Protokoll der Sitzung vom 17.03.2005

Wir haben § 823 BGB, Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Wir haben § 826 BGB, sittenwidrige Schädigung, und dergleichen mehr. Abgesehen davon, dass es um einen Fundamentalangriff auf die Vertragsfreiheit geht, denke ich, dieses Gesetz ist so unnötig wie ein Kropf.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP – Heike Hofmann (SPD): Das müssen Sie der EU sagen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vertragsfreiheit ist in unserem freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsleben eben nicht irgendein beliebiger Wert, der jeder Regierung zur Disposition stünde, nur weil sie die Mehrheit hat.

(Beifall der Abg.Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Haben wir denn unsere Lehren aus den Fünfzigerjahren vergessen, auf denen unser wirtschaftlicher Erfolg beruht? Haben wir die Lehren von Franz Böhm und Friedrich August Hayek vergessen? Das, was Nipperdey zu der Interdependenz der freiheitlichen Verfassung und der freiheitlichen Wirtschaftsordnung gesagt hat? Ist das alles verloren gegangen?

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das sind zwei kommunizierende Röhren desselben Tatbestandes. Ich kann nicht die eine Seite beschneiden und erwarten, auf der anderen Seite geht die Wirtschaft hoch. Beides hängt unmittelbar zusammen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Das sind Grundaussagen der Fünfzigerjahre, die offensichtlich in Vergessenheit geraten sind.

(Norbert Schmitt (SPD): Da sind Sie stehen geblieben!)

Deshalb denke ich, dass wir sehr darauf achten müssen. Das Grundgesetz will den eigenverantwortlichen, den selbstbestimmten Menschen. Den stellt es in den Mittelpunkt. Freie und gleiche Bürger sollen nach dem Rechtsrahmen ohne staatliche Einmischung ihre Interessen selbst ausgleichen können, ihre Verträge selbst schließen

können, für gerechte Verhältnisse selbst sorgen können. Dem Antidiskriminierungsgesetz liegt ein völlig anderes Verständnis der Funktion des Rechts zugrunde. Recht dient der Gewährleistung der Freiheit des Einzelnen, ist Richtungsanzeiger und darf nicht moralisch überfrachtet werden, denn dann büßt es gerade seine Funktion als Richtungsanzeiger ein. Die Richtung muss in die selbst verantwortete Freiheit zeigen.

Deshalb halte ich es nachgerade für absurd, dass Frau Roth – so in der „FAZ“ vom 12. März zu lesen – behauptet hat, das Antidiskriminierungsgesetz erschließe wichtige kreative Ressourcen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Gegenteil ist richtig.Wer die Freiheit des Einzelnen beschneidet, hemmt seine Kreativität und damit die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Allein schon die vorgesehene Beweislastumkehr – die gesetzlichen Kriterien haben wir bereits – stellt Vermieter, Unternehmer und Gastwirte unter den Generalverdacht der Diskriminierung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das führt zu mehr Bürokratisierung. Das führt zur wirtschaftlichen Lähmung. Und das ist das Letzte, was wir in der deutschen Krise gebrauchen können. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Staatssekretär, herzlichen Dank. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen zu den Aktuellen Stunden der Tagesordnungspunkte 68 und 69.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 70 auf:

Antrag der Fraktion der SPD bereffend eine Aktuelle Stunde (Operation düstere Zukunft für Behinderte – schwarz-grüne Koalition im LWV!) – Drucks. 16/3779 –

Redezeit: fünf Minuten je Fraktion. Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Kollege Walter.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist manchmal gut, wenn man seine Reden nicht schriftlich vorbereitet, weil nach dem, was wir heute Morgen zum Kernbereich der Sozialpolitik erlebt haben, glaube ich, muss diese Rede anders gehalten werden.Wenn ich heute von dem Beschluss der GRÜNEN-Landesdelegiertenkonferenz lese: „Dabei ist festzustellen, dass mit CDU und FDP das höhere Maß an Übereinstimmungen im zentralen Bereich der Sozialpolitik in unserem Lande erzielt werden konnte“, dann haben wir heute Morgen eines gesehen: Was Sie hier vollführen, ist fantastisches Theater. Die einzigen,die wirklich der Hort der Vernunft in der Sozialpolitik sind, sind die hessischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Leider ist das Thema zu wichtig, als dass wir es mit diesem Durcheinander,das Sie,meine sehr verehrten Damen und Herren von CDU, GRÜNEN und FDP, vollführen, belassen könnten. Ich will einmal ein, zwei Sätze zum LWV sagen.Was ist denn mit unserem LWV? Der LWV in Hessen

ist einer der besten Wohlfahrtsverbände im gesamten bundesdeutschen Vergleich.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): „Eurem“ LWV!)

