Protokoll der Sitzung vom 21.09.2005

Meine Damen und Herren, in Hessen müssen wir die Förderung, Betreuung und Bildung von Kindern unterhalb des Schulalters endlich als vordringliche Aufgabe ansehen und begreifen und dem mindestens den gleichen Stellenwert zumessen wie der schulischen Ausbildung. Das hat natürlich Konsequenzen für die Beratung eines Gesetzentwurfs, der hoffentlich noch ein bisschen weiter geht als der Vorschlag von den Kolleginnen und Kollegen. Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen.

Die Ausbildung des pädagogischen Personals muss neu geordnet werden. Der frühkindliche Bildungsauftrag muss Schwerpunkt sein.Den vorhandenen pädagogischen Fachkräften muss ein geeignetes Weiterbildungsangebot für den erweiterten Aufgabenbereich gemacht werden.Im Sinne gerechter Bildungschancen muss auch dieses frühkindliche Bildungsangebot kostenfrei sein. Unsere Forderung nach dem beitragsfreien letzten Kindergartenjahr ist der erste Schritt in diese Richtung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Kommunen müssen die Chance haben, ihre Spielräume zu nutzen und überzählige Kindergartenplätze in ein Betreuungs- und Bildungsangebot für Kinder unter drei Jahren umzuwandeln. Dafür brauchen sie beispielsweise die jährlich 50 Millionen c zurück, die Sie ihnen weggenommen haben,

(Beifall bei der SPD)

und zwar zusätzlich zu den Mitteln aus dem KFA, die den Kommunen ohnehin gehören.

Darüber kann auch die Beantwortung der Großen Anfrage der CDU-Fraktion nicht hinwegtäuschen. Im Übrigen haben wir uns schon ein bisschen gewundert:Was war das denn eigentlich? Vor der Sommerpause gab es eine sehr umfangreiche Große Anfrage, die auch sehr detailliert beantwortet worden ist.Aber irgendwo hat man jetzt das Gefühl, Sie wollten sich gegenseitig noch einmal mitteilen, was es alles Gutes hier gegeben hat. Ich finde es interessant, dass Sie einer gemeinsamen Behandlung mit der ersten Lesung des ursprünglichen Gesetzes zugestimmt haben. Haben Sie Ihrer eigenen Großen Anfrage keine solche Bedeutung beigemessen, dass sie separat besprochen werden konnte?

(Beifall bei der SPD)

Aber auch wenn die Betreuungssituation in Hessen als eine Erfolgsbilanz dargestellt werden soll, so täuschen diese Antworten doch darüber hinweg, dass es in Hessen anders ist. Zur Erinnerung: Teilzeitbetreuung für Kinder unter drei Jahren: 3,9 %; es gibt Regionen, die liegen weit darunter. Ganztagsbetreuung: 2,1 %. Teilzeitbetreuung für Sechs- bis Zwölfjährige: 7,4 %, Ganztagsbetreuung: 4,1 %. Dieses Land lässt sich eine solch wichtige Aufgabe schlicht und ergreifend zu wenig kosten.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Da müssen Sie nicht immer nach Berlin schauen. Sie haben hier in diesem Land ein gewisses Maß an Verantwortung, und dazu müssen Sie auch finanziell stehen.

(Beifall bei der SPD)

Beispiel aus Bayern: 500 Millionen c originärer Landesmittel für die Kinderbetreuung, das Land trägt 40 % der Kosten für Kinderbetreuung. Bei uns sind es jetzt gerade einmal 14 Millionen c - trotz alledem aber ca. 40-mal weniger als in Bayern.Einwohnerbereinigt bleibt Hessen um 160 Millionen c hinter Bayern zurück.

Jetzt für die Kolleginnen und Kollegen aus der CDU: „Kinder kriegen die Leute sowieso“.Das sagte Adenauer; aber er wird immer nur bis dahin zitiert. Aber er hat diesen Satz noch weitergeführt,und das ist interessant.Er hat nämlich weiter gesagt: „...danach sollen sie dann gefälligst alleine zusehen, wie sie mit ihnen zurechtkommen.“

Frau Kollegin Eckhardt, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ja, das tue ich; noch einen kleinen Moment.

Ich möchte jetzt gar nicht bewerten, welche Aussagekraft dieser Satz vor 50 Jahren hatte. Jedenfalls sind wir heute 50 Jahre weiter. Die Welt hat sich weitergedreht. Es sind völlig andere Bedürfnisse entstanden. Die wollen Sie aber lediglich verbal befriedigen, nicht mit wirklichen Taten.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin allerdings noch gespannt, ob dieser Gesetzentwurf den heutigen Tag überlebt, ob wir ihn weiterhin im Ausschuss beraten können und im Sinne der Bedürfnisse junger Menschen zu einem guten, tragfähigen und allumfassenden Kindergartengesetz kommen werden. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. – Das Wort hat die Frau Kollegin Dorothea Henzler, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wundern Sie sich nicht, dass jetzt ich zu diesem Tagesordnungspunkt hier vortrage.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie vertreten den Kollegen!)

Aber Kollege Rentsch ist krank und hat mir relativ kurzfristig sein Redekonzept zukommen lassen und gesagt,ich möge das bitte vortragen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gute Besserung! – Michael Denzin (FDP): Machs ordentlich!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der heutige Tagesordnungspunkt zum Thema Kinderbetreuung ist eines der zentralen Politikfelder der Gegenwart und der

Zukunft. Darüber sind sich – bei allen Unterschieden in der Bewertung – hier alle einig.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Reinhard Kahl (SPD) und Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Reinhard Kahl (SPD): Guter Einstieg!)

