Protokoll der Sitzung vom 11.10.2005

(Minister Dr. Christean Wagner: Das ist unwahr!)

Das sind Ihre eigenen Statistiken.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus stellen Sie sich heute hierhin und erwecken den Eindruck, das Jahr 2004 sei das Jahr mit den wenigsten Suiziden gewesen. Dies ist schlicht falsch, Herr

Staatsminister. Ihrer eigenen Statistik ist zu entnehmen, dass 1998 das Jahr mit der niedrigsten Selbstmordrate war – bekanntlich unter Rot-Grün,meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Ebenso haben Sie heute verschwiegen, dass der Krankenstand der Bediensteten aufgrund ihrer enormen Belastung eklatant angestiegen ist. Wenn wir einen Krankenstand der Bediensteten in JVAs von zum Teil 15 % haben, ist tatsächlich Handlungsbedarf gegeben.

Wir fordern den Justizminister auf, seinen Fürsorgepflichten gegenüber den Bediensteten wieder nachzukommen. Er hat in der Sitzung vom 5. Juni 1997 Herrn Staatsminister Rupert von Plottnitz gefragt: „Sind Ihnen die Sorgen und Nöte der hessischen Justizvollzugsbeamten bewusst? Wenn ja, was haben Sie bisher getan, und was planen Sie, um diesem Übelstand abzuhelfen?“

Genauso frage ich jetzt Sie: Sind Ihnen die Sorgen und Nöte der hessischen Vollzugsbediensteten bewusst? Wenn ja, was haben Sie bislang getan, um diesem Übelstand abzuhelfen?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nach Darstellung der Gewerkschaften sehen sich die Bediensteten zunehmend dem Druck von Gefangenen ausgesetzt, weil sie durch zum Teil frei erfundene Anzeigen strafrechtlich verfolgt wurden. Diese wurden mit der Rückendeckung des Ministeriums immer allzu eifrig aufgegriffen und in sehr wenig objektiver Weise zulasten der Bediensteten betrieben; den Fall der öffentlich abgeführten Bediensteten habe ich bereits geschildert.

Was ursprünglich als Beurteilungskriterium für die Überprüfung von Gefangenen und zur Einleitung von Entlassungsvorbereitungen gedacht war, verkommt zu einer bloßen kursorischen Checkliste, die letztlich dazu herangezogen wird, die Verantwortlichkeit von Bediensteten festzustellen, um diesen Fehlentscheidungen nachzuweisen. Die Folge ist, dass Bedienstete des AVD verunsichert sind und insbesondere im Hinblick auf Hafterleichterungen lieber eine Negativentscheidung treffen, als hinterher vom Minister zur Verantwortung gezogen zu werden. Herr Staatsminister, wir fordern Sie auf, Ihre Verantwortung gegenüber den Bediensteten im Vollzug wahrzunehmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Bediensteten haben sehr viel zu leisten und einen anspruchsvollen Beruf. Sie haben selbst einmal gesagt, dass sie einen schweren und zuweilen außerordentlich gefährlichen Dienst haben und dass Schichtdienst abgefordert wird, und das bei geringer öffentlicher Anerkennung. Es ist doch kein Wunder,wenn sich die Bediensteten im Stich gelassen fühlen. Ja, Herr Minister, die von Ihnen damals noch so gelobten Bediensteten fühlen sich, wie in einer Pressemitteilung des Bundes der Bediensteten zu lesen ist, alles andere als gut. Dort ist zu lesen, dass die Stimmung unter den Vollzugsbeamten noch nie so schlecht war wie im Augenblick.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Damit sind wir auch bei Ihrem neuesten Lieblingskind, Herr Staatsminister, der JVA in Hünfeld, einer Justizvollzugsanstalt, die offenbar immer herhalten muss, wenn Sie sich in Sachen Haftbedingungen in Hessen feiern lassen

wollen. Ich glaube, es weiß kaum noch jemand, wie oft Sie sich für das Projekt Hünfeld haben feiern lassen, um dessen unrühmliche Genese und Entstehungsgeschichte zu übertünchen.

Was aber mir und allen anderen sehr genau bewusst ist, sind die Auswirkungen und Folgen, die der Betrieb der JVA in Hünfeld auf das Berufsbild der Vollzugsbediensteten des Landes Hessen und auf den Alltag in allen anderen hessischen Vollzugsanstalten haben wird.Folgt man Ihrer Konzeption und Idee, werden die Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes immer mehr aus dem Behandlungsbereich des Vollzugs herausgedrängt und auf den Bereich der Sicherheitsgewährung reduziert.

Sie krempeln damit ein Berufsbild um, das sich zum Wohl des Strafvollzugs und zur Förderung der Sicherheit in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Dies bestätigen Sie nachdrücklich mit Ihrer Regierungserklärung, indem Sie in diesem Zusammenhang davon sprachen, dass sich der Staat auf seine Kernaufgaben der Sicherheitsgewährung besinnt und alles Übrige dem Markt und dem freien Wettbewerb überlassen will. Damit verkennen Sie, dass Behandlung und Resozialisierung keine beliebigen Wirtschaftsgüter sind, sondern in der Verantwortung des Staates liegen und auch weiter liegen müssen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nicht zuletzt aus diesem Grund wird Ihr Vorgehen von den Fachgewerkschaften und den Vollzugsexperten abgelehnt. Außerdem haben Sie die JVA in Hünfeld zum Erfolg geradezu verdammt. Doch zu welchem Preis? Ich finde es spannend, welche Voraussetzung ein Gefangener mitbringen muss, um überhaupt in die JVA Hünfeld aufgenommen zu werden,

(Axel Wintermeyer (CDU): Er muss erst einmal verurteilt sein!)

und in welchem Umfang hier Zusagen und Zugeständnisse an die Stadt Hünfeld gemacht wurden. – Nein, das reicht nicht aus, Herr Kollege Wintermeyer.

Wenn Sie dies alles einhalten wollen,wird das zulasten anderer JVAs gehen, und der vermeintliche Erfolg wird auf dem Rücken der Bediensteten erbracht.Wenn nämlich in Hünfeld ausschließlich solche Gefangene ihre Haftstrafen verbüßen sollen, von denen nur eine geringe Gefährlichkeit ausgeht und die sich zum allerersten Mal in ihrem Leben im Strafvollzug befinden, fehlt damit eine Gefangenengruppierung, die sich in den übrigen Justizvollzugsanstalten entlastend auf das Vollzugsklima auswirkt. Es besteht also die Gefahr, dass sich die Verhältnisse im übrigen Justizvollzug verschlechtern werden.

Herr Staatsminister, da Sie sich aber von Anfang an in das Modell einer zunächst ganz und dann teilprivatisierten Justizvollzugsanstalt verrannt hatten und letztlich auch noch Zugeständnisse an den privaten Mitbetreiber und die Sitzkommune gemacht haben, vernachlässigen Sie Ihre Verantwortung gegenüber den übrigen Justizvollzugsanstalten und deren Bediensteten.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus hat dieser Justizminister zu verantworten, dass stets eine Vielzahl von Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern über die Gewährung von Hafterleichterungen und Vollzugslockerungen von den JVAs gänzlich ignoriert und missachtet werden. Es findet also

ein offener Rechtsbruch statt, indem Entscheidungen der rechtsprechenden dritten Gewalt missachtet werden.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass bloß keine Haftlockerungen missbraucht werden sollen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Staatsminister, wir fordern Sie auf, Ihrer Verantwortung als Vertreter des Rechtsstaates auch und vor allem denjenigen gegenüber gerecht zu werden, die sich aufgrund eines Urteils im Namen des Volkes im Justizvollzug und damit in Ihrer Obhut befinden. Trotzdem stellen Sie sich vor das hessische Parlament und wollen uns heute glauben machen, der Vollzug sei so modern und gut wie nie zuvor. – In dieser Einschätzung sind Sie mit der CDUFraktion leider allein im Lande Hessen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Axel Wintermeyer (CDU) und Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Herr Kollege Hahn, es ist noch viel schlimmer.Alle Fachleute und Experten sehen dies offensichtlich auch so wie wir.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sehr selektive Wahrnehmung! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Es wird Zeit, dass Sie diese Realität wahrnehmen und endlich beginnen, die Sorgen der Bediensteten und die Situation des Vollzuges ernst zu nehmen.

Der Strafvollzug muss seine gesetzlichen Aufgaben erfüllen. Die Funktionsfähigkeit des Vollzuges darf nicht bedroht werden. Der Strafvollzug ist immanenter Bestandteil der inneren Sicherheit. Seine Leistungen bestehen in der Wiederherstellung des Rechtsfriedens, in der Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung vor inhaftierten Straftätern, aber auch in der Arbeit am Erreichen des Vollzugsziels, straffällig Gewordene wieder zu einem verantwortlichen Mitglied der Gesellschaft zu machen. Doch die Erreichung dieses Vollzugsziels kommt in Hessen zu kurz. Wie realitätsfern müssen Sie eigentlich sein, wenn Sie sich angesichts der geschilderten Rahmenbedingungen hierhin stellen und behaupten,Sie würden bei den Resozialisierungsmaßnahmen von niemand anderem übertroffen? Herr Staatsminister, das ist wirklich lächerlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wann akzeptieren Sie endlich die Tatsache, dass der beste Schutz der Bevölkerung vor Verbrechen ein gebesserter Täter ist? Zu dem Behandlungsvollzug gibt es kriminalpolitisch keine sinnvolle Alternative. Doch kann die Integration nur gelingen, wenn auch die personellen Rahmenbedingungen dem zu erzielenden Ergebnis angepasst werden. Die Dienstleistungen der Strafvollzugsbediensteten sind ein unverzichtbarer Beitrag zu einem sicheren und funktionierenden Staatswesen.

Herr Wagner, Sie haben 1993 auch gesagt: „Meine Damen und Herren, dies alles sagt nicht eine böse Opposition, sondern sagen Vertreter unabhängiger Zeitungen in Hessen.“

Ihre Redezeit ist zu Ende, Frau Kollegin.

(Günter Rudolph (SPD): Schade, sie war so gut! – Norbert Schmitt (SPD):Verlängerung!)

Herr Präsident, ich will nicht damit schließen, dass Presse mit vier Buchstaben skandiert, dass sie Angst vor mir hätte; das kann man unterschiedlich beurteilen.

(Lachen bei der CDU)

Aber ich will zum Schluss zumindest noch zwei Zitate aus der „FAZ“ bringen, die von „Gewaltexzessen im Strafvollzug“ und von „Tod und Missbrauch im Gefängnis“ redet. Herr Staatminister, angesichts dieser Zitate der unabhängigen Presse über Sie kann man von allem anderen reden als von einer Erfolgsbilanz.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Abg. Hahn für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuallererst dem künftigen Staatssekretär im Ministerium der Justiz in Hessen, Herrn Dr.Thomas Schäfer, zu seiner künftigen Ernennung gratulieren, sicherlich nicht nur im Namen der FDP-Landtagsfraktion, aber jedenfalls im Namen der FDP-Landtagsfraktion.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Jürgen Walter (SPD): Ist das denn so?)

Ich habe soeben den Medien entnommen, dass der Ministerpräsident dies so tun wird und die CDU-Fraktion Herrn Dr. Thomas Schäfer in diesem Amt alles Gute wünscht. Das tue ich auch. Ich gehe davon aus, dass Dr. Thomas Schäfer auch im Unterausschuss Justizvollzug – denn es ist geschichtlich so gewachsen, dass sich der Staatssekretär im Justizministerium intensiv um den Justizvollzug kümmert; meistens ein bisschen mehr als der Minister, egal welches Parteibuch er hatte – einen vertrauensvollen und offenen Umgang mit den Mitgliedern des Unterausschusses Justizvollzug pflegen wird, so wie es sein Vorgänger Herr Landau auch getan hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,darüber hinaus möchte ich daran erinnern, dass wir uns heute am 11. Oktober des Jahres 2005 befinden.Die Rede,die die Kollegin Faeser eben gehalten hat – ich unterstelle, dass das jetzt auch noch von dem Kollegen der GRÜNEN nachgeholt wird –, konnte man in dieser Diktion möglicherweise Mitte der Neunzigerjahre in diesem Hause halten.