Protokoll der Sitzung vom 26.01.2005

Aber, Herr Ministerpräsident, damit sind wir bei diesem Thema noch nicht am Ende angelangt. Sie sprechen in diesem Zusammenhang gern über Verwaltungsvereinfachung. Ich kann gut verstehen, dass Sie gerade bei diesem Thema über Verwaltungsvereinfachung sprechen; denn Ihre Verwaltung ist ganz offensichtlich nicht in der Lage, den Vorschriften des zurzeit geltenden Planungsrechts aus eigener Kompetenz Rechnung zu tragen.

Regionalplan Südhessen 2000: Nichtigkeitserklärung durch den VGH wegen grober Mängel in der Bearbeitung durch das Wirtschaftsministerium. Ticona: in der Planung übersehen. Die Vorfestlegung auf die Nordwestbahn wurde von der Europäischen Kommission gerügt, weswegen wir an dieser Stelle wieder zurückrudern mussten.

Mit welcher Folge, Herr Ministerpräsident? Nicht im Jahr 2006, wie versprochen, sondern nunmehr frühestens im Jahr 2009 wird die Landebahn in Betrieb gehen. Auch diese Feststellung entspringt eher der Hoffnung als der Realität. Dies bedeutet nichts anderes, als dass mindes

tens 40.000 Arbeitsplätze mindestens drei Jahre später geschaffen werden. Eine Verwaltungsvereinfachung zu fordern, weil man mit dem jetzigen Verwaltungsrecht mangels Kompetenz nicht umgehen kann, ist nicht modern, sondern peinlich.

(Beifall bei der SPD)

Da Sie mich bei dem Thema Flughafen gern auf das Verhalten der Bürgermeister und der sozialdemokratischen Politiker in der Region ansprechen: Ich habe gelesen, was Frau Wolski gesagt hat, als Herr Staatsminister Grüttner sie als Kandidatin für die Bürgermeisterwahl vorgestellt hat. Sie hat sogleich erklärt, in Bezug auf den Ausbau des Frankfurter Flughafens sei sie generell anderer Auffassung. Sie vertrete nämlich die Offenbacher Position.

Wenn Ihr eigener Minister in Ihrer Staatskanzlei eine Bürgermeisterkandidatin vorstellt,die sagt,mit dem Flughafenausbau habe sie gar nichts zu tun, machen Sie genau das Gleiche wie Herr Grandke in Offenbach. Herr Ministerpräsident,auf diese Hinweise in meine Richtung und in Richtung auf andere Sozialdemokraten sollten Sie verzichten, wenn Sie nicht einmal das Verhalten Ihres Staatsministers, des Chefs der Staatskanzlei, auf die Reihe bekommen. Das ist unglaublich.

(Beifall bei der SPD)

Kommen wir jetzt zu dem nächsten Thema, nämlich zum Straßenbau und zu Ihrer neuen Idee – die so neu gar nicht ist – im Zusammenhang mit DIANA. Herr Ministerpräsident, ich sage es vorab: Als es um das Thema DIANA ging, haben Sie der Öffentlichkeit nicht ganz die Wahrheit gesagt.

(Norbert Schmitt (SPD): Diana ist die Göttin der Jagd!)

Aber zunächst möchte ich wieder mit dem Planungsrecht beginnen. Es wird gesagt, wir benötigten dringend eine Vereinfachung des Planungsrechts.Aus der Erfahrung mit dem Ausbau der A 44 im Werra-Meißner-Kreis oder, bei mir im Wahlkreis, der Umgehung bei Friedberg

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): B 3a!)

B 3a – wissen wir, dass momentan Gelder des Bundes dafür zur Verfügung stehen. Es fehlen aber die Planfeststellungsbeschlüsse in diesem Lande.Warum fehlen sie? – Ich kann Ihnen das sagen. Sie haben das in Ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage selbst geschrieben. Was Friedberg betrifft, besteht der Grund darin, dass der zuständige Mitarbeiter krank ist und man keinen Ersatz für ihn hat. Wir können das Planungsrecht noch so sehr vereinfachen: Wenn diese Regierung kein Personal zur Verfügung stellt, geht es auch nicht weiter in diesem Lande.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Ministers Dr.Alois Rhiel)

Ich bringe Ihnen die Kleine Anfrage mit. Sie haben unterschrieben, Herr Minister.

Jetzt zu dem großen Thema „DIANA – staufreies Hessen“. Das ist eine der Visionen, die im Regierungsprogramm stehen. Hessen soll im Jahr 2015 nicht mehr in den im Radio gesendeten Staumeldungen auftauchen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und einen Zugang zum Meer haben!)

Herr Ministerpräsident, angesichts der Tatsache, dass Sie im Jahr 2004, also im letzten Haushaltsjahr, die Mittel für den Straßenbau fast halbiert haben, ist Ihre Vision von ei

nem staufreiem Hessen meiner Meinung nach nicht als ein Versprechen zu sehen, dass die Umgehungsstraßen in Zukunft gebaut werden, sondern eher als eine an die Radiostationen gerichtete Drohung, in Zukunft das Senden von Verkehrsmeldungen zu verbieten, weil das ansonsten nicht klappt.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt zu der eingangs von mir gemachten Bemerkung,dass der Ministerpräsident nicht ganz die Wahrheit sagt und uns nicht erklärt, wie er DIANA verstanden haben will. Hierbei ist ein Blick in das Buch „Roland Koch – verehrt und verachtet“, das er selbst bewirbt, hilfreich. Während seiner letzten Sommertour hat der veritable Ministerpräsident nämlich interessierten Journalisten sein Projekt „staufreies Hessen“ vorgestellt. Ich zitiere jetzt aus dieser Biografie. Vor vielen Journalisten sagt der Ministerpräsident:

In zehn Jahren steht hier ein Computer, der jedes Fahrzeug kontrolliert, über Sprachsteuerung. Abends sagt einer: Morgen früh will ich von Wiesbaden nach Frankfurt. Das System bietet ihm verschiedene Zeitfenster an, je nach Dichte preislich gestaffelt. Ampeln an den Auffahrten regeln den Verkehrsfluss und entscheiden, wer einscheren darf. Frühbucher bekommen Rabatt. Wer sich erst am Morgen entscheidet, der zahlt richtig oder muss warten.

Dann kommt der nächste Satz:

Für Besserzahlende gibt es Überholspuren.

(Lachen und demonstrativer Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): In der DDR war das die Funktionärsspur!)

Die Freunde von der CDU sind etwas irritiert. Sie kennen Ihren Ministerpräsidenten nur,wie er mit Abscheu im Gesicht über die rot-grüne Ökosteuer redet.Aber gegen das, was der Herr Ministerpräsident vorhat, ist die rot-grüne Ökosteuer ein kleines Trinkgeld, ein Taschengeld. Wenn ich das richtig verstehe, soll für jeden Kilometer bezahlt werden. Für Besserverdienende werden die Überholspuren freigemacht. Herr Ministerpräsident, dann glaube ich auch, dass Ihr System funktionieren wird.

(Beifall bei der SPD)

Die Menschen in unserem Lande, die es sich nicht leisten können, die Straßen zu benutzen, wenn das System Koch eingeführt wird, werden ihr Auto stehen lassen müssen. Wenn alle diejenigen, die kein Geld haben, ihr Auto stehen lassen,gibt es auch keinen Stau mehr,und dann haben wir ein staufreies Hessen, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, es gibt etwas, was ich an Ihrer Art, Politik zu betreiben, überhaupt nicht schätze. Es gibt auch andere, die über mautgestützte Lenkungssysteme nachdenken. Aber, Herr Ministerpräsident, wenn Sie so etwas öffentlich verkünden, ist es auch notwendig, dass Sie den Menschen die ganze Wahrheit sagen. Sie sollten den Menschen nicht sagen: „Wir machen irgendwie ein bisschen Verkehrslenkung“, sondern Sie müssten erklären,dass Sie eine mautgestützte Verkehrslenkung für richtig halten. Das sollten Sie den Menschen sagen. In Ihrer Regierungserklärung haben Sie das nicht getan. Sie können natürlich sagen, es stimmt nicht, was in dem Buch steht.Aber es ist die Position der Landesregierung.

(Ministerpräsident Roland Koch: Nein!)

Es ist nicht die Position der Landesregierung. Dann ist also alles falsch, was in dem Buch steht, das von Ihnen beworben wird.

(Ministerpräsident Roland Koch: Hätten Sie ein- mal gefragt, hätten Sie es auch gehört!)

Ich bleibe zunächst einmal bei dem, was dieser Journalist gehört hat. Er hat das so wunderschön beschrieben, dass wir bei dieser Ausführung bleiben. Im Endeffekt können wir das noch einmal überprüfen. Er bewirbt also ein Buch, in dem grobe Unwahrheiten stehen.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ich möchte noch einen wichtigen Bereich ansprechen, zu dem man nicht schweigen darf, wenn man über moderne Strukturen für ein leistungsstarkes Hessen spricht. Dabei handelt es sich um die Regionalreform. Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Rede kein Wort zu der Regionalreform gesagt.

(Andrea Ypsilanti (SPD):Weil er keine Antworten hat!)

Dabei waren Sie im Dezember wieder so mutig. Interview in der „FAZ“:

Jetzt geht es an die Kulturpolitik. Jetzt gucken wir, dass wir das alles gemeinsam hinkriegen. Ich werde noch am Ende des ersten Quartals einen entsprechenden Beschluss in meinem Kabinett fassen und diese Sache dringlich stellen. Kostenvolumen: 300 bis 400 Millionen c für die Kulturpolitik in der Region.

Herr Ministerpräsident, wir kennen diese Ankündigungen. Wir kennen sie im Zusammenhang mit dem Thema Standortmarketing. Jetzt haben Sie die Hessen-Agentur vorgestellt. Sie hätten lieber etwas zum Standortmarketing Rhein-Main sagen sollen. Sie warten seit langer Zeit darauf, dass dort etwas passiert. Wir reden hierbei über „very Basics“: Das Volumen soll 4 Millionen c betragen. Das ist ein relativ kleines Volumen. Nicht einmal das bekommen die Kommunen in der Region hin. Es liegen schon Satzungsentwürfe vor. Nicht einmal das schaffen sie. Jetzt reden Sie über Kultur – 300 bis 400 Millionen c –, und Sie wissen, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Intensivierung der Zusammenarbeit in der Region als eines unserer zentralen Themen ansehen.

Herr Ministerpräsident, unsere Kritik Ihnen gegenüber lautet:Außer Sprache, außer Rhetorik passiert in unserer Region nichts. Sie haben das Ballungsraumgesetz im Jahre 2000 verabschiedet. Jetzt haben wir das Jahr 2005. Nichts, aber auch gar nichts, ist passiert für eine moderne Struktur und ein leistungsstarkes Hessen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In der Konkurrenz mit anderen Regionen befinden wir uns auf dem absteigenden Ast. Unser Vorschlag des Regionalkreises wird immer populärer. Mein Freund und Kollege Thorsten Schäfer hat mir gerade eben einen Ausschnitt aus einer Gießener Zeitung vorgelegt, in dem der CDU-Oberbürgermeister von Gießen zitiert wird – Herr Bouffier, Sie werden es auch gelesen haben –, natürlich seien Regionalkreise eine gute Lösung. Es wird doch immer deutlicher, dass Sie mit Ihrem Ansatz nicht weiterkommen. Sie sind eine Bremse in der Region und tragen

zur Lähmung der Region bei. Ihre Freunde in Frankfurt sagen Ihnen: So geht es nicht weiter.

(Beifall bei der SPD)

Die Tatsache, dass Sie sich hier von Bits und Bytes begeistern lassen und in dieser Regierungserklärung nichts, aber auch gar nichts, zu modernen Strukturen für die Region Rhein-Main äußern,

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

ist doch eines Ministerpräsidenten eines Bundeslandes nicht würdig. Wer über Regionalreformen schweigt, soll auch über Bits und Bytes schweigen, weil er von moderner Politik nichts verstanden hat.

(Beifall bei der SPD)

Mir bleiben noch vier Minuten, dann möchte ich langsam zum Schluss kommen. – Herr Ministerpräsident, bei aller Kritik, gelegentlich gibt es auch etwas zu loben. Bezüglich der Verwaltungsreform habe ich einen der ganz aktuellen Vorstöße der jüngsten Vergangenheit als einen guten Vorschlag für eine Verwaltungsreform angesehen.

(Norbert Schmitt (SPD): Politik der kurzen Wege!)