Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass Dinge, die man als selbstverständlich ansieht, nämlich eine moderne
EDV-Ausstattung, in diesem Lande als ein abzufeierndes Thema dargestellt werden. Herr Ministerpräsident, Sie haben unser Bundesland mit einem Konzern verglichen. Ich mache das auch gelegentlich. Jetzt stellen Sie sich einmal diese Rede von Ihnen beispielsweise aus dem Munde von Herrn Ackermann von der Deutschen Bank vor. Der stellt sich vor seine Aktionäre und sagt: Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben E-Mail-Verkehr.
(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gerhard Bö- kel (SPD): Das muss man sich vorstellen!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Ministerpräsident, der von Computernetzwerken, Dokumentenmanagement, Internetplattformen und E-Mail-Verzeichnissen derart beeindruckt ist, dass er sie in einer Regierungserklärung abfeiert, zeigt, dass er relativ altbacken ist.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)
Herr Ministerpräsident, ich will jetzt nicht mit der gelegentlich etwas abgeklärt wirkenden Arroganz der jüngeren Generation,was technische Errungenschaften angeht, sprechen,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Frank Gotthardt (CDU):Das ist richtig, Herr Walter!)
Herr Ministerpräsident, auf die Gefahr hin, dass ich nun Ihr Weltbild erschüttere:Die Einführung von E-Mail-Verzeichnissen ist keine Revolution mehr in unserer Zeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ministerpräsident Roland Koch: Wer außer Ihnen hat das behauptet?)
Dann kommen wir zu den Themen, die bei der Einführung eines EDV-Systems wirklich von Interesse sind. Nicht, dass wir moderne EDV brauchen, ist im Streit, sondern wie sie eingeführt wird. Herr Ministerpräsident, ich beginne mit der Einführung des SAP-Systems, einem Thema, dem Sie breiten Raum eingeräumt haben.
Wir Sozialdemokraten haben niemals die Einführung dieses Systems kritisiert, sondern wir haben die Art und Weise kritisiert, wie bei der Einführung des Systems vorgegangen worden ist.Wir haben uns oft über Geld gestritten. Sie sagen, es kostet so viel und es ist alles ordentlich. Wir haben gesagt, dort ist Geld zum Fenster herausgeworfen worden, weil es an modernen Strukturen fehlt wie beispielsweise einem Budgetcontrolling.
Jetzt sagen Sie: Das sagen die Sozis, denn die sind Opposition im Landtag. Die müssen das sozusagen qua Funktion sagen. – Herr Ministerpräsident, deshalb möchte ich jetzt nicht mit Oppositionsrhetorik agieren, sondern ich zitiere aus dem Bericht des Rechnungshofs, und zwar aus den blauen Seiten, die öffentlich sind. Der Rechnungshof, der die Einführung des SAP-Systems in unserem Lande überprüft hat, stellt Folgendes fest:
Für die vorgenommenen Modifikationen (Abwei- chungen vom Standard) wurden keine Entwicklungsanträge bei SAP zur Überprüfung der Aufnahme in den SAP-Standard gestellt.
Es fehlen vertragliche Vereinbarungen, aus denen die zukünftigen Kosten für die Modifikationen von SAP R/3 ableitbar wären.
Das bedeutet nichts anderes, als dass wir in Hessen, wenn das System sich modifiziert, relativ hilflos dastehen, wenn die Kostenforderung kommt.
Die bisher nicht ausreichende Bereitstellung qualifizierten landeseigenen Personals stellt ein Projektrisiko für den gesamten Einführungsprozess dar.
Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, richtig teuer sind die Beratungsleistungen. Die Beratungsleistungen kann ich nur dann etwas wegbekommen, wenn ich landeseigenes Personal in ausreichendem Maße qualifiziere, sodass ich nicht mehr so stark auf externe Beratung zurückgreifen muss. Der Rechnungshof attestiert Ihnen, dass in dieser finanzpolitisch zentralen Frage das Land Hessen schlicht versagt hat. Das landeseigene Personal ist nicht qualifiziert worden. Deshalb brauchen wir die extrem große Beratungsleistung von außen, und dies kostet richtig Geld.
Ich möchte auf den Punkt Geld zu sprechen kommen.Der Rechnungshof fasst zusammen, dass die Landesregierung zunächst angenommen habe, dass die Einführung von SAP für den Zeitraum bis 2003 ca. 26 Millionen c kosten würde. Für Beratungsleistungen seien weitere 23 Millionen c veranschlagt worden. In einer Pressemitteilung des Finanzministeriums wurden dann noch Investitionskosten für die kommenden Jahre in der Größenordnung von 51 Millionen c genannt. Dies bedeutet summa summarum nach Planung der Landesregierung Einführungskosten in Höhe von 100 Millionen c.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch dies kritisiert der Rechnungshof: Im Jahre 2004 musste das Finanzministerium einräumen – ich bin hier geographisch noch nicht so richtig orientiert; ist der Finanzminister im Raume? –, dass nicht 100 Millionen c der Preis war, sondern dass sich die bisherigen Kosten auf 240 Millionen c plus 54 Millionen c für HR, was nicht den Hessischen Rundfunk, sondern Human Ressources meint, also fast 300 Millionen c, belaufen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine Verdreifachung des Ansatzes, den Sie im Jahre 2000 hatten. Da Sie gerne vom Konzernchef reden: Der Finanzverantwortliche eines Unternehmens, der das Budget für die Einführung der Software um 200 % überschreitet, müsste die persönliche Verantwortung übernehmen.Aber an dieser Verantwortung scheitert es bei Ihnen.
Ein Wort des Lobes. Sie haben es gesehen, Sie haben gemerkt, dass Sie es nicht können, dass Sie es nicht hinkriegen. Wie denn auch mit einem Finanzminister, der noch nicht einmal eine kleine Immobilie ordentlich verkaufen kann? Deshalb war es richtig, mit Herrn Lemke einen ausgewiesenen Fachmann einzustellen, der als Retter in
der Not angetreten ist. Man muss sagen, seit Herr Lemke die Verantwortung in diesem Bereich hat, wird es auch deutlich und erkennbar besser.
Wer die Verantwortung für diese Überschreitung um 200 % trägt, der ist bei dieser Debatte noch nicht einmal im Raum. Die Kritik von uns richtet sich an dieser Stelle ausdrücklich nicht an Herrn Lemke, sondern an diesen Finanzminister, der überhaupt keine Vorstellung hat, wie man so etwas professionell einführt.
Herr Ministerpräsident, moderne Strukturen für ein leistungsstarkes Hessen erfordern auch eine leistungsstarke Regierung, erfordern auch einen leistungsstarken Finanzminister. Aber einen leistungsstarken Finanzminister haben wir in diesem Lande nicht.
Zur Ordnungspolitik. Sie sprechen die Aufgabenprivatisierung an, wo immer es möglich ist, wo immer Private es besser machen können. Sie sprechen die teilprivatisierte JVA Hünfeld an. Herr Ministerpräsident, noch in meiner Zeit als justizvollzugspolitischer Sprecher habe ich den Justizminister einmal gefragt: Was wird in Hessen in der JVA privatisiert, was es nicht schon woanders in der Bundesrepublik gibt? Die Antwort darauf war: All diese Teile, die wir teilprivatisiert haben, gibt es auch schon irgendwo in anderen JVAs der Bundesrepublik, vielleicht nicht in der Summe. – So revolutionär ist dieser Ansatz also auch nicht.
Sie sprechen aktuell die Privatisierung der Uniklinika in Gießen und in Marburg an. Ich kann nachvollziehen, dass Sie den Eindruck erwecken wollen, dass es sich hierbei um ein planmäßiges Vorgehen handelt, dass man versucht, eine Tätigkeit zu privatisieren, weil dies zu besseren Ergebnissen führt; aber das ist schlicht die Unwahrheit.
Tatsächlich ist es so, dass hier nicht mit Plan und Verstand privatisiert wird, sondern dass es die nackte Not ist, die den Ministerpräsidenten zu dieser Handlungsweise treibt. Sie wissen nicht, wie Sie mit dem Investitionsrückstau beim Uniklinikum Gießen umgehen sollen.
