Protokoll der Sitzung vom 21.09.2005

Wir werden ihn nicht unterstützen. Wir werden aber im Ausschuss darüber diskutieren.– Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Schulz-Asche hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Reißer, so etwas passiert,wenn Reden vor Wahltagen geschrieben werden und nach den Wahlen nicht mehr so recht in die politische Landschaft passen.

Ich habe wirklich erwartet, dass Sie mit konkreten Vorschlägen kommen. Sie nennen es „Regulierungswut“, wenn wir vorschlagen, dass das Land Plätze in der Familienbetreuung sowie Krippen und Krabbelstuben bezuschusst.Was hat das mit Regulierungswut zu tun? Sie wollen einfach nur davon ablenken, dass Sie kein zusätzliches Geld in die Hand genommen haben, um die Betreuung der unter Dreijährigen auszubauen. In meinem zweiten Redebeitrag – wenn wir uns mit der Großen Anfrage beschäftigen – werde ich Ihnen das noch einmal nachweisen.

Da Sie ihn gerade erwähnt haben, möchte ich als einen weiteren Punkt die Kinderarmut in Deutschland ansprechen. Die Kinder von Alleinerziehenden machen einen ganz großen Anteil der Kinder aus, die in Deutschland in Armut leben. Dass es in Deutschland über Jahrzehnte hinweg möglich war, dass junge Frauen aufgrund einer Schwangerschaft oder aufgrund fehlender Kinderbetreuung oder sonstiger unterstützender und begleitender Maßnahmen mit ihren Kindern in die Sozialhilfe abgedrängt wurden und in Armut leben mussten, ist ein politischer Skandal. Dieser Skandal hat jahrzehntelang angedauert.

Ich verweise auf die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, verbunden mit dem, was wir hier vorschlagen, nämlich den konkreten Ausbau von Betreuungseinrichtungen, gerade auch um allein erziehende Frauen in ihrer schwierigen Situation zu unterstützen. Jetzt stellen Sie sich hierhin und sagen, unser Gesetzentwurf habe damit überhaupt nichts zu tun, das sei bürokratisch. Diese Frauen brauchen ganz konkrete Unterstützungsmaßnahmen, und Sie haben sich in Ihrem Redebeitrag erneut geweigert, einen konkreten Vorschlag vorzulegen, wie diese Landesregierung ihr eigenes Programm umsetzen soll.

Das nehmen wir hier zur Kenntnis. Meine Damen und Herren, Sie befinden sich in der Pflicht. Sie können sich nicht mehr mit dem Hinweis auf die Vergangenheit herausreden, mit dem Hinweis darauf, wie es vor sieben Jahren war. Sie sind in der Pflicht. Seit sieben Jahren haben Sie es versäumt, allein erziehenden Frauen und ihren Kindern, die in Armut leben, tatsächlich mit konkreten strukturellen Angeboten aus der Armut zu helfen. Sie können nicht mehr auf andere Regierungen verweisen. Für das fehlende Angebot in Hessen sind Sie ganz allein verantwortlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Kollegin Eckhardt hat für die SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Haus wer weiß wie oft über die Betreuung und Förderung von Kleinkindern beraten und debattiert, mit dem Zwischenergebnis, dass auch nach über zwei Jahren der laufenden Legislaturperiode keine überzeugenden

Verbesserungen bei der Versorgung mit Betreuungsplätzen zu verzeichnen sind.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich – das erkennen wir an – hat es bei der CDU eine Weile gedauert; aber es lässt sich jetzt so etwas wie ein Paradigmenwechsel erkennen. Trotz alledem bedurfte es eines kochschen Machtworts, um zu akzeptieren, dass es sich nicht per se um Rabeneltern handelt, wenn diese einen Betreuungsplatz für ihre Kinder suchen.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Dabei ist es geblieben!)

Lange Zeit haben Sie das Heil im „Tagesmütterland Hessen“ gesehen. Es ist ein bisschen still geworden um diesen Begriff. Ich habe Hoffnung, weil Sie endlich eingesehen haben, dass eine qualifizierte Betreuung, Förderung und Bildung auch der kleinen Kinder in den Einrichtungen nicht ohne Professionalität gewährleistet werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Eine Landesregierung, die einem gesellschaftlich relevanten Problem mit gravierenden Auswirkungen auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes so wenig Aufmerksamkeit widmet, muss eben auch einmal in Kauf nehmen, dass die Opposition einen Gesetzentwurf einbringt.Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die Initiative der grünen Landtagsfraktion. Die Gründe für die Schaffung eines ausreichenden Betreuungsangebots sind hier schon fast gebetsmühlenartig vorgetragen worden.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, d. h. das Schaffen von Voraussetzungen dafür, dass auch junge Mütter weiter arbeiten können, ist für uns eine wichtige familienpolitische Forderung.Aber selbst diejenigen, die das nicht so sehen und die insgeheim meinen, dass der heimische Herd der adäquate Platz für eine Mutter ist, müssen nun begreifen, dass wir das Land mit der niedrigsten Fertilitätsrate in Europa sind. Sie müssen begreifen, dass die demographische Entwicklung in diesem Land zu einer erheblichen Verschärfung der ökonomischen Lage führen wird und dass unsere Sozialsysteme vor dem Kollaps stehen.

