Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass in der Geschichte des Landes Hessen noch kein Volksbegehren erfolgreich eingeleitet wurde. Deshalb hat sich die CDU auch dem Vorschlag für eine Änderung von Art. 124 der Hessischen Verfassung angeschlossen. Betrachtet man die drei erfolglosen Volksbegehren, die bisher versucht wurden, so stellt man sehr schnell fest, dass das Problem nicht im Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid liegt, sondern in Art. 124 unserer Verfassung.
Nun kann man sagen, wenn es zurzeit mit der Verfassungsänderung nichts zu werden scheint – den Eindruck gewinne ich bei Ihnen –, dann basteln wir an dem zugrunde liegenden Gesetz.Dann müssen Sie sich allerdings fragen lassen,ob Sie überhaupt noch an eine Abstimmung über den Vorschlag der Enquetekommission glauben oder nicht. Falls doch, müssen Sie sich fragen, ob es nicht sinnvoller ist, das Regelwerk des Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid im Kontext, also gemeinsam mit Art. 124 der Hessischen Verfassung, zu betrachten.
Wir von der CDU-Landtagsfraktion sehen das jedenfalls so. Aus unserer Sicht besteht die Besonderheit der hessischen Rechtslage in der verfassungsrechtlichen Hürde für ein erfolgreiches Volksbegehren, die noch immer bei 20 % liegt. Ist diese Hürde überwunden, genügt beim anschließenden Volksentscheid lediglich die einfache Mehrheit der gültigen Stimmen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausreichend, allein das Zulassungsverfahren für Volksbegehren zu erleichtern.
In der Gesetzesbegründung weisen Sie darauf hin, dass es in Hessen bisher drei erfolglose Versuche für ein Volksbegehren gegeben hat. Lediglich das Volksbegehren zur Wiedereinführung des Buß- und Bettags – Sie hatten darauf hingewiesen – ist am Zulassungsquorum von 3 % gescheitert. Das Scheitern der beiden anderen hatte andere Gründe.
Wenn wir jetzt ohne eine Änderung von Art. 124 der Hessischen Verfassung das Quorum für die Zulassung von 3 % auf 1 % senken, dann fürchte ich, dass die Zahl zugelassener, aber letztlich erfolgloser Volksbegehren nur steigen wird. Ich fürchte auch, dass dies dann zu erheblich mehr Frustration führen wird. Herr Dr. Jürgens, was Sie hier vorgeschlagen haben, ist deshalb nur scheinbar eine Lösung des Problems. In Verbindung mit der Änderung der Hessischen Verfassung, hier von Art. 124, können wir gerne über Ihre Vorschläge reden. Aber jetzt ergeben sie aus unserer Sicht wenig Sinn.
Deshalb sollten zunächst die verfassungsrechtlichen Fragen geklärt und dann das Ausführungsgesetz überarbeitet werden. Dann können wir auch gerne darüber diskutieren, ob wir das Quorum für den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens von 3 auf 1 % senken,wie Sie das vorgeschlagen haben. Dann können wir auch gerne darüber diskutieren, ob die Eintragungsfrist für das Volksbegehren verlängert werden kann. Jetzt erscheint mir Ihre Initiative eher wie ein netter, aber sehr durchsichtiger Versuch. – Vielen Dank.
Frau Zeimetz-Lorz, ich möchte schon noch einmal auf den Unterschied hinweisen. In Sachen Verfassung – darüber hatten wir uns das letzte Mal unterhalten – hatten wir uns geeinigt,dass wir ein möglichst einvernehmliches Vorgehen in diesem Hause gestalten. Daran haben wir uns auch gehalten. Deswegen schlagen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt, obwohl wir es für richtig halten, das Quorum in der Hessischen Verfassung ebenfalls abzusenken, eine Änderung der Hessischen Verfassung nicht vor.
Völlig unabhängig von dieser Frage gibt es die Regelung im Verfahrensgesetz. Was sagen Sie den Menschen, wenn Sie auf der einen Seite hier erklären, Sie wollen Volksbegehren erleichtern, aber wir möglicherweise in dieser Wahlperiode die Verfassungsänderung nicht mehr schaffen? Ich bin im Übrigen kein Hellseher. Deswegen kann ich es nicht sagen, und ich gebe auch keine Glaubensbekenntnisse ab, ob wir noch zu einem Ergebnis kommen. Ich hoffe es. Aber wir werden sehen, ob wir es erreichen werden.
Aber gesetzt den Fall, wir kriegen es in dieser Wahlperiode nicht hin, dann wäre Ihr Ergebnis kurioserweise: Wir haben weder die Verfassung noch das Gesetz geändert. Wir haben weder die Hürden in der Verfassung gesenkt noch die Restriktionen des Gesetzes reduziert. Es bliebe weiterhin der Befund im 60. Jahr des Bestehens der Hessischen Verfassung, dass ein wichtiger Verfassungsgrundsatz in der Realität dieses Landes nicht stattfindet.
Wir wollen unabhängig von einer Verfassungsänderung jetzt die Regelung, und zwar auch deswegen jetzt, weil wir gegenwärtig unabhängig von einem vorliegenden Vorhaben für ein Volksbegehren diskutieren können. Wenn wir in einer Situation sind, in der ein Volksbegehren von irgendeiner Gruppe initiiert wird, haben wir wieder die Schwierigkeit, dass wir über die Sache und über das Verfahren reden.Wir wollen unabhängig davon jetzt über das Verfahren reden und die ganze Sache erleichtern.
Es ist auch nicht so, dass das Einleitungsquorum bisher immer geschafft worden ist. Wie gesagt, das Volksbegehren im Jahre 1997 hat das Einleitungsquorum nicht geschafft. Beim Volksbegehren im Jahre 1967 war es im Übrigen so, dass das Einleitungsquorum leicht geschafft wurde aber dann die Zeit für das Sammeln der Unterschriften deutlich zu kurz war. Beides wollen wir ändern. Wir wollen in dieser Verfahrensregelung Möglichkeiten schaffen, das in die Realität umzusetzen, und das hat mit der Regelung der Verfassung überhaupt nichts zu tun.
Wir müssen das eine tun und sollten das andere aus meiner Sicht nicht lassen. Wir sollten es aber auch nicht als Vorwand nehmen, das andere ebenfalls bleiben zu lassen.
Herr Präsident, sehr geehrter Herr Dr. Jürgens! In der Zielsetzung sind wir uns einig. Ich bin auch sehr optimistisch, dass wir noch zu einer Abstimmung über die Hessische Verfassung kommen werden.Aber ich habe versucht, auszuführen, dass es das Problem nicht löst, sondern möglicherweise Hoffnungen weckt, die am Ende wegen der 20-%-Hürde nicht erfüllt werden können. Mir scheint das Problem eher bei der Hürde von 20 % zu liegen, deutlich mehr als beim Ausführungsgesetz.
Deshalb sind wir der Überzeugung: Wenn, dann ändern wir beides gemeinsam. Dann ergibt das auch Sinn. Damit gibt es ein stimmiges Verfahren, und damit gibt es dann auch mehr Demokratie in Hessen.
Vielen Dank, Frau Zeimetz-Lorz. – Herr Schmitt, ich darf Sie für die SPD-Fraktion um das Wort bitten.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir setzen bei der Gestaltung von Politik auf die Kompetenz, die Kreativität und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger, und wir wollen eine Kultur der Beteiligung. Wir sind davon überzeugt, dass man dann für das Land mehr erreichen kann.
Deswegen ist der Weg, den die CDU in den vergangenen Jahren gegangen ist, falsch, z. B. beim Personalvertretungsgesetz die Rechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückzudrehen oder die Rechte der Naturschutzbeiräte zu schleifen. Willy Brandt hatte vor 36 Jahren gefordert, mehr Demokratie zu wagen.Wir hoffen sehr, dass es bei der hessischen CDU nicht zu viele Angsthasen gibt.
Dabei ist die Demokratisierung und die Stärkung der Bürgerrechte ein viel versprechender Ansatz, zu besseren Ergebnissen in der Politik zu kommen, auch um die Akzeptanz – das scheint mir wichtig zu sein – von Entscheidungen zu erhöhen. Durch mehr Partizipation werden auch die politischen Diskussionen und damit die politische Auseinandersetzung im positiven Sinne belebt. Mehr Demokratie zu wagen ist aus unserer Sicht ein gutes Rezept gegen Politikverdrossenheit. Die gibt es, und leider gibt es auch Parteienfrust. Ich glaube, dass der Weg, bestehende Hürden bei der Wahrnehmung der direkten Demokratie abzubauen, der richtige ist.
Deswegen unterstützen wir die Initiative, die Hürden aus dem Weg räumt und die die direkte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern stärkt.Wir haben in unserem Wahlprogramm formuliert, dass wir Bürgerrechte dadurch stärken wollen, dass bei einem Volksbegehren bereits ein Antrag auf Zulassung, der von 3 % der Wählerinnen und Wähler unterstützt wird, zwingend zu einer Behandlung der Initiative im Landtag führt. Wir glauben, dass dies auch ohne Änderung der Hessischen Verfassung möglich ist, und wollen über diesen Vorschlag offen diskutieren. Ich hoffe, dass es zu einer Diskussion im Hauptausschuss kommt und dass der Gesetzentwurf heute nicht schon in erster Lesung abgelehnt wird.
Die GRÜNEN gehen einen anderen Weg. Aus unserer Sicht ist dieser Weg ebenfalls zu unterstützen; denn was
die Frist und das Verfahren zur Sammlung von Unterschriften für ein Volksbegehren betrifft, haben wir deutliche Hürden. 20 % der Stimmberechtigten – das sind 1,2 Millionen Bürgerinnen und Bürger – müssten innerhalb von 14 Tagen auf das Rathaus marschieren, um Unterschrift zu leisten.Das ist wie ein Start von null auf hundert in 1,2 Sekunden. Da muss man schon eine richtige politische Rakete starten, um diese Unterschriftenzahl in der Frist tatsächlich zustande zu bringen. Es wurde auch zu Recht darauf hingewiesen, dass das letzte Volksbegehren zum Thema Buß- und Bettag sicherlich auch an diesem Punkt gescheitert ist.Auch der Gang zum Rathaus ist mit Hürden und Schwierigkeiten verbunden.
Man muss sicherlich über alle Details nachdenken, z. B. wie der Datenschutz gewährleistet ist oder wie Missbrauch mit den Unterschriftenlisten verhindert werden kann. Darüber muss man sicherlich in den Beratungen im Hauptausschuss nachdenken. Aber vom Prinzip her findet es unsere Zustimmung, Hürden abzubauen.
Man kann übrigens darüber streiten, ob die Hürde 1 % oder 3 % betragen soll. Schließlich wird auch die Argumentation vertreten, dass man in der Anfangsphase, wenn man ein solches Zulassungsverfahren einleitet, Zeit hat, Unterschriften zu sammeln. Das macht auch deutlich, wie stark eine solche Initiative ist. Auf der anderen Seite sind die Hürden in Nordrhein-Westfalen viel geringer. Herr Dr. Jürgens hat darauf hingewiesen.
Vielleicht überzeugt Sie das Beispiel Bayern mehr. Bei den Unionsfreunden reichen 25.000 Unterschriften – das sind 0,33 % – zur Einleitung eines Volksbegehrens. Bayern ist daran sicher nicht zugrunde gegangen oder von Volksbegehren überhäuft worden. Herr Minister, ich finde, wenn Bayern, ein Bundesland mit 7,5 Millionen Einwohnern, dies macht, macht das deutlich, dass man diesen Weg – Stichwort: Demokratie wagen – risikolos gehen kann.
Ich komme zu der Kontroverse, die es eben zwischen Frau Zeimetz-Lorz und Herrn Dr. Jürgens gegeben hat, welcher Schritt als Erster gegangen werden muss. Lassen Sie es mich so formulieren:Wir halten es für sinnvoll,den Weg jetzt zu starten, den die GRÜNEN in ihrer Gesetzesinitiative vorhaben. Ich erlaube mir die Zwischenbemerkung an die GRÜNEN: Den Wunsch nach Einbindung der Öffentlichkeit in politische Entscheidungen hätte ich mir gerne beim Verfassungsprozess auch so gewünscht.
(Beifall bei der SPD – Evelin Schönhut-Keil und Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Na, na, na! – Dr. Andreas Jürgens (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Keine Geschichtsklitterung!)
Herr Dr. Jürgens, es war immer unsere Haltung, dass die Hessische Verfassung eine Volksverfassung ist. Deswegen wollten wir keine Möglichkeit schaffen, durch Zweidrittelmehrheit im Landtag die Verfassung zu ändern – Herr Dr. Jürgens, hier stand: „Achtung: Zwischenruf der GRÜNEN“. Das war richtig.
Ich will versuchen, die Debatte zusammenzuführen. Frau Zeimetz-Lorz hat die Tür nicht zugemacht. Sie hat gesagt, dies sei nicht der erste Schritt, sondern die Verfassungsänderung. Vielleicht hat die Initiative zur Folge – das Angebot kann man als Sozialdemokrat nur machen –, dass man
noch einmal über die Frage der Festschreibung von Rechten für Kinder und Familien, über die Stärkung der Bürgerrechte, über die Initiative für die direkte Demokratie, über die Förderung des Ehrenamts und die Aufnahme von Kunst und Kultur sowie Tierschutz in die Verfassung spricht.
Ich appelliere an die CDU,dass sie den Gesetzentwurf der GRÜNEN heute nicht ablehnt,sondern dass er im Hauptausschuss beraten wird, dass es eine Anhörung dazu gibt und dass wir möglicherweise die Zeit nutzen. Eine Änderung der Verfassung an diesem Punkt, den Sie eben genannt haben – wir wären zu den weiteren Punkten, die ich eben genannt habe, bereit –, hielte ich für sinnvoll. Das wäre zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger. Das wäre auch der Kultur des Hessischen Landtags ganz angemessen.Vielleicht kriegen wir heute und morgen einen neuen Startpunkt hin.
So, wie ich Sie gehört habe, Frau Zeimetz-Lorz, wollen Sie die Tür nicht zumachen – das ist auch mein Appell – für die Stärkung von Bürgerrechten und der direkten Demokratie in unserem Land. Deswegen auch der Hinweis und der Appell: Greifen sie die Diskussion auf.Wir sind auf jeden Fall dazu bereit.Wir sind auch dazu bereit, eine Initiative im Landtag zu behandeln, möglicherweise auch aufzugreifen hinsichtlich der Vorstellungen, die ich dargelegt habe, dass sogar 3 % reichen. – Ich bedanke mich.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann das nur wie folgt kommentieren:Jetzt haben wir den Kladderadatsch nach der Enquetekommission.
Der Sinn der Enquetekommission bestand darin, unterschiedliche Interessen auf einen vertretbaren Nenner zu bringen und gemeinsam eine Verfassungsänderung herbeizuführen.Herr Dr.Jürgens,da kann ich Ihnen den Vorwurf nicht ersparen:Was ist das Ergebnis, nachdem dieser Konsens nicht zustande gekommen ist? Jede Fraktion sucht sich wieder dort, wo sie einen Spielplatz hat, etwas aus und präsentiert uns das hier.
Natürlich ist das ein Spielplatz.Herr Dr.Jürgens,wir waren beide in der Enquetekommission. Ich bin in der Sache bei Ihnen. Ich habe überhaupt kein Problem, als Mitglied der FDP zu sagen: Ich mache das mit 1 %. Dafür benötigt man etwa 40.000 Unterschriften. Ich bin sofort bei Ihnen. Aber natürlich hat Frau Zeimetz-Lorz Recht: Die Frage der verfassungsrechtlichen Bestimmung, die die 20 %
beinhaltet, gilt nach wie vor. Das heißt, Sie geben den Leuten Steine statt Brot.Auf der einen Seite sagt ihr: „Ihr könnt Unterschriften sammeln. Ihr braucht nicht mehr 128.000 oder 130.000, es reichen 40.000“, aber bei der entscheidenden Bestimmung, bei der Verfassung, haben wir eben nichts.
Deswegen bin ich der Meinung, dass hier ein wirklich unehrliches Spiel betrieben wird. Ich brauche mit Ihnen nicht in einen Wettbewerb einzutreten um die Frage, ob wir plebiszitäre Elemente in die Hessische Verfassung einfügen oder ob wir sie dort in verstärkter Weise formulieren. Das hat die FDP schon viel länger diskutiert. Da gab es Sie überhaupt noch nicht. Wir haben selber diese Probleme hautnah miterlebt.