Konkret stelle ich mir vor, dass wir die Verwaltungsgerichtsordnung und das Sozialgerichtsgesetz auf der einen Seite und die Zivilprozessordnung und das Arbeitsgerichtsgesetz auf der anderen Seite zusammenführen.
Ein weiterer ganz wesentlicher Punkt der Deregulierung ist die dringend notwendige Reform der Rechtsmittel, die ich schon pauschal am Anfang angesprochen hatte. Das zentrale Ziel der funktionellen Zweigliedrigkeit habe ich in diesem Zusammenhang auch dargestellt.
Für den Zivilprozess kann die funktionelle Zweigliedrigkeit konkret so umgesetzt werden, dass gegen ein erstinstanzliches Urteil allein die Möglichkeit einer so genannten Zulassungsberufung besteht. Dies bedeutet, dass eine Berufung nur durchgeführt werden kann, wenn entweder das erstinstanzliche Gericht oder das Berufungsgericht das Rechtsmittel zulässt. Anderenfalls endet der Prozess in jedem Fall mit der erstinstanzlichen Entscheidung.
Meine Damen und Herren, das ist auch nichts Revolutionäres. Es wird in dem Zusammenhang häufig vorgetragen und behauptet, das sei eine Reduzierung von Rechtsstaat. Schon nach dem geltenden Recht werden seit Jahrzehnten weit über 80 % der erstinstanzlichen Urteile der Amtsgerichte sowohl in Strafverfahren als auch in Zivilverfahren rechtskräftig. Mit der Einführung einer Zulassungsberufung könnten die positiven Erfahrungen aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf den Zivilprozess übertragen werden.Dort wird das schon seit vielen Jahren so praktiziert, nämlich seit dem Jahre 1996.
Die Zulassung des Rechtsmittels erfolgt bei Zweifeln an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils sowie bei einer besonderen Schwierigkeit oder grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens. Meine Damen und Herren, ich verspreche mir von der Einführung einer Zulassungsberufung im Interesse des Bürgers schnellere Verfahrensabschlüsse.
Bei strafrechtlichen Verurteilungen durch das Amtsgericht kann die funktionelle Zweigliedrigkeit am besten durch ein so genanntes Wahlrechtsmittel erreicht werden. Dieses im Jugendstrafrecht seit langem bewährte Prinzip stellt den Betroffenen vor die Wahl, entweder Berufung oder Revision einzulegen, je nachdem ob sein Angriff eher auf eine rechtliche oder eine tatsächliche Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zielt.
Einen weiteren Entlastungseffekt der Strafjustiz verspricht die Erweiterung der Annahmeberufung. Ähnlich wie bei der Zulassungsberufung kommt es auch bei der Annahmeberufung nur dann zu einer erneuten Verhandlung, wenn das Berufungsgericht das Rechtsmittelverfahren annimmt bzw. zulässt. Bislang begrenzt das Gesetz die Annahmeberufung im Strafrecht auf Fälle, in denen das Gericht den Täter zu einer Gesamtstrafe von maximal 15 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt. Ein derartig geringes
Strafmaß kommt in der Praxis aber sehr selten vor. Die Annahmeberufung konnte daher bislang kaum praktische Bedeutung entfalten. Ich halte es deshalb für richtig, die Annahmeberufung durch eine Anhebung der maximalen Strafe auf 60 Tagessätze maßvoll auszuweiten.
Meine Damen und Herren, das Ziel der Verlagerung von Aufgaben auf Dritte folgt aus zwei grundlegenden Erfahrungen: Erstens. Aufgaben, die nicht zum Kerngeschäft des Staates gehören, können durch Dritte in vielen Fällen besser, d. h. effektiver und auch bürgerfreundlicher, erledigt werden.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Zweitens. Die Übertragung von Aufgaben entlastet den Staat, der alle Kräfte auf sein Kerngeschäft konzentrieren kann.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund könnte es sich anbieten, die Notare stärker als bisher in die Aufgabenerledigung der Justiz einzubinden. Die Bestellung zum Notar setzt hohe Qualifikationen voraus. Diese lassen es erwarten, dass die Notare Aufgaben im Erbrecht und im Registerrecht genauso wie die Gerichte erledigen können, z. B. Nachlasssachen, Erbscheinerteilungen und dergleichen mehr.
