Protokoll der Sitzung vom 11.10.2005

(Norbert Schmitt (SPD): Das hat System!)

Nach unserer Kenntnis sind diese beiden Flüchtlinge nach wie vor nicht gefasst. Davon aber kein Wort in Ihrer Regierungserklärung.

April 2005: In der JVA Rockenberg wurde ein Gefangener von seinen Mitgefangenen misshandelt. Dies konnte geschehen, weil die Gefangenengruppe von den Mitarbeitern einer privaten Firma, die für die Berufsausbildung zuständig war, allein und unbeobachtet zurückgelassen werden musste. – Dieser Sachverhalt ist auch Inhalt des heute vorliegenden Antrags der GRÜNEN.

April 2005: In der JVA Wiesbaden wird ein Bediensteter mit mehreren Messerstichen von einem wegen Mordes einsitzenden Gefangenen folgenschwer verletzt. Nicht Bedienstete überwältigten den Täter, sondern Mitgefangene.

(Norbert Schmitt (SPD): Das sind echte Erfolgsgeschichten! – Weitere Zurufe von der SPD)

Mai 2005, der Ku-Klux-Klan-Vorfall in der JVA Butzbach: Bedienstete hatten sich mit einer entsprechenden Maske verkleidet und Gefangene erschreckt.

(Zurufe von der CDU)

Auch an die rechte Seite dieses Hauses: Ich denke, das ist ernst zu nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch hier wurden die Mitglieder des Unterausschusses Justizvollzug viel zu spät informiert.

Juli 2005, der Ihnen alle bekannte Lebensmittelskandal: In der JVA Dieburg wurde verdorbenes Fleisch mehrere Monate nach Ablauf des Verfallsdatums gefunden.

Juli 2005: Ein Gefangener in der JVA Weiterstadt beging Selbstmord, nachdem er zuvor einen Mithäftling umgebracht hatte.Auch hier musste der Unterausschuss Justizvollzug initiativ werden, um eine genaue Sachaufklärung zu erhalten. Hier glänzte der Minister ebenfalls durch Abwesenheit.

(Zurufe von der SPD)

Aufgrund der vom Justizminister zu verantwortenden Personalausstattung der Justizvollzugsanstalt waren diese Gefangenen über mehrere Stunden völlig unbeobachtet geblieben – andernfalls wäre es vielleicht nicht zu diesem tragischen Vorfall gekommen. Denn Gefangene in anderen Zellen hatten den Streit dieser beiden Gefangenen durch die Wand gehört.

Juli 2005: Vergewaltigung eines Gefangenen in der JVA Kassel.

August 2005:Misshandlungen und sexuelle Übergriffe auf einen Gefangenen der JVA Frankfurt IV.

Im September – von diesem Fall haben wir eben gehört – Selbstmord eines suizidgefährdeten IKEA-Managers in der JVA Frankfurt II.

Herr Justizminister, nach dieser Häufung von Fällen klingt Ihre eben vorgetragene Erfolgsbilanz wie blanker Hohn.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und dies sind nur die Ereignisse, die in der öffentlichen Berichterstattung in den letzten Monaten eine Rolle gespielt haben – von den anderen habe ich gar nicht berichtet, weil die Zeit nicht ausreicht – und die natürlich im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle aufgegriffen werden müssen.Mit Skandalisierung hat das nichts zu tun.

(Nicola Beer (FDP): Schon!)

Völlig unerwähnt ließ der Minister in seiner eigenen Bilanzierung auch, dass es trotz seiner werbewirksamen Durchsuchungsmeldungen in hessischen Justizvollzugsanstalten nach wie vor Drogen auf hohem Niveau gibt.

Herr Minister, damit wir uns richtig verstehen: Auch wir wissen, was im Strafvollzug leistbar ist und was nicht.Aus diesem Grund bedanken wir uns an dieser Stelle auch ausdrücklich bei allen Bediensteten und ehrenamtlich Engagierten im hessischen Strafvollzug,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die jeden Tag mit ihrem persönlichen Einsatz dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft auf einen funktionierenden Strafvollzug vertrauen darf und Straftäter die Chance eines Lebens ohne weitere Straftaten erhalten. An diesem Punkt kommt einmal wieder in besonderer Weise der Grundsatz zum Tragen, dass eine erfolgreiche Resozialisierung den besten Opferschutz darstellt.

Doch nun wieder zurück zu Ihnen und Ihrer Bilanz, Herr Staatsminister Wagner. Hier und heute geht es darum, zu bewerten, ob das, was Sie vorgetragen haben, Ihre Kompetenz als Justizminister bestätigt. Die vorgetragene Chronologie der Ereignisse bestätigt sie jedenfalls nicht. Aber seien wir nicht unfair, setzen wir den Maßstab des Justizministers an.

(Heiterkeit bei der SPD)

Der damalige rechtspolitische Sprecher der CDU hat in der Debatte am 16.Juni 1993 zur Amtseinführung der Justizministerin im Bereich des Justizvollzugs gesagt:

Die Justizministerin mag nun behaupten, dass sie im Einzelfall im Sinne eines unmittelbaren Ursachenzusammenhangs keine Verantwortung trage. Ich entgegne Ihnen, Frau Ministerin, hierauf:Angesichts der Vielzahl der Besorgnis erregenden Vorfälle gibt es in der Kultur eines demokratischen Rechtsstaats die Kategorie der politischen Verantwortung. Diese Verantwortung tragen Sie allemal.