Lieber Herr Dr. Jürgens, Sie sollten etwas vorsichtig sein. Jetzt bei diesem Thema wieder die Freundschaft mit der CDU zu suchen und vorhin den Schwarzen vorzuwerfen, jeder CDU-Politiker diskriminiere, ist relativ schwierig. Erstens würde ich so etwas nicht sagen,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

und zweitens, Herr Dr. Jürgens, Sie sind relativ mutig, in die Debatte zu gehen.Wenn Sie glauben, Sie könnten hier in Wiesbaden gegen die Schwarzen wegen dem Sozialabbau polemisieren, dann aber in Kassel den Sozialabbau exekutieren, und meinen, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden dazu schweigen, dann haben Sie sich getäuscht. Sozialabbau ist hier schlecht und da schlecht.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der LWV Hessen ist einer der vorbildlichsten Wohlfahrtsverbände in der Bundesrepublik Deutschland. In den beiden Bereichen, die hier kritisiert wurden und wo gesagt wurde, es müsse mehr im Bereich betreutes Wohnen gemacht werden: Das ist richtig, betreutes Wohnen ist besser, wenn es funktioniert, als eine stationäre Unterbringung.

(Beifall des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Da wird geklatscht. Das ist in Ordnung. – Im Bundesdurchschnitt betrug der Anteil im betreuten Wohnen im Jahre 2001 20 %. Perspektive ins Jahr 2006: 22 %. Nun die hessischen Zahlen.Anteil in Hessen 2001: 34 %, Perspektive 2006: 39 %.Wir sind in Hessen führend, was betreutes Wohnen angeht.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Teil ist die Frage der Kommunalisierung. Die Unternehmensberatung Kienbaum – Herr Dr. Jürgens wird die wahrscheinlich als einen Hort sozialdemokratischen Unwesens beschimpfen – sagt, die überörtliche Steuerung führe gerade dazu,dass wir in Hessen,auch was die Finanzausstattung angeht, zu hervorragenden Ergebnissen kommen.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, diese beiden Zahlen genügen,um deutlich zu machen – im Zusammenhang mit der wirklich unglaublichen Debatte, die wir zum zentralen Bereich der Sozialpolitik erlebt haben –, dass es nicht um Inhalte geht, sondern relativ einfach um Postenpositionen und um Machtpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt kommt der grüne Vorwurf: Ihr Sozialdemokraten saßt 20 Jahre mit den CDU-Freunden in einer Koalition.

(Zurufe und Lachen bei der CDU)

Jetzt wird SPD/CDU durch GRÜNE/CDU ausgewechselt. Wo ist der Unterschied? – Ich will Ihnen den Unterschied erklären.Im LWV war die Koalition unter Führung der SPD Garant dafür – das sollte hier unbestritten sein –, dass wir in Hessen eine vorbildliche Behindertenpolitik betrieben haben,

(Beifall bei der SPD)

dass wir einen inneren hessischen Solidarausgleich hatten, der dazu geführt hat, dass die Qualität der Behindertenhilfe an der Bergstraße nicht anders als beispielsweise im Landkreis Kassel ist, dass es flächendeckende Standards und gleich hohe Qualität in unserem Hessenland gibt.

(Beifall bei der SPD)

Dies war die Gewähr dafür. Der Grund, warum die CDU diese Koalition gebrochen hat, ist, dass die CDU von diesen Grundsätzen Abschied nehmen will,

(Beifall bei der SPD)

da die CDU sagt: Wir wollen den Einstieg in die Behindertenpolitik nach passender Lage. – Da sagen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten: Ja, dann muss die CDU die Koalition brechen, weil mit uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine Behindertenpolitik nach passender Lage nicht machbar ist.

(Beifall bei der SPD)

Dann macht sich die Union auf die Suche nach einem Partner, und sie hat ihn bei den GRÜNEN gefunden. Dass die GRÜNEN das machen, kann ich verstehen. Das Bild, die grüne Landesvorsitzende neben der Sozialministerin, medial ganz spannend, ist relativ leicht nachzuvollziehen und eine weitere – –

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.