Protokoll der Sitzung vom 08.06.2005

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Hartz-Gesetze sind die größte Reform der Organisation und der Instrumente der Agentur für Arbeit seit 1969. Ich sage ganz deutlich: Aus unserer Sicht haben im Zusammenhang mit Hartz IV immer schon drei große Probleme bestanden: erstens die Frage der Anrechnung von Partnereinkommen, zweitens die Frage der Anrechnung von Altersvermögen, drittens die Frage der Anrechnung von Hinzuverdienstmöglichkeiten. Wer hat denn diesen Irrsinn in das Gesetz hineingeschrieben, dass die Hinzuverdienstmöglichkeiten komplett angerechnet werden, was jetzt glücklicherweise reduziert worden ist? Das waren dieser Ministerpräsident und diese Sozialministerin im Vermittlungsausschuss des Deutschen Bundesrates. Diese Auseinandersetzung führe ich sehr gern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben dieses Land in der Energiepolitik in das 21. Jahrhundert geführt. Wenn Sie sich überlegen, Herr Kollege Dr. Jung – Sie haben vorhin die Frage der „Verspargelung“ der Landschaft mit Windrädern in die Debatte eingeführt –, was Ihr famoser Peter Harry Carstensen in seiner Regie

rungserklärung in Schleswig-Holstein gesagt hat, müssten Sie eigentlich vor Scham in den Boden versinken. Peter Harry Carstensen hat in seiner Regierungserklärung gesagt, Schleswig-Holstein werde der Motor der regenerativen Energien bleiben.

(Heiterkeit bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich sage Ihnen: Es gibt keinen einzigen Bereich in der Wirtschaft und in der Energiepolitik der letzten Jahre, in dem so viele Arbeitsplätze in zukunftsfähigen Industrien geschaffen worden sind wie bei den erneuerbaren Energien – gegen Ihren Widerstand, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Widerspruch bei der CDU)

Wenn Herr Kollege Hahn das Kraftwerk Biblis anspricht und sagt, es seien 1.000 Arbeitsplätze geschaffen worden, dann erwidere ich: Ich werde bis zum 18. September in Nordhessen sehr selbstbewusst in die Auseinandersetzung gehen und darauf hinweisen, dass wir dafür gesorgt haben, dass die Firma SMA – sie stellt Bauteile für Solaranlagen her – letzte Woche Ihren tausendsten Mitarbeiter in Niestetal eingestellt hat, und zwar gegen Ihren Widerstand, meine sehr verehrten Damen und Herren. Diese Auseinandersetzung führe ich gern.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört! – Michael Bod- denberg (CDU): Wer glaubt Ihnen diesen Unsinn eigentlich, Herr Al-Wazir?)

Ich werde darauf hinweisen, dass diejenigen, die jetzt an die Regierung wollen, sagen, sie wollten das alles wieder abschaffen. Diese Auseinandersetzung werde ich führen. Ich führe im Rhein-Main-Gebiet gern die Auseinandersetzung darüber, dass es hier im Landtag eine Mehrheit gibt, die auch Mehrheit im Bundestag werden will und die will, dass der Schrottreaktor Biblis A im Jahre 2008 nicht abgeschaltet wird. Diese Auseinandersetzung führen wir in Hessen. Wir sind bezüglich der Antwort der Bürgerinnen und Bürger sehr zuversichtlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ein weiterer Punkt. Sie haben gerade so getan, als sei es ein Irrtum der Geschichte gewesen, dass wir 1998 und 2002 die Bundestagswahl gewonnen haben. Ich führe hier die Auseinandersetzung auch im Rückblick und sage Ihnen: Wenn Sie die Wahl im Jahre 2002 gewonnen hätten, würde die Bundeswehr jetzt im Irak stehen, und Kanzler Stoiber würde jetzt die Särge empfangen. Diese Auseinandersetzung führe ich.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich komme nun auf die Steuerpolitik und die Arbeitsmarktpolitik zu sprechen.

(Unruhe)

In der Steuerpolitik regieren CDU, CSU und FDP seit April 1999, nämlich seit der hessischen Landtagswahl mit. Ich sage Ihnen:Wir sind schon sehr belustigt gewesen, bezogen auf die Steuerpolitik festzustellen, dass in dem Moment, in dem Neuwahlen angekündigt worden sind – ich drücke es einmal vorsichtig aus –, ein Hühnerhaufen im Vergleich zu denjenigen, die behauptet haben, jederzeit auf die Übernahme der Regierung vorbereitet zu sein, eine geordnete Formation gewesen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Leute, die seit vier Jahren verhindern, dass die Eigenheimzulage abgeschafft wird, erklären auf einmal, sie müsse sofort weg. Die Leute, die seit Jahren verhindern, dass Veränderungen bei der Pendlerpauschale kommen, erklären auf einmal, sie müsse sofort weg. Diejenigen, die fordern, die Steuern müssten gesenkt werden, sagen als Erstes, die Mehrwertsteuer müsse erhöht werden. Wir freuen uns auf diese Auseinandersetzung in den nächsten Wochen und Monaten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wer die Verantwortung dafür trägt, Herr Ministerpräsident – ich spreche Sie jetzt direkt an –, dass wir Mehreinnahmen in Höhe von 20 Milliarden c hätten haben können,wenn Sie nicht jeden Versuch des Subventionsabbaus blockiert hätten, darf nicht mehr über die Verschuldung des Staates jammern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Dr. Jung, Sie haben die Staatsverschuldung angesprochen. Die Frage der Staatsverschuldung treibt mich um, solange ich Politik mache. Schauen wir uns das aber einmal genauer an. Die Verschuldung des Bundes ist seit der Regierungsübernahme 1998 von 743 Milliarden c auf 860 Milliarden c am Ende des Jahres 2004 gestiegen.

(Zuruf von der CDU: Warum wollt ihr dann Neu- wahlen?)

Das ist eine Steigerung von 15,7 %.Wenn Sie sich einmal anschauen, was in Hessen los ist, stellen wir fest, dass in demselben Zeitraum die Verschuldung nicht um 15,7 % gestiegen ist, sondern um 32,7 %.

(Zurufe von der SPD: Hört, hört! – Zurufe von der CDU)

Wer so etwas zu verantworten hat, soll sich über die Staatsverschuldung nicht mehr aufregen, sehr verehrter Herr Kollege Dr. Jung.

(Michael Boddenberg (CDU): Sie ist wegen der Vermögensveräußerung so gesunken!)

Wer sagt, die Staatsverschuldung auf Bundesebene sei wegen der Wiedervereinigung so hoch, berücksichtige bitte, dass in der Ära Kohl von 1983 bis 1989 die Verschuldung um 58,5 % gestiegen ist.Betrachtet man die gesamte Ära Kohl, stellt man fest, dass Sie die Verschuldung des Bundes in den 16 Jahren um 360 % nach oben getrieben haben.

Das ist doch jenseits des Parteienstreits. Es ist doch völlig egal, wer regiert, es ist doch völlig egal, wer am 18. September gewinnt; wir alle wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Dann darf man aber nicht alles dafür tun, dass der Staat keine zusätzlichen Einnahmen hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

Herr Kollege Al-Wazir, Sie müssen langsam zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Es fällt auf, dass gerade diejenigen, die sich immer als die größten Kanzlerkandidaten aller Zeiten betrachtet haben und der Meinung sind, sie haben die beste, die intergalaktisch führende Landesregierung, in der jetzigen Diskussion innerhalb der CDU keine Rolle mehr spielen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Roland Koch hat alle Türen der Staatskanzlei aufgemacht und horcht und horcht,aber es ruft keiner,meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Al-Wazir, darf ich Sie an die Redezeit erinnern?

Die Tatsache, dass von den Leuten, die hier auf der Regierungsbank sitzen, keiner redet, wenn es um das so genannte Kompetenzteam, um das Schattenkabinett geht, ist sehr bemerkenswert. Deshalb sage ich: Wir gehen selbstbewusst in die Auseinandersetzung. Herr Kollege Hahn, dann wird die Frage entschieden, ob die Leute eine Bürgerversicherung haben wollen, in die alle einzahlen, oder ob sie amerikanische Verhältnisse wollen, wenn die FDP die gesetzliche Krankenversicherung abschafft. Diese Auseinandersetzung führen wir selbstbewusst.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Al-Wazir. – Das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Al-Wazir, Sie haben gesagt, dass Rot-Grün Deutschland in das 21. Jahrhundert geführt hat. Dann muss man aber feststellen,dass Sie sich im 21.Jahrhundert nicht sehr wohl fühlen – so schnell, wie Sie aus der Regierung heraus wollen.

(Heiterkeit bei der CDU)

Ich finde, Sie vertreten eine gefährliche These. Die Bürgerinnen und Bürgern haben heute mehr Angst um ihren Arbeitsplatz, mehr Angst um ihre Altersversorgung, mehr Angst um die Ausbildungsplätze ihrer Kinder, mehr Angst um die Finanzierbarkeit sozialer Investitionen als jemals zuvor, weil alle Parteien, wo sie Verantwortung tragen – in Landesregierungen oder in der Bundesregierung –, im Augenblick an all diesen Stellen eine Perspektive verwalten, die eher beängstigend als hoffnungsvoll ist. Wenn Sie sagen, das sei der Weg ins 21. Jahrhundert, dann sage ich Ihnen, das ist eine grobe Täuschung. Man kann im 21. Jahrhundert auch gut leben. Es muss nicht so sein, wie es in den letzten Jahren in der Bundesrepublik Deutschland geworden ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Für unser Bundesland, das an allen Wachstumschancen in besonderer Weise teilnehmen kann, ist diese Frage von besonders großer Wichtigkeit. Wir können schneller wachsen als andere, wenn Deutschland insgesamt wächst. Wir können aber keine Wachstumsinsel bilden, wenn die Bedingungen so sind, dass Deutschland bei einem Vergleich der Wachstumsraten von 25 Staaten der Europäischen Union inzwischen auf Platz 25 liegt. Das liegt nicht an unserer geographischen Lage, das liegt nicht an der Leistungsfähigkeit unserer Menschen, das liegt nicht einmal an fehlenden Ideen, sondern daran, dass wir über Jahre so schlecht organisiert waren, dass wir aus unseren Stärken nichts mehr machen. Das wird ein Teil der Auseinandersetzung sein, die wir führen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Dabei will ich aus der Perspektive der Landesregierung durchaus sagen: Ich bin ein wenig verwundert, wie der Bundeskanzler auf dem Weg seines Abschieds die Begründungen wählt. In der Tat, es gibt inzwischen eine außerordentlich eindrucksvolle – was die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland angeht – politische Dominanz unionsgeführter Landesregierungen im Bundesrat. Ohne die zweite Kammer ist in diesem Lande vieles nicht zu beschließen.So ist die verfassungsmäßige Ordnung.Ich hätte gerne noch daran mitgewirkt, einige gesetzliche Vorhaben, z. B. das von Ihnen als so wichtig empfundene Zuwanderungsrecht, in klarerer Verantwortung beim Bund zu regeln. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass Herr Müntefering das seiner Partei vor dem Auszug aus der Regierung nicht mehr zumuten will.

Es gelten aber die Mitwirkungsrechte des Bundesrates. Deshalb frage ich die sozialdemokratischen Kollegen:Wie gedenken Sie, in Zukunft ein Regierungsprogramm zu gestalten?

(Zurufe von der SPD)

Glauben Sie allen Ernstes, dass es nach der Bundestagswahl eine andere Mehrheit im Bundesrat geben wird? Die Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen haben sehr genau gewusst, warum sie keine rot-grüne Regierung mehr haben wollten. Die werden ihre Meinung nach der Bundestagswahl nicht ändern.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)