Protokoll der Sitzung vom 16.03.2005

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) und Florian Rentsch (FDP))

Schauen wir uns doch Ihre Initiativen der letzten Wochen und Monate an. Im letzten Jahr hatten wir die Initiative zum Ladenschluss. Darüber kann man reden, da ging es Ihnen um die Freiheit zum Einkaufen.

(Florian Rentsch (FDP): Erzählen Sie etwas zum Thema!)

Anfang dieses Jahres hatten wir Ihre Initiative zur Öffnung von Videotheken und Waschanlagen am Sonntag. Da war die Freiheit schon sehr darauf begrenzt, ob man sich um 13 Uhr ein Video ausleihen kann oder nicht. Das stand damals im Zentrum des Freiheitsbegriffs der hessischen FDP.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Dann hatten wir vor ein paar Tagen,wie es die „Bild“-Zeitung geschrieben hat, einen „Rotzlöffel“ aus Darmstadt, der seinen Freiheitsbegriff als die Freiheit der unter 65Jährigen definiert hat.

(Zurufe von der FDP: Oh!)

Der Freiheitsbegriff der hessischen FDP ist wirklich sehr eng geworden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Sie wissen gar nicht, wie man Freiheit buchstabiert!)

Jetzt geht es offenkundig – das würde Ihr Antrag faktisch bedeuten;ich unterstelle Ihnen gar nicht,dass Sie das wollen – der hessischen FDP, der einstmals so stolzen liberalen Partei, um die Freiheit zur Steuerhinterziehung; denn das wäre die Konsequenz Ihres Antrags.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wenn Sie dann mit den großen Begriffen von Bürgerrechten und Datenschutz kommen, sage ich Ihnen, wir hätten uns die Stimme der FDP an ganz anderen Punkten gewünscht. Wir hätten uns die Stimme der angeblichen Bürgerrechtspartei FDP beim Thema Schleierfahndung gewünscht. Wir hätten uns die Stimme der angeblichen Bürgerrechtspartei FDP bei der Rasterfahndung gewünscht.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ach ja! Sie haben sie auf Bundesebene ermöglicht, mit den Stimmen der GRÜNEN und nicht der FDP!)

Wir hätten uns die Stimme der FDP zu Bürgerrechten beim Lauschangriff gewünscht, Frau Kollegin Wagner.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es war die hessische FDP, die hier, wenn es um Steuerhinterziehung geht, die Bürgerrechte hochhalten will,

(Lebhafte Zurufe der Abg. Ruth Wagner (Darm- stadt) und Michael Denzin (FDP))

die aber die damalige FDP-Justizministerin LeutheusserSchnarrenberger, die gegen den großen Lauschangriff war, in den Rücktritt getrieben hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Dieser FDP fallen jetzt, wenn es um die effektive Bekämpfung von Steuerhinterziehung geht, die Bürgerrechte ein. Meine Damen und Herren, so geht es nun wirklich nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn der Vorwurf wenigstens stimmen würde, dass es sich um einen unbotmäßigen Angriff auf den Datenschutz handeln würde, wenn es wenigstens stimmen würde, dass es eine unbotmäßige Einschränkung von Bürgerrechten wäre. Aber, meine Damen und Herren von der FDP, schauen wir uns einmal an, wie das Verfahren ist.

Zunächst einmal hat jeder Steuerpflichtige die Pflicht zur Mitwirkung. Das ist in § 90 der Abgabenordnung ausdrücklich geregelt. Jeder Steuerpflichtige hat von sich aus die Pflicht, alle Konten anzugeben, alles anzugeben, was der Besteuerung unterliegt.Wenn er das tut, dann passiert gar nichts. Dann bekommt er einen Steuerbescheid. Das Finanzamt prüft nichts. Es macht keine Abfrage und gar nichts, sondern es teilt dem Steuerpflichtigen mit, welche Steuern er zu zahlen hat.

Wenn das Finanzamt aber den Verdacht hat,dass da etwas verschwiegen wird, dass Kapital der Steuerpflicht entzogen werden soll,dann kann das Finanzamt nach der neuen Regelung fragen: Wo hat der Steuerpflichtige Konten? Wohlgemerkt, es darf nur fragen, wo der Steuerpflichtige Konten hat, und nicht, was auf den Konten ist.

Dann wird der Steuerpflichtige gefragt, ob er zu den Konten, die er bislang nicht angegeben hat, Erklärungen abgeben möchte. Da ist der Steuerpflichtige wieder gefragt.

Er hat die Mitwirkungspflicht und kann da alles erklären. Erst wenn er das nicht tut, wenn er also seiner Pflicht zur Mitwirkung nicht nachkommt, erst dann kann gefragt werden, was auf den Konten passiert.

Meine Damen und Herren von der FDP, was daran eine unbotmäßige Einschränkung von Bürgerrechten ist, kann ich beim besten Willen nicht erkennen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Meine Damen und Herren von der FDP, ich denke, Sie stimmen mir zu: Steuerhinterziehung ist in unserem Land kein Kavaliersdelikt. Steuerhinterziehung muss bekämpft werden. Genauso, wie wir gemeinsam dafür streiten, dass die Erschleichung von Sozialleistungen bekämpft werden muss, müssen wir auch die Steuerhinterziehung entschieden bekämpfen.

Komisch ist nur,an welchen Punkten die FDP glaubt,Bürgerrechte entdecken zu müssen.Wir alle – Bundesrat und Bundestag – haben Hartz IV beschlossen. Wenn die FDP glaubt, dass das, was jetzt in dem Gesetz steht – Brücke zur Steuerehrlichkeit –, ein unbotmäßiger Eingriff in die Bürgerrechte ist, frage ich Sie: Wo war denn Ihre Aufregung beim Thema Hartz IV? Wie gesagt, ich teile Ihre Auffassung nicht, dass es sich um eine unbotmäßige Einschränkung der Bürgerrechte handelt.

Ich habe hier einen Fragebogen zu Hartz IV.Wonach wird denn in einem solchen Fragebogen gefragt, meine Damen und Herren von der FDP? Es wird nach Girokonten, also nach dem Gesamtbetrag und dem Kontoinhaber, gefragt.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Wer hat das im Deutschen Bundestag beschlossen? Wer hat denn die Hand gehoben? Das waren doch Sie!)

Es wird nach Bargeld, also nach dem Gesamtbetrag und dem Besitzer, gefragt. Es wird nach Sparbüchern, also nach dem Gesamtbetrag und dem Inhaber, gefragt. Es wird nach Sparbriefen und Kapitallebensversicherungen gefragt. Damals haben Sie die Bürgerrechte nicht erwähnt. Das haben Sie nicht für eine Einschränkung der Bürgerrechte gehalten.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Doch! Wir haben gegen Hartz IV gestimmt!)

Zu Recht haben Sie nichts dagegen gesagt. Aber dann dürfen Sie bei dem Thema Bekämpfung der Steuerhinterziehung nicht damit kommen, dass es sich um eine Einschränkung der Bürgerrechte handelt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das ist doch gar nicht wahr! Sie lügen!)

Ich habe mir Ihren Antrag zum 56. ordentlichen Bundesparteitag der FDP herausgesucht. Dort wollen Sie sich auch mit diesem Thema beschäftigen. Zur Erklärung für die Bürgerinnen und Bürger muss man dazu sagen: Die Länder, in denen die FDP Verantwortung trägt, haben im Bundesrat dem, worüber wir heute reden, zugestimmt. Die FDP hat das im Bundesrat nicht blockiert,sondern sie hat den Regelungen, über die wir heute reden, zugestimmt.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört! – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Aber in dem Passus des Antrags zum Bundesparteitag, der sich mit dem Gesetz, über das wir heute reden, be

schäftigt, heißt es gleich im ersten Satz: „Die freiheitliche Bürgergesellschaft lebt von Vertrauensbeziehungen.“

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ja eben!)

Meine Damen und Herren von der FDP,ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Natürlich lebt die Bürgergesellschaft von Vertrauensbeziehungen. Wenn es jedoch um Geld geht, kann es manchmal sein, dass Vertrauen zwar gut, aber Kontrolle besser ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Frau Kollegin Wagner, Sie haben es selbst erkannt.

(Unruhe)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bitten, den Redner nicht so anzuschreien, dass er selbst mit dem Mikrofon kaum durchkommt. – Das Wort hat der Abg.Wagner.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Frau Wagner, das scheint Sie ja zu treffen. – Mein Punkt ist, dass dann, wenn es um Geld geht, Vertrauen zwar manchmal gut, Kontrolle aber oft besser ist. Frau Kollegin Wagner, dieser Gedanke liegt der FDP nicht fern. Schauen wir uns den Rechenschaftsbericht des Bundesschatzmeisters der FDP an.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP):Ach nein!)

Wenn wir uns den Bericht ansehen, werden Sie mir zustimmen, dass Vertrauen zwar manchmal gut, Kontrolle aber oft besser ist.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP):Wie war das mit Herrn Fischer? – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU):Visakontrolle!)