Protokoll der Sitzung vom 14.12.2004

In den letzten 20 Jahren sind viele Forderungen erhoben worden. Wir wissen das als SPD-Fraktion unter anderem auch deshalb gut, weil sich unsere ehemalige Landtagskollegin, Erika Fleuren, auch in diesem Bereich sehr, sehr engagiert hat. Sie war heute hier im Landtag und hat mitdemonstriert.Ich denke,wir sollten darüber reden,dass es berechtigte Forderungen gibt. Die müssen in Gesetzesform gegossen werden – jedenfalls im Jahre 2004, wenn man nicht ewig verstaubt und ewig gestrig sein will, wie es die Mehrheit in diesem Hause offensichtlich sein möchte.

Herr Kollege Rentsch, wenn Sie an der Debatte teilgenommen hätten, dann hätten Sie auch erkennen können, dass nicht nur eine Gruppierung zu der Demonstration aufgerufen hat.

(Widerspruch des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Sie haben das zweimal gesagt, nun müssen Sie es sich auch zweimal anhören.

Ich will jetzt nicht der Unterstellung von Frau Dörr beitreten, sondern lediglich das aufgreifen, was Sie eben gesagt haben. Tatsache ist, es war nicht eine Gruppierung, sondern es waren fünf, sechs oder sieben Gruppen, die zu dieser Demonstration aufgerufen haben. Bei diesem kalten Winterwetter und angesichts der Mobilitätsprobleme, mit denen etliche der Demonstrierenden zu tun hatten, muss ich Ihnen sagen, es war eine ausgesprochen eindrucksvolle Menge von Menschen, die sich auf den Weg nach Wiesbaden gemacht haben, um ganz klar zu sagen: Dieses Gesetz wollen wir nicht.Wir wollen lieber gar kein Gleichstellungsgesetz als dieses.

Ich sage Ihnen: Die Demonstrierenden haben überhaupt keine Maximalforderungen gestellt. Sie haben lediglich darauf bestanden, zu sagen: In § 9 muss ganz klar geregelt werden, dass die Kommunen einbezogen werden. – Das ist auch die Auffassung der SPD-Fraktion, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Behindertenverbände.

(Zurufe von der CDU)

Langsam wird es albern. – Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben darauf verzichtet, die Kommunen mit in die Pflicht zu nehmen. Sie haben darauf verzichtet, einen Landesbehindertenbeirat einzurichten.Auch das finde ich einen ganz wesentlichen Punkt. Sie haben darauf verzichtet, Eltern von behinderten Kindern Wahlmöglichkeiten zu geben, wo sie ihre Kinder integriert sehen wollen. Sie haben insofern einen Gesetzentwurf gemacht, der leider nicht im Interesse der Betroffenen ist. Er verhindert in

manchen Teilen die Bemühungen um Gleichstellung. Das ist ein behindertenpolitischer Rückschritt. Das sollten Sie eingestehen.

Jetzt komme ich zur Conclusio. Sie haben vorhin leider den Antrag abgelehnt, die Beratung des Gesetzes auszusetzen. Das wäre der richtige Weg gewesen, um noch einmal in sich zu gehen, um noch einmal mit den Betroffenen zu sprechen, um noch einmal Gutachten zur Konnexität einzuholen und sich wirklich ernsthaft zu beraten. Ich sage Ihnen nämlich: Die Widerstände auf der kommunalen Ebene sind weit geringer, als Sie denken; ich habe da inzwischen auch schon meine Gespräche geführt.

Nachdem der Antrag abgelehnt worden ist und Sie – davon gehe ich aus – entschlossen sind, das Gesetz mit Ihrer Mehrheit – die FDP wird sich sicher anschließen – zu beschließen, beantrage ich jetzt mündlich für die SPD, dass zumindest in § 3 Abs. 2 Ihrer Beschlussempfehlung das Wort „können“ durch „sollen“ ersetzt wird und es dadurch wenigstens bei den Zielvereinbarungen, die man schon bisher freiwillig hätte abschließen können, zu ein bisschen mehr Verbindlichkeit kommt. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Fuhrmann. Geben Sie uns Ihren Antrag bitte schriftlich, damit wir das genau lesen können.

Eine Kurzintervention: Herr Kollege Florian Rentsch. Ich bitte, daran zu denken, dass heute Abend noch Ausschusssitzungen anstehen.

Frau Kollegin Fuhrmann, ich möchte nur ganz kurz auf Sie eingehen, weil Sie es eben so dargestellt haben, als habe die FDP keine Lust gehabt, an der Veranstaltung heute Mittag teilzunehmen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Sie war nicht da!)