Ein weiterer Bereich der Aufgabenübertragung ist die mögliche Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens. Die zügige Vollstreckung von Urteilen hat für die obsiegende Prozesspartei zentrale Bedeutung. In vielen Fällen hängen Existenzen, z. B. von Handwerksbetrieben, davon ab, dass Außenstände schnell eingetrieben werden können.
Meine Damen und Herren, zu dem Stichwort der Konzentration von Aufgaben gehört vor allem die effektivere Ausgestaltung des Strafverfahrens. Hierfür gibt es eine Reihe von Vorschlägen, aus denen ich zwei besonders wichtige hervorheben möchte. Eine schnelle Durchführung des Strafverfahrens hat mehrere Vorteile – das haben wir hier schon häufig miteinander beredet –: Erstens. Die Wirkung auf den Täter ist in der Regel besonders stark. Zweitens. Das schnelle Vorgehen fördert die Akzeptanz des Rechtsstaates in der Öffentlichkeit. Drittens. Die zügige Verfahrenserledigung ist ökonomisch sinnvoll.
Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr darüber, dass Hessen im Bundesvergleich bei der Frage des beschleunigten Verfahrens seit vielen Jahren eine absolute Spitzenstellung einnimmt.
Diese positiven Erfahrungen legen es nahe, den Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens zu erweitern. Nach meiner Auffassung sollten daher im beschleunigten Verfahren Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren statt bisher von nur einem Jahr verhängt werden können. Schließlich sollten auch die Möglichkeiten des Strafbefehlsverfahrens ausgedehnt werden. Das Gesetz beschränkt den Anwendungsbereich dieses Verfahrens bislang auf das Amtsgericht. Das Strafbefehlsverfahren sollte auf die Land- und Oberlandesgerichte ausgedehnt
werden. Bei gleichzeitiger Anhebung der Grenzen der höchstzulässigen Rechtsfolge auf eine Bewährungsstrafe von bis zu zwei Jahren führt dies zu einer Entlastung insbesondere der Landgerichte.
Meine Damen und Herren,am Rande müsste man hier eigentlich auch erwähnen, dass zur weiteren Effektivierung von Strafverfolgungsmaßnahmen ein besserer Einsatz der DNA-Analyse gehört. Das haben wir hier so häufig miteinander besprochen, dass ich das mit nur einem Satz erwähnt haben will. Aber auch das gehört zu einer konsequenten und effektiven Strafverfolgung.
Meine Damen und Herren, ich setze mich dafür ein, dass wir grundlegende Strukturveränderungen der Justiz auf den Weg bringen. Wir führen daher in Hessen einen intensiven Dialog mit der Praxis. Wir haben unter anderem im Mai zwei erfolgreiche Regionalkonferenzen zur Justizreform in Gießen und in Frankfurt mit den Leitungen der hessischen Justizbehörden, den Vertretern der Mitbestimmungsgremien sowie Repräsentanten der hessischen Rechtsanwälte und Notare durchgeführt.
Lassen Sie mich zum Schluss Folgendes feststellen: Deutschland braucht eine bürgerfreundliche, schlanke und leistungskräftige Justiz. Sie trägt zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und zur Zukunfts- und Konkurrenzfähigkeit unseres Landes maßgeblich bei.Auch wenn es in der Öffentlichkeit nicht immer ausreichend wahrgenommen wird, ist meine feste Überzeugung, dass die Justiz die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft in unserem Lande stellt.
Das war die Regierungserklärung. – Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Abg. Hofmann von der Fraktion der SPD das Wort. Die Redezeit beträgt 20 Minuten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese Regierungserklärung des Justizministers war von so viel „Tatkraft“ durchdrungen, dass sie Ihrer eigenen Fraktion, der CDU-Fraktion, nur einen müden Applaus abgerungen hat
Bei so viel Impulsivität und Tatendrang traut Ihnen die Zuhörerschaft sicherlich zu, dass Sie, besonders Herr Wagner, dazu in der Lage sind, die Justizminister für die Zukunft fit zu machen, wie Sie immer so schön sagen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu Beginn eines deutlich machen.Es ist unstrittig,dass die öffentlichen Haushalte, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene,
in den letzten Jahren defizitär sind. Im Lande Hessen haben Sie es durch Ihre verfehlte Finanzpolitik geschafft, Hessen finanziell an den Rand des Ruins zu bringen. Das kann man sehr plakativ an den Stichworten wie SAP R/3 und dem Kauf des Erbacher Schlosses festmachen.