Deshalb ist es auch klar, dass sämtliche politischen Anstrengungen unternommen werden müssen, um unser Land kinderfreundlicher zu machen und damit indirekt auch etwas dafür zu tun,dass es in diesem Land mehr Kinder und mehr Geburten gibt.

(Beifall bei der FDP)

Die Gründe für diesen Geburtenrückgang sind sehr vielfältig. Man kann sie nicht alleine in dem Mangel an Betreuungseinrichtungen suchen. Sie sind vielfältig. Das hat mit Angst vor Verantwortung zu tun, auch mit Angst vor der wirtschaftlichen Entwicklung, mit materiellen Sorgen. Das hat auch mit Problemen bei der Kinderbetreuung zu tun, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und auch damit, dass Frauen heute sehr gut ausgebildet sind, auf die Universität gehen, dann einen Beruf ergreifen und hinterher sagen: Wenn ich im Beruf bin, möchte ich gerne auch erfolgreich arbeiten. – Dann beginnt die Karriere, und die biologische Uhr tickt dann ganz leise vor sich hin. Wenn irgendwann Eltern sagen, so, jetzt hätten wir es gerne, dann ist es vielleicht schon zu spät oder eben sehr mühsam. Ich denke, auch mit diesem Problem muss sich diese Gesellschaft intensiver befassen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kommen wir aber zur Betreuungssituation. Die muss vor allem für Kinder unter drei Jahren deutlich verbessert werden.

(Beifall der Abg. Hildegard Pfaff (SPD))

Da hat es erste Anstrengungen gegeben, aber die reichen nicht aus. In Hessen haben wir ca. 166.000 Kinder unter drei Jahren. Für deren Probleme tragen wir Verantwortung. Das Angebot an Plätzen für sie ist nicht groß genug. Insbesondere dies zeigt, dass wir den Bedürfnissen dieser Kinder und ihrer Eltern überhaupt nicht gerecht werden können.

Der Versorgungsgrad mit Plätzen in Tageseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren liegt bei 3,9 %. Das ist wirklich sehr wenig. Der Versorgungsgrad bei Ganztagsbetreuungsplätzen mit einer Öffnungszeit von acht Stunden liegt gerade einmal bei 2,1 % – also auch da sind wir noch lange nicht vorn. Auch da hat Hessen noch lange keinen Spitzenplatz und kann sich auch nicht zum Kinderland Nummer eins erklären.

Die Lage der Kinder hat sich in den letzten sieben Jahren der rot-grünen Bundesregierung aber auch nicht verbessert.Das zeigt der Armuts- und Reichtumsbericht,auf den schon hingewiesen worden ist. Auch deshalb gilt es, die Lage der Kinderbetreuung zu verbessern. Es geht eben nicht nur um Betreuung, sondern auch um Bildungschancen, die sich mittlerweile bei der Betreuung im Elementarbereich stellen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Aber, Frau Kollegin Eckhardt, ich muss Ihnen schon sagen:Was Sie hier über Tagesmütter sagen – sie seien nicht professionell und trügen nicht zur Bildung bei –, das finde ich schon sehr diffamierend.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Widerspruch der Abg. Hannelore Eckhardt (SPD))

Doch. Sie haben gesagt, die Tagesmütter seien nicht professionell genug ausgebildet – oder sie müssen professionell ausgebildet werden.

(Zurufe von der SPD)

Ich denke, damit tun Sie nicht nur den Tagesmüttern Unrecht, sondern auch allen Müttern, die zu Hause sind und ihre Kinder ausbilden – die sind auch nicht professionell ausgebildet.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Gerhard Bökel (SPD): Das war die andere Kollegin!)

Die Daten aus der Antwort auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion zeigen aber auch, dass in Hessen seit 1999 einiges passiert ist, vor allem wenn man die Daten der Offensive für Kinderbetreuung nimmt.Da liegen wir immerhin bei 14 Millionen c. Daneben sind auch die Zuwendungen aus dem Hessischen Kindergartengesetz gestiegen, aber seit 2003 stagnieren diese Zahlen auf dem Niveau von 66,3 Millionen c. Es geschieht also etwas, aber das reicht nicht aus.

Auch nach Meinung der Hessen-CDU können diese Daten nicht ausreichen. Schließlich haben Sie auf ihrem Parteitag für das Jahr 2011 ein flächendeckendes Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren in Hessen gefordert und beschlossen. Deshalb, denke ich, müssen Sie sich an die Arbeit machen, um das umzusetzen.

Ohne Landesmittel – das sage ich aber auch ganz deutlich – wird das Geld nicht reichen. Man kann da die Kommunen nicht allein und im Stich lassen.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt komme ich zu dem Entwurf eines Gesetzes für ein Ausführungsgesetz zum Tagesbetreuungsausbaugesetz, das derzeit augenscheinlich auf Antrag der GRÜNEN in verschiedenen Landesparlamenten diskutiert wird. Es geht auf das TAG des Bundes zurück, durch das die Kinderbetreuung über eine Verbesserung der finanziellen Situation der Kommunen sichergestellt werden sollte. Leider hat sich das, wie das die Liberalen schon prophezeit hatten,nicht bestätigt.Die an sich gute Intention des TAG ist durch eine unseriöse Ausgestaltung ad absurdum geführt worden.

(Beifall bei der FDP)

Man kann nämlich den Kommunen nicht mit dem Ausbau der Kinderbetreuung eine erhebliche Verantwortung aufbürden und sie hinterher bei der Finanzierung im Stich lassen. Genau das aber hat das TAG getan.