Wir wissen auch, dass Sie noch keinen Privaten haben, der dies übernimmt. Aber Ihr jetziges Vorgehen ist relativ alternativlos.Was passiert,wenn Sie keinen Privaten finden, der diese Uniklinik zu den von Ihnen genannten Kriterien übernimmt? Wir reden hier nicht über ein planvolles Privatisieren. Vielmehr weiß dieser Ministerpräsident nicht, was er ansonsten tun soll.
Dass dies nur rhetorisch ist, erkennen wir an einem Beispiel. Herr Ministerpräsident, wenn Sie es mit der Ordnungspolitik ernst meinten, wenn Sie wirklich an allen Ecken und Enden eine neoliberale Wirtschaftspolitik betreiben und privatisieren wollten, wo immer es geht: An dem Beispiel Staatsweingüter zeigen Sie – ich muss etwas vorsichtig und zurückhaltend sein, aber ich darf das hier ansprechen –, dass Sie nicht überall auf einem neoliberalen Weg fahren. Sie sind nämlich der Auffassung, dass mit staatlichem Geld in die Staatsweingüter investiert werden muss, damit wir in ihrem Besitz bleiben.
Es ist keine Grundlinie dieser Landesregierung erkennbar. Das ist eine ordnungspolitische Geisterfahrerei. Der Herr Ministerpräsident privatisiert die Gesundheit und verstaatlicht den Riesling.
Die Folgen dieses Handelns sind relativ schwerwiegend. Wenn die Privatisierung des Rieslings schief ginge, wäre das nicht so problematisch. Dann geht man eben um die Ecke zu einem Winzer und kauft einen anderen Riesling. Wenn aber die Privatisierung der Uniklinik schief ginge – deswegen ist das überhaupt nicht lustig –, wäre das ein irreparabler Schaden für die Menschen in diesem Land. Es wäre nämlich nicht wieder gutzumachen, wenn diese wichtigen Krankenhäuser – die beiden Unikliniken – beispielsweise durch eine Insolvenz kaputtgingen. Herr Ministerpräsident, deshalb ist die Art und Weise, wie Sie mit dem Thema umgehen, schlicht unverantwortlich und unmodern.
Sie haben in Ihrer Rede gesagt, im Zusammenhang mit der Verkehrspolitik wollten Sie heute weder über Bahnen noch über den Flughafen, noch über Straßen reden. Ich kann gut verstehen, dass Sie weder über den Flughafen noch über den Straßenbau sprechen wollen. Wenn wir über „moderne Strukturen für ein leistungsstarkes Hessen“ – so lautet der Titel dieser Regierungserklärung – sprechen wollen, dürfen wir zu dem Thema moderne Infrastruktur nicht schweigen; denn diese ist die Voraussetzung für ein leistungsstarkes Hessen.
Deshalb beginne ich mit dem Flugverkehr. Das ECAD – das European Centre for Aviation Development – ist eine gute Einrichtung. Es ist eine Einrichtung, an der sowohl das Luftverkehrswesen als auch die Industrie Interesse bekundet haben. Lothar Klemm hat im letzten Jahr angeregt, einen gemeinsamen Antrag zu stellen. Alle Fraktionen haben diesem Antrag zugestimmt. Ich glaube, auch die Kollegen von den GRÜNEN waren mit dabei; ich bin mir aber nicht ganz sicher.
Wir halten dies für richtig,und wir begrüßen ausdrücklich dass diese Initiative nun in Darmstadt umgesetzt werden kann.
Aber, Herr Ministerpräsident, damit sind wir bei diesem Thema noch nicht am Ende angelangt. Sie sprechen in diesem Zusammenhang gern über Verwaltungsvereinfachung. Ich kann gut verstehen, dass Sie gerade bei diesem Thema über Verwaltungsvereinfachung sprechen; denn Ihre Verwaltung ist ganz offensichtlich nicht in der Lage, den Vorschriften des zurzeit geltenden Planungsrechts aus eigener Kompetenz Rechnung zu tragen.