Das wäre eine Schule der Vielfalt, eine Schule der individuellen Förderung. So könnte man alle Abschlüsse auch in der Fläche garantieren. Der VBE hat für SchleswigHolstein und Nordrhein-Westfalen ein solches Konzept vorgelegt. Vielleicht sind Sie lernfähig. Vielleicht kümmern Sie sich einmal darum, was darin steht.
Fertig? – Ich verkneife mir jetzt eine Bemerkung über die Frage der Lernfähigkeit und Wahrnehmungsfähigkeit von Abgeordneten vor dem Hintergrund meiner pädagogischen Erfahrung als Lehrer.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bevor Lehrer und Schüler und auch die Parlamentarier in die Ferien gehen – nachdem ich jetzt den Dritten mit Krücken gesehen habe,ist es wichtig,dass wir jetzt alle in eine längere Pause gehen –, halte ich es für sinnvoll, dass wir die ganzen Schulthemen einmal gesammelt diskutieren und abarbeiten. Teile davon haben wir schon sehr lange mit uns herumgeschleppt, und auch in den Redebeiträgen ging es etwas durcheinander. Aber jeder legt seine Schwerpunkte fest,und jeder wählt deshalb auch die Reihenfolge anders.
Meine Damen und Herren, in diesem Land stehen Entscheidungen an, die das Leben aller Menschen verändern werden, und sie werden es auch verändern müssen.
Wir werden uns morgen Vormittag sehr ausgiebig darüber unterhalten. Aber bei all diesen Veränderungen sind Schulen nicht außen vor. Schulen leben nicht mehr in einer Käseglocke, und Schulen sind auch keine Inseln im Meer,an denen die Wogen vorüberspülen.Schulen dürfen sich nicht gegen Veränderungen sträuben, und sie können auch nicht jeden Wandel als Bedrohung empfinden.
Gerade die Schulen sollten sehr empfindlich auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren, sie aufnehmen, sie überprüfen und dann zeitnah umsetzen. Gerade auch die hessische Schullandschaft muss dem gesellschaftlichen Wandel angepasst werden. Die demographische Entwicklung in Hessen – wir haben den Zwischenbericht der Enquetekommission „Demographischer Wandel“ – bringt viele Veränderungen mit sich. Sie bringt einen massiven Bevölkerungsrückgang insbesondere in Nordhessen bis zum Jahr 2050. Im Werra-Meißner-Kreis werden das bis zu 30 % sein, in Hersfeld-Rotenburg über 20 %. Das trifft
vor allem die nachwachsende Generation,die Kinder.Das heißt, die Bevölkerung geht zurück, und sie wird letztendlich immer älter. Die Zahl der Grundschüler wird sich in Hessen bis zum Jahr 2050 um die Hälfte verringern.
Vor dieser Entwicklung kann man die Augen nicht verschließen. So sinnvoll der Satz „kurze Beine – kurze Wege“ auch ist, muss man doch bei einer einzügigen Grundschule, die mit nur zwei Lehrerinnen bereits jetzt jahrgangsübergreifenden Unterricht durchführen muss, im Hinblick auf die Unterrichtsqualität hinterfragen, ob das auf Dauer haltbar ist. Das ist keine Kritik an den handelnden Personen. Aber an so eine Schule kommt z. B. niemals ein Referendar, da kommen keine Ausbilder hin, da kommen wenig neue Ideen hin, und die Situation wird mit dem Rückgang der Schülerzahlen immer schwieriger.
Die Zusammenführung kleinerer Grundschulen zu einer größeren Einheit, z. B. in Form einer Ganztagsschule, kann die Qualität fördern. Sie steigert das Bildungsangebot gerade für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern – damit haben wir in Deutschland ein Problem –, und sie hilft bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ziel muss der Erhalt eines Schulsystems sein, das regionale Gegebenheit berücksichtigt,das ökonomisch sinnvoll ausgebaut ist und – das darf man nicht vergessen – das die Qualität des Unterrichts ständig weiterentwickelt. Das hat auch etwas mit Ökonomie, Weiterentwicklung und Schulgrößen zu tun.
Schülerlenkungsmaßnahmen, auch wenn der Begriff ein bisschen dirigistisch klingt, der Ausbau von Ganztagsangeboten und jetzt auch die Schulinspektion. Aus unserer Sicht gibt es in den einzelnen Ansätzen und auf dem richtigen Weg immer noch Verbesserungsmöglichkeiten. Deshalb freuen wir uns schon sehr, dass auf unsere Anträge und unsere Anregungen eingegangen wird.