Aber nicht nur solche nüchternen fiskalischen Fakten, sondern auch die Frage,wie wir unsere Justiz in der Tat leistungsfähiger machen können, haben die Länder auf ihrer letzten Justizministerkonferenz im Herbst vergangenen Jahres dazu gebracht, Eckpunkte für eine so genannte große Justizreform zu vereinbaren.Diese sollen Ende dieses Monats in konkrete Beschlüsse gegossen werden.
Herr Wagner, ich muss gleich noch einmal auf Ihren Vortrag eingehen, insbesondere der Bundesgesetzgeber trage zu einer Regelungswut bei,die die Justiz übermäßig belaste. Fakt ist, dass die Bundesregierung 350 Gesetze und Verordnungen abgeschafft hat. Ihr Lamentieren über das Antidiskriminierungsgesetz, Ihre Verängstigungsreden und Ihre Aufwiegelung: So etwas können Sie nur auf CDU-Parteitagen erzählen.
Fakt ist – wir haben es hier mehrfach erörtert –, dass Deutschland verpflichtet ist, vier entsprechende EURichtlinien umzusetzen,
und dass dieses Gesetz nur im Zivilrecht und hinsichtlich der Zuständigkeit der Gleichbehandlungsstelle in einigen Merkmalen über die Richtlinien hinausgeht – und nicht mehr.
Schwerpunkte dieser Reform – Herr Wagner,Sie haben es schon ausgeführt – sollen die Deregulierung, die Übertragung von bestimmten Aufgaben, die Konzentration und die Qualitätssicherung sein. Ob diese „große“ Justizreform tatsächlich ihren Namen verdienen wird oder ob sie zum Rohrkrepierer wird, hängt entscheidend davon ab, ob Sie, Herr Wagner, gemeinsam mit Ihren Länderkollegen die politische Kraft und den politischen Willen haben, die vereinbarten Eckpunkte auch tatsächlich umzusetzen.
Bevor ich auf einzelne Vorschläge der großen Justizreform eingehe, möchte ich für die SPD-Landtagsfraktion aber Folgendes klarstellen. Mit uns als SPD wird es kein Kaputtsparen der Justiz geben.
Außerdem lassen wir es nicht zu, dass die Axt an den Rechtsstaat gelegt wird. Im Vordergrund einer Reform müssen Qualität und Transparenz stehen.
Außerdem darf der Justizgewährungsanspruch der Bürgerinnen und Bürger nicht angetastet werden. Sie selbst, Herr Justizminister Wagner, haben sehr eindrücklich im negativen Sinne gezeigt, wie der Justizgewährungsanspruch der Bürgerinnen und Bürger mit Füßen getreten werden kann. Ich möchte hier an die Amtsgerichtsschließungen erinnern, bei denen Sie ohne Aufgabenkritik, ohne eine Kosten-Nutzen-Analyse hessische Amtsgerichte platt gemacht haben. Sie haben die Anhörung nicht
dazu genutzt,dort Anregungen aufzunehmen,sondern Sie haben frei nach dem Motto agiert: Die Mehrheit ist auch die Wahrheit.
Erster Punkt: Förderung der konsensualen Streitbeilegung. Wir als SPD-Landtagsfraktion begrüßen den Vorstoß, die konsensuale Streitbeilegung weiter auszubauen, insbesondere im außergerichtlichen Bereich. Wir haben sehr gute Erfahrungen in der Familiengerichtsbarkeit gemacht und können solche Instrumentarien dazu nutzen, die Justiz entscheidend zu entlasten. Insbesondere von der außergerichtlichen Streitschlichtung, wenn sie regelhafte Voraussetzung ist, versprechen wir uns eine zunehmende Entlastung der Gerichte und der Justiz. Hierbei ist ganz klar, dass die Informationspraxis erheblich verbessert werden muss, dass Schlichtungsangebote bei den Recht Suchenden bekannt sein müssen.
Zuzustimmen ist auch dem Vorschlag, dass in der Rechtsschutzversicherung durch Kostenanreize für den einzelnen Versicherungsnehmer die außergerichtliche Streitbeilegung gefördert werden kann. Aber auch im justiziellen Verfahren müssen wir Formen alternativer Konfliktbeilegung weiter fördern und ausbauen. Dazu müssen insbesondere Richterinnen und Richter eine verbesserte Ausbildung etwa in der Verhandlungsführung,im Konfliktmanagement und auch in Streitschlichtungstechniken erhalten.