Protokoll der Sitzung vom 08.06.2005

(Beifall bei der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Und deshalb tritt Schröder zurück? Deshalb wollt ihr vorgezogene Neuwahlen?)

Die Atomenergie als Zukunftsoption zu verkaufen, wie mein Vorredner das eben gemacht hat, ist wie das Anpreisen eines alten, klapprigen, rostigen LKW als Fortbewegungsmittel der Zukunft. Dazu kann ich nur sagen: zu schwer, zu unbeweglich, zu gefährlich, da die Bremsleitungen auch schon verhältnismäßig alt sind, wie wir gesehen haben. Manche Teile – wenn man das auf Biblis überträgt – hat der TÜV auch gar nicht gesehen, wie wir bei den Sieben feststellen konnten,bei denen der Bau von der Betriebserlaubnis stark abwich. Und dauernd diese Reparaturen.

Was Sie uns da anpreisen, ist also nicht gut. Das ist sicherlich kein Zukunftsmodell. Aber dass die hessische CDU auf die Argumentation der Eigentümer hereinfällt, die ihr das Ding als topfit und hoch modern vorgaukelt, das finde ich schon bemerkenswert.

Meine Damen und Herren, die Atomkraft ist mit Risiken verbunden.Das ist der alte Streit,und das Restrisiko kann nicht wegdiskutiert werden, sosehr Sie sich auch bemühen. Deswegen sagen wir: Der Konsens, der mit der Industrie zum Ausstieg getroffen worden ist, ist richtig.

Frau Merkel ruft:Vorwärts, wir wollen zurück. – Die Hessen-CDU ruft: Wir sind dabei, aber wir wollen noch schneller zurück.

(Beifall des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Allen voran der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag, Dr. Michael Meister. Er hat vor einiger Zeit sogar einen dritten Block gefordert. Mich würde interessieren,wie mein Vorredner dazu steht,wie die Hessen-CDU dazu steht. Wie steht der Ministerpräsident dazu? Herr Dr. Jung, wie stehen Sie dazu?

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Wollen Sie nicht nur Biblis bis zum bitteren Ende betreiben, sondern noch einen dritten Block dazusetzen? Ich meine, Dr. Michael Meister ist nicht irgendjemand. Er ist der Vertreter von Frau Merkel in der Fraktion. Als Entschuldigung lasse ich möglicherweise zu, dass er sich steuerpolitisch auch verhältnismäßig verwirrt geäußert hat, mal für die Eigenheimzulage, mal gegen die Eigenheimzulage, mal für die Mehrwertsteuer, mal gegen die Mehrwertsteuer, mal gegen Steuersenkung, jetzt einmal wieder für Steuersenkung. Wenn man so verwirrt ist, kann man sich vermutlich auch energiepolitisch so verwirrt äußern. Aber heute haben Sie die Möglichkeit, zu sagen, ob Sie in Biblis neue Blöcke haben wollen. Stehen Sie zu dieser Forderung oder nicht?

Ich will noch auf eines eingehen. Herr Ministerpräsident Koch hat es gesagt, und mein Vorredner auch. Es geht um die Frage, ob Atomenergie eine Zukunftsenergie ist und ob wir in Deutschland einen Sonderweg vornehmen.

Gucken wir uns einmal die alten EU-Staaten an.Fünf sind überhaupt nicht eingestiegen. Griechenland nicht, Irland nicht, Dänemark nicht, Portugal nicht und Luxemburg nicht. Dann bleiben acht übrig. Von den acht haben fünf erklärt, sie wollen keine AKWs weiter betreiben. Das ist Deutschland, das ist klar. Die übrigen sind Belgien, Schweden, Spanien und die Niederlande.

Es bleiben drei übrig,nämlich Finnland,Großbritannien – das haben Sie auch genannt – und Frankreich, die weitermachen wollen, drei von dreizehn. Mit Verlaub, Herr Kollege, Sie sind jagdpolitischer Sprecher, aber mit diesen Vergleichen haben Sie sich eben argumentativ selbst ins Knie geschossen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In der aktuellen Diskussion müssen Sie auch einmal zufrieden stellende Antworten geben. Die Frage ist, wie gefährlich Atomenergie im Betrieb ist, aber auch wie gefährdet Atomenergie durch Angriffe von außen ist.Das ist in Biblis eine hoch zentrale Frage,über die wir reden müssen.

Wir haben festgestellt, dass das, so hirnrissig es klingt, keine Vorstellung ist, die außerhalb dieser Welt liegt. Die amerikanische Behörde, die die Anschläge vom 11. September untersucht hat, hat festgestellt, dass es in der Tat Überlegungen der 11.-September-Terroristen gab, in den USA ein Atomkraftwerk anzugreifen. Diese Überlegungen gab es.

