick haben müssen, die ebenso berechnet und bewertet werden müssen. Gleichzeitig haben wir deutlich gemacht, dass wir die Chancen der Privatisierung sehen und nach Möglichkeit auch nutzen müssen.

Um sie nutzen zu können, brauchen wir eine klare, belastbare Entscheidungsgrundlage. Diese Entscheidung muss auf solide Füße gestellt werden.

Einige Vorarbeiten dazu wurden uns bereits gezeigt. Es hat verschiedentlich Gespräche darüber gegeben, was Herr Staatssekretär Prof. Dr. Leonhard in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Hochschulmedizin bereits erarbeitet hat. Ich glaube, vor allem die Abstimmungen der Profilbildung im Hinblick auf die verschiedenen medizinischen Schwerpunkte, die der Staatssekretär bereits in die Wege geleitet hat, werden eine gute Basis sein, um das Thema der weiter gehenden Privatisierung zügig diskutieren zu können.

Auch für die FDP-Fraktion ist es selbstverständlich, dass das, was bislang an Daten und Fakten vorliegt, noch kein fertiges Konzept ist. Deswegen müssen die von uns aufgezeigten Fragen beantwortet werden. Klar ist aber, dass es in die richtige Richtung geht.

Aber wir müssen jetzt zügig in diese Richtung gehen, damit nicht der Markt an Interessenten verlaufen ist, wenn wir zu viel Zeit vertun.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Spies, für völlig falsch halte ich es aber – Herr Kollege Walter, da verstehe ich die SPD-Fraktion nicht, die ihren Kollegen hier so auftreten lässt –, in der gegebenen Situation und vor dem Hintergrund der Wünsche gerade aus Mittelhessen die Tür zu einer Privatisierung heute hier schon ohne jegliches weiteres Nachdenken, ohne jegliches weiteres Prüfen zuschlagen zu wollen, wie Sie das eben hier getan haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, Sie bleiben die Antwort auf die Frage schuldig, wie Sie ohne die Hereinnahme privaten Kapitals und privaten Know-hows gerade das Klinikum in Gießen modernisieren, neu strukturieren und zukunftsfähig neu aufstellen wollen. Sehr geehrter Herr Kollege Spies, das halte ich für Mittelhessen für schädlich. – Herzlichen Dank.