Protokoll der Sitzung vom 22.09.2005

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie sehr herzlich zum dritten Tag unserer Plenarwoche. Ich freue mich auf ein gutes Miteinander, eröffne die Sitzung und stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung darf ich Ihnen mitteilen, dass noch einige Punkte offen sind: 5 bis 8, 11 bis 14, 16 bis 25, 27 bis 30, 33 bis 36, 38, 40 bis 43, 46, 48, 59, 60, 68, 69 und 71.

Zum Ablauf der Sitzung. Wir tagen heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von einer Stunde.

Wir beginnen mit den Anträgen betreffend Aktuelle Stunden; das sind die Tagesordnungspunkte 59 und 60. Die Redezeit beträgt fünf Minuten pro Fraktion je Aktuelle Stunde.

Danach geht es mit Tagesordnungspunkt 48 weiter, Antrag der Fraktion der FDP betreffend Kinderbetreuungsangebote sind Zukunftsinvestitionen, Drucks. 16/4405. Er wird mit zusammen mit den Tagesordnungspunkten 29 und 33 aufgerufen.

Ich teile mit, dass Herr Staatsminister Riebel heute entschuldigt fehlt. Er nimmt an verschiedenen Terminen zur Koordinierung der Sitzungen des Deutschen Bundesrats teil.

Ich weise darauf hin, dass gestern fraktionsübergreifend die „Junge Gruppe im Hessischen Landtag“ gegründet worden ist. Unter der Leitung des Landtagspräsidenten bestimmten die Kolleginnen und Kollegen Florian Rentsch zu ihrem Vorsitzenden und Nancy Faeser zur Stellvertreterin. Ich gratuliere sehr herzlich und wünsche unseren Jungen alles Gute, insbesondere dass sie älter werden.

(Heiterkeit – Unruhe)

Hören Sie bitte zu. Das gilt für alle. – Ich darf Sie darauf hinweisen, dass heute zu Beginn der Mittagspause im Sitzungssaal 230 M eine gemeinsame Sitzung des Haupt- und des Innenausschusses stattfindet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 59 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Aktuelle Stunde (Föderalismusreform – jetzt notwendiger denn je) – Drucks. 16/4437 –

Das Wort hat Herr Kollege Jörg-Uwe Hahn,Vorsitzender der FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin eben schon wieder geärgert worden: Man hat mir gesagt, nach meinem gestrigen Geburtstag könne ich nicht mehr zur „Jungen Gruppe im Hessischen Landtag“ gehören. Das ist sehr schade, aber vielleicht ist nicht nur das Geburtsjahr, sondern auch noch etwas anderes für die Zugehörigkeit entscheidend.

(Minister Dr.Christean Wagner:Das Erscheinungs- bild!)

Vielen Dank, Herr Staatsminister der Justiz. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben diese Aktuelle Stunde sehr bewusst am Montagmorgen nach der Bundestagswahl – nachdem das Ergebnis vorlag – bean

tragt. Wir wissen – wir alle haben das im Wahlkampf gesagt –, dass sich Deutschland in einem Reformstau befindet. Es ist zwischen den Parteien und den Fraktionen relativ unstreitig, dass eine Ursache für diesen Reformstau darin liegt, dass wir uns in unserem föderalistischen System derzeit gegenseitig blockieren.

Wir haben – so die Analyse von uns Liberalen – eine kollektive Unzuständigkeit. Keiner weiß genau, wofür er zuständig ist. Auch die Bürger wissen nicht, wer wofür zuständig ist und wofür man ihn demzufolge verantwortlich machen kann.

Eigentlich hat sich die Politik aus dem Föderalismus verabschiedet. Er ist zu einem reinen Verwaltungshandeln geworden. Über wichtige Punkte entscheiden letztlich übermüdete Politiker in Nachtsitzungen des so genannten Vermittlungsausschusses, mit der Folge, dass, wenn sie am nächsten Morgen aufwachen – ich darf nur an die Dezembersitzung zur Steuerreform des Jahres 2003 erinnern –, schon einmal 1 Milliarde c fehlt.

Wir Liberale sind der festen Überzeugung, dass, egal wer in Berlin die künftige Regierung stellt, noch einmal ein entscheidender zielorientierter Anlauf genommen werden muss, um die „Mutter aller Reformen“ – so bezeichnet Otto Graf Lambsdorff die Föderalismusreform – anzugehen und abzuschließen.

(Beifall bei der FDP)

Wir glauben, dass das im Interesse aller Parteien ist. Wir haben uns die Mühe gemacht, die Äußerungen von Mitgliedern der CDU/CSU – ich will nicht die Geschäftsordnungsdebatte des Deutschen Bundestags hereinholen; ich habe CDU und CSU zusammengenommen –, der SPD, der Liberalen und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einander gegenüberzustellen.In allen Wahlprogrammen,wobei die Denkweisen der Liberalen und der GRÜNEN sogar relativ identisch sind

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Sie merken, ich bin auf dem Weg nach Jamaika –, wird festgeschrieben, dass der bundesdeutsche Föderalismus grundlegend reformiert werden muss.

Die Union sagt, dass die Mischfinanzierung abgebaut werden muss und dass ausschließlich Länderzuständigkeiten gelten sollen, in die der Bund nicht mehr mithilfe des Geldes hineinregieren darf. Die Union schreibt dazu: „Aufhebung von Blockaden im so genannten Beteiligungsföderalismus“.