Deshalb ist die Frage, wie wir Atomkraftwerke sicher machen können vor terroristischen Anschlägen, sicher eine hoch relevante Frage. Ich muss sagen:An dieser Stelle bin ich sogar unzufrieden mit den Antworten, die aus Berlin kommen. Ich bin aber auch völlig unzufrieden mit den Antworten, die aus Hessen kommen. Ich glaube nicht,

dass man an dieser Stelle mit einer Vernebelungstaktik weiterkommt. Auch keine Lösung ist, dort Windspargel hinzustellen,wie Herr Hahn das vorgeschlagen hat.Damit wird er als einer, der sich für Windenergie ausspricht, von der CDU als größter Umweltschädiger der Bundesrepublik bezeichnet.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das war ein Witz!)

Die Frage muss ernsthaft erörtert werden:Wie sichern wir die Nutzung der Atomenergie vor Terroranschlägen, und wie machen wir das so, dass es auch vertretbar ist? Wir haben gesagt, es sei alles nur für eine Übergangszeit vertretbar. Deswegen halten wir den Ausstieg aus der Atomenergie für richtig und glauben, dass wir den richtigen Weg gehen, wenn wir Biblis in überschaubarer Zeit abstellen können.

(Beifall bei der SPD)

Die CDU will in der Tat – das Stichwort Dinosaurier ist gefallen – auf einen energiepolitischen Dinosaurier setzen. Wir wollen energiepolitische Innovationen. Wir wollen die Ausbeutung unserer Energievorräte beenden. Denn jeder weiß – die Kostenfrage ist angesprochen worden –, dass unter Zugrundelegung einigermaßen vertretbarer und akzeptabler Kosten und hinsichtlich der Frage, was technisch möglich sein wird, die Energievorräte auf der ganzen Erde wahrscheinlich bis etwa Mitte dieses Jahrhunderts – nicht des nächsten Jahrhunderts – auslaufen werden. Deswegen brauchen wir Alternativen. Diese müssen wir jetzt entwickeln.Wir müssen auf Solarenergie setzen. Wir werden möglichst viele andere regenerative Energien entwickeln und einsetzen müssen, wie Erdwärme, also Geothermie, wie Windkraft, wie Biomasse. Das ist die Zukunft, und nicht die Weiterentwicklung der Atomenergie.Würde die CDU diesen Prozess der Weiterentwicklung von erneuerbaren Energien stoppen, der durch den Atomausstieg eingeleitet wurde, würde man in der Tat die Zukunft verschlafen und würde sich Exportchancen vergeben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Kollegin Hammann hat darauf hingewiesen, dass unsere Kraftwerkslandschaft eigentlich ein Exportmodell sein sollte. Wenn Sie aber die alten Atomkraftwerke laufen lassen – das ist zu Recht dargestellt worden –, wird das faktisch dazu führen, dass das, was an Erneuerung und an Ersatzleistungen notwendig ist, um neue Kraftwerke auf den Weg zu bringen, nicht erbracht wird. Ich gehe davon aus, dass vor allem Kraft-Wärme-Kopplung dabei eine wichtige Rolle spielen würde.Gerade in den letzten Tagen haben wir auch über die virtuellen Kraftwerke gesprochen, wo kleine Kraftwerke zu einer Einheit zusammengeschlossen werden. Herr Lenhart hat eben das Problem der Windkraft angesprochen, zu welchen Zeiten Windkraft anfällt. Damit könnte man es wunderschön kombinieren.

Solche Entwicklungen setzen Ingenieurleistungen und Grips voraus, das entsprechend zu handeln. Das ist der richtige Einstieg, um die Probleme, in die wir Mitte dieses Jahrhunderts sehenden Auges hineinlaufen, zu handeln. Die Bundesrepublik könnte dort eine Vorreiterrolle spielen und Antworten geben. Das sind Exportchancen.

(Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Sie würden diesen Prozess beenden. Deswegen sage ich Ihnen: Wir haben in diesem Bereich mittlerweile fast 100.000 Arbeitsplätze geschaffen. Das wird die Ausein

andersetzung auch bei der Bundestagswahl sein. Sie werden sich nämlich als Jobkiller für Firmen betätigen wollen, die im Solarenergiebereich bzw. in der Windenergie tätig sind – ich habe einige auch in meinem Wahlkreis –, und für Firmen, die auf Energiesparen durch eine Verbesserung der Energieeffizienz setzen. Das ist die zentrale Auseinandersetzung. Wir werden wissen, wer in dieser Gesellschaft Jobs killen will.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Schauen wir einmal zurück, was in Ihrer Regierungszeit auf Bundesebene zwischen 1983 und 1999 passiert ist.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Wollt ihr Neuwahlen, oder wir?)

Wer hat denn den schnellen Brüter eingestellt? Wer hat den Hochtemperaturreaktor eingestellt? Warum wurde die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf eingestellt?

