Protokoll der Sitzung vom 24.11.2005

Dass es nicht stimmt, was Sie hier sagen, kann man in den neuen Bundesländern beobachten. Da wurden wirklich viele neue Straßen gebaut. Zugegebenermaßen gab es dort einen Nachholbedarf.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Blühende Landschaften!)

Diese vielen neuen Straßen wurden übrigens auf der Grundlage eines vereinfachten Planungsrechts gebaut. Dort gibt es also all das, was Sie uns als Heilsweg zu mehr Wirtschaftswachstum versprechen. Die Arbeitslosenquote in den neuen Ländern betrug 1991 10,2 %. 2004 lag sie bei 20,1 %.An Ihrer Argumentation, dass der Bau von Straßen der Heilsweg zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen sei, kann etwas nicht stimmen, Herr Minister.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen wir uns die hessische Entwicklung an. Sie sagen in Ihrer Regierungserklärung, Sie hätten seit sechseinhalb Jahren alles richtig gemacht. In Hessen brummt es. Es

wird gebaut. Da ist der Aloisius mit dem Bagger, und er baggert immer noch. – Das haben Sie uns hier dargestellt.

Wie sieht denn die Entwicklung aus? Hessen liegt bei der Arbeitslosenquote – das hat es unter den vorherigen Landesregierungen nie gegeben – mittlerweile über dem Schnitt der westdeutschen Bundesländer. Beim Wirtschaftswachstum befindet sich Hessen im ersten Halbjahr dieses Jahres am Ende der Liste der westdeutschen Länder. Das zeigt, dass Ihre Ideologie, wonach man Straßen und Flugplätze bauen müsse, um Arbeitsplätze zu schaffen, auf keinen Fall greift.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch etwas zum Thema Nordhessen sagen. Auf den Flugplatz Kassel-Calden möchte ich gar nicht mehr detailliert eingehen.Diese Debatte hatten wir schon heute Morgen.Aber man muss zur Kenntnis nehmen,dass in Nordhessen eine der wesentlichen Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung im Tourismus liegt;

(Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

die Menschen fahren gerne dorthin, leben gerne dort und können sich dort erholen. Das passt einfach nicht zusammen. In eine Region, wo viele Straßen sind und viel Fluglärm ist, werden die Menschen nicht gerne fahren, um sich zu erholen. Da haben Sie zumindest einen Zielkonflikt.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist doch lächerlich, was Sie da sagen!)

Herr Boddenberg, das müssen Sie zumindest zugeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Es wäre noch vieles zu sagen. Mein Punkt war: Wenn ein Verkehrsminister hier eine Grundsatzerklärung abgibt, nichts über die Kürzungen sagt, die diesem Land vonseiten der Bundesregierung drohen, und auch die Themen Verkehrsvermeidung, Klimaschutz und Feinstaub nicht erwähnt, ist er der Komplexität dieses Themas bzw. der Verkehrspolitik in diesem Lande schlicht und ergreifend nicht gerecht geworden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Abg. Boddenberg für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einmal sagen, dass ich dem Wirtschaftsminister sehr dankbar dafür bin, dass er heute umfassend – was auch sehr notwendig war – dargelegt hat,wo dieses Land wirtschafts- und verkehrspolitisch steht.

(Lothar Quanz (SPD): Note Vier plus!)

Herr Frankenberger, der Titel dieser Regierungserklärung hat etwas mit Verkehrspolitik zu tun. Das haben Sie

gesehen;aber möglicherweise haben Sie es im Laufe Ihrer Rede vergessen.

Ich bin dem Herrn Minister sehr dankbar, weil es offensichtlich notwendig ist – das zeigt auch die Emotionalität, mit der die Debatte geführt wird –, über die Verkehrspolitik in Hessen und einige damit zusammenhängende grundsätzliche Fragen zu reden.

Das sage ich insbesondere mit Blick auf das, was Herr Kollege Wagner eben hier vorgetragen hat. Ich will einen Punkt herausgreifen, damit das nicht im Raum stehen bleibt. Es entspricht nicht dem Niveau, auf dem ich eine solche Debatte führe, mit solchen Vorschlägen aufzuwarten. Es war Ihr Fraktionsvorsitzender, der wortwörtlich gesagt hat, er finde es ohnehin besser, wenn die Menschen, statt nach Mallorca zu fliegen, im Urlaub nach Nordhessen – in die Rhön – fahren, um dort Schafe zu zählen. Diesen Dirigismus des Staates wollen wir nicht. Wir wollen, dass die Menschen selbst entscheiden, wo sie Urlaub machen.

(Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist diffamierend! Das ist unwahr, Herr Kollege!)

Wir wollen, dass die Menschen selbst entscheiden, wo sie wohnen und arbeiten, wobei das eine mit dem anderen – also mit der gebotenen räumlichen Nähe – viel zu tun hat.

Zu dem Thema Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene – um ein weiteres Ammenmärchen vom Tisch zu haben, das Sie den Menschen seit über zehn Jahren erzählen, Herr Wagner und Herr Kaufmann –:

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie erzählen Märchen, Herr Kollege! Das ist alles nicht wahr, was Sie erzählen!)

Kennen Sie die Daten? Wissen Sie, dass allein in Deutschland pro Jahr 3 Milliarden t Güter auf der Straße transportiert werden? Wissen Sie, dass in Deutschland pro Jahr ca. 300 Millionen t Güter auf der Schiene transportiert werden? Was heißt denn das, was Sie sagen? Das heißt doch, dass wir in den nächsten zehn Jahren, wenn es nach Ihren Vorstellungen geht, den Umfang des Schienennetzes verdreifachen, verfünffachen oder verzehnfachen müssen. Trotzdem haben wir das Problem dann immer noch nicht gelöst, Herr Wagner.

Hören Sie doch auf, solche virtuellen Debatten zu führen und den Menschen ein X für ein U vorzumachen.Sie glauben das doch sowieso nicht. Alles, was Sie gesagt haben, läuft nämlich bei uns und bei den Menschen draußen im Land unter der Rubrik, dass Sie die größten Arbeitsplatzvernichter in diesem Land sind und bleiben. Es ist gut, dass Sie abgewählt worden sind.

(Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn das stimmen würde, müssten Sie nicht so schreien!)

Herr Kaufmann, machen Sie sich keine Sorgen um meinen Gesundheitszustand.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da habe ich keine Sorge!)

Da ich Sie häufig im Ausschuss erleben muss, wissen Sie, dass ich eine Menge aushalte.

Ich bin der Meinung, dass wir über das Thema Verkehr und seine wirtschaftspolitischen Folgen in Zukunft noch häufiger werden reden müssen.

Wir haben gestern über den Koalitionsvertrag gesprochen. Ich habe mir gestern erlaubt, in diesem Zusammenhang noch einmal auf einige wesentliche Parameter der Wirtschaftspolitik und des Wettbewerbs hinzuweisen. Ich glaube, wenn wir einen großen Standortvorteil in diesem Lande haben, so ist es zunächst einmal der, dass wir im Vergleich mit vielen anderen Ländern gar nicht so schlecht dastehen, was die Verkehrsinfrastruktur und die Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger anbelangt.Das ist genau der Punkt,weshalb wir gleichzeitig sagen, dass wir dieses Thema nicht vernachlässigen dürfen. Auch in einer schwierigen Haushaltslage gilt es, klare Prioritäten zu setzen.

Ich will jetzt auf das kommen,was Sie in Ihrem Antrag bemängelt haben.Ich hatte mir vorgenommen,der Kommission ein Lob auszusprechen. Das, was die Kommission erarbeitet hat, beinhaltet weit mehr als die von Herrn Frankenberger angesprochene Vorlage von vor eineinhalb Jahren.Es geht sehr viel mehr ins Detail und konkretisiert das, was von Rot-Grün im Deutschen Bundestag in der Form von Sprechblasen zu diesem Thema produziert worden ist. Dafür wollte ich Sie loben, Herr Posch.

Aber dass Sie so reflexartig reagieren, halte ich nicht für in Ordnung, nachdem Sie gestern und heute Vormittag immer wieder auf die notwendige Konsolidierung des Haushalts ohne Steuererhöhungen hingewiesen haben. Heute haben Sie offensichtlich in die Schubladen gegriffen, wie es offensichtlich alle Lobbyisten getan haben, die sich heute schon zu Wort gemeldet haben, nachdem Sie gehört haben, dass es auch im Bund Überlegungen gibt, im öffentlichen Personennahverkehr zu sparen.