Die Sozialdemokraten schreiben in Ihrem Wahlprogramm:

Es muss klar sein, wer Verantwortung trägt im Staate. Taktische Blockaden und Lähmungen zwischen Bundestag und Bundesrat müssen ein Ende haben.Wir werden einen neuen Anlauf zur Reform der bundesstaatlichen Ordnung unternehmen. Föderalismus braucht Klarheit in der Verantwortung und Klarheit in der Kooperation zwischen Bund und Ländern.

(Beifall bei der SPD)

Das war ein Zitat aus dem Wahlprogramm der Sozialdemokraten.Wir alle können klatschen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist es sehr gut,wenn der Hessische Landtag heute demonstriert, dass er keine bundespolitische Debatte darüber führen will, wer die Wahl gewonnen oder verloren hat und wie es nun weitergeht. Vielmehr sagen wir: Wir, die Mitglieder des Hessischen Landtags, wollen, dass die Reform der Reformen – die „Mutter der Reformen“ – auf alle Fälle angegangen wird.Wir wollen, dass eine Föderalismusreform auf alle Fälle durchgeführt wird.

(Beifall bei der FDP)

Wir Liberale haben eine ganz klare Vorstellung davon, wie das inhaltlich aussehen soll. Ich möchte das in drei Spiegelstrichen – wir haben nur fünf Minuten Redezeit, davon sind viereinhalb Minuten bestimmt schon um – deutlich machen. Das erste Ziel muss die Trennung der Verantwortlichkeiten sein. Das so genannte Trennungsmodell bedeutet, dass jede Ebene verantwortlich für das ist, was auf ihr passiert. Jede Ebene muss das finanzieren können, was auf ihr passiert. Es darf z. B. keine Mischdurchgangsfinanzierung geben, wie das beim Hochschulbau und den Ganztagsschulen der Fall war. Das ist jetzt keine parteipolitische Aussage.

(Beifall bei der FDP)

Zweiter Punkt.Wir möchten mit der Föderalismusreform eine Stärkung der ersten Gewalt verbinden. Wenn auf Bundesebene endgültig über das bestimmt wird, was zu tun ist, dann trägt letztlich der Deutsche Bundestag – also die dortigen Parlamentarier – die Verantwortung, nicht aber irgendeine Verwaltung oder irgendein Vermittlungsausschuss. Wenn die Länder etwas zu beschließen haben, ist es letztlich z. B. der Hessische Landtag – also wir –, der darüber entscheidet, was zu tun ist, nicht aber die Landesregierung in Verhandlungen in Berlin. Deshalb müssen die Parlamente gestärkt werden.

(Beifall bei der FDP)

Drittens – das ist eine liberale Besonderheit, das gebe ich zu – verbinden wir mit der Reform des Föderalismus auch die Hoffnung, dass der Bundesrat demokratisiert wird. Der Bundesrat ist ein Gremium der Landesregierungen.

(Beifall bei der FDP)

Warum eigentlich? Warum ist der Bundesrat nicht, wie z. B. in Österreich – wie wir wissen, leben die zurzeit sehr erfolgreich davon –, ein Parlament der Landesparlamente, ein Parlament, dem Leute angehören, die nicht Mitglieder einer Landesregierung sind, weil sie eine andere Interessenlage haben? Das ist uns zunächst einmal vom Prinzip her wichtig, nicht aber wegen der Organisation. Wir könnten ein sehr gutes und auch ein gemeinsames Bild des Hessischen Landtags zeichnen, wenn wir heute feststellten: Egal wer in Berlin regiert, der Föderalismus muss schnell und grundlegend reformiert werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Klein, CDUFraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich halte es für gut und richtig, dass die FDP-Fraktion jetzt – nach der Bundestagswahl – das Thema Föderalismusreform wieder

auf die Tagesordnung setzt. Die 2003 eingesetzte Kommission hat sich nicht auf gemeinsame Vorschläge einigen können. Sie hat ihre Arbeit in der Sitzung Ende Dezember 2004 beendet, ohne über Vorschläge zur Grundgesetzänderung zu beschließen.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Schuld daran ist Schröder!)

Jawohl, Herr Fraktionsvorsitzender, schuld daran war die Verweigerungs- und Blockadehaltung der SPD in Fragen der Bildungspolitik.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Das hat das Projekt zum Scheitern gebracht. Das ist so; das wissen Sie auch.

Dieses Versagen hat das Vertrauen der Menschen in das politische System in unserem Lande schwer beschädigt. Bildung ist und bleibt Ländersache.Wir wollen keinen sozialdemokratischen Einheitsbrei,sondern wir wollen auch auf dem Bildungssektor einen Wettbewerb zwischen den Ländern.

(Beifall bei der CDU)

Die Länderseite hat deshalb zu Recht auf der Vollkompetenz in der Bildungspolitik und auf der Streichung des Wortes „Bildungsplanung“ in Art. 91b Grundgesetz bestanden. Die Argumentation der Bundesvertreter, dass vor dem Hintergrund der grundgesetzlich verankerten Ziele der Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen diese Mitgestaltungsmöglichkeit beibehalten werden sollte, ist abwegig. Es kann nicht um Gleichheit gehen, sondern nur um Chancengleichheit.Das wissen wir,und darüber reden wir hier häufig genug.

Ich bin sicher, dass eine Regierung Merkel – und die wird sicherlich bald kommen, es ist gut, dass Sie das so ruhig zur Kenntnis nehmen – die Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung wieder einsetzen wird.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))