(Zurufe der Abg.Jörg-Uwe Hahn (FDP) und Frank Gotthardt (CDU))

Warum wurde in der Zeit von Herrn Kohl nicht ein einziges neues Atomkraftwerk auf den Weg gebracht? Faktisch hat es in Deutschland 20 Jahre, auch was die Frage Endlager betrifft, einen Stillstand in der Energiepolitik gegeben. Erst Rot-Grün hat diesen Stillstand durchbrochen. Die Regierung Schröder hat einen Konsens erzielt. Sie stellen immer in Abrede, ob man sich darauf zubewegen soll. Ich habe einen Brief vom 15. Juni 2000 von Klaus Distler, der damals Kraftwerksleiter in Biblis war. In der zentralen Passage schreibt er: „Wir hoffen, dass diese Vereinbarung von allen mitgetragen wird und damit eine Befriedigung für den Betrieb der Kernkraftwerke und aller damit verbundenen Aktivitäten für die Restlaufdauer erreicht wird.“

Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist ein schönes Zitat,

(Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

denn es zeigt, dass auch die Unternehmen der Atomenergie wissen, dass für den Fall, wenn der Konsens gebrochen wird, was Sie vorhaben, ein neuer gesellschaftlicher Streit ausbrechen wird und es wiederum harte Auseinandersetzungen geben wird, die längst überwunden waren, indem man zu einem Konsens gefunden hat. Ja, der Kraftwerkspakt wird erneuert.Aber wir müssen auch in die Entwicklung neuer regenerativer Energien einsteigen. Erst unter der Regierung Schröder, Trittin und Fischer wurde dies eingeleitet. Erst diese Regierung hat doch mit dem Einsatz erneuerbarer Energien Ernst gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein ganz zentrales Gesetz war das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das EEG. Die Landesregierung hat im Bundesrat auch bei der Änderung dagegen gestimmt. Das ist Fakt. Gleichzeitig hat sie großes Lob insbesondere von den Landwirtschaftsvertretern im Umweltausschuss gehört, das mit der Biomasse sei Klasse. Die können doch überhaupt nur überleben – das sagen alle –, weil es das EEG gibt. Die Landesregierung hat dagegen gestimmt.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Unter den Stichworten Exportmodell und Vorbildfunktion ist das EEG ein Gesetz, dessen Regelungen in die Überlegungen anderer Länder einfließt, weil man sieht, dass das ein erfolgreiches Gesetz ist und dass es sinnvoll

ist. Wir wollen – das ist doch auch klar – an dem ambitionierten Ziel festhalten, bis 2050, Mitte dieses Jahrhunderts, wenn die Erdöl- und Erdgasvorräte weitgehend erschöpft sein werden,Energien zu haben,die technisch und wirtschaftlich zuverlässig und vor allem umweltverträglich sind. Meine Damen und Herren, wer diesen Pfad, der von Rot-Grün eingeleitet worden ist, abbricht, versündigt sich an der Zukunft.

Bei der Atomkraft stellt sich doch auch die Frage nach dem Stromsektor. Sagen Sie mir doch einmal:Wie wollen Sie die Hauptumweltbelastungen im Verkehr damit regeln? Da brauchen wir doch andere Lösungen. Wie wollen Sie den Wärmebedarf, den es in der Industrie und in den privaten Haushalten gibt,auf Strombasis decken? Mit der Atomtechnologie? Darauf haben Sie keine Antwort.

(Frank Gotthardt (CDU): Am besten geht es mit Windkraft!)

Dann stellt sich auch die Frage nach der Windkraft. – Sie müssen wissen, dass ein Drittel der Weltbevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Stromnetzen hat. Es wäre ungeheuer teuer und völlig unrentabel, diese Netzte aufzubauen.

(Frank Gotthardt (CDU): Dann gehen Sie doch in die Länder! Aber lassen Sie uns in Ruhe!)

Deswegen ist der Einsatz in Deutschland für die dezentrale Energieversorgung ein ganz, ganz wichtiger Punkt, der zu einer großen Exportchance werden wird, weil ein Drittel der Menschheit gar nicht anders als über dezentrale und regenerative Energien versorgt werden kann. Leute, die sich so verhalten wie die CDU und solche Zwischenrufe machen, verschlafen in der Tat die Zukunft der Bundesrepublik.

(Beifall bei der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Herr Schmitt,man hört das seit 20 Jahren,und es tut sich nichts!)

Die hessische CDU verschwendet viele, viele Worte zu erneuerbaren Energien. Umso sparsamer ist sie mit den Taten.Vorletzte Woche haben wir im Umweltausschuss über das Vorhaben im Südhessischen Ried, eine GeothermieAnlage, gesprochen. Da ist gefragt worden, ob das Land bereit sei, eine Anschubfinanzierung zu geben. Denn ein Vertreter aus dem Wirtschaftsministerium hat gesagt,dass die laufenden Betriebskosten wahrscheinlich über das Erneuerbare-Energien-Gesetz gedeckt werden können. Die Landesregierung ist aber nicht bereit, eine Anschubfinanzierung zu leisten.Sie sagen immer,erneuerbare Energien seien so wichtig, z. B. Erdwärme. Hier können Sie beweisen, ob Sie Ihren Worten Taten folgen lassen.

(Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Bisher wurden die Mittel der Landesregierung für Energiesparmaßnahmen jedes Jahr gekürzt.

Herr Kollege Schmitt, Sie müssen zum Ende kommen.