Ich wundere mich ein bisschen über die grundsätzliche Ausrichtung der FDP, die immer wieder die Marktwirtschaft propagiert, die immer wieder davon spricht, dass wir Subventionen abbauen müssen, während sich Herr Posch heute darüber beschwert, dass wir das Thema ÖPNV aus der Diskussion über Subventionen herausgenommen haben.

Meine Damen und Herren, Verkehrspolitik ist gerade in unserem Bundesland der wichtigste Standortfaktor. Ich will das überhaupt nicht allein für die aktuelle Hessische Landesregierung reklamieren. Deswegen bin ich froh, dass die meisten, die heute hier gesprochen haben, sagen, dass das so ist. Aber, Herr Frankenberger, das war nicht immer so. Vieles von dem, was wir hier auflisten, ist doch in dem derzeitigen Verfahrensstand, den Sie hier bemängelt haben, weil Sie mit dem grünen Partner bis 1998 bewegungsunfähig waren.

(Beifall des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Das gilt auch für den Frankfurter Flughafen. Herr Frankenberger, warum ausgerechnet Sie sich hierhin stellen und Verfahrensmängel anführen, die angeblich zwei Jahre Verzögerung bedeutet haben, müssen Sie mir einmal erklären. Denn Sie waren diejenigen, die das Thema Flughafenerweiterung bis 1998 in der Form tabuisiert haben. Sie müssen mir nachweisen, wann es Verzögerungen durch die vorherige CDU/FDP-geführte oder die jetzige Landesregierung gegeben hat. Das hätte ich von Ihnen gerne gewusst. Wir werden im Ausschuss darüber reden. Ich bin gespannt, wie Sie sich aus diesem Argument herauswinden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Herr Frankenberger, bei dem Verfahren um den Flughafenausbau gibt es jetzt wenigstens einen zeitlichen Planungshorizont.

(Zuruf der Abg. Hildegard Pfaff (SPD))

Bei Ihnen war das tabuisiert und durfte noch nicht einmal mit Ihren grünen Partnern besprochen werden. Deswegen bleibt es dabei: Diese Landesregierung macht in Fragen der Verkehrspolitik einen hervorragenden Job – wenn ich das so salopp sagen darf.

Ich will noch einmal auf das eingehen, was die Expertenkommission unter Federführung des Kollegen Posch zu Papier gebracht hat.

(Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Kaufmann, das gehört auch zur Qualität der Debatte. Wenn Sie behaupten, dass diejenigen, die dort sitzen, keine Experten sind, dann ist das Ihr Problem. Ich glaube, dass dort ein hoher Sachverstand angesiedelt ist, nicht nur mit Herrn Posch, den Bundestagsabgeordneten Gehb und Friedrich, sondern auch mit Herrn Prof. Ronellenfitsch und Herrn Prof. Steinberg. Dort sitzen durchaus Menschen, die wissen, wovon sie reden, und die vor allem das Verwaltungs- und Gesetzesgestrüpp dieser Republik kennen. Also kurzum: Herr Posch, ich vertraue darauf, dass vieles von dem jetzt in die grundsätzliche Ausrichtung und Aussage der großen Koalition in Berlin einfließen kann.

Sie haben einige Punkte angesprochen. Ich will darauf hinweisen,dass uns sehr wohl bewusst ist,dass viele unterschiedliche Rechtsbereiche und Rechtssphären angesprochen sind, möglicherweise durchaus auch europäische. Das will ich ausdrücklich dazu sagen. Denn dort sitzen Menschen, die wir dorthin schicken, damit sie eine ordentliche Politik machen. Insofern ist das eine oder andere, was dort möglicherweise nachjustiert werden muss, ebenfalls nicht mit einem Tabu zu belegen,sondern in eine nationale politische Debatte einzufügen. Ich glaube, am Ende ist das Ziel aber unumstritten.

(Der Redner hält ein Schaubild in die Höhe.)