(Petra Fuhrmann (SPD): Hört, hört!)

Und wie hat sich Staatsminister Wagner angesichts der oben genannten schwer wiegenden Fälle verhalten?

(Norbert Schmitt (SPD): Er hat sich verdrückt!)

Hat er sich vor seine Bediensteten gestellt und die politische Verantwortung übernommen? Die Antwort lautet: nein.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Er stand dem zuständigen Ausschuss des Parlaments während der zehn Monate für die Diskussion über die Vorfälle zu keinem Zeitpunkt zur Verfügung.

(Norbert Schmitt (SPD): Unglaublich!)

Ja, meine Damen und Herren, das haben Sie richtig gehört: Er war kein einziges Mal im zuständigen Ausschuss anwesend,

(Norbert Schmitt (SPD): Das ist ja unglaublich!)

obwohl seine Anwesenheit von den Parlamentariern ausdrücklich gewünscht war – er missachtete damit das Parlament –, sondern hat seinen ehemaligen Staatssekretär vorgeschickt, um die Kohlen aus dem Feuer zu holen, während er sich an anderen Orten feiern ließ.

Doch damit nicht genug.Statt sich für die Folgen seiner eigenen verfehlten Sicherheitspolitik verantwortlich zu fühlen, schiebt er immer wieder die Bediensteten des Justizvollzugs vor, opfert diese allzu willfährig, indem er ihnen Dienstverletzungen vorwirft, und lässt sie allzu schnell vom Dienst suspendieren. Weil er dies vermutlich für besonders werbewirksam hielt,ließ er es sogar zu,meine Damen und Herren, dass Bedienstete im Beisein von Kamerateams aus dem Gefängnis abgeholt wurden,Bedienstete übrigens, bei denen sich nach unserer Kenntnis die erhobenen Vorwürfe eben gerade nicht bestätigen ließen.

(Günter Rudolph (SPD): Hört, hört!)

Auch hierfür tragen Sie die Verantwortung, Herr Minister.Wir fordern Sie auf, sich an Ihre eigenen Maßstäbe zu halten. Sie sind derjenige, der nach Ihren eigenen Aussagen die politische Verantwortung trägt – nur Sie, niemand anders.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Staatsminister, in der gleichen Debatte haben Sie damals auch den Vorwurf erhoben, Sicherheitsbedürfnisse der Justizvollzugsbediensteten würden nicht mehr genügend berücksichtigt, und die politische Führung des HMdJ komme ihren Fürsorgepflichten gegenüber den Bediensteten im hessischen Vollzug nicht nach. Wie aber halten Sie es mit den Sicherheitsbedürfnissen der Bediensteten und den Fürsorgepflichten als Dienstherr?

Ein Beispiel habe ich Ihnen gerade vor Augen geführt.Ich nenne ein weiteres. Sie haben bei Ihrer Personalausstattung, die Sie als „so gut wie nie zuvor“ bezeichnet haben, die Arbeitszeitverlängerung auf 42 Wochenstunden in Ihre Statistik eingerechnet. Darüber hinaus stellen Sie für die neue Justizvollzugsanstalt in Hünfeld kaum neue Bedienstete ein und ziehen dafür das benötigte Personal an den bestehenden JVAs ab.

All dies machen Sie, obwohl wir schon jetzt in den einzelnen Vollzugsanstalten ein Verhältnis zwischen allgemeinem Vollzugsdienst und Gefangenen auf den Stationen von 100 : 70 haben. Hessen ist hier in negativer Hinsicht Spitze, wie auch die von den einzelnen Bundesländern veröffentlichten Zahlen des Verhältnisses zwischen der Anzahl der Bediensteten und den Gefangenenzahlen belegen.Während sich die anderen Flächenländer bemühen, ein Verhältnis von 48 bis 56 Bediensten pro 100 Gefangene zu haben, orientiert sich die CDU in Hessen wieder einmal an der Südschiene und strebt an, nur 41,45 Bedienstete je 100 Gefangene zu etablieren. Dies führt zu einer massiven Verunsicherung der Bediensteten, vor allem in den Anstalten der Sicherheitsstufe 1.

Um gleich mit einer Mär aufzuräumen: Dies sind keine Zahlen der SPD-Landtagsfraktion, sondern Daten, die von den einzelnen Bundesländern im Internet veröffentlicht werden und die vom Bund der Strafvollzugsbediensteten bestätigt werden.

Zudem führt die von Ihnen immer wieder gern hervorgehobene statistisch gegen null gehende Lockerungspraxis ebenfalls dazu, dass Gefangene aus ihrer Ausweglosigkeit heraus viel eher bereit sind, gegen Vorschriften der Anstalt zu verstoßen. Dies führt auch zu einem eklatanten Anstieg der Körperverletzungsdelikte im Vollzug gegen Bedienstete und gegen Mitgefangene.

(Minister Dr. Christean Wagner: Das stimmt ein- fach nicht!)

Das ist im Übrigen eine Entwicklung, die einer Ihrer Statistiken zu entnehmen ist, Herr Staatsminister, die Sie heute leider nicht vorgestellt haben. Sie haben sogar das Gegenteil behauptet. Herr Staatsminister, das ist ungeheuerlich.

(Minister Dr. Christean Wagner: Das ist unwahr!)