Protokoll der Sitzung vom 08.06.2005

(Lachen bei der FDP)

In einer demokratischen Partei gibt es klare und offene Diskussionen, und wer diese klaren und offenen Diskussionen für schädlich hält, betreibt eine Politik wie der Staatssozialismus. Dass Sie das als FDP-Fraktionsvorsitzender tun, finde ich geradezu peinlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): Herr Grumbach, irgendwann muss man aufhören und zu einem Ergebnis kommen!)

Aber doppelt peinlich wird das Ganze,wenn Sie so tun,als sei die FDP an der Entscheidung über Schmidt nicht beteiligt gewesen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Sie haben, statt Streit und Debatte zu suchen, das Wort eines Koalitionsvertrags gebrochen. Die Umfallerpartei FDP hat die Regierung Schmidt gestürzt. Das können Sie in jeder Tageszeitung aus dieser Zeit nachlesen. Insofern sollten Sie sich Ihrer Verantwortung stellen und nicht versuchen, sie zu verdrängen.

(Beifall bei der SPD – Frank Gotthardt (CDU):Wo befinden Sie sich denn geistig? – Michael Boddenberg (CDU): In welchem Jahrhundert sind Sie eigentlich?)

Meine Damen und Herren, dann geht es um den Grund. Wer das Lambsdorff-Papier liest, hat die Redevorlage für Herrn Hahn gefunden. Das ist die Politik, die in Deutsch

land betrieben wird, nachdem sich die FDP entschieden hat, von der Partei der Bürger und der Freiheitsrechte zur Partei der Wirtschaft zu werden. Dass Sie das Wort Solidarität überhaupt in den Mund nehmen, die Sie die Menschen nur von oben herab betrachten, das allein sollten Sie nicht tun.

(Beifall bei der SPD und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Oh! Ich verzichte auf eine Antwort, Herr Präsident!)

Ich habe es zur Kenntnis genommen, Herr Kollege Hahn.

Nächster Redner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist ihr Vorsitzender, Herr Al-Wazir.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben diese Debatte heute Morgen um 9 Uhr begonnen und haben Redebeiträge der Vorsitzenden der Fraktionen von CDU und FDP gehört, die ja,

(Michael Boddenberg (CDU): Bis jetzt war es richtig!)

um es einmal so herum auszudrücken, vor Kraft kaum laufen können und davon ausgehen,dass sie auf jeden Fall die vorgezogene Bundestagswahl gewinnen werden. Meine Damen und Herren, Sie wissen selbst, dass zwei Drittel derer, die wünschen, dass Sie diese Wahl gewinnen, auf die Frage: „Glauben Sie denn, dass sie es besser machen?“ antworten: Nein. – Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, warum das so ist, haben wir den in diesen beiden Reden gefunden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir werden wahrscheinlich am 18. September vorgezogene Wahlen zum nächsten Deutschen Bundestag haben.

(Zuruf von der CDU:Wie schafft ihr das?)

Ich weiß nicht, ob der Antrag und die Debatte, die die CDU hier beantragt hat, diese Republik wirklich voranbringen werden, aber bitte sehr. Es ist Zeit, einmal ein wenig zurückzublicken – das haben Sie ja versucht – und einen Ausblick auf die Wahlauseinandersetzung zu machen.

Kollege Hahn und Kollege Jung, Sie haben hier gerade so getan, als sei alles falsch gewesen, was die letzten sieben Jahre passiert ist.

(Michael Boddenberg und Clemens Reif (CDU): Das ist auch so!)

Ihr Generalsekretär ruft, dass das auch so sei.

(Michael Boddenberg (CDU): Erzählen Sie doch einmal, was richtig gemacht wurde!)

Ja, ich erzähle einmal, was die letzten sieben Jahre richtig war, Herr Boddenberg, gerne. Da fange ich einmal an.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalition, die 1998 angefangen hat, hat dieses Land gesellschaftlich geöffnet und in das 21. Jahrhundert geführt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Dafür könnt ihr aber nichts!)

Ich möchte Ihnen das an drei Punkten deutlich machen.

Erster Punkt: Staatsbürgerschaftsrecht. Ich sage das ausdrücklich, weil wir hier einen auf der Regierungsbank haben, der aus unserer Sicht der höchste Preis für diese Modernisierung war. Aber manche Sachen sind halt sehr teuer. Wir haben, was das Staatsbürgerschaftsrecht angeht, dieses Land zu einem modernen Land gemacht und die Rechtslage von 1913 geändert, indem wir z. B. das Geburtsortsprinzip einführten und deshalb nicht mehr nur das Abstammungsprinzip im Staatsbürgerschaftsrecht haben.

Das ist – genauso wie das Zuwanderungsgesetz, das auch wir gemacht haben und wozu Sie nicht in der Lage waren – die Voraussetzung dafür, erfolgreiche Integrationspolitik betreiben zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben mit der Gleichberechtigung und der Chancengleichheit von Frauen und Männern sowie mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Ernst gemacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie hatten dazu nicht die Kraft, und Sie hatten vorher 16 Jahre als CDU und 27 Jahre als FDP regiert.

(Florian Rentsch (FDP): Das sagt der Richtige! – Boris Rhein (CDU): Das sind doch alles Sprüche!)

Meine Damen und Herren, wir haben gegen Ihren erbitterten Widerstand ein Ganztagsschulprogramm aufgelegt. Als wir mit einer solchen Diskussion angefangen haben, haben Sie noch behauptet, wir wollten Ihnen Ihre Kinder wegnehmen. Inzwischen folgen Sie uns.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist es!)

Wir haben gegen Ihren erbitterten Widerstand gesagt:Wir wollen mit dem Ausbau der Kinderbetreuung Ernst machen. Inzwischen merkt selbst die hessische CDU, dass sie hinter uns her muss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben mit den Diskriminierungen in diesem Land Schluss gemacht. Diejenigen, die jetzt langsam merken, dass Bürgerrechte vielleicht doch ein nicht zu vernachlässigender Punkt sind – Kolleginnen und Kollegen von der FDP –, sollten sich ein großes Scheibchen von uns abschneiden. Gegen Ihren erbitterten Widerstand haben wir z. B. die eingetragene Partnerschaft eingeführt. Um es einmal hart auszudrücken, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Ohne diese gesellschaftliche Öffnung, für die wir als GRÜNE die letzten 25 Jahre gekämpft und die wir in den letzten sieben Jahren gemeinsam mit der SPD umgesetzt haben, wäre weder die CDU in der Lage gewesen, eine Frau zu ihrer Vorsitzenden zu wählen, noch hätte Guido Westerwelle seinen Freund zu deren Geburtstag mitbringen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Widerspruch bei der CDU – Florian Rentsch (FDP): Das ist eine Unverschämtheit!)

Wir haben dieses Land gesellschaftlich ins 21.Jahrhundert geführt.Es gibt keinen Grund,sich dafür zu schämen oder sich zu verstecken. Darauf können wir stolz sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben eine sehr schmerzhafte Gesundheitsreform gemacht, und zwar alle zusammen hier, nicht dass das irgendwie vergessen wird. Wir haben in der Gesundheitsreform das gemacht, wozu Sie 16 Jahre lang keine Kraft hatten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben allerdings das, was noch nötig gewesen wäre, nicht geschafft, nämlich mehr Wettbewerb und Effizienz einzuführen – Stichwort: Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigung, Stichwort: Brechung der Macht der Pharmaindustrie –, weil genau diese Landesregierung an der vordersten Front war, genau diese Veränderungen zu blockieren. Diese Auseinandersetzung führe ich sehr selbstbewusst, meine Damen und Herren von der Union.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben bei der Rente das geschafft, wozu Sie vorher nicht die Kraft hatten, nämlich mit der Riester-Rente eine weitere Säule sowohl der privaten als auch der betrieblichen Eigenvorsorge einzuführen. Dazu hatten Sie vorher nicht die Kraft.

Im Übrigen bin ich sehr gespannt darauf, Herr Ministerpräsident, ob Sie das, was Sie vorher versprochen haben – Stichwort: wenn wir an die Macht kommen, schaffen wir die Ökosteuer ab –, umsetzen werden. Davon habe ich nämlich in den letzten Wochen nichts mehr gehört. Ich gehe sehr selbstbewusst mit der Frage um, wer dafür gesorgt hat, den Rentenbeitrag von 20,3 % auf 19,5 % zu senken,wie das geschafft wurde,und gegen wessen Widerstand das eingeführt worden ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

In der staatlichen Arbeitsmarktpolitik – Stichwort: HartzGesetze – haben wir unter großen Schmerzen das gemacht, wozu Sie vorher nicht die Kraft hatten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)