Protokoll der Sitzung vom 09.06.2005

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die erfolgreiche Einführung des neuen Mautsystems stellt damit einen – wie ich meine – Meilenstein in der Fortentwicklung der Verkehrspolitik dar. Auch Hessen wird an den Mauteinnahmen partizipieren und Mittel für die Fortentwicklung der Verkehrsinfrastruktur in größerem Umfang erhalten. Im Mittelpunkt der heutigen Debatte steht allerdings nicht diese positive Seite des neuen Mautsystems,sondern die Problematik der Mautausweichverkehre, die bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auf Bundesebene nicht ausgeschlossen werden konnte und für die folgerichtig schon Regelungen im Gesetz zur Bemautung von stark betroffenen Bundesstraßen vorgesehen wurden.

Meine Damen und Herren, wir halten es, anders als die FDP, für richtig, dass diese genutzten Bundesstraßen bemautet werden.– Kollege Posch,wenn Sie sagen,das seien Nachteile für die regionalen Unternehmen, frage ich Sie, wo der Unterschied ist.Wenn Sie jetzt eine Sperrung dieser Nebenstrecken befürworten,dann ist das genauso eine Behinderung der regionalen Unternehmen wie eine Bemautung. Ich glaube, dass die sogar eher die Maut entrichten.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Beschwerden über so genannte Mautpreller, die gezielt diese Bundesstraßen nutzen, nehmen seit dem Start im Januar hessenweit kontinuierlich zu. In einigen Bereichen und Ortslagen führen sie inzwischen zu unzumutbaren Belastungen der Menschen im Hinblick auf die Verkehrssicherheit, auf Lärm und auf Abgase, die gerade im Zusammenhang mit der Diskussion zur Dieselruß- und Feinstaubproblematik aus gesundheitlichen Aspekten heraus eine vollkommen neue Qualität erhalten haben. Bereits im Februar lagen der SPD-Fraktion zahlreiche Klagen über steigende Ausweichverkehre vor. Das war für uns zum damaligen Zeitpunkt – schon zwei Monate nach Inbetriebnahme der Mautpflicht – Anlass, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen und in Form eines Dringlichen Berichtsantrages im Ausschuss Auskunft über die Entwicklung des Geschehens zu verlangen.

Insbesondere war dies aber Anlass, Gegenmaßnahmen zur Minimierung der Ausweichverkehre im Rahmen der ohne Zweifel vorhandenen Länderkompetenzen einzufordern. Konkret lagen der SPD-Fraktion damals bereits Beschwerden von Kommunen und Anliegern der B 3 im hessenweiten Verlauf, der B 27, der B 7 und auch der B 417 zwischen Wiesbaden und Limburg, vor.Aufgrund von massiven Bürgerbeschwerden hat der BUND ebenfalls schon vor mehreren Wochen im Internet eine Liste der Bundesstraßen veröffentlicht, auf denen offenbar Mautausweichverkehr stattfindet. Das sind: B 3, B 26, B 27, B 44, B 62, B 83, B 254 und die B 276.

Zudem haben sich in den zurückliegenden Monaten zahlreiche Landräte, Bürgermeister, Kommunalpolitiker und Anlieger direkt an Sie, Herr Verkehrsminister Rhiel, mit der Bitte gewandt, Abhilfe zu schaffen. Kreise und Gemeinden beschwerten sich, legten Resolutionen vor und forderten Sie auf, Konzepte zur Entlastung von Ausweichverkehren zu erstellen und Sofortmaßnahmen zu ergreifen, wie dies beispielsweise der Kreistag des

Schwalm-Eder-Kreises sowie eine Gruppe von Bürgermeistern dort getan hat.

Der Landrat des Schwalm-Eder-Kreises hat bereits mit Schreiben vom März auf der Grundlage des § 45 der Straßenverkehrsordnung das Straßenverkehrsamt Kassel angewiesen, die Ortsdurchfahrt der B 83 in Körle für schwere LKWs zu sperren. Er hat gleichzeitig das Ministerium um Zustimmung für diese Maßnahme gebeten. Mit dem Hinweis, dass eine rechtliche Grundlage für die Maßnahme fehle, wurde die Zustimmung versagt. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass Sie monatelang Maßnahmen blockiert und verzögert haben, Herr Minister.

(Minister Dr.Alois Rhiel:Erzählen Sie doch keinen Unsinn!)

Bislang führen Sie fadenscheinige und abenteuerliche Argumente ins Feld und beklagen sogar eine fehlende Rechtsgrundlage.

(Beifall bei der SPD)

Nachdem Sie allerdings dem politischen Druck von kommunaler Ebene, von Anliegern, aber auch von den Fraktionen des Hessischen Landtages nicht mehr standhielten, haben Sie nun endlich nach einem Ortstermin am Montag dieser Woche eine Sperrung der B 83 genehmigt. Ebenso haben Sie endlich den Forderungen der Anwohner von Bickenbach bei Darmstadt hinsichtlich der B 3 Rechnung getragen und auch dort eine Sperrung für schwere LKWs erlassen. In der Debatte über unseren Berichtsantrag im Ausschuss Mitte April hat die SPD-Fraktion bereits verschärfte Kontrollen und die Erhebung von Bußgeldern im Fall von Mautprellern verlangt.Darüber hinaus haben wir Sie aufgefordert, Tempolimits und Fahrverbote auf besonders betroffenen Strecken zu prüfen. Da im Güterfernverkehr der Zeitfaktor im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit eine zentrale Rolle spielt, kann ein schlichtes Tempolimit für schwere Brummis dazu beitragen, potenzielle Ausweichrouten vollkommen unattraktiv zu machen. Herr Posch hat dies in ähnlicher Weise dargestellt.

Genau so würden verstärkte Kontrollen mit der konsequenten Verhängung von Bußgeldern den Mautflüchtlingen das Handwerk legen. Nach der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern hat das Bundesverkehrsministerium die Länder aufgefordert, genau an dieser Stelle tätig zu werden und verstärkt Kontrollen vorzunehmen, wo es sich um Mautverkehr handelt.Rheinland-Pfalz tut dies.

Ebenso hat der Bundesverkehrsminister gemäß den Bund-Länder-Vereinbarungen auf der Verkehrsministerkonferenz Anfang April in Berlin einvernehmlich beschlossen, die Länder zu bitten, Sofortmaßnahmen nach § 45 der Straßenverkehrsordnung zu ergreifen. Auch dies wird von Rheinland-Pfalz umgesetzt. Hessen hat zumindest bis zu dieser Woche fast nichts unternommen.

Nach § 45 der Straßenverkehrsordnung können unter der Voraussetzung, dass die besonderen örtlichen Verhältnisse zu einer außergewöhnlichen Gefahrenlage für Sicherheit und Ordnung oder auch, Herr Posch, zu einer Gefahrenlage hinsichtlich Lärm und Abgasen führen, die Straßenverkehrsbehörden der Länder für bestimmte Abschnitte Geschwindigkeitsbegrenzungen, Nachtfahrverbote und sogar Streckensperrungen für den Schwerlastverkehr erlassen. Das sind also genau die Sofortmaßnahmen, die wir bereits im April im Ausschuss eingefordert haben.

Seit dem Mautstart ist ein knappes halbes Jahr vergangen. Bis Anfang dieser Woche – ich betone das noch einmal –

hat sich in Hessen fast nichts bewegt. Der hessische Verkehrsminister glänzte zumindest bislang mit Tatenlosigkeit und hat die Betroffenen im Regen stehen gelassen.

(Beifall bei der SPD)

Dieses Verhalten zeugt entweder von Unfähigkeit oder von parteitaktischen Spielchen, bei denen getreu der Koch-Blockade alles, was aus Berlin kommt, verzögert, blockiert oder auch unterlaufen werden muss. Egal, ob Unfähigkeit oder politisches Spielchen – in jedem Fall ist die bisherige Untätigkeit aus meiner Sicht ein Skandal.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben in den zurückliegenden Wochen Ihre Sorgfaltspflicht gegenüber betroffenen Bürgern vernachlässigt. Anders ist es in Rheinland-Pfalz. Herr Posch hat das dargestellt. Dort wurden bereits Sperrungen auf der B 9 verhängt.

(Minister Dr.Alois Rhiel: Eine Sperrung!)

Zudem werden dort die Sorgen der Menschen ernst genommen.Seit geraumer Zeit unterrichtet das Ministerium im Detail via Internet über die Entwicklung der Mautausweichverkehre an den 32 Zählstellen – nicht 12, wie in Hessen – in Rheinland-Pfalz. Während Herr Dietzel bereits im April in der Presse Meldungen von zahllosen Beschwerden einräumte und Ausweichverkehre feststellte, erklärte uns Herr Minister Rhiel zum gleichen Zeitpunkt im Ausschuss das, was er in diesen Tagen immer noch erklärt: Die Verlagerungsverkehre auf Bundesstraßen seien in Hessen als gering einzuschätzen. Das ist aus unserer Sicht eine unzulässige Verniedlichung, und es ist falsch. Seit Bekanntwerden der Internetliste mit den Zählergebnissen der zwölf festen Messstellen vor zwei Tagen, die im Übrigen bis dahin zu den bestgehüteten Staatsgeheimnissen in Hessen gehörten, wissen wir aber, dass es gerade im Januar und im Februar auf einigen Bundesstraßen in Hessen zu ganz massiven Verlagerungen gekommen ist.

Ich nenne z. B. die B 3 in Butzbach. Dort ist es zu einem Plus von 83 % gekommen. Auf der B 44 in Lampertheim ist es zu einem Plus von 52 %, auf der B 27 in Marbach von 20 % und in Sontra um 19 % gekommen. Auf der B 62 in Niederaula sind es 24 %, auf der B 54 in Dorschheim 25 %, und auf der B 417 in Kirberg sind es sogar 142%.Auch noch nach fünf Monaten, also Ende Mai, verzeichnete Butzbach ein Plus von 49 %, Niederweimar von 15 %, Marbach von 11 %, Niederaula von 27 %, Königstein im Taunus von 75 %, Lampertheim von 52 %, Dorschheim von 19 % und Kirberg von sage und schreibe 104 %.

(Minister Dr.Alois Rhiel: Haben Sie einmal die ab- soluten Zahlen von Kirberg?)

Ja, ich komme auch noch auf die absoluten Zahlen, Herr Minister.

Was ist mit den Ergebnissen der 40 mobilen Zählstellen, die Sie, Herr Minister, angeblich zusätzlich eingerichtet haben? Wieso erfahren wir laut Presse zumindest von diesen Ergebnissen nichts? Was ist mit den Beschwerden, die der BUND vorgelegt hat?

(Beifall bei der SPD)

Wir erwarten, dass Sie auch diesen Bürgerbeschwerden nachgehen und klären, wie sich die Sachlage auf diesen Bundesstraßen verhält. Und wir erwarten, dass Sie gegebenenfalls Gegenmaßnahmen ergreifen. Ich habe die Palette der Möglichkeiten hier dargestellt.

Für die Anwohner von Ortsdurchfahrten, über die schwere Transitlaster donnern, spielt es doch keine Rolle, Herr Minister, um wie viel der tägliche Durchgangsverkehr in absoluten Zahlen angestiegen ist, ob dies täglich 100 Schwerlaster mehr sind, wie auf der B 417 in Kirberg, oder ob es täglich knapp 400 mehr sind, wie es auf der B 3 in Niederweimar der Fall ist. Jeder zusätzliche sich der Mautpflicht entziehende Schwerlaster führt zu zusätzlichen Belastungen, was gerade auch im Hinblick auf die Feinstaub- und Dieselrußdiskussion, die wir führen müssen, nicht akzeptiert werden kann.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie führen zu steigenden Verkehrssicherheitsproblemen gerade für ältere Menschen und für Kleinkinder. Wenn sich zwei große Containerriesen in einer engen Ortsdurchfahrt begegnen, kann es selbst bei einer geringen Anzahl von LKWs pro Tag zu Bedrohungsgefühlen und zu Sicherheitsrisiken kommen. Die Bevölkerung hat einen Anspruch auf Einhaltung der gesetzlichen Regelungen. Und sie hat ein Recht auf Schutzvorkehrungen durch den Staat.