Zum Thema Regionalkonferenzen. Frau Habermann, da muss ich Ihnen sagen, Sie haben gar nicht verstanden, was wir damit wollen, und Sie sehen Schulpolitik viel zu sehr aus der Großstadtsicht. Wir halten die Schülerlenkung zwar für richtig.Wir müssen eine Schülerlenkung machen und ein sinnvolles Schulangebot von hoher Qualität landesweit vorhalten, und das auch in der Zukunft. Wir dürfen für die Schülerlenkungsmaßnahmen aber nicht die Zahlen von heute und morgen zugrunde legen, sondern wir müssen mindestens in einem Zehnjahreszeitraum denken. Wir haben an dem neuen Schulgesetz kritisiert – Frau Habermann, dazu stehen wir auch heute noch –, dass man Schülerlenkung nicht nur an den starren Zahlen festmachen kann.
Da ist es wichtig, andere Punkte mit zu berücksichtigen. Es ist wichtig, bei der Entscheidung über die bestmöglichen Schulgrößen vor Ort bereits im Vorfeld alle Beteiligten einzubinden, auch die Eltern, damit sie wissen:Wie geht es in meinem Umfeld weiter, wo kann ich mein Kind auch noch in den nächsten Jahren auf die Schule schicken? – Genau deshalb setzen wir uns für Regionalkonferenzen ein. Sie sollen Schulträger, und zwar kreisübergreifend, Staatliche Schulämter, ebenfalls kreisübergreifend, die Landesregierungen der Nachbarländer,
denn auch das wird in Nordhessen immer gravierender, und die Schulen selbst, die Schulkonferenzen und die Eltern, an einen Tisch holen und sagen: Wie kann man in zehn Jahren Schule in unserer Region gestalten?
Dabei muss man z. B. auch auf die Verkehrsanbindung reagieren. Ich hatte neulich eine Veranstaltung in Bad Hersfeld. Da haben die mir klipp und klar gesagt: Zu der einen Schule gehen wir nie, weil wir dahin überhaupt keine vernünftigen Verkehrsverbindungen haben. – Also gibt es bestimmte Schulen, die auf Dauer nur interessant bleiben und Bestand haben werden, wenn sie verkehrsgünstig angeschlossen sind.
Nur wenn man so vorgeht, wirklich mit Regionalkonferenzen, kann man sicher sein, dass die benötigte Anzahl der Schulen, die Schulvielfalt und die verschiedenen Bildungsgänge vor Ort langfristig gesichert werden.
Dazu gehört der Blick über den Tellerrand. Dann kommt es eben nicht zu solchen Eitelkeiten wie z. B. Prestigegründe an der Herder-Schule in Frankfurt. Dann kommt es zu einem einvernehmlichen Schulentwicklungsplan, nicht dem Gymnasialkampf in Bad Hersfeld. Dann kommt es zu einer länderübergreifenden Zusammenarbeit mit Thüringen in dem Gymnasium der deutschen Einheit, wo halbe-halbe Schüler aus Hessen und Thüringen hingehen.
Auch da sieht man ganz klar: Wenn man sich vorher zusammengesetzt hätte und der eine mit dem anderen und mit allen Beteiligten gesprochen hätte, dann hätten wir die ganze Diskussion, die ganzen Proteste und all das gar nicht mehr gebraucht.
Deshalb halten wir die Regionalkonferenzen für sehr wichtig. Die Kultusministerin sollte die Schulämter damit nicht allein lassen. Sie muss die Moderatorenrolle übernehmen. Sie muss die Einrichtung unterstützen, und sie muss letztendlich auch daran mitarbeiten. Denn es ist Landesaufgabe, ein ausgewogenes Schulangebot landesweit zu erhalten.
Zum Thema Ganztagsangebote, Ganztagsschulen. Auch da sind Regionalkonferenzen wichtig. Ich muss mir doch überlegen, wo ich in einer Region Ganztagsangebote haben will. Da kann ich auch Geld investieren, da kann ich die Ausbaumittel hineinstecken. Wenn ich eine Schule habe, von der ich weiß, dass sie in zehn Jahren keine Schüler mehr hat, dann brauche ich jetzt keine Mensa und keine Bibliothek mehr zu bauen. Dann kann ich langfristig sagen, wir investieren dahin, wo wirklich die Zukunft gesichert ist.
Wenn sich Schulen aber für den Weg in die gebundene Ganztagsschule entscheiden – das tun immer mehr Schulen, das ist völlig richtig –, dann hat das auch für die Schullandschaft und die ganze Umgebung eine neue Bedeutung. Dann haben Gastschulbeiträge eine neue Bedeutung, wenn es um eine Ganztagsschule geht. Dann hat aber auch die Schülerbeförderung eine ganz andere Be
deutung. Sie kann ganz anders organisiert werden; denn ich fahre nur morgens hin und nachmittags wieder weg und habe keine Zwischendurchbeförderung von Schülern mehr nötig. Damit werden auch die Kosten der Schülerbeförderung andere. Deshalb müssen sich die Betroffenen kreisübergreifend zusammensetzen.
Wir haben die Ganztagsangebote in Hessen mit angestoßen. Wir haben damals sehr deutlich gesagt, nur auf Wunsch der Eltern und der Schule, bedarfsgerecht und freiwillig. Ich muss wirklich sagen, die rasante Entwicklung in diesem Bereich, auf Wunsch der Eltern, auf Wunsch der Schule und auf Wunsch der Schüler, hat uns alle überrascht und letztendlich in irgendeiner Form überrollt. Ich weiß nicht, wer am Wochenende das Interview mit dem Leiter von Salem gelesen hat, der jetzt aufhört. Er hat sehr deutlich eingefordert, dass Lehrer in Zukunft nicht mehr nur lehren, sondern viel mehr Partner und Erzieher der Schüler sein müssen.
Lehrer bemerken auch im regulären Unterricht immer mehr, dass die Erziehungsaufgaben zunehmen. Wenn die nicht erfüllt sind, können die Lernaufgaben eigentlich gar nicht beginnen. Er hat sehr klar gesagt, wenn Lehrer und Schüler einen ganzen Tag zusammen verbringen, wenn sie auch einmal zusammen zu Mittag essen und wenn die Lehrer auch am Nachmittag einmal Ansprechpartner sind, dann wird es sehr viel einfacher, die Erziehungsaufgaben mit zu übernehmen. Von daher ist es sinnvoll, dass man dem Wunsch der Schulen nach mehr Ganztagsangeboten nachgibt. Die Zahl hat sich in Hessen schon deutlich verändert.
Wir begrüßen bei den Ganztagsangeboten die Kooperation mit den Jugendverbänden. Natürlich hat am Anfang Angst bestanden. Auch beim Jugendring hat Angst bestanden, weil sie gesagt haben: Wenn die Schüler an den Schulen sind, kommen sie nicht mehr zu unseren Angeboten. – Jetzt haben sie sich aufgemacht, sie gehen in die Schulen, sie sind da, wo die Jugendlichen sind, und sie sprechen sie da an. Deshalb kann ich nach wie vor nicht verstehen, warum von rot-grüner Seite immer noch Kritik an diesen wirklich sehr guten Ganztagsangeboten an den Schulen am Nachmittag kommt.
Diesen Begriff „Halbtagsschule mit Suppenküche“ finde ich dermaßen diskriminierend, das habe ich von Anfang an gesagt. Da sind Schulen wirklich mit einer Qualität ihrer Angebote dabei, die machen eine Superarbeit, und die wird auch nachgefragt. Deshalb finde ich diese Kritik nicht in Ordnung.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich habe den Begriff nie benutzt!)
Dann haben Sie es vielleicht in letzter Zeit nicht mehr gesagt, am Anfang aber auch. Dann geht es insbesondere an die Seite der SPD und der GEW.
Wenn die Schulen ein Konzept für die Ganztagsschulen eingereicht haben, sollte man so schnell wie möglich darüber entscheiden,wohin die Mittel verteilt werden.Dieses Verfahren ist von der Landesregierung zum Glück entbürokratisiert worden. Dass wenigstens bis zu 1 Million c Bausumme das Staatsbauamt nicht mehr gefragt ist, halte ich für einen Fortschritt. Man sollte versuchen, das so unbürokratisch wie möglich umzusetzen.
Überhaupt nicht hilfreich ist es, wenn eine Bundesbildungsministerin Hessen beschimpft und sagt, wir seien das Schlusslicht, wir würden das überhaupt nicht umsetzen.
Das trägt zu einer Förderung von Ganztagsangeboten und einer Akzeptanz überhaupt nicht bei. Es ist auch nicht mehr so. Mittlerweile sind von den Mitteln relativ viele ausgeschöpft.Wenn Sie die Statistiken und die Übersichten sehen, die wir jedes Mal im Kulturpolitischen Ausschuss bekommen, dann wissen Sie ganz genau, dass es nicht nur an den bewilligten Mitteln liegt, sondern vor allem an den beantragten und dann nicht abgerufenen Mitteln der einzelnen Schulträger. Dem Kultusministerium den schwarzen Peter zuzuschieben, halte ich für absolut daneben.
(Beifall bei der FDP – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin, Sie regieren nicht mehr! Sie sind in der Opposition!)
Auch wenn meine Fraktion nicht mehr an der Regierung beteiligt ist, muss ich nicht unbedingt alles blöde finden, was gut ist.
Ihre Maximalforderungen nach einem neuen Landesprogramm, nach einem verordneten Ganztagsschulausbauprogramm,halten wir für unseriös.Wir sind dafür,dass die Ganztagsschulen so zügig wie möglich ausgebaut werden, allerdings nur im Rahmen des Machbaren und des – ich sage das einmal so – finanziell Möglichen.