Frau Fuhrmann, es ist nun einmal leider so, dass die Einladung zu dem Gespräch heute Morgen kam und wir – ich weiß nicht, wie das andere Fraktionen handhaben – auch in unserer Mittagspause Termine haben. Das war bei mir der Fall; ich habe einen Termin wahrgenommen. Es war von einem Verband die Rede. Ich gehe von der Pressemitteilung aus, die uns von dem einen Verband, von dem „Netzwerk Artikel 3“, vorliegt, der uns auch zur Demonstration heute eingeladen hat. Ich ging nur von dem aus, was ich vorliegen hatte. Es gibt auch eine Pressemitteilung, in der von 70 Menschen die Rede ist. Ich beziehe mich also auf Fakten und nicht auf irgendwelche ausgedachten Hirngespinste.

Frau Fuhrmann, Sie haben gerade – ich weiß nicht, zum wievielten Male – erklärt, das Land Rheinland-Pfalz habe eine Regelung, obwohl das Land Rheinland-Pfalz in seiner Verfassung ein Konnexitätsprinzip habe. Was Sie hier vortragen, steht aber völlig im Widerspruch zur rechtlichen Realität. Ich habe Verständnis für Ihre Meinung; aber bringen Sie doch bitte an diesem Podium alle Fakten, die dazugehören, und nicht immer nur das, was Ihnen gerade passt, während Sie den Rest, der Ihnen nicht passt, einfach weglassen. Das ist wirklich nicht in Ordnung.

Ich erwarte von Ihnen, die Sie einer Partei angehören, die gerade das Wort „sozial“ im Namen trägt, dass Sie nicht mit Halbwahrheiten arbeiten, sondern an diesem Podium alles sagen. Sie sollten auch so viel Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen haben, dass Sie nicht nur immer das erzählen, was Ihnen gerade passt, und den Rest komplett weglassen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Frau Kollegin Fuhrmann.

Herr Kollege Rentsch, selbstverständlich haben auch andere Abgeordnete vorab Termine in der Mittagspause geplant.Aber es ist immer die Frage,wie man die Prioritäten setzt. Da Sie so engagiert vorgetragen haben, wie wichtig es Ihnen ist, dass das Gesetz in der von der Landesregierung vorgelegten Form verabschiedet wird, hätten Sie der Kollegin Dörr oder dem Kollegen Gerling in den etwas lauten Diskussionen beispringen können.

(Volker Hoff (CDU): Ihr wolltet doch nicht darüber diskutieren!)

Vielen Dank. – Das Wort hat die Sozialministerin, Frau Staatsministerin Lautenschläger.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn wir heute das Gleichstellungsgesetz verabschieden, ist das ein wichtiger Beitrag. Im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN,bin ich nach wie vor der Auffassung, dass das ein sehr wichtiger Schritt ist, der wiederum zu einem großen Stück mehr an Gleichstellung in Hessen führt. Ich will nur noch einige Punkte aufführen. Ich nenne das Benachteiligungsverbot, das im Gleichstellungsgesetz festgeschrieben ist; und auch die Verpflichtung zur Barrierefreiheit und der Abschluss von Zielvereinbarungen sind von den Fraktionen von CDU und FDP in das Gesetz aufgenommen worden.

Ich muss Ihnen aber leider auch sagen, dass es schon seit mindestens zwei Jahren eine novellierte Hessische Bauordnung gibt – damals noch unter Federführung des Kollegen Posch vorgelegt –, die eine der modernsten Bauordnungen in Deutschland ist und die genau das Thema der Barrierefreiheit aufgenommen hat. Da ist es bedauerlich – daran müssen wir noch arbeiten –, dass diese Bauordnung bei manchen Neubauten noch nicht ausreichend beachtet wird. Hier muss nachgearbeitet werden; aber dafür brauche ich kein neues Gesetz. Wir haben eine moderne Bauordnung, von der wir nur hoffen können, dass sie andere Bundesländer übernehmen und umsetzen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dieter Posch (FDP))

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin über Ihre Ausführungen überrascht. Ich verstehe in gewisser Beziehung, dass manche sagen, sie wollen mehr. Aber wenn für den Landesbereich die Verwendung der Gebär

densprache und anderer Kommunikationshilfen festgeschrieben ist, ist das ein wichtiger Schritt in der Auseinandersetzung mit Behörden, und wir haben die Verantwortung dafür, dass das im Gesetz verankert wird. Das ist ein weitgehender Schritt.

Herr Dr. Jürgens, ich verstehe überhaupt nicht, dass Sie sagen:Wenn sich ein Land auf seine Ebene beschränkt, ist das ganz fürchterlich; aber wenn der Bund Gesetze nur für sich macht und die Länder ausdrücklich ausnimmt, ist das richtig. – Das ist mit Sicherheit ein Problem.

Zur Kollegin Fuhrmann möchte ich noch etwas bezüglich des Themas Konnexität sagen.

Frau Ministerin, es gibt den Wunsch nach mehreren Fragen. – Gut.

Was Sie, Frau Kollegin Fuhrmann, zum Konnexitätsprinzip ausgeführt haben, war ein wenig eigenartig, wenn ich das so umschreiben darf. Sie beziehen sich auf das Grundgesetz und sagen, dort sei die Gleichheit festgeschrieben, und deswegen ändere das Konnexitätsprinzip nichts. Wenn ich mich Ihren Folgerungen auch nur annähernd anschließen wollte, käme ich zu dem Ergebnis, dass ich weder ein Bundesgleichstellungsgesetz noch ein hessisches Gleichstellungsgesetz bräuchte, weil die Gleichheit bereits im Grundgesetz stehe. Wenn es so einfach wäre, würden wir uns nicht gemeinsam der Aufgabe stellen, in Gesetzen mehr Gleichberechtigung und Gleichstellung zu verankern und zu versuchen, dabei alle Ebenen einzubinden.

Frau Kollegin Fuhrmann, Sie haben gesagt, Sie hätten mit Kommunen gesprochen, bei denen das alles überhaupt kein Problem sei. Nennen Sie uns bitte diese Kommunen. Sie werden die Ersten sein, mit denen wir gerne bereit sind, Zielvereinbarungen abzuschließen; denn wir wollen ja gerade, dass jede Ebene ihre Verantwortung anerkennt, gemeinsam mit uns den Weg geht und mit uns, wie in vielen anderen Bereichen auch, partnerschaftlich zusammenarbeitet. Gleichzeitig wollen wir aber auch für die behinderten Menschen Verbesserungen erreichen.

Ich möchte Ihnen des Weiteren die Integration von Kindern mit Behinderungen in den Kindergärten bei uns in Hessen nennen. Sie ist flächendeckend vorhanden.

(Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich habe nach wie vor das Gefühl, dass Sie die Augen davor verschließen, dass wir das einzige Bundesland sind, in dem diese Integration verwirklicht ist.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wer hat das erreicht?)

Wer hat das erreicht? In den letzten Jahren wurde das flächendeckend umgesetzt.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist nicht wahr; das war vorher schon!)

Nein,das war vorher nicht.Vorher gab es noch getrennte Einrichtungen.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt überhaupt nicht!)

Genau für diesen Bereich wurde eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt überhaupt nicht! – Zuruf von der SPD: Das ist Geschichtsklitterei!)

Frau Kollegin Hinz, ich räume ein, dass Sie auf dem Weg waren, das zu machen.Aber erst in den vergangenen Jahren ist es zu einer kompletten Umsetzung gekommen. Es gab noch nicht für jedes Kind in Hessen einen Platz; aber inzwischen ist das der Fall.

Insofern ist dieser Schritt sehr wichtig. Wir werden den Weg mit den Verbänden weitergehen, auch wenn es an einigen Stellen einen Dissens mit ihnen gibt. Ich kann feststellen: Wo wir mit den großen Verbänden gesprochen und zusammengearbeitet haben, sind wir in weiten Bereichen einer Meinung, weil es zu Verbesserungen kommt.

Ich habe zu einem großen Teil Verständnis dafür, dass man, wie das meine Kollegen von FDP und CDU, z. B. Frau Dörr, angesprochen haben, einen Schritt weitergehen will. Aber wir werden überall auch das Thema Zielvereinbarungen auf die Tagesordnung setzen.Wir werden feststellen, wer bereit ist, mit uns die Weichenstellungen vorzunehmen, und wer, unserem Beispiel folgend, Bescheide und Vordrucke im kommunalen Bereich behindertengerecht gestaltet.

Ich bin sehr froh darüber, dass mit diesen Änderungsanträgen auch das Thema Baurecht in die Ausbildung mit aufgenommen wurde und wir auch im Gesetz schon eine tatsächliche Verbesserung für gehörlose Eltern mit nicht hörbehinderten Kindern aufnehmen. All das sind praktische Verbesserungen, von denen schon heute abzusehen ist, dass sie vielen weiterhelfen. Es ist ein Meilenstein.

Ich bedauere es sehr, dass Sie sich daran nicht beteiligen und eher auf totale Konfrontation setzen, statt mit uns gemeinsam diesen Weg zu gehen und Gleichberechtigung für Menschen mit Behinderungen in Hessen umzusetzen.

Ich bin davon überzeugt, das ist ein richtiger Weg. Wir werden ihn so weitergehen, und zwar partnerschaftlich mit der kommunalen Seite.Aber wir werden auch bei den Kommunen einfordern, dass sie darauf zurückkommen und ihre Anstrengungen nicht unterlassen, mit uns das Behindertengleichstellungsgesetz umzusetzen.

(Beifall bei der CDU)