Frau Kollegin Pfaff, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Schluss. – Zahlenspiele, wie Sie, Herr Rhiel, sie in Ihren Presseverlautbarungen machen, dienen niemandem und zeigen vielmehr Ihren Unwillen zu handeln.

(Zuruf des Ministers Dr.Alois Rhiel)

Jeder Schwerlaster, der einen Ort durchfährt und gemäß der Rechtslage dort nichts zu suchen hat, ist einer zu viel. Deshalb muss aus unserer Sicht die Mautflucht abgestellt werden. Sie haben die notwendigen rechtlichen Möglichkeiten. Ich habe sie im Einzelnen dargestellt.Wir fordern Sie auf:Wenden Sie sie endlich an. Blockieren und verzögern Sie nicht mehr weiter, sondern handeln Sie endlich, und nehmen Sie Ihre Verantwortung für die Menschen im Land Hessen ernst. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Herr Abg. Wagner für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Haus schon öfter über die LKW-Maut geredet. Aktueller Anlass ist, dass der LKW-Verkehr auf die Bundesstraßen ausgewichen ist.

Bevor ich darauf zu sprechen komme, möchte ich noch einmal sagen, worum es bei der LKW-Maut eigentlich geht und was das Ziel der Einführung der LKW-Maut war.

Die Vorrednerin und der Vorredner haben schon darauf hingewiesen. Mit der Einführung der LKW-Maut wollten wir eine verursachungsgerechte Erhebung der Wegekosten erzielen. Es ist nun einmal so, dass die LKW unsere Straßen erheblich mehr schädigen,als dies PKW tun.Deshalb ist es richtig, dass wir mit der LKW-Maut nun ein Instrument haben, um die Belastungen, die der Volkswirtschaft dadurch entstehen, ausgleichen zu können. Wir können jetzt zum Ausgleich Gebühren erheben. Die LKW-Maut hat ihr erstes Ziel also erreicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme auf das zweite Ziel zu sprechen, das wir mit der LKW-Maut verfolgen. Ich spreche das an, obwohl das ein schwieriges Thema ist. Mit den Einnahmen aus der LKW-Maut können wir die Mittel stabilisieren und erhöhen, die wir für Infrastrukturmaßnahmen in unserem Land haben. Die Infrastrukturmittel gerade für die Schiene befinden sich nicht mehr auf dem Rekordniveau, das wir GRÜNEN einmal durchgesetzt hatten.

(Zuruf des Abg. Dieter Posch (FDP))

Herr Kollege Posch, die LKW-Maut leistet einen Beitrag dazu, diese Mittel zu stabilisieren.

(Zuruf des Abg. Dieter Posch (FDP))

Herr Kollege Posch, es ist falsch, zu fordern, die Mittel aus der LKW-Maut sollten nur für den Straßenbau verwendet werden.

(Dieter Posch (FDP): Das habe ich doch gar nicht gesagt!)

Herr Posch, das ist aber die Forderung, die Ihre Partei auf Bundesebene erhebt. Das müssen Sie sich dann schon sagen lassen.

Verkehrspolitisch gesehen ist es richtig, die Mittel aus dem Aufkommen der LKW-Maut auch für den Ausbau der Schieneninfrastruktur zu nutzen.Denn unser Ziel,das wir mit der Einführung der LKW-Maut erreichen wollen – das ist das dritte Ziel, das wir mit der Einführung der LKW-Maut verfolgen –, ist, dass wir weniger Brummis auf der Straße haben und mehr Güter mit der Schiene transportiert werden. Das wäre sowohl volkswirtschaftlich als auch ökologisch sinnvoll.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)