Das fehlende Betreuungsangebot ist eine wichtige Ursache für diesen Zustand und für diese Entwicklung. Wir können es uns nicht länger leisten, das Problem in einem derartigen Schneckentempo anzugeben, wie Sie das hier vorführen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will allerdings gleich anmerken, dass es sich bei dem Gesetzentwurf der GRÜNEN,der uns heute hier vorliegt, unserer Ansicht nach um einen „Spatz-in-der-Hand“-Gesetzentwurf handelt. Das meine ich nicht negativ. Bei der bisherigen Langsamkeit – das muss man einmal dazusagen –, die diese Landesregierung hier in der Umsetzung ihrer eigenen Ziele vorgibt, die sie immer einmal wieder formuliert,

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

wäre das schon ein winziger Schritt in die richtige Richtung. Aber das ist bei weitem nicht der große Wurf, den wir dringend brauchen.

Meine Damen und Herren, wir brauchen sozusagen das „Taube-auf-dem-Dach“-Gesetz, ein Gesetz, das nicht nur eine quantitative Sicherung und eine ausreichende Versorgung mit Betreuungsplätzen gewährleistet, sondern endlich auch die qualifizierte Bildung und Förderung von

Kleinkindern im Rahmen eines Gesamtsystems der frühen Bildung. Das eine ist so wichtig wie das andere.

(Beifall bei der SPD)

Heute wissen wir um das enorme Potenzial der kognitiven Entwicklung im frühen Stadium. Dies streicht den hohen Stellenwert der frühkindlichen Bildung deutlich heraus.

Die Chancen für bessere Bildung durch gezielte Förderung im Rahmen der frühkindlichen Entwicklung sind in der wissenschaftlichen Diskussion unumstritten.Was aber passiert in Hessen? – Außer großartigen Ankündigungen eigentlich nicht sehr viel. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich Frau Ministerin Lautenschläger:

Diesen Schritt werden wir in den nächsten fünf Jahren machen, und zwar im Einklang mit einer Neuorientierung des Hessischen Kindergartengesetzes, das dann alle Bereiche gleichberechtigt aufnimmt.

So die Ministerin am 7. Mai 2003, drüben im Hessischen Landtag.

(Reinhard Kahl (SPD): Und?)

Seitdem warten wir.

(Andrea Ypsilanti (SPD):Wir warten geduldig!)

Wir warten und warten.Wir haben auch lange auf die Veröffentlichung des Bildungs- und Erziehungsplanes gewartet,

(Andrea Ypsilanti (SPD): Das war genauso!)

nachdem hinter den Kulissen offensichtlich zwei Ministerinnen ein kleines Kompetenzgerangel hatten. Aber nun soll er ohne die notwendige Unterstützung – nämlich zum Nulltarif – erprobt werden.Zum guten Schluss schießt der Innenminister seiner Kollegin Lautenschläger per Erlass auch noch ins Knie.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

Insgesamt ist also keine wirkliche Umsetzung dieser Ziele zu erkennen,

(Beifall bei der SPD)

schon gar nicht ein umfassendes und wichtiges, tragfähiges und überzeugendes Kindergartengesetz für dieses Land.

Da könnte man schauen, was eigentlich die anderen machen. Das ist nicht unbedingt schädlich. Es gibt nämlich sehr interessante und gute Entwicklungen und Vorlagen, teilweise jetzt im Sommer verabschiedet. Über das TAG will ich jetzt gar nicht weiter reden.Das haben Sie sowieso madig gemacht – nur, weil es eine SPD-Ministerin zu verantworten hat. Aber schauen wir doch einmal in das vollkommen SPD-unverdächtige Bayern.

(Heiterkeit bei der SPD)

Dort gibt es ein Gesetz zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern. Es umfasst alle Altersgruppen von null bis zwölf,

(Reinhard Kahl (SPD):Was? Das in Bayern?)

selbstverständlich auch Kinder mit Beeinträchtigung oder drohender Behinderung und speziellem Förderbedarf. Die Zusammenarbeit mit den Grundschulen ist dabei ein ganz wichtiger Punkt. Sogar die Tagespflege ist dort geregelt.

(Reinhard Kahl (SPD): Erstaunlich!)

Oder schauen wir nach Nordrhein-Westfalen, und zwar jetzt unter Rüttgers. Er will die Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren weiterentwickeln. Auch die Tagespflege soll dort angebunden werden.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist doch in Ordnung, der ist wenigstens nicht so resistent.

Meine Damen und Herren, in Hessen müssen wir die Förderung, Betreuung und Bildung von Kindern unterhalb des Schulalters endlich als vordringliche Aufgabe ansehen und begreifen und dem mindestens den gleichen Stellenwert zumessen wie der schulischen Ausbildung. Das hat natürlich Konsequenzen für die Beratung eines Gesetzentwurfs, der hoffentlich noch ein bisschen weiter geht als der Vorschlag von den Kolleginnen und Kollegen. Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen.