Natürlich bleiben solche Vereinbarungen immer Kompromisse. Da müssen Kröten geschluckt werden, wie auch Herr Kollege Al-Wazir weiß. Wir haben bei den rotgrünen Verhandlungen in Hessen auch manche Kröte schlucken müssen. Für uns Sozialdemokraten waren das z. B. die Naturschutzgebiete. Dafür mussten die GRÜNEN so manche Kröte schlucken, als es um die Straßen ging. Das gehört zu Verhandlungen.
Aber unter dem Strich kann man sagen,und das ist der für Sozialdemokraten entscheidende Punkt: Die – wenn man sie so nennen will – bürgerlichen Parteien, nämlich CDU und FDP, haben in Deutschland zum dritten Mal hintereinander keine Mehrheit für eine neoliberale Politik bekommen.
Unter dem Strich ist es für uns entscheidend, dass dieser Koalitionsvertrag das Bekenntnis zu einem handlungsfähigen Staat enthält.
Der Neoliberalismus ist mithilfe des Koalitionsvertrags aufgehalten worden. Das ist für uns ein ganz entscheidender Punkt.
Frau Kollegin Beer, dreimal haben Sie es versucht. Es muss Ihnen doch klar geworden sein, dass Sie für den Neoliberalismus in dieser Gesellschaft keine Mehrheit haben. Für Konzepte, die weniger Staat bedeuten und eine Entsolidarisierung der Gesellschaft zur Folge haben, gibt es in Deutschland keine Mehrheit. Gott sei Dank, das ist auch gut so. Dafür haben wir Sozialdemokraten immer gekämpft.
Ein zentraler Punkt der Koalitionsvereinbarung ist, dass Deutschland als Friedensmacht erhalten bleibt. Wer die konkrete Formulierung in dem Koalitionsvertrag durchliest – ich habe ihn dabei, Herr Kollege Boddenberg –, dem wird klar, dass wir zusammen mit den USA den Frieden in der Welt erhalten wollen und dass gerade ein Ausgleich sowie die Bedeutung der USA für die islamische Welt ganz zentral sind.
Es ist nicht erforderlich, dass die große Koalition das Verhältnis zu den USA neu bestimmt. Wir werden eine Friedensmacht bleiben, und wir werden gegenüber unseren Freunden – den USA – deutlich machen, was notwendig und richtig ist.Das ist eine ganz zentrale Frage.Dafür wird der Außenminister stehen, und dafür ist er auch angetreten worden.
(Beifall bei der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP):„Angetreten worden“ – du erzählst etwas! Wo hat man ihn denn getreten? – Zurufe von der CDU)
Ein weiterer für uns wichtiger Punkt ist – darauf haben auch die Gewerkschaften Wert gelegt –, dass die Tarifautonomie erhalten bleibt. Das ist eine ganz zentrale Frage.
Sehen Sie sich die Bewertungen sogar aus dem Arbeitgeberlager an, wonach die Schraube, die insbesondere von der FDP, aber auch von Teilen der CDU mit dem Ziel gedreht werden sollte,die Tarifautonomie in Deutschland zu zerschlagen, ein riesengroßer Fehler gewesen wäre. Das hätte für Deutschland wirtschaftliche Probleme gebracht. Deswegen sind das Bekenntnis zur Tarifautonomie und die Versicherung, dass nicht daran gefingert wird, ganz wichtig.
Diese Koalitionsvereinbarung bedeutet auch, dass der soziale Zusammenhalt in den Familien, zwischen den Generationen und in der Gesellschaft insgesamt gesichert wird. Das ist für uns Sozialdemokraten eine zentrale Frage. Einen Beleg dafür gibt es an vielen Stellen; wir haben sie in unserem Antrag aufgeführt.
Bildung,Wissenschaft und Forschung haben weiterhin einen hohen Stellenwert. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass es in Deutschland mit den Innovationen, den Investitionen, dem Wachstum und der Beschäftigung weitergeht.
Natürlich bleibt die Arbeitslosigkeit das zentrale Problem in Deutschland. Das ist gar keine Frage. Wir sind davon überzeugt, dass die Punkte, die in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben worden sind und die die Grundlage des Handelns der Bundesregierung bilden, auch dazu beitragen werden, das zentrale Problem Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Außerdem – ich selbst bin immer leidenschaftlich mit dabei – bleibt es beim Atomausstieg. Gott sei Dank bleibt es dabei.
Herr Boddenberg, weil Sie hier eben etwas angedeutet haben, sage ich Ihnen:An der Stelle wird durchregiert.
Es ist völlig klar, dass wir die rot-grüne Bundesregierung gern fortgesetzt hätten. Das war unsere Koalitionsaussage. Ich finde, wenn man über die Koalition redet – deswegen haben wir die unserem Antrag vorangestellt –, muss man auch noch einmal zurückblicken und sagen, dass es unter der Regierung, die von Gerhard Schröder und seinem grünen Partner geführt worden ist, wirklich große Erfolge gab. Dazu wollen wir uns an dieser Stelle eindeutig bekennen.
Wir haben die Erstarrung in Deutschland aufgebrochen. Wir haben den Muff der Kohl-Ära, das Aussitzen vieler Probleme, beseitigt. Die Folge davon war, dass wir in vielen Wahlkämpfen die Quittung dafür bekommen haben, dass wir die Erstarrung aufgebrochen haben. Damit haben wir uns nicht nur Freunde gemacht.
Ein ganz entscheidender Punkt war, dass die rot-grüne Regierung verhindert hat, dass wir in einen völkerrechtswidrigen Krieg gezogen worden sind. Das wird das historische Verdienst von Gerhard Schröder und Joschka Fischer bleiben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das möchte ich an dieser Stelle sagen.
Da Deutschland so große Probleme hat, muss die große Koalition, in die viele Erwartungen gesetzt werden – nach diesem Wahlergebnis gibt es keine andere politische Konstellation, die regierungsfähig wäre –, auch zu einem großen Erfolg werden. Ich glaube, darin sind sich beide Partner einig.
Eine Koalition unter Vorbehalten, bei der man sich schon den Ausstieg überlegt, wäre die falsche Herangehensweise. Das würde zu einer Politikverdrossenheit in Deutschland führen.Wir sind – wenn Sie so wollen – zum Erfolg verdammt, und deshalb muss die große Koalition auch zu großen Erfolgen führen.
Andererseits heißt das nicht, dass Sozialdemokraten ihre Meinung am Kabinettstisch für immer abgeben und darüber hinausgehende Forderungen nicht weiterhin aufrechterhalten. Das habe ich zur Bürgerversicherung ausgeführt. Das gilt genauso für die Frage der Mindestlöhne. Wir sind fest davon überzeugt, dass Mindestlöhne die richtige Antwort darauf wären, dass Menschen in Deutschland, die unter harten Bedingungen arbeiten müssen, sich damit eine Existenz sichern können und nicht auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind. Wir glauben, das wäre die richtige Antwort.Wir werden weiterhin um einen Mindestlohn kämpfen.
Zur Energiepolitik. Beim Klimaschutz habe ich persönlich, aber auch meine Partei, an der einen oder anderen Stelle noch ehrgeizigere Ziele. Auch an vielen anderen Punkten bleibt es dabei: Sozialdemokraten haben Forderungen, die weit über das hinausgehen, was in diesen Koalitionsvereinbarungen ausgehandelt ist.
Ich will aber nicht der Frage nach der Mehrwertsteuererhöhung ausweichen, die Herr Al-Wazir hier aufgeworfen hat. Ich will darauf hinweisen, dass das in der Tat für Sozialdemokraten eine bittere Kröte war. Auch dass am Ende eine Erhöhung um 3 % herausgekommen ist, ist zu erläutern. Das ist völlig klar. Ich verweise an dieser Stelle allerdings darauf – das ist in der Debatte ein bisschen unterschlagen worden –, dass wir sie ein Jahr später, als es die Union wollte, in Kraft setzen werden. Wir hoffen und setzen darauf, dass 2006 ein Jahr wird, das wir dafür nutzen – wie es auch in der Koalitionsvereinbarung steht –, die Konjunktur anzuschieben.
Kollege Al-Wazir, es gibt nicht nur erste Stimmen aus der Wirtschaft, die sagen, dass 2006 in der Tat etwas passieren wird, dass wir mit dem Wirtschaftswachstum tatsächlich einen Anschub bekommen. Wir hoffen das sehr. Das ist auch sehr wichtig. Entscheidend war am Ende die Abwägung: Wie kriegen wir die Konsolidierung der Haushalte und nicht nur des Bundeshaushalts einigermaßen hin? Nachdem die Landespolitiker in den Haushalt geschaut haben, waren sich am Ende alle einig, auch wegen ihrer kommunalen Verantwortung, dass an dieser Stelle etwas
geschehen musste. Die Alternativen wären – das muss man einmal nüchtern sagen – möglicherweise weitere Kürzungen bei Investitionen und bei Sozialleistungen gewesen. Dann hätten wir auch die soziale Debatte geführt. An dieser Stelle gebe ich dem Kollegen Boddenberg sogar Recht.
Würden wir auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichten, wären wir spätestens ab 2006 vor weitere Einsparungsschritte gestellt, und 2007 würde das verschärft weitergehen.
Ich will auch der Frage nach dem verfassungswidrigen Haushalt nicht ausweichen. Da hat Kollege Al-Wazir zu Recht gesagt: Was kann eigentlich anderes dabei herauskommen, wenn für die CDU Herr Koch verhandelt, als ein Ergebnis, bei dem die Kreditaufnahme höher sein wird als die Investitionen? Das war sozusagen die Exportleistung Hessens, die Exportleistung von Herrn Koch in diesen Koalitionsvereinbarungen. Es konnte fast gar nichts anderes herauskommen bei einem Ministerpräsidenten, der regelmäßig, fünfmal hintereinander, die Verfassungsgrenze überschreitet.Der Vertreter der FDP wird nachher dazu reden. Auch Herr Boddenberg hat etwas dazu gesagt.Aber er hat vergessen,
dass es in der Regierung Kohl unter Mitwirkung der FDP allein fünfmal genau zu diesem Ergebnis gekommen ist.
Herr Boddenberg, es war eine Superleistung Ihrer Partei, zu glauben, man könnte Rot-Grün eine solche Schlussbilanz hinlegen,ohne zu merken,dass es möglicherweise die Eröffnungsbilanz für eine große Koalition wird. Da muss ich sagen: Das war in der Tat nicht richtig nachgedacht.
Sie haben es anscheinend gelernt und in Ihrem Antrag von heute etwas vorsichtiger formuliert. Kollege Al-Wazir, in der Koalitionsvereinbarung selbst heißt es – ich glaube, diese Aussage ist richtig –: